Dresden hin, dresden her, drehsten ab. Oder: Schlechte Scherze gleich in der Ãœberschrift verwenden, dann haben wir das hinter uns.

Donnerstag, 28. Dezember

Wie, Schnee? Geht’s noch, Hamburg? Seit Tagen freue mich mich über das milde Wetter, das perfekt ist zum In-fremden-Städten-planlos-Rumlaufen und jetzt schneit’s? Statt Bus Taxi zum Bahnhof.

Im Zug: das erste Mal in meinem Leben erster Klasse. Da ich die Reise nach Dresden ziemlich früh gebucht habe, war das bezahlbar und immer noch ne Ecke günstiger als ein Flug. Der wahrscheinlich mit dem ganzen Eincheckgedöns auch nicht viel schneller gewesen wäre. Zum Eincheckgedöns hat auch die Bunte was zu sagen, die ich mir zusammen mit der Us Weekly im Bahnhof besorgt habe, denn: keine Bahnfahrt ohne Klatschzeitschriften. Gute Bücher werden im Bett gelesen. Beim Zugfahren will ich Blödsinn konsumieren. Jedenfalls hat die Bunte die Flughafenkontrollen zum einem der vielen Verlierer des Jahres gekürt – mit dem vernichtenden Urteil: „Blöde Terroristen!“ Genau. Denen habt ihr’s aber gegeben.

Die erste Klasse zeichnet sich durch mehr Beinfreiheit und weniger Sitze aus. Sehr nett. Sehr doof: Auf meinem reservierten Einzelsitz am Fenster sitzt bereits jemand. Ich will zunächst so nervig sein wie die Leute im spärlich besetzten Kino in der Nachmittagsvorstellung, die auf dem Platz bestehen, der auf der Karte aufgedruckt ist, gucke mich dann aber im Wagen um und stelle fest: komplett leer. Ein Platz ist besetzt. Meiner. Ich bin erstaunt ob dieser idiotischen Präzision, in einem völlig leeren Großraumwagen den einzigen Platz zu besetzen, über dem rot die Reservierung flackert.

Ich setze mich woanders hin. Ist eh ein besserer Platz, weil er gegen die Fahrtrichtung ist. Ich fahre lieber „verkehrt herum“, denn so fliegt die Welt entspannt hinter einem weg anstatt mir hektisch entgegenzukommen.

In Berlin gucke ich kurz aus dem Fenster, um festzustellen, dass ich gerade in diesem tollen neuen Bahnhof bin. In den drei Minuten aus dem Zugfenster sah er aus wie ein Einkaufszentrum, durch das Gleise gelegt wurden.

Kurz vor dem Dresdner Hauptbahnhof überquert der Zug die Elbe, und man hat einen grandiosen Blick über den Fluss und sämtliche Sehenswürdigkeiten der Innenstadt. Ich sehe jedenfalls gefühlte 80 Kirchtürme. Als komplett doofer Tourist habe ich die Kamera aber ganz unten im Rucksack vergraben und kann nicht knipsen. Ist auch viel netter, aus dem Fenster zu gucken.

Im Bahnhof kaufe ich einen Stadtplan und gucke mal, wie weit mein Hotel weg ist. Hier in Dresden schneit es nicht, es regnet nicht, es ist nicht zu kalt und nicht zu warm. Perfekt. Ich rolle mein Köfferchen 300 Meter weit ins Mercure, von dem ich überzeugt bin, dort schon einmal zu DDR-Zeiten genächtigt zu haben. Nach Einchecken und Zimmer-gut-Finden gehe ich wieder vor die Tür in Richtung Innenstadt.

Es fängt an zu schneien.

