Girls

Von Girls ist gerade die zweite Staffel in den USA zuende gegangen, und ich bin jetzt schon hibbelig auf die dritte, obwohl sie noch nicht einmal gedreht ist. Während der ersten ein, zwei Folgen habe ich etwas fassungslos vor dem Rechner gesessen, weil ich derartiges noch nie gesehen habe. Dachte ich. Bis mir auffiel: Ich habe derartiges noch nie mit weiblichen Hauptdarstellern gesehen.

In Girls geht es um vier junge Frauen in ihren 20ern in New York, die mit ihren Jobs, ihren Beziehungen und dem ganzen Rest klarkommen müssen. In vielen Kommentaren, die ich nur überflogen habe, because Kommentare eben, wird die Show als self-indulgent bezeichnet, völlig überzeichnet, von vier neurotischen Charakteren wird gesprochen, blödes Weibergequatsche, unlustig, doof und dann ist die Hauptdarstellerin auch noch hässlich. Und da steckt für mich das Großartige in der Show. Wenn es in der Sendung um vier junge Männer ginge, die in New York mit ihren Jobs, ihren Beziehungen und dem ganzen Rest klarkommen müssen, hätte man das ganze sehr wahrscheinlich als lebensechte coming-of-age-Story bezeichnet, als schonungsloses Abbild einer verlorenen Generation mit tiefsinnigen Dialogen und was weiß ich noch. Aber da es Frauen sind, ist es eben selbstbezogene Nabelschau. Gedöns. I call bullshit.

Ich persönlich finde alle Charaktere hinreißend, weil sie mir stimmig vorkommen. Das musste sich allerdings erst entwickeln; in den ersten Folgen hatten alle Mädels bei mir sofort einen Stempel weg: Möchtegern-Schriftstellerin, Definiert-sich-über-ihren-Freund, Hippie, Uptown-Girlie. Das stimmt alles zum Teil, aber eben nur zum Teil. Denn die Möchtegern-Schriftstellerin Hannah ist außerdem jemand, die Rollen ausprobiert, auch sexuell, nur um zu gucken, was alles geht – und dabei schaue ich ihr ausgesprochen gerne zu, weil sie mir nicht wie ein kleines Mädchen vorkommt, das nicht weiß, was sie will, sondern wie eine selbstbewusste junge Frau, die ihre Persönlichkeit erst noch ausformulieren muss. Lena Dunham ist creator der Show, hat die meisten Bücher (mit-)geschrieben und oft genug führt sie auch Regie. Ihre Figur Hannah haut mich in jeder Folge um, weil sie mich immer wieder überrascht – und sich dabei immer treu bleibt.

Wofür ich ihr außerdem stets die Füße küssen möchte: dass sie ihren nicht-hollywoodgerechten Körper gnadenlos einsetzt. Die Folgen, in denen wir mal nicht ihre Brüste sehen, kann man, glaube ich, an einer Hand abzählen. Und wo ich mich sonst gerne über nutzlose Nacktheit aufrege, ging mir das hier ganz anders, weil ich hier einen Körper zu Gesicht bekomme, der nicht den üblichen Barbie-Maßen entspricht.

Noch toller: dass dieses ganze Körperding so gut wie nie thematisiert wird. In jeder, ich werfe das mal so in den Raum, wirklich jeder anderen Show, in der irgendeine Frau mitspielt, die eine persönliche Entwicklung durchlebt, kommt irgendwann ein Satz in die Richtung „Sehe ich in dieser Hose fett aus?“ Sex and the City (wird gerne als „erwachsene“ Ausgabe von Girls genannt, und nichts könnte falscher sein) hat sechs Staffeln aus dieser Scheißfrage gemacht. In den 20 bisherigen Folgen von Girls gibt es eine einzige Szene, in der über dieses Thema gesprochen wird – als Adam, Hannahs Freund, ihr wütend zu verstehen geben will, dass sie gerade ein bisschen übertreibt:

– “You think cause you’re, what… 11 pounds overweight, you know struggle?”
– “I’m 13 pounds overweight, and it has been awful for me my whole life!”

Der Satz steht da, aber wir haben noch nie gesehen, dass ihr Körper für Hannah irgendwie awful gewesen ist, ganz im Gegenteil. Ich liebe die Szene, in der sie an ihrer kleinen Speckrolle rumknetet, und ich liebe es, dass sie, Achtung, Figurberater_innensprech, des Öfteren „unvorteilhafte“ Kleidung trägt, schlicht weil ihr der Begriff „unvorteilhaft“ ziemlich scheißegal sein dürfte.

Auch die anderen drei, denen ich voreilig einen Charakter gegeben hatte, entpuppen sich als viel mehr. Definiert-sich-über-ihren-Freund muckt irgendwann auf und stellt fest, dass ihr Kerl und alles, was mit ihm zu tun hat, nicht mehr dem entspricht, was sie gerne hätte – wobei sie erstmal rausfinden muss, was sie denn überhaupt gerne hätte. Die Hippietante, die immer so frei und ungebunden rüberkommt, stellt fest, dass in ihr vieles steckt, was sie bisher nonchalant weggekifft und weggefickt hat, und aus dem Uptown-Girlie wird irgendwann eine Frau (wobei mir Shoshanna noch am wenigsten gut gezeichnet ist, die kommt ein bisschen zu kurz bei den vieren).

Zu den vier Frauen kommen nach und nach männliche Bezugspunkte, die aber fast immer genau das bleiben: Bezugspunkte. Nebenrollen. Sie sind wichtig, aber die Show gehört den Frauen. Es gibt eine Folge (die netterweise Boys heißt), in der Adam und Ray mal ein paar Szenen zusammen haben. Und da fiel mir auf, dass ich nach 15 wundervollen Folgen das erste Mal eine Szene sehe, in der keine einzige Frau mitspielt.

Ich weiß nicht, ob Girls eine Komödie sein soll, ein Drama, ein bewegtes Tagebuch. Ich finde die Show nicht lustig, aber stellenweise muss ich laut lachen. Ich werde nicht so fies gefühlsmanipuliert wie in den üblichen TV-Dramen, wo ich irgendwann brav zum Taschentuch greife, wenn der Soundtrack es von mir verlangt; stattdessen hat Girls viele Szenen, bei denen ich kurz die Luft anhalten muss, weil mich die Story, der Dialog oder idealerweise beides zusammen völlig fasziniert haben, weil sie neu sind, ungewohnt, ungesehen, ungefühlt. Girls erzählt für mich ein paar sehr alltägliche Geschichten auf eine absolut nicht-alltägliche Weise. Und ich hoffe, die Serie macht genau so weiter, wie sie gerade aufgehört hat.