„Es gibt im Leben etwas wie „mildernde Umstände“. Und es gehört zu der zynischen Logik des Lebens, dass meistens erst grausame Umstände zu mildernden Umständen führen. Bei jedem denkenden und fühlenden Wesen müsste mit dieser Erkenntnis alles in Schieflage geraten, was es früher über Gut und Schlecht zu wissen glaubte. Die Bibel irrt: Unsere Rede sei zwar ja, ja und nein, nein. Aber alles was darüber ist, ist nicht von Übel, sondern Weisheit. Und wenn hier schon jemand ausgespieen wird aus dem Munde des Herrn, dann bestimmt nicht derjenige, der mit seinen sieben Zwetschgen noch die feinen Unterschiede wahrnehmen kann und für den das Leben kein durchkartografierter Tortenboden ist. „Wer schreit, hat unrecht“, sagen sie. Und kommen nicht darauf, dass es auch heißen könnte: „Wer schreit, hat Schmerzen.“ Die Welt ist schon ein etwas subtilerer Sauhaufen.“

Simon Borowiak, Wer Wem Wen. Eine Sommerbeichte