Abenteuerurlaub in Oberfranken

Der Plan für mein wundervolles Opernwochenende in Bayreuth vor gut einer Woche: morgens einstündiger Flug von Hamburg nach Nürnberg, einstündige Zugfahrt von Nürnberg nach Bayreuth, am Bahnhof noch ein Brötchen kaufen, Taxi ins Hotel, bisschen was essen (denn ich frühstücke seit Längerem nur noch einen Cappuccino), bisschen schlafen, langsam für die Oper aufdotzen, um 15 Uhr den Hotelshuttle zum Festspielhaus besteigen, entspannt und weihevoll ankommen, ab 16 Uhr „Parsifal“ genießen, ab 22.30 Uhr viel trinken.

Ja, mach nur einen Plan.

Ich bin eisenharte Lufthansa-Fliegerin, bei anderen Lines gucke ich gar nicht, die sind doof (aus einem mir nicht mehr nachvollziehbaren Grund, aber da war bestimmt mal was – UND JETZT IST DA AUCH WIEDER WAS). Meine geliebte Fluglinie bot allerdings als einzigen Flug am Samstag nur einen an, der bereits um 8 Uhr morgens in Nürnberg landete. Da siegte die innere Schlafmütze – ich buchte misstrauisch Air Berlin, die gegen 10 landen sollte, packte mein Köfferchen und wollte es morgens abgeben.

8 Uhr, Hamburg

Schalterdame so (fröhlich): Ah, nach München?

Ich so (häh?): Nee, nach Nürnberg.

Schalterdame so (fröhlich): Nee, nach München. Der Nürnbergflug wurde gestrichen. Sie fliegen um 9.35 nach München, und von dort bringt Sie ein Busshuttle nach Nürnberg.

Ich so (HÄH?!?): …

Schalterdame so (fröhlich): Guten Flug!

Ich so … innerlich am Rechnen: über eine Stunde später abfliegen, in München längere Wartezeit aufs Gepäck als am Zwergflughafen Nürnberg, zwei Stunden extrem ungeplante Busfahrt, eventuell noch Wartezeit am Bahnhof (Zug fährt einmal pro Stunde), eine Stunde Fahrt bis Bayreuth … ich twitterte sehr pissig, guckte spaßeshalber auf bahn.de, ob ich es mit dem Zug schneller schaffte (natürlich nicht), rief panisch einen Freund in München an, der UNFASSBARERWEISE noch schlief und meine Hysterie daher jetzt auf der Mailbox hat (bitte löschen) und ahnte allmählich, dass ich mir einen Mietwagen nehmen müsste, um halbwegs rechtzeitig in Bayreuth zu sein. Denn wie es sich für ein anständiges Opernhaus gehört: Wenn der Akt angefangen hat, kommt keiner mehr rein.

Generell ist Mietwagen ja eine schöne Option. Mein persönliches Problem damit ist: Ich bin seit anderthalb Jahren kein Auto mehr gefahren. Mein wundervoller Fast-Oldtimer hat nämlich so fiese Sitze bzw. einen so tiefen Einstieg, dass mein Rücken irgendwann die Kombi aus altem Auto und langen Stunden in der Agentur nicht mehr so großartig fand. Deswegen begann ich, vermehrt Öffis zu benutzen und stellte überrascht fest: Ich kann viel mehr lesen, ich stehe nicht mehr im Stau (und wenn, kann ich dabei lesen), ich kriege mehr Bewegung, muss gerade mal 20 Minuten früher aufstehen, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, komme auch sonst überall hin und kann überhaupt viel mehr lesen. Irgendwann vermisste ich mein Auto überhaupt nicht mehr, vergaß diese Option der Fortbewegung völlig und hatte vor allem keine Rückenschmerzen mehr. Wenn ich mit Kollegen unterwegs war, wurden Züge gebucht oder ich verkroch mich auf den Beifahrersitz (ein Superplatz zum Rausgucken oder ZUM LESEN). So erklärt sich jedenfalls mein Panikanruf beim Kumpel: Ich wollte schlicht nicht Auto fahren, weil ich es a) schon sehr lange nicht mehr gemacht hatte und b) wusste, dass ich noch sechs Stunden im Festspielhaus auf den unbequemsten und rückenfeindlichsten Stühlen der Welt zubringen würde, weswegen ich mein Kreuz vorher nicht übermäßig belasten wollte.

