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„Aber das war beim besten Willen nicht der Film James O. Incandenzas, den die Zuschauer am meisten hassten. Der meistgehassteste Incandenzafilm, ein in der Länge variierender Streifen mit dem Titel Der Witz, kam nur ganz kurz in die Kinos und auch damals nur in die wenigen übrig gebliebenen Prä-InterLace-Programmkinos im studentischen Milieu etwa von Cambridge, Massachusetts, und Berkeley, Kalifornien. Und begreiflicherweise zog man bei InterLace auch nie in Betracht, ihn in den Puls-Order-Katalog aufzunehmen. Auf den Vordächern, Plakaten und in den Anzeigen, mit denen die Programmkinos für den Film warben, musste sinngemäß stehen „DER WITZ“: Sie sind gut beraten, wenn Sie nicht noch Geld dafür berappen, diesen Film zu sehen, was Programmkinohabitués naturgemäß für eine raffinierte ironische und werbekritische Pointe hielten, also berappten sie für die papiernen Eintrittskärtchen, marschierten in ihren Pullundern, Tweedjacken und Dirndlkleidern hinein, betankten sich an der kleinen Bar mit Espresso, suchten ihre Plätze, setzten sich und brachten wie immer vor einer Filmvorführung Beine und Oberkörper in die ideale Haltung, sahen sich mit dieser spezifischen leeren Aufmerksamkeit im Kino um und sagten sich, dass die Bolex-H32-Kameras mit den drei Objektiven – die eine von einem gekrümmt dastehenden alten Hünen gehalten und die andere komplex fixiert auf dem überdimensionierten Kopf eines Jungen mit komischer Vorwärts-Krängung, dem anscheinend ein Stahlspieß aus dem Brustkorb ragte –, die Stammgäste sagten sich, dass die großen Kameras unten neben den rot beleuchteten EXITS zu beiden Seiten der Leinwand vielleicht Werbe- bzw. Antiwerbezwecken oder einer metafilmischen Making-Of-Dokumentation oder so dienten. Jedenfalls bis das Saallicht runtergedimmt wurde, der Film anfing und auf der großen Leinwand nur eine Weitwinkelaufnahme ebendieser Programmkinobesucher zu sehen war, die mit ihren Espressi hereinkamen, ihre Plätze suchten, sich setzten, umsahen, zurechtruckelten und den Partnerinnen mit den Glasbausteinen auf den Nasen kenntnisreiche kleine Prä-Film-Kommentare über den Zahlen-Sie-nicht-für-das-hier-Slogan und die mutmaßliche künstlerische Signifikanz der Bolex-Kameras zuraunten, sich auf den Film einstellten, während das Saallicht runtergedimmt wurde, und die Leinwand ansahen (und damit sich selbst, wie sich herausstellte) mit der kaltlächelnden Gespanntheit auf anspruchsvolle Unterhaltung, ein Lächeln, das dann, wie die Kameras und die Projektion ihrer Aufnahmen auf die Leinwand zeigten, aus den Mienen der Zuschauer schwand, als diese mit immer weniger gespannten und zunehmend leeren, dann verwirrten und schließlich vergnatzten Mienen reihenweise sich selbst beim Sichselbstansehen sahen. Die Gesamtlaufzeit von Der Witz endete immer genau dann, wenn auch der letzte Stammgast, der mit übereinandergeschlagenen Beinen im Kino ausgeharrt und sein vergrößert auf die Leinwand projiziertes Bild angesehen hatte, das mit diesem spezifischen Degout eines angewiderten und sich geneppt fühlenden Programmkinostammgasts auf ihn herabsah, gegangen war, was am Ende zwanzig Minuten nur überschritt, wenn Kritiker oder Filmwissenschaftler im Publikum saßen, die mit endloser Faszination beobachteten, wie sie sich beim Notizenmachen beobachteten, und erst gingen, wenn sie der Espresso schließlich aufs Klo zwang, was für Ihn Selbst und Mario das Zeichen war, Kameras, Objektivtaschen und Koaxialkabel hektisch zusammenzupacken und wie der Teufel zum nächsten Interkontinentalflug von Cambridge nach Berkeley oder von Berkeley nach Cambridge zu rennen bzw. zu wackeln, schließlich mussten sie ja an beiden Orten rechtzeitig zu den Vorführungen alles aufgebaut haben und verbolext sein. Mario sagte, Lyle hätte gesagt, Incandenza hätte ihm im Vertrauen erzählt, ihm gefiel es gerade, dass Der Witz von so öffentlicher Stasis, Schlichtheit und Blödheit sei, und die wenigen Kritiker, die den Film mit dem weitschweifig vorgetragenen Argument verteidigten, die schlichte Stasis beinhalte gerade die ästhetische These des Films, wären wie immer total auf dem Holzweg.“

David Foster Wallace (Ulrich Blumenbach, Übers.): Unendlicher Spaß,* Köln 2011, S. 569–571 von 1899 (eBook).

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