Tagebuch Mittwoch, 13. Februar 2019 – Besser, Baby!

Hervorragend durchgeschlafen. Die Nase ist noch nicht ganz wieder frei, aber die Grundkonstitution würde ich jetzt schon mit „quasi gesund“ angeben. Deswegen voller Tatendrang die Küche ein bisschen umorganisiert, in der ich nun seit ungefähr vier Monaten rumkoche und in der ich immer noch vergesse, dass ich auf einmal mehr Schränke habe. Beim Umzug habe ich vieles einfach wieder dahingestellt, wo es in der alten Wohnung auch stand, bis mir vor Kurzem auffiel, dass ja gar nicht so viel offen rumstehen muss – das kann auch alles hinter Türen!

Ich erledigte Kram am Schreibtisch und rutschte vom Martinů-Hören auf YouTube kurz zu Dvořák: Diese Aufnahme von der „Neuen Welt“ aus dem Münchner Gasteig von 1991 ist großartig. Nehmt euch nach Feierabend mal ein Stündchen und hört rein.

Ach, und die Akzente funktionieren jetzt ohne Wikipedia-Copypaste, danke an die Hinweisgeber*innen per Mail, Twitter und Instagram: Ich habe der deutschen Tastatur noch die tschechische hinzugefügt, und jetzt bekomme ich nach dem Umschalten beim längeren Drücken der U-Taste auch brav den Kringel. Martinůůůůůů!

Dann schaute ich die neue Folge von This Is Us, die mir sehr gut gefiel. Die neue Staffel nervt mich ein bisschen, weil sie plötzlich so irre viel Action bringt und so viele neue Schauplätze aufmacht, wo die alten noch gar nicht abgespielt sind. Diese Folge fühlte sich wieder an wie gutes, altes This Is Us: ein kleines Kammerspiel, nur die wichtigen Akteure, nicht wieder die ganze Peripherie in eine Folge gequetscht, nicht drei Dramen auf einmal, sondern nur eins. Mehr davon bitte.

In der aufgeräumten Küche gleich mal ein neues Brot angesetzt. Ich habe jetzt SONNE! in meiner Küche! Und eine neue Edelstahlschüssel, in die die Brotteige von Herrn Geissler hoffentlich besser passen als in meine gute alte Plastikschüssel von Mama. Die quillt nämlich über.

Nachmittags fiepste mein Handy und zeigte mir ein Geschenk in der Packstation an, siehe Extra-Eintrag. Ich ging deutlich schnelleren Schrittes als gestern zum Abholort und stellte dort fest, dass der liebe DHL-Mensch mein kleines Päckchen in das vermutlich größte Fach geworfen hatte, das da war, ganz nach hinten – und dazu noch das Fach ganz oben. Und so stand ich Zwerg vor dem gelben Mount Everest und konnte mein Päckchen von unten bewundern, es aber überhaupt nicht erreichen. Weil gerade niemand Großes die Straße entlang kam, dachte ich, ach komm, machste dich halt erstmal zum Affen. Und so schleuderte ich meinen Rucksack mit Schmackes ins Fach, immer bedacht, ihn noch an einem Gurt festzuhalten, nicht, dass er auch noch außerhalb meiner Reichweite gelangte. Ich brauchte auch nur zwei Versuche, bis der Rucksack das Päckchen nach vorne beförderte, wo ich halbwegs elegant an es herankam. Ich musste an die ganzen Tiere denken, die mit schweren Dingen nach Nüssen oder ähnlichem werfen, um sie zu knacken, und war eigentlich ganz beeindruckt von mir, dass ich die guten alten Atavismen noch aktivieren konnte, ich Säugetier.

Abends griff ich wieder zu Ottolenghis Simple-Kochbuch und genoss eine herrliche Linsen-Tomaten-Suppe mit Kokos und Curry, Rezept kommt morgen. Dann lungerte ich Zeitung lesend auf dem Sofa rum, bestellte meine virtuelle Farm und genoss es sehr, nicht mehr dauernd nach Taschentüchern greifen zu müssen.

Abends diesen Blogeintrag und den Dankeschön-Blogeintrag getippt und dabei die neuen Bücher gestreichelt. Bücher sind so wunderbar! Musik ist so wunderbar! Gutes Essen ist so wunderbar! Schau an, wie gut die Laune wieder ist, wenn man gesund ist, total erstaunlich.

Und dann war ich so guter Laune, dass ich bis morgens um 4 nicht einschlafen konnte. Ich versuchte es ein-, zweimal, dachte an meine üblichen Einschlafrituale, aber mein Kopf wollte lieber an alle Salatrezepte dieser Welt denken, die ich für meine kleine Partay demnächst schnippeln könnte, an die Bücher, die ich heute zurückbringen und die, die ich heute ausleihen will, an eine lustige Einladung, die gestern bei mir im Briefkasten lag und die mich in Erinnerungslaune brachte, und so knipste ich immer wieder das Licht an, las, versuchte wieder zu schlafen, und las weiter.

Zunächst griff ich zum hier schon mal erwähnten Buch zur Zukunft der Menschheit, weil ich dachte, ein Aufsatz über „Die Vermeidung existentieller Risiken als globale Priorität“ müsste mich doch bestimmt langweilen, aber das tat er natürlich nicht; ich war eine Stunde damit beschäftigt, „Hm? Ach was!?! Firlefanz!“ an den Rand zu schreiben und war weiterhin hellwach.

Und vier Uhr morgens zog und faltete ich den Brotteig nochmal, praktisch, wenn man wach ist. Und dann griff ich zu einem der neuen Bücher und folgte dem Butler Stevens ins England der 1950er Jahre, wo er mir bedächtig und wohlüberlegt und äußerst vorsichtig formuliert seine Geschichte erzählte, ich meine, in gedämpftem Plauderton. Das beruhigte mich derart, dass ich um halb fünf endlich ein bisschen müde wurde, das Buch zur Seite legte und sofort einschlief.

Sydney Opera House: the designs that didn’t make it – in pictures

Wer wissen möchte, wie das Sydney Opera House hätte aussehen können, wenn es nicht Utzons großer Wurf geworden wäre, kann sich hier einige der über 200 Wettbewerbsentwürfe als neues Rendering anschauen. Klar sind die nicht so irrwitzig wie das, was es schließlich geworden ist, aber ich finde die alle durchaus reizvoll. Bis auf das letzte, das von einem Dirigenten gestaltet wurde. Ähem.

(Via @Simon Kuestenmacher)

Tagebuch Dienstag, 12. Februar 2019 – Good-bye, *schneuz*, where art thou, *hust*?

Um 5 aufgewacht, noch bis 9 gedöst, ziemlich gut geschlafen, was mich sehr gefreut hat. Schnupfen ist auf dem Rückzug, Husten mag immer noch nicht aus der Lunge kriechen. Vielleicht habe ich erstmals eine Erkältung ohne Husten? Bleiben Sie dran!

Nach vier Tagen mal wieder geduscht, weil der Kreislauf stabil genug dafür war, und dann gleich todesmutig zum Einkaufen gegangen. Das hat gefühlt eine Stunde gedauert und ich war danach wieder duschfertig angeschwitzt, aber es ging.

Kurz gearbeitet. Was muss, das muss und geht jetzt auch wieder gut.

Endlich einen Gesprächstermin mit dem Doktorvati ausgemacht, nachdem ich ungefähr sechs Monate (aka ein Semester lang) wegen der Grossberg-Erben eingeschnappt war und Kunstgeschichte doof fand. Ich komme dann mal wieder langsam rein.

Eigentlich hätten wir demnächst auch mal wieder ein Doktorandenkolloquium, das letzte war im vergangenen März, aber wie es der Zufall will, findet es genau an den zwei Tagen statt, an denen ich zu einer kleinen Geselligkeit eingeladen habe bzw. an denen ich dafür vorkoche und die Wohnung putze. Ich habe sehr laut geflucht, als der Termin per Mail reinkam, denn da haben jetzt die Leute, die teilweise schon Züge gebucht haben, um nach München zu kommen, eindeutig Vorrang. Ich hatte mich sehr auf das Kolloquium gefreut, denn das letzte war durchaus lehrreich, und dieses Mal hätte ich sogar schon was zu erzählen gehabt und wäre nicht nur Zuhörerin gewesen.

