Austrinken, zuhören, staunen.

Mein Didaktikkurs entpuppt sich immer mehr als Wundertüte. In den ganzen Kunstkursen weiß ich, was mich erwartet, wenn die Stunde beginnt; ich kriege haufenweise Informationen zu Bildern oder Kunstwerken, die ich meist vorher noch nicht kannte, schreibe brav mit, hebe ab und zu den Finger und sage was Schlaues, Durchdachtes, Auswendiggelerntes, dann ist die Stunde rum und fertig. Auch bei Musikgeschichte ist das so. Aber eben nicht bei Didaktik.

Wir sind zu zwölft in dem Kurs, anscheinend alle mit genug Sensibilität und Neugier ausgestattet, um sich hemmungslos in Musik fallenzulassen und danach ebenso hemmlungslos zu berichten, was die Musik denn mit uns gemacht hat. Dazu haben wir eine Dozentin, deren Begeisterungsfähigkeit schon etwas fast Animateurhaftes hat (was ich als Kompliment meine).

In der letzten Stunde haben wir verschiedene Arten von Hören kennengelernt. Da gibt es zum Beispiel das unspezifische Hören, also die kurze, folgenlose Wahrnehmung von Supermarkgedudel im Hintergrund. Das kompensatorische Hören bedeutet: traurige Musik bei Liebeskummer, gut gelaunte Musik an Sommerabenden auf der Terrasse mit drei Cocktails im Blut. Angeblich gibt es sogar Studien darüber, dass es eher nicht möglich ist, Traurigkeit mit lustiger Musik zu verscheuchen, aber ich bin mir gerade selbst nicht mehr sicher. Was ich mir gemerkt habe: Das ist schon okay, fiese Schnulzen zu hören, wenn man rumheult. Das muss so.

Das senso-motorische Hören schließt eigene Bewegung mit ein, zum Beispiel tanzen oder auch nur rhythmische Bewegung. Alles, was hilft, den Höreindruck zu verarbeiten. Das assoziative Hören ist das, was mir im Kurs so viel Freude macht: Wir schließen meist die Augen und gucken zu, was vor unserem inneren Auge an Bildern und Eindrücken auftaucht, wenn wir Musik hören. (Falls das noch nicht klar geworden ist: Wir hören in dem Kurs quasi die ganze Zeit Musik.) Gleichzeitig gehen mit den inneren Eindrücken manchmal auch körperliche Reaktionen einher, ich schrieb schon mal darüber.

Das bewusste Hören ist quasi das wissenschaftlichste: Man hört gezielt auf zum Beispiel Instrumente oder Strukturen, um sich das Stück zu erschließen. Und das integrative Hören schließlich ist alles zusammen: Man hört zu und entscheidet sich bewusst, wie man zuhören möchte. Das kann sich innerhalb eines Stücks auch ändern, je nachdem, wie man die Musik gerade wahrnehmen will.

Im gestrigen Kurs haben wir mal wieder assoziativ gehört – und dieses Mal mit Hilfsmitteln. Jeder von uns bekam ein Schnapsglas voll mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Nach den üblichen Scherzen über bewusstseinserweiternde Drogen und ihr Einfluss auf die Musikgeschichte waren wir wieder brav und hörten zu. Diesem Stück nämlich – Unter Donner und Blitz von Johann Strauß aus der Fledermaus. Die Ansage war: „Wir hören das Stück einmal mit geschlossenen Augen. Dann kippt jeder, ebenfalls mit geschlossenen Augen, sein Becherchen runter, versucht möglichst nicht verbal oder akustisch darauf zu reagieren, und dann hören wir das ganze noch mal. Und dann will ich wissen, wie es euch ergangen ist.“

Gesagt, gehört. Ich hatte sofort eine rauschende Ballnacht in der Wiener Hofburg vor meinem inneren Auge, sah Sisi und eine Runde ungarischer Tänzer, einen betrunkenen Hofmarschall, der sich unmöglich macht und gegen Dinge rennt, alles laut und bunt und lustig – aber ich stand einfach nur daneben und guckte mir das an. Wie ich das bei Partys eben mache.

Dann trank ich – Zuckerwasser. Die Musik erklang erneut, und plötzlich war ich mittendrin. Das Zuckerwasser war Champagner, ich wirbelte mit den Ungarn übers Parkett und hakte mich bei Franzerl ein. Eine großartige Party, die viel zu schnell zu Ende war.

Andere hatten statt des Leckerzeugs Salzwasser in ihren Bechern, und die hatten keine so gute Zeit. Eine Dame hatte ähnliche Assoziationen wie ich: Sie war auf einer Party und tanzte lustig mit, aber nach dem Schluck Salzwasser stand sie plötzlich abseits. Andere mussten bei der Musik an das Äffchen mit den Becken denken, die es bräsig zusammenschlug, was sie superkomisch fanden, aber nach dem Salzwasser nur noch nervig. Eine andere Reaktion war, dass man mehr damit beschäftigt war, genau zu gucken, was die Flüssigkeit mit einem macht und man gar nicht mehr auf die Musik achtet, ganz egal was im Becher war. Das war dann wieder die verschulte Rangehensweise, bei der man irgendwas richtig machen will anstatt sich unwissenschaftlich fallenzulassen.

Wie auch immer: Ich fand es zum wiederholten Male spannend, wie man sich mit Musik auseinandersetzen kann. Und weil wir ja ein Didaktikkurs sind, hat das ganze natürlich auch einen Sinn gehabt: Die Übung diente schlicht dazu, sich dem Sinnlichen in der Musik bewusst zu werden, das im schulischen Musikunterricht gerne zu kurz kommt.

Ich teste die Fledermaus jetzt mit wodkabasierten Getränken, mal sehen, was dann passiert.