Ehrenrunde

Vor kurzem bekam ich interessante Leserpost:

„Ich lese ja gern Ihr Uni-Journal mit. So viel Begeisterung, das freut mich.

Was mich wundert: Es fällt kein Wort zum Erststudium. Dabei würden mich ein paar Vergleiche dazu interessieren. Gibt es noch Mikrofiche? Was war früher Ihre Motivation im Unterschied (?) zu heute? Ich weiß, Ihr Blog ist kein Wunschkonzert, aber falls Sie ein paar Gedanken dazu einstreuen würden, freue ich mich.“

Ich erwähnte bereits, dass ich mein Federmäppchen wieder rausgekramt habe, aber in dem Eintrag verglich ich eher das bequeme Agenturleben mit dem Nomadendasein des Studierenden. Innerlich vergleiche ich allerdings ungefähr alle fünf Minuten, wie sich das, was ich gerade tue, im Erststudium anders angefühlt hat als jetzt.

Mikrofiche

Früher waren Bibliotheken eher nervige Aufenthaltsorte für mich, weil man sich durch meterweise Karteikästen wühlen musste, an deren Systematik ich mich allerdings nicht erinnere. So oft war ich auch nicht in der Landesbibliothek in Hannover, wo ich mich theoretisch um Historisches hätte kümmern müssen. In der Bibliothek des englischen Seminars war ich öfter, aber auch dort habe ich eher selten etwas gesucht und noch weniger etwas gefunden. Mit Mikrofiche kam ich nur einmal in Berührung und konnte kaum glauben, was für ein alberner Quatsch das war. Aber damals war ich 22, fand alles albern und Quatsch und habe deswegen nicht würdigen können, dass das Zeug ganz praktisch war. Ich weiß noch, dass kurz bevor ich das letzte Mal an der Uni gesehen wurde, die Buchsuche per Internet möglich wurde; das muss so um 1996 rum gewesen sein.

Heute sitze ich mit Begeisterung in der Bibliothek der Kunstgeschichte, nachdem ich schon von zuhause geguckt habe, wo die Bücher stehen, die ich brauche. Sobald ich da bin, streife ich noch ein bisschen durch die Regale, denn irgendwas steht ja immer in der Nähe, in das man auch mal reingucken kann. Ich genieße die Ruhe, die vorhandenen Steckdosen, die ausreichenden Arbeitsplätze und sogar die halbwegs bequemen Stühle. Online kann ich nicht nur den Bestand der diversen Münchener Bibliotheken durchsuchen, sondern viele weitere kunsthistorische Bestände, die uns im Technikkurs beigebracht wurden. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass es irgendwie alles gibt, auch wenn ich noch nicht alles gefunden habe. Mit Zeitschriftenartikeln stehe ich noch etwas auf Kriegsfuß (bzw. die Onlinesuche mit mir), aber auch da komme ich noch hin. Und wenn alles nichts hilft, mache ich etwas, was ich früher nie gemacht habe: Ich frage. Fragen mag uncool sein, aber hey, es bringt dich lustigerweise weiter. Bis jetzt war noch niemand pampig, und manchmal fragen dich auch Leute, wenn sie dich suchend vor den Regalen stehen sehen, ob sie dir helfen können. Überhaupt finde ich die gesamte Atmosphäre an der LMU (zumindest in meinen Fächern) sehr schnuffig. Das hätte ich vor 20 Jahren ja auch nie zugegeben.

Miteinander

Ich alter Soziopath fand Studieren damals fürchterlich, weil man mit Menschen zusammenarbeiten musste. Wahrscheinlich bin ich deswegen Texterin geworden, weil man da einsam in der Ecke sitzen und vor sich hinschreiben kann. Gut, ab und zu muss man in Meetings was sagen, aber eigentlich komme ich morgens in die Agentur, tippe vor mich hin und gehe nach neun Stunden wieder nach Hause. In einer Agentur hatte ich mal ein Zweierbüro mit jemandem, der genauso drauf war wie ich. Wir haben Tage nebeneinander verbracht, ohne mehr als „Moin“ und „Tschüss“ zu sagen. Herrlich.

Für mich war es immer eine Strafe, mit jemandem zusammen ein Referat zu erarbeiten. Das habe ich schon beim allerersten gemerkt – ich weiß sogar noch das Thema, es ging um Anne Bradstreet, eine der ersten Schriftstellerinnen in den englischen Kolonien in Amerika. Wir waren zu viert, und natürlich hatte jeder eine andere Meinung, die eine hat weitaus mehr vorbereitet als die andere, und zum Schluss passte nichts zusammen. Einen Schein gab’s trotzdem, aber seitdem habe ich mich um Gruppenarbeit immer gedrückt, so weit es ging.