Ich sage zwar immer, dass man Kunst nicht verstehen soll, dass es völlig in Ordnung ist, vor einem Werk zu stehen und sich zu sagen, das gefällt mir. Reicht. Mehr braucht es gar nicht. Deswegen verzweifele ich gerade an mir selber, die so dringend verstehen will, warum ihr Martinů so gut gefällt. Und nebenbei, wie man den ollen Kringel über dem u hinkriegt, damit ich nicht immer den Namen aus der Wikipedia copypasten muss. Nein, das U festhalten, damit die verschiedenen Akzente erscheinen, klappt nicht: üûùúū. Kein Kringel. Stupid Mac.

Gestern hörte ich zum wiederholten Male sein Rhapsody Concerto Nr. 337, freute mich, dass ich Tonfolgen wiedererkannte, wusste, wie es weitergeht, konnte mich mit der Musik nach der Auflösung von Akkorden sehnen, weil ich fühlte, dass sie kommen wird. Aber wieder konnte ich nicht formulieren, was genau mich so an seiner Musik begeistert. Sie kommt mir so klar vor, nicht überkompliziert, aber auch nicht runtergedummt, sie vermag mich zu überraschen, aber nur soweit, dass ich kurz Huch! beim ersten Hören denke, dann aber sofort wieder bei ihm bin. Er lässt mich nicht mit Noten alleine, die ich nicht nachvollziehen kann, ist aber nie langweilig. Ich kann es wirklich nicht beschreiben, und als jemand, der sich über sein Schreiben definiert, macht mich das irre. Mir fehlen ernsthaft die Worte.

Meine immerwährenden Küchengötter – oder warum ich Austern auf Sauerkraut mag

Alain Claude Sulzer darüber, warum er 200 Kochbücher hat, obwohl er in die meisten nur einmal reingeschaut hat. (Ich bin zu faul, aus den Guillemets einfache Anführungszeichen im Zitat zu machen. Ich schieb’s auf die Erkrankung.)

„Zwei Kochbücher würden genügen. Dennoch habe ich nicht aufgehört, neue zu kaufen. So wie ich auch weiter Romane kaufe und lese, alte und neue, obwohl ich mir sagen könnte, dass ein, zwei Bücher über den Ehebruch genügten, um alles über den Ehebruch zu wissen («Madame Bovary» und «Effi Briest»), ein, zwei Bücher über den Krieg, um alles über den Krieg zu wissen («Krieg und Frieden» und «Im Westen nichts Neues»), und ein, zwei Bücher über das Verbrechen, um alles über das Verbrechen zu wissen («Verbrechen und Strafe» und «Kaltblütig»).“

U.K. Economy Falters as Brexit Looms. Amsterdam Sees Risks, and Opportunity

Das ist ja schön, dass der Brexit auch was Gutes hat. Amsterdam freut sich anscheinend inzwischen, denn viele Firmen suchen neue Hauptquartiere, wenn London raus ist. Die meisten Banken sind nach Frankfurt gegangen, weil es in den Niederlanden eine Obergrenze für Boni gibt, aber Amsterdam führte Gespräche mit gut 100 Firmen, von denen sich bereits 30 für die Stadt entschieden hätten, darunter auch die European Medicines Agency.

„Landing the European Medicines Agency was significant. The regulator employs 900 people. It is building an office tower that will be its new headquarters on the southern reaches of Amsterdam, across a highway from a futuristic hotel designed by the Dutch architect Rem Koolhaas.

With the regulator shifting here, Mr. Kock and his team have focused on attracting companies within its orbit, including drugmakers, law firms and insurance companies that serve the pharmaceutical industry.

The group conducts tours of Amsterdam, talking up the city’s attributes: swift internet links; a creative work force; an easily accessible airport with more than 300 direct connections to points around the globe.

“We have taken a very Dutch approach — modest, but solid and persuasive,” Mr. Kock said. “We didn’t go around London like vultures seeking companies, or lavish them in the palace with seven-course dinners. We offer them coffee with a cookie.”

Is that a dig at Paris, where officials have deployed French culinary prowess toward luring investment banking jobs? Mr. Kock grins mischievously.

Bringing the medicine regulator has already helped one industry: the relocation business.

Ten years ago, Roz Fremder moved to Amsterdam from Boston with her husband, who had taken a job in the chemical industry. She started her own company, Expat Help, which guides newly arriving families as they look for housing, schools and health providers. Early last year, the company secured its largest contract, a deal to help workers with the medicines agency relocate from London.“

Tagebuch Montag, 11. Februar 2019 – Weniger *schneuz*, mehr so *ächz*

Der Schnupfen scheint sich langsam zu verabschieden, ich warte auf den Husten und genieße derweil den fast vollständigen Ausfall meines Kreislaufs. Zu mehr als zu den Wegen zwischen Bett, Sofa und immerhin zweimal Schreibtisch war er noch nicht fähig, das Einkaufen bzw. die Versorgung mit Nachschubobst und -gemüse verschob ich auf heute. Immerhin Tee habe ich genug im Haus, auch wenn ich jetzt gerade dem schwarzen Tee eine Pause gönne (ich würde ihn eh nicht recht schmecken) und stattdessen kannenweise Kräuter- und Pfefferminztee zuspreche.

Am Schreibtisch saß ich mittags zum Bloggen und nachmittags ganz kurz für einen spontanen Job, danach war wieder Dösen auf der Couch angesagt, bevor ich mich schnellstmöglich ins Bett verzog. Keine Zeitung gelesen, kaum online gewesen, abends im Bett noch ein paar Seiten meiner neuen Lektüre geschafft, eine Biografie über meinen derzeitigen Lieblingskomponisten Bohuslav Martinů von F. James Rybka.

Über Rybka ist online quasi nichts zu finden, das Buch verrät, dass er Chirurg war und Martinů als Freund der Familie, vor allem seiner Eltern, kannte. Dass er kein begnadeter Autor ist, merkt man recht früh, das Buch liest sich ein bisschen stockend und manchmal wie eine lange Aufzählung von Dingen. Aber ab und zu kann es mich durchaus überraschen.

Rybka beschreibt die zwei Kulturen, die Prag in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beherrschten, als Martinů und sein bester Freund Stanislav Novák dort am Konservatorium studierten. Er erwähnt die beiden deutschsprachigen Franz Kafka und Max Brod, die den tschechischen Studenten vermutlich nie über den Weg gelaufen sind, auch weil sie acht Jahre älter waren. Diese Zweiteilung der Stadt wird auch durch die Biografie Albert Einsteins verdeutlicht, der 1911 als Physikprofessor an der deutschen Fakultät der Karls-Universität eine Stelle antrat. In den 18 Monaten seines Aufenthalts führte er vermutlich kaum eine Konversation mit tschechisch sprechenden Menschen.

„‚The population for the most part speaks no German and is strongly anti-German,‘ Einstein wrote. ‚The students, too, are not as intelligent and industrious as in Switzerland [wo er vorher in Zürich gelebt hatte], but I have a fine institute and a magnificent library.‘

Although aloof by nature, Einstein befriended several scientists at the university such als Georg Pick and Otto Stern. He joined evening discussions that gathered at the home of pharmacist Berta Fanta. Zionism was just emerging as an issue, and some Prague Jews were disappointed Einstein did not become interested in it. He was very interested in music, however, and enjoyed hearing the numerous church choirs and organ music that were not as plentiful in Zurich. When Einstein played Mozart violin sonatas at these soirées, Max Brod accompanied him on the piano.“

James F. Rybka: Bohuslav Martinů. The Compulsion to Compose, Lanham/MD 2011, S. 19/20.

Wenn man sich die verlinkten Biografien durchliest, weiß man auch genug über das 20. Jahrhundert. Seufz.

