re:publica 2012 – Tag 2

Nachdem ich am ersten Tag mit Gucken und Staunen und Hallosagen beschäftigt war, war der zweite Tag leider der, an dem meine sozialen Fähigkeiten gen Null tendierten. Ich schaffte es zwar noch, Journelle und Nuf viel Spaß bei ihrem Panel zu wünschen (um mich selbst in ein anderes zu setzen), aber alle anderen Menschen, die mich danach trafen, haben leider die recht ungesprächige Anke abgekriegt, die einfach nur ihre Ruhe haben wollte, sofern das inmitten von 4.000 Menschen möglich ist. Entschuldigung. It’s not you, it’s me.

Mein persönliches re:publica-Programm geht in zwei Richtungen: Ich setze mich entweder in Panels, bei denen mich das Thema interessiert, ich vielleicht schon Vorwissen habe oder mich die Sprecher_innen neugierig gemacht haben. Oder ich setze mich in Panels, bei denen mir das Thema sonst ziemlich am Allerwertesten vorbeigeht, ich aber hier auf einmal eine Möglichkeit habe, etwas darüber zu erfahren. So ein Panel war mein Start in den Tag: Euroblogger und europäische Öffentlichkeit im Netz. Europa ist für mich ein hübsches Konstrukt, aber ich interessiere mich kaum dafür. Ich mag es, dass ich auf dem Weg nach Paris oder Rom keinen Reisepass mehr brauche, und ich empfinde mich eher als Teil der europäischen Geschichte als der deutschen, aber wenn zum Beispiel Fußball-EM ist, ist dieses Gefühl ratzfatz wieder weg. Europapolitik verursacht in meinem Kopf Desinteresse bis Fragezeichen, und daher dachte ich mir: Alle Themen, die dich interessieren, finden ihre Vertiefung in Blogs bzw. Blogs schaffen es, dich für Themen zu begeistern, von denen du gar nicht wusstest, dass sie dich begeistern können – warum nicht auch Europa? Das Panel von Ronny Patz war dann auch sehr kurzweilig, und in seinem Blog finden sich viele Links zu spannenden Blogs, die ich jetzt brav absurfen werde.

Das zweite Panel war mein bisher liebstes auf der ganzen Veranstaltung, auch wenn es mich sehr deprimiert hat: Theater und digitale Medien – ein Trauerspiel von Tina Lorenz. Sie sprach über den Unwillen der etablierten Häuser, sich digital zu engagieren, wobei nicht ganz klar wurde, ob sie jetzt mehr Partizipation während oder vor/nach der Vorstellung forderte. Auch im Publikum gingen die Meinungen auseinander. Der „Macher“ vom Twitteraccount des Hamburger Thalia-Theaters meinte, er wäre nicht so wild darauf, Menschen zu haben, die aus der Vorstellung heraus twitterten (was ich beklatschte), aber Lorenz meinte, man könne es doch mal auf einen Versuch ankommen lassen – wer von vornherein die neuen Medien ausschließt, dürfe sich nicht wundern, wenn kein echter Dialog aufkäme (was ich auch beklatschen musste).

Ich persönlich kann für eine Oper mein iPhone auch mal zwei Stunden abschalten, wobei ich mir eingestehen muss, es SOFORT in der Pause wieder anzumachen. Entweder um zu checken, was in den vergangenen zwei Stunden passiert ist, die ich ja fieserweise abgeschnitten von der Außenwelt verbrachte oder um meinen unvermeidlichen Pausentweet abzusetzen. Der dient natürlich so gut wie immer als völlig unverhohlene Werbung für die Vorstellung. Und das war dann auch das, was ich aus dem Panel mitgenommen habe. Wir als Publikum (oder wir als Macher_innen) sind Multiplikatoren. Wenn wir niemandem erzählen, wie toll das alles ist, was wir gerade sehen/machen, dann weiß es auch keiner. Wenn wir es erzählen, bringen wir vielleicht etwas in Bewegung. Dumm nur, dass das Theater- bzw. Opernpublikum so klein ist. Oder gibt es neue Schichten, die entdeckt werden könnten? Ein Zuhörer meinte unter großem Applaus: „An die Theaterschaffenden – geht doch mal auf die größte Theatermesse der Welt: die gamescom. Da sitzen lauter Menschen, die sich gerne in fremde Welten entführen lassen.“

Lorenz erwähnte auch die wenigen Versuche, mehr als Social Media zu machen, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. So ließ das Thalia-Theater per Facebook (?) über den Spielplan der kommenden Saison abstimmen, was nicht ganz das gewünschte Ergebnis brachte: Peer Gynt als Heavy-Metal-Musical war dann doch nicht ganz das, was das hohe Haus haben wollte. Der Thaliatwitterer widersprach und meinte, man hätte sich nicht mit den Künstlern einigen können, und nur deswegen werde das Stück nicht gegeben, auch wenn es bei der Publikumsabstimmung den 3. Platz erreicht hatte.

Eine weitere Idee, die Lorenz eher doof, ich aber ganz clever fand, war „Effi Briest 2.0“ vom Gorki-Theater Berlin in Zusammenarbeit mit Jung von Matt. Lorenz wünschte sich weniger Marketingmenschen und mehr Künstler_innen bzw. Dramaturg_innen, die dem Rest der Welt das Theater digital näher brächten. Meiner Meinung nach ein guter Ansatz, aber vielleicht könnten sich diese beiden Fraktionen einfach zusammentun? Das mag ja sein, dass Werber_innen wenig Ahnung vom Theater haben, aber dafür haben Dramaturg_innen auch wenig Ahnung von Werbung.

