Elementarteilchen

Elementarteilchen (D 2006, 113 min)

Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Martina Gedeck, Franka Potente, Corinna Harfouch, Tom Schilling, Thomas Drechsel, Nina Hoss, Ulrike Kriener
Musik: Martin Todsharow
Kamera: Carl-Friedrich Koschnick
Drehbuch: Oskar Roehler (nach dem gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq)
Regie: Oskar Roehler

Trailer

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Es hat ungefähr fünf Minuten gedauert, bis ich das Gefühl hatte, dass Elementarteilchen daneben gehen würde: Als nämlich nach fünf Minuten das erste Lied des Soundtracks erklang. T-Rex. Get it on. In einem Film, der hauptsächlich in Berlin spielt, im Jahre 2005, und in dem wir gerade Christian Ulmen gesehen haben, der fast emotionslos seine Kündigung an einem Forschungsinstitut tippt und danach beim Abschiedssekt mit Kollegen das Flirten einer attraktiven Dame schlichtweg ignoriert. Selten hat ein Song schlechter gepasst. Und genauso unpassend und unüberlegt ging es weiter, mal mehr, mal weniger.

Elementarteilchen erzählt die Geschichte der Brüder Michael (Christian Ulmen) und Bruno (Moritz Bleibtreu). Michael ist Mathematiker, rational, beziehungslos. Als sein Wellensittich stirbt, überlegt er nicht lange, sondern wirft ihn in den Hausmüll. Abends erzählt er davon Bruno, der sein Gegenteil zu sein scheint: verheiratet, Vater, ein Lehrer, der sich über den Aufsätzen seiner Schülerinnen einen runterholt und sich vor der Cellulite seiner Frau ekelt. Bruno kommentiert, ja, klar, was hättest du auch sonst machen sollen, dem Vogel eine Messe lesen? Und das war die zweite Szene, bei der ich gedacht habe, okay, vergiss den Film. Die Szene, in der Ulmen sein Haustier, anscheinend das einzige lebendige Wesen, zu dem er eine Beziehung hat, einfach entsorgt, war großartig in ihrer Schlichtheit und Aussage. Mit dem dämlichen Scherz fünf Minuten später war die Szene nur noch ein Lacher.

Im Laufe des Films erleben wir die Brüder, wie sie versuchen, weitere Beziehungen aufzubauen. Bruno gräbt eine Schülerin an, die ihn abblitzen lässt, worauf er freiwillig in die Psychiatrie geht. Dort erzählt er einer Therapeutin (Corinna Harfouch als Karikatur einer Therapeutin, schwer atmend, offensichtlich beeindruckt von Brunos schwerer Kindheit, lächerlich), dass seine Mutter ihn und Michael bereits früh allein gelassen habe, um in Indien in einem Ashram glücklich zu werden. Um zu sterben, kehrt sie wieder nach Deutschland zurück, was zu einer ziemlich überflüssigen Szene von Bleibtreu und Ulmen am Totenbett einer grotesk überschminkten Nina Hoss führt. Sämtliche Anspielungen auf Hippies, ihren offenen Umgang mit Sexualität und ihre alternativen Lebensweisen, über deren Sinnhaftigkeit man sich streiten kann, werden als albern abgetan; sie sind nie ein ernsthafter Lebensentwurf. Fragt sich nur, ob man die Gegenentwürfe von Bruno und Michael gelten lassen kann, die entweder aus Alleinsein oder der getriebenen Jagd nach Sex bestehen.

Der Film etabliert gewisse Positionen: Michael scheint zufrieden damit zu sein, alleine alt zu werden, und er findet sein Glück in seiner Forschungsarbeit, Bruno dagegen ist dazu verdammt, sein Glück über andere zu definieren bzw. dauergeil durch die Gegend zu laufen. Leider hält der Film diese Positionen nicht durch. Michael trifft seinen Jugendschwarm Annabelle (Franka Potente) wieder, von der man nicht genau weiß, ob sie überhaupt sein Jugendschwarm war. Er hat zwar Briefe und Bilder von ihr, kommt aber anscheinend auch gut ohne sie aus. Im Gegensatz zu Annabelle, die ihm gleich beim ersten Wiedersehen nach 20 Jahren gesteht, ihn immer noch zu lieben. Das Happy-End dräut und macht damit die Figur von Michael komplett unglaubwürdig. Ulmen ist großartig in seiner sehr spärlichen Mimik und Gestik, die aber nie kalt oder gefühllos scheint, sondern einfach in sich ruhend. Warum er unbedingt noch eine Frau an seiner Seite braucht, habe ich nicht verstanden.

Moritz Bleibtreu versucht, dem zerrissenen Bruno ein bisschen Herz mitzugeben, aber seine Figur bleibt unentschlossen, teilweise überzeichnet und in schlechten Momenten schlicht albern. Auf der Suche nach Sex bucht Bruno einen Urlaub in einem Camp, in dem mehr Frauen als Männer mit Bauchtanzkursen und Thai-Massagen zu sich selbst finden wollen. Eines Abends trifft Bruno Christiane (Martina Gedeck), die sich gerade in einem Swimming-Pool vögeln lässt, worauf Bruno ins Wasser steigt und mitmacht. Christiane entpuppt sich als Klassefrau, die viel zu weise ist für Bruno, der eigentlich keine Ahnung hat, was er eigentlich will: Sex oder Liebe oder beides oder vielleicht was ganz anderes? Trotzdem verlieben sich die beiden und verbringen einige glückliche Wochen miteinander, bis das Schicksal einen anderen Plan hat.

Bleibtreu macht seine Sache gut, kommt sogar durch die wenigen grottigen Dialoge mit Anstand, wird aber von Martina Gedeck locker an die Wand gespielt. Sie hat die einzigen humanen Sätze im ganzen Film, der sich manchmal anfühlt wie ein Experiment mit der menschlichen Kraft und Sehnsucht, wie sehr man sich belügen kann, wie sehr man Dingen, Ideen, Wunschvorstellungen hinterherjagt, ohne zu merken, dass sie gar nicht zu einem passen. Und gerade weil Gedeck die einzige wahre, starke, gute Figur im Film hat, habe ich es Elementarteilchen sehr übel genommen, gerade sie mit einem komplett bescheuerten Ende auszustatten. Der Schluss kommt füchterlich sinnlos daher und negiert teilweise die Eigenarten der Figuren völlig. In seiner Inkonsequenz passt das Ende zwar wieder, aber es hat den Film leider auch nicht besser gemacht. Und um nochmal auf den Soundtrack zurückzukommen, der fast vollständig aus den größten Fetenhits der 70er bestand: Ich hatte das Gefühl, dass irgendeiner der Macher wahrscheinlich zu einem dieser Songs seine Unschuld verloren hat. Einen anderen Zusammenhang zu Elementarteilchen habe ich nicht finden können.