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 8. bis 10. Februar 2019 – *schneuz*

Freitag vormittag wollte ich eigentlich um Punkt 9 Uhr 30 bei Ikea sein, um noch schnell (knurr) was einzukaufen. Das klappte nicht ganz, denn mein Mütterchen rief an. Sie erzählte mir, dass Papa letzte Woche kurz im Krankenhaus gewesen war, jetzt sei aber im Prinzip alles wieder gut. Ich hasse es, dass ich sowas nie mitkriege, weil ich so weit weg bin und mir auch niemand Bescheid sagt, denn ich könne ja eh nix machen außer mir Sorgen. Ja, stimmt. Trotzdem!

Dann erzählte sie mir noch, wie sie davon erfahren habe, und das war wieder so eine typische Dorf-und-Eltern-Geschichte, dass ich nicht wusste, ob ich schimpfen oder lachen sollte. Papa sei zum Hausarzt gefahren und Mama zum Einkaufen, danach wollte sie zum Friseur, wo Papa vorbeikommen sollte, um ihr den Hausschlüssel zu geben (wohin er danach wollte, weiß ich nicht mehr). Der Hausarzt überwies meinen Papa aber gleich ins Krankenhaus, ein Rettungswagen wurde bestellt – und den leitete Papa dann halt noch kurz zum Friseur, wo einer der Sanitäter der Friseurin erzählte, dass Herr Gröner ins Krankenhaus XY gefahren werde, seine Frau sich aber keine Sorgen machen solle, wenn sie denn gleich zum Haareschneiden vorbeikäme.

Warum das alles so umständlich ist? Weil beide nur ein gemeinsames Handy haben, das auch nie angeschaltet ist, außer sie sind im Urlaub, damit wir sie erreichen können.

Mama am Freitag so zu mir: „Ach, ich wüsste auch gar nicht, wofür ich das anhaben sollte.“
Ich so: „FÜR FÄLLE WIE DIESEN?!?“

Papa ist schon wieder zuhause, Schwesterchen schickte mir Freitag abend Fotos über WhatsApp, wo sie mit ihm bei Preisskat sitzt. Diese Familie macht mich irre. (DICKES HERZCHEN!)

Jetzt war meine Zeit aber doch knapper als gedacht, um zu Ikea zu fahren. Deswegen guckte ich erstmals auf die MVG-App und ließ mir Verbindungen nach am Arsch der Welt empfehlen, wo ich sonst immer die gleiche U-Bahn, die gleiche S-Bahn, den gleichen Bus genommen hatte, weil ich halt wusste, wo der langfuhr und es mir egal war, ob ich zehn Minuten warten musste, denn ich habe ja Zeit und ein Buch dabei. Bei Temperaturen knapp über Null und dem jetzt verschobenen Tagesplan wollte ich aber nicht warten, und so ließ ich mich von der App leiten. Ich muss sagen, das war beeindruckend hübsch getaktet, ich habe nirgends mehr als zwei Minuten gewartet, an drei Stationen fuhr das zu benutzende Verkehrsmittel ein, sobald ich auf den Bahnsteig kam. Technik. Toll.

Auch bei Ikea selbst war alles äußerst ereignislos, ich kürzte wie immer die Möbelausstellung ab, ging gleich zum Kleinkram, nahm (natürlich) noch Servietten mit, die gibt’s ja nirgendwo anders, schnappte mir die Lampe, die schon viermal in meiner Wohnung hängt und demnächst dann auch noch in der Küche, wo mir das ach so stimmungsvolle Schummerlicht über dem Esstisch nach drei Monaten so dermaßen auf den Zeiger geht, dass ich mich nach Flakbeleuchtung sehne, daher der Ikea-Trip. Auch die Leuchtmittel vergaß ich nicht, ich Schlaumeierchen, dann stand an der Kasse irgendwie noch Marabou-Schokolade rum, huch, und dann war ich schon an der Selbstscannerkasse, bezahlte, ging nach draußen, und selbst dort fuhr der Bus gerade um die Ecke, als ich an der Haltestelle ankam.

Zuhause angekommen, schrieb ich noch den langen Blogeintrag, für den ich morgens keine Zeit mehr gehabt hatte, weil ich möglichst früh zum Schweden wollte, aber ich ja jetzt Krankheitssymptome und Behandlungsmethoden googeln musste (wollte). Man kann Eltern mit Wikipedia-Einträgen beruhigen, wie ich jetzt weiß. Und mich auch.

Nach dem Bloggen merkte ich schon, dass in meinen Knochen eine Erkältung hochkroch. F. fühlte sich per DM sofort schuldig, aber ich glaube, es war eher einer der fünf Menschen, auf die ich letzte Woche in öffentlichen Verkehrsmitteln getroffen war, die so dermaßen husteten, dass ich jedesmal dachte, och, ich geh einfach bis ans andere Ende des Wagens weiter anstatt hier stehenzubleiben. Hat anscheinend nicht so recht geholfen.

Seit dem letzten Januar/Februar, wo ich drei Erkältungen hintereinander hatte (und sehr viel schlechte Laune), achte ich recht penibel darauf, mir quasi dauernd die Hände zu waschen und in der U-Bahn und im Bus die Haltestangen möglichst nur mit Handschuhen anzufassen. Das klappt natürlich nicht immer, und so hat es mich nach einem Jahr dann auch mal wieder erwischt. Mit dem Schnitt könnte ich leben.

So ganz fit bin ich noch nicht, aber ich war am Wochenende doch produktiver als gedacht: Ich habe Twitter vom Handy geschmissen. Facebook ist seit letzter Woche schon nicht mehr drauf, und ich habe es nicht die Bohne vermisst. Bei Twitter waren es gefühlt drei Säue gleichzeitig, die durch meine eigentlich liebevoll kuratierte Timeline getrieben wurden, und ich hatte auf keine einzige Lust und wollte dazu auch keine 70 Takes lesen.

Wenn mir jetzt langweilig ist, lese ich die Apps der New York Times, der Washington Post, des New Yorker, der FAZ und des Atlantic leer (bis auf den Atlantic bin ich überall Abonnentin). Ab und zu gucke ich, ob ich Replys habe, auf die ich reagieren muss oder ob ich in den drei Minuten auf Twitter, wo ich jetzt umständlich über die Web-Oberfläche reinmuss, was retweeten kann, aber das war’s. Keine Ahnung, ob ich das länger als drei Tage durchhalte oder ob es nur jetzt okay ist, weil mich krank alles noch mehr nervt als gesund, aber für dieses Wochenende war’s okay.

Und jetzt geh ich wieder ins Bett.

Tagebuch Donnerstag, 7. Februar 2019 – Feiertag und Weltuntergang

Gearbeitet. Auf DHL gewartet, gelernt, dass es Kartons für 18 Flaschen gibt (die Zwölferkiste kannte ich), danke fürs Schleppen, freundlicher DHL-Mitarbeiter, jetzt bin ich wieder mit Stoff vom Lieblingsweingut versorgt. Viel gelesen.

Abends mit F. was zum Feiern gehabt, das wir im Freisinger Hof erledigt haben. Keine Fotos, aber: Lachscarpaccio, Tafelspitz und Schokokirsch waren sehr wohlschmeckend. Der Herr kämpfte Blutwurst, Backhendl und Limettenmousse nieder, wir gönnten uns beide noch ein Blutorangenschnäpschen und ließen uns von pünktlichen Öffis beschwingt und glücklich nach Hause tragen.

Neu auf der immer offenen Blaufränkisch-Liste: The Butcher vom Weingut Schwarz (Burgenland). Weniger fruchtig, mehr so wumsig, tolles Zeug. Macht dem bisherigen Lieblingsblaufränkisch von Moric ernste Konkurrenz.

Ich lese zum ersten Mal bei der @Twitlektuere mit und weiß gar nicht, wie man über das Buch Die Zukunft der Menschheit des schwedischen Philosophen Nick Bostrom auf 280 Zeichen sprechen soll. Im Sammelband stehen sechs Aufsätze, die zwischen 2003 und 2013 veröffentlicht wurden, was ich aber erst nach dem Kauf kapiert habe. Das wunderte mich schon: Ich bin sehr gespannt darauf, wie gut sich ein Text von 2003, der sich mit Computersimulationen befasst, im Jahr 2019 noch liest.

