St. John Bread and Wine

Am Samstag, den 12. Februar, habe ich auf einer „Konferenz“ in London sehr viel Spaß gehabt: dem Mixed Grill. Darüber schreibe ich in einem gesonderten Eintrag noch was, aber einen Satz, der auf dieser Veranstaltung gefallen ist, möchte ich diesem Post voranstellen.

Beim Mixed Grill haben Menschen aller Couleur für jeweils 15 Minuten über ein Thema geredet, über das man 15 Jahrhunderte reden kann: Essen. Einer der Vortragenden war ein sogenannter artisan baker, also ein Bäcker, der statt mit Maschinen sein Brot mit Muskelkraft und Herzblut herstellt. Sinngemäß meinte er, dass das eigentlich Quatsch sei, aber. Es ist nicht kostengünstig, jedes Brot sieht anders aus, es dauert länger, der Rücken tut weh, man verdient nichts dabei – but it’s nice. Bei diesem Satz jubelte der ganze Saal, denn anscheinend hat er nicht nur bei mir etwas ausgelöst.

Das Essen im St. John Bread and Wine in Spitalfields besteht nicht aus Türmchen und Fruchtspiegeln und Gemüselandschaften und Aromaakkorden; es sind schlichte Zutaten, ganz einfach kombiniert, aber genau dadurch kann jede einzelne ihre ganze Stärke ausspielen. Es ist komplett schnickschnackfreies Essen und es ist das beste, was ich je gegessen habe. Es ist einfach „nur“ Essen – but it’s oh so fucking nice.

Die Fotos sind leider alle nur per iPhone aufgenommen; meine kleine Digiknipse kam mit dem Licht überhaupt nicht zurecht, und ich wollte nicht in der Gegend rumblitzen.

Meine Begleiter_innen an diesem schnuffigen Abend waren Herr Siepert, marqueee von Allem Anfang und Juliane, die ich bei Twitter unter monkeypenny kenne. Wir haben jeweils zwei Vorspeisen bestellt und dann reihrum probiert. Die Hauptgerichte haben wir weggelassen, weil wir dringend Dessert essen wollten. Und dann gab’s noch Wein und Käse, und bei dem zweiten Wein hätte ich fast angefangen zu heulen, so fantastisch war er.

Ich koche seit einiger Zeit so gut wie fleischlos, weil ich es gerade so möchte, aber wenn ich weiß, dass das Fleisch aus guten Quellen kommt (wovon ich bei diesem Restaurant ausgehe), habe ich kein Problem damit, welches zu essen. Ich hätte es auch sehr bedauert, von den ganzen Köstlichkeiten, die wir um uns rumgestapelt haben, nicht probieren zu können.

Meine erste Vorspeise war Kohlrabi mit Vogelmiere und Sauerampfer, angemacht mit Öl und ich glaube, ohne Essig. Die Kräuter haben dem mild-nussigen Kohlrabi eine frische Schärfe verliehen, und das weiche Öl hat alles brav zusammengehalten. Sieht so einfach aus, schmeckt auch schön geradeaus vor sich hin, aber es hat mich mindestens zwanzig Minuten glücklich gemacht, weil ich es in winziges Bissen genossen habe, damit es nicht so schnell vorbei ist.

Ochsenherz mit Kresse und eingelegten Walnüssen. Bei Innereien bin ich etwas memmig, aber mein Vorsatz war: alles probieren. Es eklig finden kann ich danach ja immer noch. Also habe ich probiert – und war sehr positiv überrascht: zartes, ganz leicht faseriges, dünngeschnittenes Fleisch, das für mich wie ein richtig gutes Steak geschmeckt hat. Die Kresse und die Nüsse haben der Sauce noch einen schönen Kick mitgegeben, und der Fleischgeschmack war sehr intensiv und sehr rund.

Noch was aus dem Innenleben, diesmal Kalbsbries mit Gartenmelde. Auch hier war ich überrascht von der Konsistenz: ganz weiches Fleisch, das trotzdem erst nach einem winzigen bisschen Biss nachgibt und dann im Mund dahinschmilzt. Dazu gab’s eine sehr würzige Sauce; die Gartenmelde habe ich eher als frischen Beiklang bemerkt als richtig geschmeckt. (Wobei ich jetzt auch nicht weiß, wie Gartenmelde schmeckt. Ich wusste ja nicht mal, dass es so etwas gibt, bevor ich mithilfe von LEO die Speisekarte entziffert habe.)

