Kunst gucken: Alte Nationalgalerie Berlin

Man kommt ja hier zu nix. In der Alten Nationalgalerie war ich einen Tag, bevor die re:publica ihre Tore öffnete – also vor fast einem Monat –, weswegen die Eindrücke leider nicht mehr ganz so frisch sind. Verdammt. Beste Lösung: einfach noch mal hinfahren, denn es gab genügend Bilder, die mich fasziniert haben. Zu quengeln habe ich höchstens über den Audioguide, der mich das komplette dritte Stockwerk (in dem man anfängt) allein gelassen hat. Oder ich war zu blöd, das Kopfhörer-Symbol an den Bildern zu entdecken.

Was im dritten OG so rumhängt, beschreibt die Webseite der Alten Nationalgalerie so:

„Die Kunst der Goethezeit ist mit Landschaften Jakob Philipp Hackerts, mit Porträts von Anton Graff und seinen Zeitgenossen und mit Werken der in Rom tätigen Nazarener vertreten: Peter Cornelius, Friedrich Overbeck, Wilhelm Schadow und Philipp Veit schufen mit den Fresken zur Josephslegende ein bedeutendes Auftragswerk für die Casa Bartholdy in Rom.

Zwei Säle im Obergeschoss der Nationalgalerie bieten Platz für Preziosen der Romantik: Gemälde von Caspar David Friedrich aus allen Schaffensphasen veranschaulichen die Entwicklung des Hauptmeisters der deutschen Romantik. Die programmatischen Architekturvisionen Karl Friedrich Schinkels zeigen den Architekten als ingeniösen Landschaftsmaler. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Werke Karl Blechens, der mit sprühender Farbigkeit und unkonventionellen Bildthemen seiner Zeit vorausgreift. Gezeigt werden ferner Porträts von Philipp Otto Runge und Gottlieb Schick, Landschaften von Joseph Anton Koch und Carl Rottmann. Das Biedermeier ist vertreten durch Berliner Stadtansichten von Eduard Gaertner und Johann Erdmann Hummel sowie durch Landschaften, Genreszenen und Porträts von Carl Spitzweg bis Ferdinand Georg Waldmüller.“

Klingt toll. Gleich das erste Bild, das ich mir notierte, kommt in obigem Text nicht vor, aber das macht ja nichts: Alexander von Humboldt von Friedrich Georg Weitsch. Ich mochte die Freundlichkeit, die mir aus dem Gemälde entgegenkam, genau wie die simpel eingeflochtenen Tätigkeiten Humboldts: seine Reisen, botanische Entdeckungen, die Dokumentation des Ganzen und vielleicht ein bisschen Abenteuerlust, symbolisiert durch das Fernrohr.

Ferdinand Georg Waldmüller hängt auch in jedem Museum rum, zu dem ich bisher Notizen gemacht habe, aber mit ihm konnte ich bisher nicht so viel anfangen: zu viele Landschaften, zu viel Putzigkeit, zu viel Zeug, das ich, wenn es Keramik wäre, unter „Nippes“ ablegen würde. In der Alten Nationalgalerie hängt aber unter anderem die Mutter des Hauptmanns von Stierle-Holzmeister, vor der ich länger stehenblieb. Mich fasziniert an Porträts generell die Kleidung, die Haartracht, an welchem Finger sitzen Ringe und wie sehen sie aus, welche Farben kommen vor, wie verziert sind Hauben, Stecktücher, Westen, Schleifen, Borten? Wahrscheinlich sprechen mich Porträts deshalb mehr an als Landschaften oder Szenerien, in denen auch Menschen vorkommen: Im Porträt sitzen oder stehen sie eben ganz einfach vor mir, schlicht, unprätentiös, fast schutzlos. Und ich trete in einen stillen Dialog mit ihnen und frage mich, wie wohl ihr Tag ausgesehen haben mag und zu welchen Gelegenheiten diese Kleidung rausgeholt wurde außer zur Porträtsitzung.

Deswegen stand ich auch länger vor Julius Hübners Bildnis der Pauline Charlotte Bendemann, seiner späteren Ehefrau, deren Gesichtsausdruck ich als sehr fordernd empfand, ganz anders als die vielen sittsamen, braven Frauenbildnisse, die ich im Hinterkopf habe. Wieder ein anderer Schnack: Liszt am Flügel von Josef Danhauser. Hier ist es kein Porträt, das mich beeindruckte, sondern das genaue Gegenteil: eine lebendige, fast verwuselte Szene, in der Liszt selbstvergessen vor sich hinklimpert, während der Rest des Salons sich ihm zuneigt. Hier habe ich eher auf die Notenblätter geachtet, auf das Teppichmuster, auf die Frisuren (immer toll). Und natürlich war wieder ein von Schadow dabei, genau wie in der Neuen Pinakothek. Diesmal war es das Selbstbildnis mit Ridolfo Schadow und Bertel Thorvaldsen, das sehr stilisiert und gekünstelt daherkommt und mir genau deshalb so gut gefallen hat.

Im zweiten Stock wartet Folgendes:

„Reichhaltig und qualitätvoll ist auch der Bestand an impressionistischer Malerei. Meisterwerke von Edouard Manet, Claude Monet, Auguste Renoir, Edgar Degas, Paul Cézanne und Skulpturen von Auguste Rodin wurden frühzeitig erworben.