Gestern las ich den ersten Aufsatz, der gut 40 Seiten lang ist, und war damit ernsthaft über Stunden beschäftigt. Ich konnte mich aber schon mal über ein unerwartetes generisches Femininum freuen, bei dem ich mich natürlich frage, wie Übersetzer Jan-Erik Strasser darauf gekommen ist (ich kenne das Original nicht). Egal, Freude.

Die Seite im Tweet sieht noch sehr unbeleckt aus, später sahen dann alle eher so aus:

Bostrom verhandelt in seinem Aufsatz vier Szenarien für die Zukunft der Menschheit, die er übrigens in Tausend- bzw. Zehn- und Hunderttausender Jahren rechnet, nicht so läppisch die nächsten 20 oder so, nein, der große Wurf. Wobei er auch Aufsätze anderer Wissenschaftler zitiert, die teilweise die Chance der Menschheit, das 21. Jahrhundert zu überleben, pessimistisch bei fifty-fifty sehen. Spätestens da begann ich mich auf den späteren Blaufränkisch zu freuen.

Zunächst beschreibt Bostrom, welche Veränderungen auf die Menschheit zukommen könnten, die zu ihrem Untergang führt. Natürliche Katastrophen sieht er nicht als universellen Killer, die hätten wir schon ewig überlebt, das passt schon. Klingt nicht gut für die Klimaschützer, ich zitiere:

„Obwohl diese Prognose [Erwärmung von 1,1 bis 6,4 Grad, Meeresspiegel steigt irgendwas zwischen 18 bis 59 cm an] durchaus eine Reihe von Klimaschutzstrategien rechtfertigen könnte, besteht kein Grund zur Panik [WIESO NICHT, WANN DENN SONST?], wenn wir das Ganze unter dem Blickwinkel der Zukunft der Menschheit betrachten. Selbst der Stern Review on the Economics of Climate Change, ein Bericht für die britische Regierung, der verschiedentlich als zu pessimistisch kritisiert wurde, schätzt, dass die Erderwärmung (wenn wir nichts dagegen unternehmen) den globalen Wohlstand um einen Betrag vermindern wird, der umgerechnet einer dauerhaften Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs zwischen 5 und 20 Prozent entspricht. In absoluten Zahlen wäre das zwar ein enormer Schaden, andererseits wuchs das weltweite BIP im 20. Jahrhundert um rund 3700 Prozent und das BIP pro Kopf um etwa 860 Prozent. Es scheint daher ziemlich sicher zu sein (falls unsere besten wissenschaftlichen Modelle des Erdklimas nicht völlig verkehrt sind), dass alle negativen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gegenüber anderen Faktoren völlig vernachlässigbar sein.“ (S. 27/28)

Ich lasse das mal so stehen bzw. frage mich, ob wir über etwas mehr nachdenken sollten als über die „wirtschaftlichen Folgen“ des Klimawandels oder ob das alles umfasst.

Aber gut. Die Natur bringt uns also nicht um, sondern wir, und zwar durch unsere selbstgebastelten Technologien. Sie bringen Risiken mit sich, die wir schlicht nicht übersehen können. Aber: Sie bringen ebenfalls Möglichkeiten mit, wie wir mit diesen neuen Risiken umgehen könnten. Behauptet Bostrom einfach, ich hoffe das wenigstens.

Bostrom entwirft dann vier Szenarien, was mit der Menschheit in Zukunft passieren könnte, eine davon ist der totale Untergang, vermutlich durch unsere eigenen Hände bzw. die Technik, die wir damit gebastelt haben. Ein totaler Untergang wäre auch gar nicht so unwahrscheinlich, denn bisher sind geschätzt 99,9 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde lebten, untergegangen, also warum nicht auch die Menschen? (S. 22)

Ein anderes Szenario wäre der zyklische Kollaps, den Bostrom aber für weniger wahrscheinlich hält, und ich weiß immer noch nicht, ob das jetzt tröstend ist oder nicht. In einem zyklischen Kollaps ruinieren wir unsere Spezies immer und immer wieder, aber nie komplett, einige von uns bleiben übrig und erfinden das Rad oder den Mac nochmal neu. Wir erholen uns wieder – und kloppen uns dann wieder, werfen Atomraketen, setzen Viren in die Welt, was auch immer. Dass dieser Zyklus niemals wieder durchbrochen wird und wir entweder endlich aussterben oder uns, eine weitere Theorie, zu posthumanen Wesen weiterentwickeln, hält Bostrom für weniger wahrscheinlich als die anderen beiden Möglichkeiten. Ich persönlich traue der Menschheit durchaus viele Dummheiten zu, aber in diesem Punkt glaube ich, dass er Recht hat.

Das dritte Zukunftszenario ist das Plateau: Wir entwickeln uns bis zu einem gewissen Punkt und bleiben dann da. Laut Bostrom auch eher Quatsch, und das verstehe ich sogar. Ich glaube nicht, dass wir uns irgendwann mit irgendwas zufriedengeben, irgendein Planet ist immer da, auf dem wir noch nicht waren, eine Erfindung wartet, an die wir gestern noch nicht gedacht haben etc. Bostrom formuliert es so:

„Wer nicht an solche Entwicklungen glaubt, sollte sich fragen, ob sich seine Skepsis wirklich auf die Unmöglichkeit oder doch nicht eher bloß auf den Zeithorizont bezieht. Einige dieser Technologien [menschliche Lebenserwartung auf 1000 Jahre hochschrauben, individuelle Charakterformung durch Pharmaka, maschinelle Intelligenz etc.] werden zwar schwer zu entwickeln sein, aber heißt das, dass wir sie niemals entwickeln werden? Nicht einmal in 50 Jahren? 200? 10.000 Jahren?“ (S. 34)

Sein letztes Szenario wäre die Weiterentwicklung des Homo Sapiens in eine posthumane Lebensform. Diese charakterisiert er unter anderem durch eine Lebenserwartung von mindestens 500 Jahren, eine vollständige Kontrolle über eigene Sinneswahrnehmung, kaum noch vorhandene psychische Leiden oder andere ähnlich tiefgehende Veränderungen der Spezies. Bostrom beschreibt in diesem Abschnitt auch die Singularitätshypothese, nach der während einer Periode „extrem schneller technologischer Entwicklung uns die Posthumanität ganz plötzlich beschert“ wird (S. 39). Er zitiert auch weitere Vertreter dieser Hypothese, die ihre eigenen Voraussagen, was den Zeithorizont angeht, aber immer wieder korrigieren. Er zitiert außerdem Vaclav Smil, der die 1880er Jahre für die innovativste Dekade der Menschheit hält, die uns aber nicht plötzlich posthuman machen konnte.

Der Aufsatz endet mit der Schlussfolgerung, dass totaler Untergang und Weiterentwicklung auf ein posthumanes Level die wahrscheinlichsten Möglichkeiten für die Zukunft der Menschheit seien. Aber hey, Hoffnung auf die Raumfahrt: „[S]obald bestimmte kritische Technologien und autarke Kolonien im Weltraum geschaffen wurden“, sinkt die Möglichkeit des totalen Untergangs (S. 47). Ich setze jetzt alles auf die NASA und ähnliche Organisationen. Die Außerirdischen kann ich mir aber vermutlich abschminken, denn:

„Fast im gesamten Universum herrscht ein extremes Vakuum, und so gut wie alle materiellen Pünktchen darin sind so heiß oder so kalt, so zusammengepresst oder so ausgedünnt, dass dort keinerlei organisches Leben möglich ist. Räumlich wie auch zeitlich gesehen ist unsere Situation bemerkenswert.“ (S. 21)

Wir haben Wein und Schokolade. Alleine das ist bemerkenswert.

(Alle Zitate aus: Nick Bostrom: „Die Zukunft der Menschheit“, in: Ders.: Die Zukunft der Menschheit. Aufsätze, Berlin 2018, S. 9–47.)