Meine zweite Vorspeise waren Kartoffeln mit Entenei. Die jungen Kartöffelchen waren sehr zart und hatten einen ganz, ganz leichten Salzhauch unter ihrer glattpolierten Schale, das Entenei war etwas fester als ein Hühnerei, das Gelb floß zähmildweich dahin, und die Winterkresse knackte würzig zwischen den Zähnen. Auch hier: zwanzig Minuten was zu tun gehabt. Weil wundertoll.

Das einzige Gericht, von dem ich nur die duftende Estragonsauce probiert habe, denn Florian sah so glücklich mit seinen Fischen aus, dass ich ihm davon nicht einen Bissen wegessen wollte. Marqueee hatte sich bei seiner Foie gras das Teilen auch verbeten, aber wir haben trotzdem etwas abbgekommen (und ich habe vergessen, sie zu fotografieren). Die Foie gras wurde mit Entenleber auf geröstetem, knusprigem Graubrot serviert, das direkt im Restaurant gebacken wird. Ich fand sie sehr rund und lecker und behaupte, einen leichten Kaffeegeschmack entdeckt zu haben.

Nach dem würzigen Teil wartete der süße. Juliane gönnte sich das üppig-sahnige Marmeladeneis, das genauso schmeckt wie es klingt: fruchtig, weich, schmackig, schlotzig. Sehr simpel serviert, kein doofes Minzblättchen; das hatte schon fast Jugendherbergscharme, aber mehr braucht es auch nicht. Juliane bestand darauf, dass ihr Daumen im Bild sein müsste.

Florian entschied sich für die custard tarte mit Pflaumen, die genau die gleichen Adjektive verdient wie das Eis: weich, schmackig, schlotzig. Ein bröselig-knuspriger Boden, die eingelegten Pflaumen, dazu die Tarte: so simpel, so gut.

Marqueee hatte das klarste Dessert von allen: eine Kugel Zitronensorbet, die mit einem Wodka serviert wurde.

Und ich konnte chocolate terrine & brandy snap nicht widerstehen, auf der noch eine Nocke Crème fraîche thronte. Hervorragende Idee, denn die zähsüße, tiefdunkle Terrine, die mich ein bisschen an eine Nobelversion vom Kalten Hund erinnerte, war arg zuckerlastig, was aber nicht negativ ist: Zusammen mit dem Gebäck und der eiskalten Creme war es ausgewogen und hat längst nicht so schwer geschmeckt wie es hätte schmecken müssen.

Ein bisschen Platz war noch, und der wurde sofort mit einem halben Dutzend Madeleines gefüllt, die butterknusprig und ofenwarm serviert wurden. Marqueee und ich teilten uns noch vier kleine Stückchen Käse – oder versuchten es zumindest –, während die anderen beiden sich schon Espresso und Schnaps ergaben. Den Alkohol hatten wir natürlich auch noch, nachdem der Käse den Magen abgeschlossen und den Schlüssel verbaselt hatte.

Fehlt nur noch der Wein: Der erste war ein Chenin Blanc, La Grange aux belles „Fragile“, 2009, wenn ich die Weinliste des Lieferanten richtig verstehe. Ich kann mich kaum an ihn erinnern, außer dass er sehr lecker war, aber der zweite überlagert meine Erinnerung komplett. Der hier: ein Muscat sec von Domaine Boudau. Die Nase sagt: Bergamotte-Tee, der unter gelben Bäumen serviert wird. Und der Gaumen sagt gar nichts mehr, sondern wirft sich ergeben dem Stoff zu Füßen: viel, viel Frucht, ohne süß zu sein, viel, viel Kraft, ohne den Kopf zu plätten, ein ganz großer Mund, eine ganz leichte Säure, und über allem eben diese Bergamotte-Note, die vom Gebirge runterweht und ein bisschen Schnee mitbringt. Sowas habe ich noch nie getrunken, aber davon brauche ich jetzt dringend eine Kiste. Ach was, eine. Fünfzehn. Für die nächsten Jahrhunderte.

St. John Bread and Wine
94–96 Commercial Street
London E1 6LZ