Aber das war jetzt egal. Ich wurde gegen meinen Willen nach München geflogen (steckt euch euer Schokoherz sonstwohin) und musste irgendwie nach Bayreuth. Also: Mietwagen. Hilft ja nix. Jemand twitterte: „Doch, das hilft super.“ Stimmt. (Ja, im Nachhinein ist mir das etwas peinlich, meinen Kumpel mit der Bitte geweckt zu haben, mich doch mal eben 250 Kilometer in der Gegend rumzufahren. Ihr müsst das verstehen: Es ist BAYREUTH.)

11.30 Uhr, München

Schalterdame so (fröhlich): Was kann ich für Sie tun?

Ich so (hektisch): ICHBRAUCHEINAUTOMITNAVI!

Schalterdame so (fröhlich): Golfklasse?

Ich so (SEH ICH SO AUS?): Wenn’s geht, einen Audi. Irgendeinen. Darf gerne größer sein.

Schalterdame so (fröhlich): Hab ich leider keinen einzigen da. Wie wär’s mit nem 1er BMW?

Ich so (SPRECH ICH SPANISCH?): Najut.

Wenn ich schon ungeplant Geld raushaue, dann wenigstens für ein schönes Auto und keinen ollen Ford. Insofern: 1er geht. Gebucht, noch ein Brötchen gekauft (denn mein geplanter Bäckereibesuch in Bayreuth am Bahnhof fiel ja flach und allmählich wurde ich hungrig), Koffer ins Parkhaus gezerrt, Auto gesucht, Koffer in den Kofferraum gewuchtet, eingestiegen.

Ich so im Parkhaus: *navisuch*

Ich so wieder am Schalter (hektisch): DAISTKEINNAVI!

Schalterdame so (fröhlich): Oh, stimmt, das ist mobil, habe ich vergessen. Ich hol’s mal schnell.

Ich so: *fingernägelkau*

Schalterdame so (fröhlich): Bitteschön. Das nächste Mal können Sie auch unser Servicetelefon im Parkhaus nutzen, dann hätten wir Ihnen ein Gerät gebracht.

Ich so: Alles klar. (Innerlich: DAS NÄCHSTE MAL GIBST DU MIR DAS DING GLEICH!)

Navitäschchen unter den Arm, Koffer ins Parkhaus gezerrt, Koffer in den Kofferraum gewuchtet, eingestiegen.

Ich so im Parkhaus: *navikonfigurier* Wie, “GPS is off”? Hm. Liegt bestimmt am Parkhaus. Geht bestimmt, wenn ich auf der Autobahn bin. Hab jetzt eh keine Zeit mehr.

12.30 Uhr, A9 bei München, der Moment, in dem ich eigentlich im Hotel in Bayreuth gewesen wäre

Den Weg bis nach Ingolstadt finde ich auch ohne Navi, daher wusste ich immerhin, auf welche Autobahn ich musste. Sobald es ging, fuhr ich rechts ran, um das widerspenstige Navi einzustellen. Keine Chance. Die Adresse konnte ich eingeben, aber es dachte ständig, ich sei schon in Bayreuth, wo es mich minutenlang durch einen Kreisverkehr zum Hotel schicken wollte. Ich quälte mich durch sämtlich Untermenüs, klickte alles an, was ging, klickte es wieder weg, googelte zwischenzeitig mit dem iPhone die Bedienungsanleitung … und warf das Navi schließlich sehr laut fluchend auf den Rücksitz, um wieder Gas zu geben.

Dummerweise nicht lange.

13 Uhr, A9, immer noch ziemlich nah an München

Der erste Moment, in dem ich wirklich dachte, das war’s, das schaffst du nicht mehr. 250 Kilometer vor dir, gefühlte 2 hinter dir. Meine gesamte Blogleserschaft wird sicherlich meinem Aufruf Folge leisten und sich brav den „Parsifal“ anschauen, alle meine Twitter-Follower werden Opernpartys schmeißen und sich vor Fernsehern und in Kinos zusammenrotten, alle, alle, alle werden dieses Ding sehen – nur ich nicht, weil ich im Stau stehe und heule. Denn das tat ich jetzt wirklich, weil ich mich seit Monaten auf diese Aufführung gefreut hatte und nun wirklich glaubte, sie nicht mehr zu schaffen.