Tagebuch Mittwoch, 6. Februar 2019 – Moderne Klassik

Gemeinsam aufgewacht, gemeinsam rumgelungert, F. zur Tür begleitet, entspannt in den Tag gestartet. Vor dem Aufwachen allerdings einen fiesen Traum gehabt: Ich verstand bei einer Uni-Klausur total die Frage falsch und konnte dann die Uhr nicht mehr lesen, um herauszufinden, ob ich noch genug Zeit gehabt hätte, um sie richtig zu beantworten. Es ist kompliziert. Panik, dass ich das Semester wiederholen müsste! Nach dem Aufwachen gedacht, dass es eigentlich ganz nett wäre, ein Semester zu wiederholen.

Ein antiquarisches Buch aus der Packstation geholt – das, was ich letzte Woche im ZI stundenlang las und ebenso stundenlang daraus abtippte. Das gab es gerade leicht angeknickt für zehn Euro in diesem Interweb, und ich dachte mir, och, so zehn Euro könnte ich mal in die Diss investieren. Jetzt kann ich im Buch rummalen und bunte Post-its reinkleben. Die wenige grundlegende Literatur zur NS-Kunst besitze ich auch bereits antiquarisch, und auch sie sieht schon ziemlich zerlesen aus.

Dann ging ich ein bisschen spazieren und hörte ausnahmsweise mal wieder Musik dazu. Meine Spotify-Playlist der Woche besteht zurzeit ausschließlich aus Klassik, weil ich gerade nur Klassik auf Spotify höre. So lernte ich Peter Maxwell Davies kennen, dessen Stück „Farewell to Stromness“ aus The Yellow Cake Revue (1980) mir so gut gefiel, dass ich es gleich fünfmal hintereinander anklickte. Das könnt ihr auch!

Oder Funeral Ikos (1981) von dem mir vorher ebenfalls nicht bekannten John Tavener, allerdings nicht gesungen, sondern in der Instrumentalversion.

Oder Sepia Fragments (2012) von Derek Charke. Ich stapfe gerade durch klassische Musik wie ein Kind im Süßigkeitenladen: alles neu, alles bunt, alles toll.

Ebenfalls brav weitergehört: Year of Wonder. Am Sonntag stand die vierte Szene aus La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina (1625) von Francesca Caccini auf dem Programm. War nicht ganz so meins, aber: Diese Oper gilt als die erste aufgeführte von einer Frau. Und wie das Buch richtig vermerkt: So irre viele Opernkomponistinnen sind nicht mehr hinterhergekommen.

Am Montag gab’s dann die erste schwarze symphonische Komponistin zu hören, die von einem großen Orchester als würdig erachtet wurde, aufgeführt zu werden (nicht meine Formulierung): Florence Prices Fantasie nègre von 1929. Auch diese Dame kannte ich nicht. Langsam ahne ich, dass ich mit der Klassik noch sehr lange beschäftigt sein könnte. Andererseits: Auch bei Popmusik habe ich keine Ahnung mehr, damit habe ich quasi Anfang der 1990er Jahre aufgehört, seitdem läuft Duran Duran in der Dauerschleife, mehr gibt’s nicht.

Den nett-barocken (schnarch) Telemann vom Dienstag überspringen wir mal und kommen direkt zu Ritchie, auf den ich ja seit dem 1. Januar warte. Wir hören die Ouvertüre zu den Meistersingern von Nürnberg, der Oper von Wagner, die ich am allerwenigsten mag. Dementsprechend mag ich auch die Ouvertüre am allerwenigsten. Alle seine anderen Vorspiele und Ouvertüren sind toll oder wunderschön, die hier ist für meine Ohren so okay so.

Den Rest des Tages am Schreibtisch verbracht, abends entsetzt dem FC Augsburg bei einem mehr als glücklichen Duselsieg über den Zweitligisten Kiel zugeschaut. Das sah Sonntag noch alles so gut aus, und jetzt sind wieder viele Spieler verletzt und schon gibt es wieder hektischen Rumpelfußball. Aber ich habe mich für Herrn Gregoritsch gefreut, dass er endlich mal wieder getroffen hat. Ebenso sehr habe ich mich darüber gefreut, dass die Kieler ungefähr einhundert Torchancen vergaben. (Sorry, Kiel!)

Abends gab es aus Kochfaulheit wieder Caesar Salad. Wobei: Faul war ich nicht, denn seit dem allerersten Aufschlagen habe ich es nie wieder beim ersten Versuch geschafft, aus Eigelb und Öl mit dem Schneebesen eine Mayonnaise zu produzieren. Sie ist jedesmal umgekippt, woraufhin ich sie mit heißem Wasser wieder retten konnte, aber manchmal kostete das auch noch mehr als einen Versuch. Gestern dachte ich bis kurz vor Schluss, also bis alles Öl in der Schüssel war, das sieht super aus, endlich mal geduldig gewesen, top gemacht – dann ging ich zum Kühlschrank, um die Zitrone zu holen, deren Saft ich in die Ei-Öl-Mischung geben wollte, und als ich wieder in die Schüssel guckte, blickte mich die fiese hässliche fleckige Sauce aus Eigelb und Grütz an, aber keine Majo mehr. Das hatte ich auch noch nicht, dass sie HINTER MEINEM RÜCKEN kaputtgeht.

Über ein FAZ-Interview auf @ROB0TIUS aufmerksam geworden, einen Bot von Marie Kilg, der Storyideen postet und sie mit entsetzten Aussagen aus der Relotius-Kritik-Presse abbindet.

The Decline of Historical Thinking

Im Artikel geht es um die rückläufige Zahl von Studierenden in den USA, die sich für Geschichte als Hauptfach entscheiden. Was für mich spannend war: Die Situation an den Ivy-League-Schulen sieht ganz anders aus als die an den kleinen Colleges in den Flyover-States. Außerdem mochte ich die Charakterisierung des Fachs – also: Was hat man eigentlich davon, Geschichte zu studieren?

„The steep decline in history graduates is most visible beginning in 2011 and 2012. Evidently, after the 2008 financial crisis, students (and their parents) felt a need to pick a major in a field that might place them on a secure career path. Almost all of the majors that have seen growth since 2011, Schmidt noted in a previous study, are in the stem disciplines, and include nursing, engineering, computer science, and biology. […]

Nonetheless, the history major continues to thrive at Yale, in part because it’s a great department with a number of nationally known stars, all of whom are expected to teach at an undergraduate level, and in part because it is Yale, where even a liberal-arts degree opens almost all professional doors. […]

The reason that students at Yale and places like it can “afford” to major in history is that they have the luxury of seeing college as a chance to learn about the world beyond the confines of their home towns, and to try to understand where they might fit in. That’s what history does best. It locates us and helps us understand how we got here and why things are the way they are. “History instills a sense of citizenship, and reminds you of questions to ask, especially about evidence,” Willis told me. In a follow-up e-mail after our conversation, Mikhail wrote, “A study of the past shows us that the only way to understand the present is to embrace the messiness of politics, culture, and economics. There are never easy answers to pressing questions about the world and public life.”“

Dirk von Gehlen wies gestern und heute mit zwei Tweets auf die Neuformierung der New York Times hin, die sich ganz allmählich zu einer Digitalzeitung gewandelt hat. Der Spiegel schreibt:

„Viele schreiben es Sulzberger zu, dass die “Times” heute gut dasteht. Die Zahl der Abos hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt, die Abhängigkeit vom Werbemarkt ist geschrumpft, die Redaktion mit 1500 Journalisten so groß wie nie zuvor. Sulzberger hat ihr vermittelt, dass Digitalisierung nicht bedeutet, sich bei Lesern mit Bildern von Kim Kardashian anbiedern zu müssen, sondern ihnen in hohem Tempo harten, guten Journalismus zu liefern: “Journalismus, der Zeit braucht, der Reisen braucht, der Expertise braucht, der Anwälte und Faktenchecks braucht”.