Ebenfalls erwähnt wurde „Eyjafjallajökull-Tam-Tam“ aus dem Münchener Residenztheater, über das ich auch gebloggt habe (siehe Link). Dort wurde zusätzlich zur analogen Aufführung ein digitaler Film erstellt, den man sich im Internet anschauen konnte. Für mich eine gute Idee, aber natürlich auch frei von jeder Publikumsbeteiligung. Die fand dagegen bei „Public Republic“ in den Münchener Pathos-Ateliers statt: Das Publikum gab seine Facebook-Daten frei, und die Akteur_innen machten aus diesem Material Theater (wenn ich das richtig verstanden habe). Spannende Idee und ein simpler Ansatz, aus den neuen Medien auch neues Theater zu schaffen.

Generell war aber die Kluft zwischen der angeblich so hohen Kunst und dem angeblich so nerdigen Internet zu spüren. Die Angst der Machenden vor dem Ungewissen, was durch Publikumsbeteiligung oder offenen Kommentarsträngen auf Facebook so alles passieren könnte. Der Kontrollverlust eben, der, laut Lorenz, bei den Künstler_innen noch stärker sei als bei den Leuten, die die Kunst vermarkten.

Mich hat das Panel sehr fasziniert und gleichzeitig recht traurig gemacht. Zum einen, weil mir wieder klar wurde, wie sehr ich es nach jahrelanger Pause genieße, in die Oper zu gehen und wie gut es mir tut. Und zum anderen, weil ich weiß, dass ich zwar einige wenige Blogleser_innen oder Twitterfollower dazu animieren kann, dieser Kunstform eine Chance zu geben, es mir aber verwehrt bleiben wird, diese Begeisterung im großen Stil (das heißt, im Auftrag einer Staatsoper) weiterzugeben. (Your loss, bitches.)

(Pause.)

Der Kontrast zum nächsten Panel hätte kaum größer sein können, denn nun schlenderte ich von Stage 8 zu Stage 7 und hörte mir an, wie deutsche Krankenhäuser sich so auf Facebook präsentieren. Mir war gar nicht klar, dass überhaupt ein deutsches Krankenhaus auf diese irre Idee gekommen war, aber doch, es gibt sie. Laut des Vortragenden sind ungefähr zehn Prozent der Kliniken auf Facebook, und er erzählte uns, was da thematisch so abginge – im Vergleich zu den Themen, nach denen die Menschen suchten. Die würden nämlich gerne was über gesunde Ernährung lesen, bekommen aber stattdessen Jobangebote oder einen Twitterticker, der stündlich über Neugeborene in einer Klinik informierte. Facebook lässt manche Menschen auch komplett vergessen, wer alles mitliest; so wurde ein Beispiel eines Vaters zitiert, der mit einer Behandlung seiner Tochter nicht einverstanden war. Das postete er zunächst nur auf seiner eigenen Pinnwand, dann aber auch an der des Krankenhauses, womit dieses nun das Problem hatte, den Mann beschwichtigen zu müssen, ohne dabei zu sehr ins Detail gehen zu können – Stichwort Schweigepflicht. Ich kam mir 30 Minuten lang wie in einer Parallelwelt vor, fand aber alles äußerst faszinierend.

Das Panel von Herrn Sixtus hat mich dann leider ziemlich gelangweilt: Übermorgen.tv hätte so viel Potenzial gehabt bei dem Thema und den Sprecher_innen, aber ich habe nichts aus dieser Veranstaltung mitgenommen. Außer der Begeisterung über die schmeichelnde Stimme des Gastgebers. Rrrr. Könnte aber auch am Raum gelegen haben; zum ersten Mal habe ich einen überfüllten Saal erwischt und saß in der letzten Reihe, wo ich kaum die Leinwand erkennen konnte.

Als Abschluss gönnte ich mir das Foodblogger-Panel, auf das ich mich seit Wochen gefreut habe. Von den fünf Vortragenden waren mir vier persönlich bekannt, und deswegen habe ich es der Veranstaltung locker verziehen, nicht so wahnsinnig viel Neues über Kochblogs erfahren zu haben. Ich werde jetzt allerdings Herrn Paulsen immer mit „Kochen Sie’s gut“ verabschieden (seine eigene Verabschiedung ans Publikum seiner RTL-Kochshow, von der es noch einige Folgen auf YouTube gibt, laut Selbstauskunft zum „eigenen Leidwesen“). Und Vijay Sapre, Herausgeber der effilee, meinte, auf das nicht-existente Urheberrecht für Rezepte angesprochen: „Das wär ja noch schöner, wenn man für jede Bechamel was abdrücken müsste.“

Schon vor dem Kochblogger-Panel waren meine Batterien ziemlich leer, weswegen ich danach schnellstmöglich verschwand. Denn ich hatte noch was vor: einen Besuch im reinstoff. Aber dazu kommt noch ein eigener Blogeintrag (wenn die Fotos was geworden sind, was ich mir bei der neuerdings gelblichen Beleuchtung kaum vorstellen kann).