Was mir den Glauben an die Menschheit wiedergab: die Schilder entlang des Staus. Denn die sagten – mit freundlichen Smileys untermalt –, wie viele Kilometer Stop-and-go noch vor einem lagen. Keeping the hope alive! Sobald ich das Ende erreicht hatte, beschleunigte mein kleines Auto wieder auf 180, das iDrive ließ sich blind bedienen (in den Audi-Katalogen schreibe ich zum MMI immer was von „intuitiv“), die Musik war mitsingfähig, und das Tollste war: Mein Rücken zickte nicht. Ich war 200 Kilometer hin- und hergerissen zwischen panischem Heulen und – verdammt gut gelauntem FUCK YEAH 180. Ich hatte wirklich vergessen, wie großartig Autofahren ist.

Um kurz vor 14 Uhr war ich fast in Bayreuth, nachdem mich die hervorragende und hiermit gepriesene deutsche Autobahn-Ausschilderung auch ohne Navi dorthin gelotst hatte. Mein zwischenzeitiger Plan – notfalls fahre ich im Mietwagen bis zum Kassenhäuschen und gehe im durchgeschwitzten Shirt, in Turnschuhen und ungeschminkt in eines der begehrtesten Opernhäuser der Welt, verdammt noch mal – löste sich in Wohlgefallen auf. Um 14.30 Uhr war ich eingecheckt im Hotel, das netterweise direkt an der Autobahnabfahrt lag, was ich von der Reservierungsbestätigung erfuhr, die ich Sichthüllenkasper brav ausgedruckt auf dem Beifahrersitz liegen hatte. Spießigkeit rules! Technik sucks!

14.55 Uhr, Bayreuth

Bis 14.55 Uhr schaffte ich es zwar nicht, mein Brötchen zu verzehren, aber dafür blitzzuduschen, mir ein bisschen Farbe ins Gesicht und ein paar vorzeigbare Klamotten auf den Leib zu werfen und stand quasi bei Abfahrt am Shuttlebus, wo ich auch endlich meine Mama zu Gesicht bekam, die schon händeringend auf mich wartete. Schließlich hatte sie vier Euro für die Shuttlefahrt gelöhnt, und das wäre doch sehr doof, wenn ich das jetzt verfallen ließe. In meinem Kopf ploppte die Mietwagenrechnung für zwei Tage auf, und ich lächelte sphinxhaft, während ich versuchte, meinen hektischen Blutdruck unter Kontrolle zu kriegen. Ich war noch nie so unentspannt vor einer Opernaufführung, was das Gesamterlebnis wirklich schmälert. Es ist eben kein Kinofilm, den man sich mal nebenbei reintut, es ist – für mich – immer noch etwas Besonderes, ganz gleich wie oft ich das Stück schon gesehen habe oder wie oft ich schon in diesem betreffenden Opernhaus war. Und das ist auch der Grund, warum ich immer noch pissig auf Air Berlin bin. Dass ein Flugzeug mal ausfallen kann – geschenkt. Aber ein Bayreuth-Erlebnis kriegt man, wenn man Glück hat, eben nur alle fünf bis sieben Jahre. Und das habt ihr mir versaut. (Ja, die Irrationalität dieser Bemerkung ist mir bewusst, aber ihr müsst das verstehen: Es ist BAYREUTH.)

Der erste Akt im „Parsifal“ ist der längste; in den Applaus nach zwei Stunden mischte sich mein unüberhörbares Magenknurren, dem aber in der einstündigen Pause abgeholfen wurde. Stilecht mit Brezn und Obazda, auch wenn beides eher so meh war. Dafür war der Riesling umso besser, die Gesellschaft äußerst charmant, und nach weiteren zwei Akten bzw. gut drei Stunden schlug ich mir den Bauch noch im Hotelrestaurant voll.

Blöder Nebeneffekt: Ich will ein neues Auto haben und wieder 180 fahren. Vielleicht kann Air Berlin mir da als winzige Wiedergutmachung bei der Anzahlung etwas unter die Arme greifen. Ich nähme auch ne Bayreuth-Karte für nächstes Jahr. Aber dann fliege ich wieder mit dem Kranich.