Dafür, sagt er, gebe es auch weiter ein Geschäftsmodell.“

Niemanlab hat weitere Zahlen und verlinkt zur NYT:

„The dream for any newspaper seeking to last longer than print itself is to transition its business model into digital. The New York Times is almost there. […]

The Times brought in a total of $1.748 billion in 2018, which means digital revenue accounted for just over 40 percent of the total. Given the trendlines in print and digital, it won’t be too long until it hits that 50 percent tipping point — I’d guess Q2 2020. […]

A common goal in newspaper circles a few years ago was to someday be able to make enough money in digital to cover the cost of the newsroom. Well, at this point, the Times could pay for the newsroom two times over with just digital money. Which is probably why that newsroom keeps growing — the Times reported it now employs 1,600 journalists, an all-time high.“

Würde mich jetzt aber schon interessieren, warum der Spiegel die falsche Zahl von Journalisten nicht nachgebessert hat (der Times-Artikel ist vom 6. Februar, der im Spiegel vom 5.). ROB0TIUS?

Tagebuch Dienstag, 5. Februar 2019 – Zweig durchgelesen

Mein Wecker klingelte ein paar Minuten vor F.s und ich schälte mich brav sofort aus dem Bett, stellte die Espressomaschine an, damit sie vorheizen konnte, ging duschen, trödelte vorm Deutschlandfunk rum und konnte wieder ein Buch auf meine Leseliste werfen. (Ökumene um jeden Preis? Ein protestantischer Zwischenruf) Es kann sein, dass ich über das Buch schon am Montag was gehört habe, wo B5, mein Standard-Nachrichtensender fürs Bad, mal wieder einen äußerst miesen Empfang hatte, weswegen ich der Konkurrenz lauschte.

Ich bloggte ein bisschen, während F. noch gefühlt stundenlang wach wurde, trank meinen Cappuccino, verabschiedete den Herrn in den Tag, zog mir Büroklamotten an und begann den Abstieg in den Texterflöz. Netterweise war ich mittags fertig mit dem Text, den ich heute zum Kunden schicken werde, und hatte nun entspannt Zeit, in die Unibibliothek zu fahren.

Von dort holte ich mir vier Bücher, nachdem ich misstrauisch die neuen Selbstverbuchungsterminals angeschaut hatte. Anscheinend traut die Bibliothek uns jetzt mehr als früher; sonst musste man alles, in dem man eventuell Bücher aus dem Raum schmuggeln könnte – Jacken, Rucksäcke, Laptophüllen – ins Schließfach werfen, was aber 100 Meter weit weg war (viel zu weit!) oder den Kram in offenen Regalen ablegen, bevor man durchs Drehkreuz ging, sich die Bücher aus dem Ablagefach holte und sie von einer Mitarbeiterin verbuchen ließ. Wenn ich aus dem ZI kam, sah das meistens so aus, dass ich Jacke und Rucksack ins Regal stopfte, den Laptop aus der Hülle nahm und so mit Portemonnaie und Rechner durchs Drehkreuz ging, den Rest hätte man mir ruhig klauen können. (Hat netterweise nie jemand gemacht.)

Jetzt darf man mit Jacke und Rucksack rein, muss durch kein Drehkreuz mehr, holt sich einfach seine Bücher und geht dann ans eins von zwei Selbstbedienungsterminals, die ich so ähnlich aus der Stadtbücherei München kenne. Dort hält man seinen Ausweis vor irgendein Lesegerät, von dem ich immer noch nicht weiß, wo es genau ist, ich glaube inzwischen, das Terminal erspäht den Ausweis schon in der Hosentasche. Dann legt man den kompletten Stapel auf einen ausgewiesenen Platz, wo das System durch lustige RFID-Technologie (oder wie ich es nenne: Zauberei) alle Bücher einliest, verbucht und dich fragt, ob du eine Quittung willst. Man muss nichts einzeln unter irgendwelche Lesegeräte halten, es geht irre schnell, und ich kriege endlich keine nutzlose Quittung mehr, die ich früher sowieso gleich nach dem Drehkreuz weggeschmissen habe.

Leicht bepackt schlenderte ich dann durch die Ausleihhalle zum Ausgang und betrachtete wie immer die Vitrinen, in denen mal wieder eine Ausstellung einlud. Meist präsentiert die Bibliothek hier ihre Neuerwerbungen oder weist auf besondere Exemplare in ihrer Sammlung hin, manchmal gestalten aber auch Uni-Seminare die Vitrinen. In einem meiner Seminare haben wir die kunsthistorische Präsenzbibliothek bei uns im Institut auf Raubkunst untersucht – das war mein erstes Seminar bei meinem jetzigen Doktorvater. Dazu hat jeder von uns, ich meine, fünf oder so Regalmeter zugeteilt bekommen – also fünf Regale, die alle zwei Meter hoch sind – und wir mussten nun jedes Buch aufschlagen, das vor 1945 gedruckt wurde, und nach Widmungen schauen, Exlibris, irgendwelche Notizen vorne oder hinten im Deckel, die darüber Aufschluss gaben, wem das Buch einmal gehört haben könnte und wie es in unsere Sammlung gelangt war.

Ich hatte in meinen Büchern netterweise nichts, was irgendwie nach Raubgut aussah, wobei ich mir – und das Seminar mit mir – bei einem Buch über Holbein den Jüngeren von Hermann Knackfuß nicht sicher war: In ihm fand sich die Zeile „Max Förster, Dora Cohen, Bonn, 95“. Max Förster war ein Anglist, der auch an der Uni München gelehrt hatte und 1934 von den Nationalsozialisten zwangsemeritiert wurde. Er hatte 1899 Dora Cohen geheiratet. Deren jüdische Herkunft kann ich nur vermuten, ich finde online gerade nichts über sie. Und wir konnten nicht nachweisen, ob das Buch nun eine späte Schenkung oder Raubkunst war.

Ich habe gerade meine kleine Liste aus dem dritten Semester noch einmal durchgelesen; die einzigen prominenten Namen, die ich fand, waren Eduard von Keyserling, Walter Bareiss (im Buch war ein Aufkleber „Aus der Sammlung Bareiss“) sowie Hermann Mayrhofer, dessen Buch garantiert keine Raubkunst war, da er selbst am NS-System beteiligt war („sein“ Buch stammte von 1944).

Andere Teilnehmer*innen des Seminars wurden aber fündig und so organisierten sie eine Vitrinenausstellung über ihre Bücher. Das war aber ein Folgeseminar, an dem ich nicht mehr teilnahm.

Aber zurück zur derzeitigen Ausstellung: Bis April kann man dort etwas über Paul Renner erfahren, dem Gestalter der wunderschönen Futura. Ich fand besonders seinen Grabstein sehenswert, der natürlich in welcher Schrift gestaltet wurde? Genau.

Weil das Foto so mies war – halt durch das Vitrinenglas mit fieser Deckenlampenspiegelung –, suchte ich im Interweb nach einem anderen Foto des Grabsteins, fand aber keins. Dafür aber ein bestimmt interessantes Buch, dessen Titel mir sehr gefiel: „Never use Futura unless you are …“ und wer das ist, lest ihr euch bitte selbst auf dem Cover durch, denn das ist zu lang.

Ich habe außerdem gelernt, dass die Plakette, die von den Apollo-11-Astronauten auf dem Mond hinterlassen wurde, auch in der Futura gestaltet ist.

Nach den geliehenen Büchern brauchte ich dringend noch gekaufte. Am Samstag hatte ich sie vorbestellt, jetzt holte ich sie mir ab und trug so einen fast nur aus Suhrkamp-Büchern bestehenden Stapel nach Hause. Ich fühlte mich schon beim Schleppen schlau.

Nachmittags betrieb ich ein bisschen digitalen Frühjahrsputz, löschte meinen Flickr-Account, die Podcast-Community auf Google+ und gefühlt 1000 Facebook-Posts. Der Account ist jetzt quasi leergefegt von allen Memes und lustigen Bildern, jetzt gibt es nur noch Links zu meinem Blog oder eigenhändig verfasste Einträge. Wie ich missmutig feststellte, hatte ich 2009 und 2010 eine Weiterleitung von Twitter, das heißt, jeder Tweet wurde auch auf Facebook veröffentlicht. Die werde ich nicht löschen, da werde ich ja irre.