Die Prager Straße ist ein Fußgängerzone. Ein immerhin schon deutlich verschönertes Überbleibsel aus Zonenzeiten, wo diese Straße eine dieser beknackten sozialistischen Prachtstraßen war – eine von denen, die nie prächtig waren, sondern bloß zugig. Und leer. Jetzt herrscht hier das übliche Fußgängerzonengewusel. Ich meine mich an ein paar Gebäude zu erinnern. Das letzte Mal war ich ca. 1987 in Dresden. Da, wo jetzt Esprit ist, zwischen den beiden Ibis-Hotels, da war eine Eisbar. Glaube ich. Oder war das gegenüber? Und an diesen Rundbau, in dem jetzt Pizza Hut ist, kann ich mich auch erinnern. Das war ein Kino. Glaube ich. Mit Holzklappsitzen. Und da hab ich Ödipussi gesehen. Glaube ich. Was dieses silberne Gebäude war, an dem, wie an vielen Gebäuden, das Plakat der Abbruch-/Sanierungsgesellschaft hängt, weiß ich nicht. Ein Kaufhaus? (Mit Intershop, garantiert. In Dresden hab ich Toffifee gekauft, das weiß ich noch.)

Ich glaube, ich bin meilenweit als Tourist zu erkennen. Ich renne mit offenem Mund auf die Frauenkirche zu, deren heller Sandstein total falsch aussieht. Die meisten Gebäude um den Neumarkt herum sehen aus wie alte Gebäude eben aussehen. Die Frauenkirche sieht aus wie von Playmobil. Ich mache das obligatorische Foto und hebe mir die Besichtigung für morgen auf, denn da findet um 12 eine Orgelandacht statt, und ich hoffe, dass ich ein Plätzchen abkriege.

Heute steht stattdessen die Kunsthalle im Lipsius-Bau auf dem Plan, denn dort läuft zurzeit die Ausstellung Von Monet bis Mondrian. Der Eingang ist auf (? an? geht ab von?) der Brühlschen Terrasse, von der man einen wunderschönen Elbblick hat. Theoretisch. Praktisch liegt jetzt überall Schnee, es schneit immer noch, und der Himmel ist grau. Kein gutes Fotowetter. Und zum Lange-draußen-Rumlungern ist es auch nicht geeignet. Also rein in die Kunst.

Wieso geht man eigentlich nur in fremden Städten in Ausstellungen? In Hamburg läuft seit Monaten die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung. War ich drin? Nö. Will ich rein? Ja, schon, aber mein Sofa und meine DVDs und mein fauler Hintern ach und einkaufen muss ich ja auch noch … Wie in jeder Ausstellung finde ich auch hier ein Bild, das mir besonders gefällt und vor dem ich länger rumstehe als vor den anderen und zu dem ich zum Abschluss nochmal zurückkehre. Hier waren es sogar zwei: einmal die „Flusslandschaft mit Bauernhaus (Petersen)“ von Emil Nolde und das „Bildnis der Frau Stegemann“ von Conrad Felixmüller, von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Außerdem hat mir sogar ein Kandinsky gefallen, wo ich doch mit Kandinsky sonst gar nichts anfangen kann (mit Mondrian komischerweise schon). Und Paul Klee gefällt mir immer besser. Ist dem Mann wahrscheinlich aber egal.