Ich weiß noch nicht, ob es überhaupt noch Gruppenarbeit gibt; in diesem Semester wurschtelt jeder vor sich hin. So schreiben wir Klausuren, halten Einzelreferate, schreiben Hausarbeiten und/oder wissenschaftliche Protokolle. Ich persönlich mag das sehr, weil ich schlicht besser alleine arbeite. Aber selbst wenn eine Gemeinschaftsaufgabe auf mich zukäme, würde ich mit ihr wahrscheinlich besser klarkommen als damals: weil es für mich um viel weniger geht. Oder um andere Dinge. Ich komme beim Punkt „Motivation“ noch mal darauf zurück.

Als ich vor wenigen Wochen anfing zu studieren, wollte ich eigentlich als einsame Wölfin durch die drei Jahre schwimmen. Ich merke allerdings jetzt schon, dass mir Menschen fehlen, die sich für das Gleiche begeistern wie ich. Meine Freund_innen halten meine Schwärmerei über gotische Kathedralen oder Beethovens Klaviertrios mehr oder weniger taktvoll durch, aber ich ahne, dass sie geistig manchmal schlicht abschalten, wenn ich anfange zu monologisieren. (Daher landet das meiste auch im Blog. Irgendwem muss ich das ja alles an den Kopf werfen.) Und so gucke ich jetzt aktiv rum, mit wem ich denn vielleicht mal einen Kaffee trinken gehen wollen würde. Einige meiner Kommiliton_innen haben mich schon angesprochen, zum Beispiel nach meinem Memling-Referat, was wohl ganz gut angekommen ist. Oder sie setzen sich aktiv neben mich und quatschen mich zu. Und anstatt wie sonst möglichst schnell mein Taschenbuch aus dem Rucksack zu ziehen, um meine Nase darin zu versenken, mache ich Smalltalk – und genieße es sogar. Weil es eben Menschen sind, die sich für das Gleiche interessieren wie ich.

Das war mir damals ziemlich egal, aber damals wusste ich ja nicht mal selbst, was mich interessiert. Ich wusste auch nicht, warum ich Anglistik und Geschichte studiere.

Musikwissenschaft

Als ich 1989 Abitur gemacht habe, wusste ich, dass ich danach studiere. Ich wusste nicht warum und was, aber ich wusste, dass. Ich kann heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen, warum ich eine Lehre nicht mal in Betracht gezogen habe, aber so war’s eben. Ich studierte – und hatte keine Ahnung warum. Weswegen die Fächer eigentlich egal waren und die Menschen um mich rum auch. Ich war hier, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hätte hingehen sollen.

Das ist heute sehr anders. Ich weiß inzwischen, was ich kann, ich habe lange genug damit mein Geld verdient, ich verdiene (in weitaus geringerem Maß) damit immer noch Geld, und ich bin auch nicht auf der Suche nach einer zweiten Karriere. Wobei: Sag niemals nie. Was ich außerdem weiß: was mir Spaß macht. Was mich erfüllt. Ich weiß, wie sehr mich Bilder und Musik berühren, und genau deswegen habe ich mich für diese Fächer und damit für die Uni München entschieden. Weil es mich erfüllt. Zumindest hatte ich das gehofft, und auch wenn zehn Wochen eine recht kurze Zeit sind, um schon ein Fazit zu ziehen, wage ich es trotzdem: Diese Hoffnung hat sich aber sowas von übererfüllt. Ich sitze in pickepackevollen Seminaren und es ist mir total egal, weil ich trotz wenig Platz viel Neues erfahre. Ich quetsche mich in volle U-Bahnen und Busse, lerne (wahrscheinlich) viel zu viel Kram auswendig, den ich nie gefragt werde, ich lese Bücher, die ich vermutlich nicht brauchen werde, aber sie sind halt da und ich hab halt Zeit. Kurz: Ich mache so viel, weil es mir sinnvoll vorkommt.

Kaum eine Autoheadline hat mir in den letzten Jahren das Gefühl vermitteln können, das ich habe, wenn mir ein Akkord klar wird oder ich den Wandaufbau einer romanischen Basilika runterbeten kann. In finanzieller Hinsicht ist dieses Studium eine der dämlichsten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Aus emotionaler Sicht eine der besten.

Motivation

Ich muss keine Karriere mehr machen. Ich muss an der Uni keine Netzwerke knüpfen, keine Freundschaften schließen, und ich muss hier auch nicht den Mann fürs Leben finden. Alles, was ich hier mache, mache ich nicht, weil ich glaube, das irgendwann wieder wissen zu müssen. Oder weil es mich beruflich weiterbringt. Oder weil ich mit dieser Kurswahl die Weichen für mein restliches Leben stelle. Oder weil ich schlicht nicht weiß, was ich sonst machen sollte, so wie ich das eben vor 20 Jahren nicht wusste.

Ich mache das nicht, weil ich einen Plan habe. Ich mache das, weil ich keinen habe. Ich mache das nicht für den Rest meines Lebens. Ich mache das für mich.