Den Abend verbrachten F. und ich gemeinsam. Er begann mit einer minutenlangen DM-Diskussion, wo wir was essen wollten, und als wir uns endlich auf „bodenständig und warm“ geeinigt hatten, blieb uns quasi nichts anderes übrig, als zum aus der Zeit gefallenen Dalmatinergrill zu fahren, wo ich mich immer wie in den 80er Jahren fühle und wo man noch Fleischberge mit Pommes und rohen Zwiebeln kriegt. Genau das, was ich gestern wollte.

Wir fuhren mit der U-Bahn nach Hause, ich wusch noch ab, F. las das Internet leer, dann gingen wir ins Bett, wo ich Stefan Zweig auslas, während F. das Ende vom Dortmund-Bremen-Spiel auf dem Handy guckte; ich sah noch die letzten drei Elfer, aber das scheint ja gereicht zu haben. Bitte heute abend mal Augschburg die Daumen drücken, die für den Pokal nach Kiel müssen.

Ich lasse euch mal wieder ein bisschen Welt von gestern als Rausschmeißer da. Ja, ich copypaste den oft, aber jetzt habt ihr es hinter euch. Schade eigentlich, denn das Buch wandert schon mal dicke als erster Anwärter fürs beste Sachbuch auf die Jahresendliste. Mir hat die zusätzliche, persönliche Ebene viel für die Zehner- und Zwanzigerjahre gegeben, in denen ich gerade wissenschaftlich rumhänge, um vielleicht die ollen Dreißiger besser zu verstehen. Ich mochte seinen schlichten Stil sehr gerne, auch wenn es mich wahnsinnig gemacht hat, dass der Mann beim Plusquamperfekt meist auf das letzte Wörtchen verzichtete. Ein Beispiel, gerade einfach mal das Buch irgendwo aufgeschlagen, und zack, ein Beispielsatz für das, was ich meine: „Aber dann staunte er, als ich ihm haargenau in Farbe und Format die kleine literarische Zeitschrift beschrieb, in der wir 1898 in Wien seine ersten Verse gefunden.“ HATTEN! IST DAS SO SCHWER? HATTEN! Macht mich irre. Auf je-der Seite!

Okay, abgeregt.

Stefan Zweig, meine Damen und Herren, aus dem letzten Kapitel:

„Der Fall Österreichs brachte in meiner privaten Existenz eine Veränderung mit sich, die ich zuerst als eine gänzlich belanglose und bloß formelle ansah; ich verlor damit meinen österreichischen Paß und mußte von den englischen Behörden ein weißes Ersatzpapier, einen Staatenlosenpaß erbitten. Oft hatte ich in meinen kosmopolitischen Träumereien mir heimlich ausgemalt, wie herrlich es sein müsse, wie eigentlich gemäß meinem inneren Empfinden, staatenlos zu sein, keinem Lande verpflichtet und darum allen unterschiedslos zugehörig. Aber wieder einmal mußte ich erkennen, wie unzulänglich unsere irdische Phantasie ist, und daß man gerade die wichtigsten Empfindungen erst versteht, sobald man sie selbst durchlitten hat. Zehn Jahre früher, als ich Dimitri Mereschkowskij einmal in Paris begegnete und er mir klagte, daß seine Bücher in Rußland verboten seien, hatte ich Unerfahrener noch ziemlich gedankenlos ihn zu trösten versucht, das besage doch nicht viel gegenüber internationaler Weltverbreitung. Aber wie deutlich begriff ich, als dann meine eigenen Bücher aus der deutschen Sprache verschwanden, seine Klage, nur in Übertragungen, in verdünntem, verändertem Medium das geschaffene Wort zur Erscheinung bringen zu können! Ebenso verstand ich erst in der Minute, da ich nach längerem Warten auf der Bittstellerbank des Vorraums in die englische Amtsstube eingelassen wurde, was dieser Umtausch meines Passes gegen ein Fremdenpapier bedeutete. Denn auf meinen österreichischen Paß hatte ich ein Anrecht gehabt. Jeder österreichische Konsulatsbeamte oder Polizeioffizier war verpflichtet gewesen, ihn mir als vollberechtigtem Bürger auszustellen. Das englische Fremdenpapier dagegen, das ich erhielt, mußte ich erbitten. Es war eine erbetene Gefälligkeit und eine Gefälligkeit überdies, die mir jeden Augenblick entzogen werden konnte. Über Nacht war ich abermals eine Stufe hinuntergeglitten. Gestern noch ausländischer Gast und gewissermaßen Gentleman, der hier sein internationales Einkommen verausgabte und seine Steuern bezahlte, war ich Emigrant geworden, ein ›Refugee‹. Ich war in eine mindere, wenn auch nicht unehrenhafte Kategorie hinabgedrückt. Außerdem mußte jedes ausländische Visum auf diesem weißen Blatt Papier von nun an besonders erbeten werden, denn man war mißtrauisch in allen Ländern gegen die ›Sorte‹ Mensch, zu der ich plötzlich gehörte, gegen den Rechtlosen, den Vaterlandslosen, den man nicht notfalls abschieben und zurückspedieren konnte in seine Heimat wie die andern, wenn er lästig wurde und zu lange blieb. Und ich mußte immer an das Wort denken, das mir vor Jahren ein exilierter Russe gesagt: »Früher hatte der Mensch nur einen Körper und eine Seele. Heute braucht er noch einen Paß dazu, sonst wird er nicht wie ein Mensch behandelt.«“

Tagebuch Montag, 4. Februar 2019 – Kleinkramtag

Der Wecker klingelte um 7, ich stellte ihn frohgemut aus, döste noch ein wenig und plötzlich war es 9. Ich war am Vorabend zu faul gewesen, den Blogeintrag vorzubereiten, also tat ich das gestern ab 9.30 Uhr, frischgeduscht und etwas in Eile. Das dauerte dann aber bis kurz vor 11, bis ich endlich fertig war und einkaufen gehen konnte; auf dem Rückweg nahm ich die FAZ aus dem Briefkasten mit nach oben. Unterwegs hatte ich mich am verschneiten München erfreut.

So fing mein Tag erst gegen 12 an, was mich den ganzen Tag irritieren sollte. Ich hatte noch Orgakram zu erledigen, ein neues Konto wollte aktiviert werden, seit Samstag hatte ich endlich alle Briefumschläge mit allen Zugangsdaten und Pins und Passwörtern, und ich fragte mich, ob das schon immer so kompliziert gewesen war, ein Konto zu eröffnen. Mir fiel ein, dass ich mein letztes Konto noch brav vor Ort in einer Filiale eröffnet hatte, was heute anscheinend nicht mehr en vogue ist.

Weiterer Orgakram, Post fertiggemacht, irgendwelchen Firmen und Institutionen Zugriff auf das neue Konto gewährt, wozu ich auf diversen Firmenseiten teilweise sehr lange nach dieser Option suchen musste und ganz, ganz kurz davor war, eine Hotline anzurufen, aber diese schmachvolle Niederlage wollte ich mir nicht eingestehen, da wurden dann lieber fünf Jahre alte Aktenordner nach wilden Zugangsdaten durchsucht, die wider Erwarten funktionierten, und jetzt müssten bis auf das Finanzamt München, bei dem ich doch lieber vorher anrufe, alle wieder an ihr Geld kommen.

Gegen 15 Uhr fiel mir auf, dass ich noch nicht gefrühstückt bzw. noch nicht mal einen Kaffee getrunken hatte, also kochte ich mir stattdessen eine Kanne Tee und rührte ein Müsli an. Genau dann kam natürlich eine Job-Mail, die mich zwar freute (Job! Geld! Ein Dach über dem Kopf! Rente für Frau Gröner!), aber mein Müsli wurde dann unangemessen schnell heruntergeschlungen, damit ich gleich anfangen konnte.

