„Hinter der Tagespost finde ich wieder die (aufgeschriebenen) Träume meiner Mutter. Ich lese sie nur flüchtig, wie einen Brief von der Krankenversicherung. Ihre Träume sind ganz alltäglich. Sie können niemandem Angst einjagen. Ich denke nicht, daß sie froh oder auch nur erleichtert zu sein braucht, wenn sie aus einem ihrer Träume erwacht. Obwohl ich ohnehin nicht das Gefühl habe, daß sie wirklich von mir handeln. Ich glaube übrigens schon lange nicht mehr, daß ich anderer Leute Träume beeinflussen kann. Wir bevölkern gegenseitig unsere Alpträume, ohne zu wissen, was wir dort alles anstellen.

Meine Mutter glaubt, wir seien die Träume von Toten. Ich will nicht der Traum eines Toten sein. Darum höre ich ihr zu, als ob ich Briefe lese, die nicht für mich bestimmt sind.“

aus: Blauer Montag, Arnon Grünberg