Drei Minuten Mozart

Ich quengele ja gerne darüber, dass mir Mozart-Opern so richtig auf den Keks gehen. Half aber nichts – gestern musste ich mich in Musikwissenschaft mit ihnen befassen. Oder wie mein Professor so schön sagte: „Passend zum Heiratsdatum 12.12.12 beschäftigen wir uns heute mit der Hochzeit des Figaro.“ Ich will nicht sagen, dass ich nach 90 Minuten bekehrt bin, aber mein Genöle, dass Mozart bloß Ohrenplüsch ist, lasse ich jetzt lieber mal bleiben.

Wenn Sie mal kurz die Noten der ersten Szene aufschlagen würden? Ich warte.

Alle wieder da? Gut.

In der Opera buffa geht es nicht mehr ganz so streng zu wie in der Opera seria, wo jede Handlung nur im Rezitativ stattfindet und die Arien die Aktion keinen Deut voranbringen. Jetzt darf auch per Gesang kundgetan werden, was gerade so abgeht. Außerdem hat der Adel keine so große Rolle mehr. In der Oper seria waren alle ernstzunehmenden Partien Adlige, und das Volk diente, wenn es überhaupt vorkam, als comic relief. Prof: „Der Adel war schließlich nichts, worüber man lachen sollte. Dass das heute nicht mehr so ist, sehen wir am Fall zu Guttenberg.“*

Insofern ist der Figaro bemerkenswert, weil wir erstens Bürgerliche auf der Bühne haben, davon gleich zwei – und die singen relativ schnell gemeinsam. Anstatt dass wir erst mal in einem Rezitativ oder einer Solo-Arie gesagt bekommen, worum es hier geht und wer das da vorne überhaupt ist, geht’s gleich los und zwar mit einem Duett. Wir hören mal zu.

Das Vorspiel dauert schlanke 18 Takte (bis Seite 16, dritter Takt), man hört deutlich, wo es zu Ende ist – und eigentlich der Sänger beginnen müsste. Macht er aber nicht. Der Gute misst stattdessen irgendwas auf dem Boden aus und lässt das Orchester noch fünf Schläge weiterspielen – erst dann sagt er sein erstes Wort, und das lautet ausgerechnet „cinque“ (fünf). Und als ob das nicht schon hübsch genug wäre, bilden die beiden Silben dieses Wortes beim Singen eine Quinte. Spätestens hier fächelte ich mir Luft zu, weil ich so viel Cleverness einfach charmant finde.

In Takt 30 setzt dann Susanna ein und zwar mit einer Tonfolge, die in ihrer Verspieltheit an die flatternden Bänder ihres Hutes erinnert, den sie gerade vor dem Spiegel anprobiert. Sie bittet Figaro, ihn sich anzusehen, das heißt, sie spricht ihn an, woraufhin er seine Konzentration verliert und „aus dem Takt kommt“ – sein nächstes „cinque“ ist nur noch eine Quarte.

Als guter zukünftiger Ehemann weiß Figaro natürlich, was er zu sagen hat – „nein, du siehst in diesem Hut nicht dick aus“ – und so imitiert er brav ihre Melodie, nachdem er merkt, dass er mit dem Vermessen eh nicht weiterkommt. Sein erster Takt auf Seite 20 besteht aus genau den gleichen Noten, die auch Susanna schon im 5. Takt auf Seite 17 sang.

Der Prof meinte noch irgendwas von einer Dominante, mit der Figaro die Szene beschließt – quasi wie im Sonatensatz, wo das Seitenthema in der Dominante beginnt –, aber das finde ich nicht mehr wieder. Wir sind in G-Dur, sein „Seitenthema“ auf Seite 20 beginnt mit dem „Si“, aber das ist kein D (das wäre die Dominante von G), sondern ein A, wenn ich den ollen Bass-Schlüssel richtig lese. Hm.

(Edit: Post, Post, gleich zweimal Post mit zwei Theorien zur Dominante. Einmal von Stephan:

„der Anfangston des Seitenthemas (auf Seite 20 der Partitur) ist zwar ein a. Die Tonart ist jedoch D-Dur, wie man am Cis im Bass sehen kann, das in G-Dur ja nichts verloren hat. A-Dur ist es nicht, denn da müsste ein Gis vorkommen, was es nicht tut. Also: Der Prof hat schon recht.“

Und von Ulrike, die es anders, aber für mich genauso logisch erklärt:

„Ich habe mal kurz in der Partitur geblättert. Du hast richtig gelesen, das ist ein A, sogar A-Dur. A-Dur wäre die Dominante der Dominante (D) (man sagt auch Doppeldominante), kommt in G-Dur eigentlich gar nicht vor. Allerdings sieht es mir hier nach einer Transposition aus, also einem temporären Tonartwechsel von G-Dur nach D-Dur. Und in D-Dur ist A-Dur tatsächlich die Dominante.“

Dankeschön!)

In der Übung nach der Vorlesung haben wir dann die ersten fünf Minuten im Don Giovanni auseinandergenommen, für deren Handlung Wagner wahrscheinlich zwei Abende gebraucht hätte. Hat für mich immer noch den größeren Reiz, aber ich gebe zu, ich werde Mozart ab jetzt vielleicht etwas anders hören. Vielleicht am besten mit den Noten auf den Knien, bevor ich das sechste Mal in eine Mozart-Oper gehe und zum sechsten Mal genervt wieder rauskomme.

* Für diese Bemerkung hat der Prof, laut Eigenaussage, nach der Vorlesung von den Seniorenstudenten einen Satz heiße Ohren kassiert: Das sei ja völlig aufgeblasen worden, diese „Affäre“, der sei doch ein Guter, der habe doch kaum abgeschrieben, damit müsse sich der Prof doch bitte noch mal beschäftigen. Seufz.