Es schneit noch stärker, als ich wieder aus dem Museum komme. Scheißegal, auf zum Grünen Gewölbe, auf gut Glück natürlich. Laut Internetseite sind die nächsten Karten wieder im März verfügbar. 25 Prozent der Karten sind aber frei an der Kasse erhältlich. Allerdings ab 10 Uhr morgens. Es ist jetzt 16 Uhr, und natürlich ist alles weg. Macht nicht, an diesem Punkt in Dresden kann man eigentlich nicht nichts angucken. Ich gehe in den Zwinger, der leider auch nicht ganz tourifreundlich aussieht, und kaufe mir ein Ticket für die Porzellansammlung. Die wurde von Kurfürst August dem Starken begonnen und zählt angeblich zu den wichtigsten der Welt. Keine Ahnung, ich versteh nix von Porzellan. Trotzdem fand ich die Ausstellung wunderschön. Wahrscheinlich weil ich keine Ahnung hatte. Die Sammlung bestand aus 22.000 Teilen, von denen es 12.000 bis heute geschafft haben. Und die Stücke, die im Zwinger präsentiert werden, sehen aus wie neu. Da stehen 300 Jahre alte Vasen, die so aussehen, als wäre gerade der Lack getrocknet. Ich habe Teller von letzter Woche, die nicht so gut aussehen. Und nicht so heile. Kaum Fehler oder abgesprungene Stücke. Und: schöne Texte an den Vitrinen. Erstens in Garamond gesetzt (schon gewonnen) und zweitens so begeistert geschrieben, dass ich manchmal vergessen habe, die beschriebenen Exponate auch anzugucken. Ich hab den Text gelesen, mich gefreut und bin zum nächsten Text gegangen. Erst da ist mir aufgefallen, äh, Moment, wie sah diese Teedose in rotgold denn eigentlich aus? Ich glaube, Museumstexte zu verfassen, ist nicht einfach, denn man muss die Balance halten zwischen dem Basiswissen, das auf fünf Zeilen vermittelt werden soll, und den Besonderheiten der jeweiligen Stücke. Ich fand die Texte toll, sie klangen wie von jemandem geschrieben, der sich begeistert acht Stunden lang über die Kangxi-Zeit und die dazu passenden Blautöne unterhalten könnte. Ich weiß zwar nicht, ob ich mit so jemandem eine Kneipentour unternehmen wollen würde, aber mir persönlich haben die Texte die Ausstellung sehr nahe gebracht. Und den Begriff „dominante Farbpracht“ hab ich mir gemerkt, weil er so schön schmeckig ist.

Neben den vielen, vielen Vasen, Tellern, Tassen und noch mehr Vasen (und Fischbassins, in denen August lieber seine Orangenbäumchen pflanzte und dazu ein Loch in den Boden des guten Porzellans bohrte) gab es einige Räume mit Meißner Porzellan. Die Jungs aus der Manufaktur wollten ihrem Herrscher auch was Nettes basteln („ey, Mann, immer diese Chinesen“) und haben daher – lebensgroße Tiere aus Porzellan hergestellt. Ich muss zugeben, dass ich die Räume ziemlich schräg fand. Ich kann zwar nicht rational begründen, warum ich mir gerne bemalte Zierteller angucke (ich will das, glaube ich, gar nicht wissen), aber sie haben mir viel besser gefallen als die komisch guckenden Löwen und Affen und Pfau … Pfaus. Pfauen. Dudens. Und wenn es zehnmal 300 Jahre altes Meißner ist – es sieht trotzdem so aus wie der komische weiße Hund, den Chandler ertragen musste, weil Joey ihn so toll fand.

Inzwischen war es draußen endgültig dunkel, die Fußwege eine einzige glitschige Rutschpartie, und daher bin ich nicht weiter durch die Gegend gelaufen, sondern habe mich wieder ins Hotel geschleppt. Allerdings nicht, ohne vorher mal in die Altmarkt-Galerie zu gehen, wo ich auf DVDs hoffte. Wenn ich schon nutzlos im Hotelzimmer rumliege, dann will ich wenigstens was Nettes zu gucken haben. Bei Saturn habe ich die erste Staffel von House erstanden – und zu meinem Entsetzen/Entzücken festgestellt, dass noch stapelweise Wiis rumlagen. Die will hier anscheinend keiner. Zwei Kerle standen unschlüssig davor und guckten sich die Controller an: „Da macht man sich ja total zum Depp.“ Genau. That’s the fun part. Los, kaufdiescheiße.

Jetzt ist es fast 20 Uhr, ich bin schon bei den Simpsons auf Pro7 eingeschlafen und tippe mir jetzt nen Wolf im Word-Dokument, denn das ansonsten sehr nette Hotel will gnadenlose 24 Euro für einen Tagespass ins Internet haben (geht’s noch?). Morgen dann: Frauenkirche, Grünes Gewölbe 2. Versuch – und natürlich der Hauptgrund der Reise: Tristan und Isolde in der Semperoper. Bleiben Sie an den Empfängern.