Die Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist mit Werken von Hans Thoma, Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin, Hans von Marées, Wilhelm Leibl und Wilhelm Trübner reichhaltig vertreten. Darüber hinaus präsentiert die Nationalgalerie ihren großen Bestand an Gemälden von Max Liebermann.“

Okay, über das beknackte Wort „qualitätvoll“ sehe ich jetzt mal gnädig hinweg, denn in den zweiten Stock wäre ich gerne eingezogen. Davor hätte ich allerdings ein paar Menschen entlassen müssen, denn gefühlt stand in jedem der Räume und Kabinette mindestens ein_e Wärter_in, der/die einem dabei zuguckt, wie man was anguckt. Die Alte Nationalgalerie war nicht so richtig gut besucht, im Gegensatz zur Nationalgalerie nebenan, wo noch die Gerhard-Richter-Ausstellung lief, weswegen die Jungs und Mädels nicht viel zu tun hatten. Ich kam mir deshalb manchmal sehr beobachtet vor, aber ich nehme an, das steht so in der Jobbeschreibung: „Achten Sie bitte darauf, dass die verdammten Besucher_innen nicht so nah an die Kunstwerke rangehen.“ Trotzdem. Es reicht doch, wenn ihr demonstrativ im Türrahmen steht – ihr müsst mich nicht bei jedem Schritt bewachen.

Aber davon habe ich mir das Stockwerk nicht vermiesen lassen; das ging auch gar nicht, denn alle meine Lieblinge hingen hier, nur für mich, schön rausgeputzt und mit liebevollen Audioguide-Erklärungen.

Zuerst stand ich vor der Toteninsel von Arnold Böcklin, vor der so ziemlich alle standen, die sich bei 28 Grad Außentemperatur in ein Museum verirrt hatten. Oder sie standen im Richter-Zyklus 18. Oktober 1977, der lustigerweise hier mitten im 19. Jahrhundert hängt – und mich deshalb nicht so bewegt hat, wie er mich hätte bewegen können, weil ich im Kopf gerade ganz woanders war.

Neben Böcklin war auch Herr Feuerbach wieder da, von dem ich dringend eine Biografie und ein bebildertes Werksverzeichnis brauche. Ich kann mich daran erinnern, dass mir der Audioguide etwas über die ungewöhnliche Bildkomposition von Ricordo di Tivoli erzählte: die Teilnahmslosigkeit der Kinder, ihre diagonale Anordnung im Bild und dass sie den Betrachter nicht anschauen. Notiert habe ich mir sein Selbstbildnis, finde beim Googeln danach aber peinlicherweise mehrere und kann mich partout nicht erinnern, welches in Berlin hängt. Dafür erinnere ich mich an diverse Anna-Risi– bzw. Nanna-Bilder, die mir alle gefallen haben.

Und dann kamen auch schon die französischen Impressionisten, bei denen ich sinngemäß fasziniert twitterte: „Schönes Gefühl, in einen Museumssaal zu treten und beim ersten, schnellen Rumgucken zu wissen: Degas, Monat, Cézanne.“ Von Monet hängt unter anderem Saint-Germain-l’Auxerrois in Berlin, wo ich sofort Herrn Gombrich im Hinterkopf hatte, der Impressionismus unter anderem so erläutert: Es ist gar nicht nötig, jedes Detail zu malen – unser Auge bzw. unser Gehirn ergänzt, was es nicht sieht, um sich ein Bild zu schaffen, das es kennt. So reichen hier grüne und weiße Kleckse, und mein Gehirn weiß, ah, Kastanien. Und gleichzeitig zeigt mir diese Malart eben eine neue Sicht auf Altbekanntes.

Auch Paul Cézanne fasziniert mich mehr und mehr, je länger ich auf seine Bilder starre. Diese Fähigkeit zur Abstraktion, das Reduzieren auf geometrische Formen, ohne das Ganze zu zerstören, das Weglassen bzw. Nicht-Auftragen von Farbe, um damit einen bisher ungesehenen Effekt zu erzielen. Es fühlt sich fast albern an, es aufzuschreiben – „Oh hey, ich mag Cézanne, weil …“ –, denn das wurde schließlich alles schon tausendmal gesagt, aber ich finde es so begeisternd, selbst Unterschiede zu sehen, je öfter man sich mit diesen Werken beschäftigt. Ich mag dieses stückchenweise Wissensammeln und mit eigenen Eindrücken ergänzen gerade sehr gern.

Ich habe mir noch mehr Bilder notiert, unter anderem von Johann Sperl oder Franz von Lenbach, aber als Rausschmeißer will ich doch wieder Wilhelm Leibl erwähnen, der mich in Hamburg in der Kunsthalle atemlos gekriegt hat, weswegen ich mich über ein Wiedersehen in der Neuen Pinakothek so gefreut habe. In der Alten Nationalgalerie hängen wieder Atemlosmachbilder, zum Beispiel die Dachauerin mit Kind. Sie hat mich stark an die Drei Frauen in der Kirche erinnert, die mir in Hamburg so gut gefallen haben. Feinste Pinselstriche im Kontrast zu auslaufenden Farbflächen erzeugen einen fast irrealen Eindruck – aber der unnachgiebige, unbestechliche Blick der Frau holt einen sofort wieder in die harte Realität des 19. Jahrhunderts zurück. Vor dem Bild blieb ich am längsten stehen und kam nach einer weiteren Runde durch die Impressionisten auch noch mal zurück. Leibl-Groupie mit Herz und Seele. Ich glaube, ich plane meinen Sommerurlaub um die Museen rum, in denen weitere Leibls hängen. Hallo, Köln!