Ich arbeitete für knappe drei Stunden, den Rest schob ich auf heute, damit das gestern Geschriebene sich etwas ausliegen konnte, dann guckte ich endlich mal in die Zeitung und legte ein bisschen Tofu in Sojasauce, Ingwer, Chili und Zwiebeln, den ich eine Stunde später mit Möhren, Lauch und Paprika in der Pfanne anbriet, Reis dazu, Sesam drüber, aber so richtig gut war das leider nicht. Der Tofu wurde trotz scharfem Anbraten nicht wirklich knusprig, und dann kann er noch so gut nach Sojasauce und Gewürzen schmecken – wenn die Konsistenz meh ist, ist das Essen meh. Ich pulte Reis mit Gemüse aus dem Teller, war aber nicht glücklich. Immerhin war das Essen hübsch, aber das tröstete jetzt nicht so recht.

Abends wollte ich ein wenig vor der neuen Kitchen-Impossible-Folge versacken, aber mir geht die dreistündige Pimmelfechterei doch inzwischen auf die Nerven. Ich muss nicht in jeder verdammten Folge hören, was für ein Arsch der Gegner von Mälzer ist und dass beide keine Lust auf ihren Job haben, was man anscheinend nur mit Kraftausdrücken formulieren kann. Ich schaltete auf stumm, las Zeitung, und netterweise rief die beste Freundin an, so dass ich die Sendung einfach ungesehen im Internet lassen und stattdessen zwei Stunden klönen konnte.

Abends schaute F. noch gut gelaunt vorbei, wir klönten ebenfalls, lasen noch im Bettchen und schliefen dann gemeinsam schnell ein. Oder wie F. eben meinte: „Naja, eine von uns.“

Ach ja, und das funktioniert wirklich. Meine Messer sind allerdings zu lang bzw. das Buch zu klein, deswegen musste was drunter und ich habe es hinten mit Tesa fixiert. Aber der Rilke stand halt rum, fiese Buchclubausgabe, liegt total mies in der Hand, in 25 Jahren nie reingeguckt. Jetzt hat er wenigstens eine Funktion.

Der schrille Zwangspensionär

Auch noch nie darüber nachgedacht, was Wilhelm Zwo so im Exil gemacht hat.

„Wie schon seinerzeit in Amt und Würden unterliegt der kaiserliche Zwangspensionär auch im Ruhestand zahlreichen Fehleinschätzungen. »Wilhelm unverbesserlich« ist fest davon überzeugt, dass bald seine große Stunde schlägt. So unerschütterlich ist sein Glaube, dass Gott ihn eines Tages auf den Thron seiner Väter zurückrufen wird, dass er auch weiterhin – und das bis zu seinem Tod – seine Briefe mit IR (Imperator Rex) signierte.

Zwischenzeitlich vertrieb sich der Kaiser im Unruhestand die Zeit mit Rosenzüchten, Altertumskunde und Holzfällen. Besonders auf letzterem Feld entfaltete der Exkaiser bald eine hektische Betriebsamkeit. Fast täglich rückt der rastlose Zwangspensionär am Morgen zum Sägen aus und lässt dort seinen zigtausendsten Baum fällen. Mit der Besessenheit eines Bibers verwüstet der Kaiser die Parks und Wälder in seiner Umgebung. Angeblich aus Gründen der Fitness, doch stecken wohl eher Allmachtsfantasien und aufgestaute, ziellose Gestaltungswut dahinter. Alle müssen mit anpacken, auch die Damen. Ilsemann: »Der Kaiser hält den Baum, die Gräfin Elisabeth (Hofdame der Kaiserin) und ich sägen, und die Kaiserin legt die abgeschnittenen Stücke auf einen Haufen zusammen.« Nur sonntags und bei besonders schönem Wetter wird nicht gesägt.

Längst geht es Wilhelm nicht mehr um die Gesundheit, sondern um Rekorde. Stolz meldet er seinem Gefolge Tag für Tag das Ergebnis seines Tagewerks. Durch Ilsemanns Tagebuch ziehen sich die Meldungen über des Kaisers Hobby wie eine Heimsuchung. Bald hatte Seine Majestät seinen 13 000. Baum gesägt. Und als dem umtriebigen Waldarbeiter die Roderei zu langsam ging, schaffte er sich eine Motorsäge an. Schon im November 1920 notierte Ilsemann: »Der Park wird immer kahler, ein Baum nach dem anderen fällt.«“

(via Buddenbohm)

Das erinnerte mich an eine Stelle in der Welt von gestern von Zweig. An den Seiten bin ich zwar schon lange vorbei, aber das war die Stelle, die in Wien bei der Diskussion im Burgtheater vorgelesen wurde und nach der ich das Buch lesen wollte. Zweig sah angeblich mit an, wie der letzte österreichische Kaiser 1918 sein Land verließ. Der Mann war aber wirklich dauernd bei historischen Dingen dabei und traf quasi jeden, der in den Zwanzigern und Dreißigern künstlerisch was zu sagen hatte, so dass ich mir nicht immer sicher bin, wieviel literarische Freiheit er sich genommen hat. Liest sich aber alles toll.

„Bei meiner Ankunft vor einem Jahre hatte ich an der schweizerischen Grenzstation in Buchs eine aufregende Minute erlebt. Jetzt bei der Rückkehr stand mir eine nicht minder unvergeßliche an der österreichischen in Feldkirch bevor. Schon beim Aussteigen hatte ich eine merkwürdige Unruhe bei den Grenzbeamten und Polizisten wahrgenommen. Sie achteten nicht besonders auf uns und erledigten höchst lässig die Revision: offenbar warteten sie auf etwas Wichtigeres. Endlich kam der Glockenschlag, der das Nahen eines Zuges von der österreichischen Seite ankündigte. Die Polizisten stellten sich auf, alle Beamten eilten aus ihren Verschlägen, ihre Frauen offenbar verständigt, drängten sich auf dem Perron zusammen; insbesondere fiel mir unter den Wartenden eine alte Dame in Schwarz mit ihren beiden Töchtern auf, nach ihrer Haltung und Kleidung vermutlich eine Aristokratin. Sie war sichtlich erregt und fuhr immer wieder mit dem Taschentuch an ihre Augen.

Langsam, ich möchte fast sagen, majestätisch rollte der Zug heran, ein Zug besonderer Art, nicht die abgenutzten, vom Regen verwaschenen gewöhnlichen Passagierwaggons, sondern schwarze, breite Wagen, ein Salonzug. Die Lokomotive hielt an. Eine fühlbare Bewegung ging durch die Reihen der Wartenden, ich wußte noch immer nicht warum. Da erkannte ich hinter der Spiegelscheibe des Waggons hoch aufgerichtet Kaiser Karl, den letzten Kaiser von Österreich und seine schwarzgekleidete Gemahlin, Kaiserin Zita. Ich schrak zusammen: der letzte Kaiser von Österreich, der Erbe der habsburgischen Dynastie, die siebenhundert Jahre das Land regiert, verließ sein Reich! Obwohl er die formelle Abdankung verweigert, hatte die Republik ihm die Abreise unter allen Ehren gestattet oder sie vielmehr von ihm erzwungen. Nun stand der hohe ernste Mann am Fenster und sah zum letztenmal die Berge, die Häuser, die Menschen seines Landes. Es war ein historischer Augenblick, den ich erlebte – und doppelt erschütternd für einen, der in der Tradition des Kaiserreichs aufgewachsen war, der als erstes Lied in der Schule das Kaiserlied gesungen, der später im militärischen Dienst diesem Manne, der da in Zivilkleidung ernst und sinnend blickte, ›Gehorsam zu Land, zu Wasser und in der Luft‹ geschworen. Ich hatte unzählige Male den alten Kaiser gesehen in der heute längst legendär gewordenen Pracht der großen Festlichkeiten, ich hatte ihn gesehen, wie er von der großen Treppe in Schönbrunn, umringt von seiner Familie und den blitzenden Uniformen der Generäle, die Huldigung der achtzigtausend Wiener Schulkinder entgegennahm, die, auf dem weiten grünen Wiesenplan aufgestellt, mit ihren dünnen Stimmen in rührendem Massenchor Haydns ›Gott erhalte‹ sangen. Ich hatte ihn gesehen beim Hofball, bei den Théâtre Paré-Vorstellungen in schimmernder Uniform und wieder im grünen Steirerhut in Ischl zur Jagd fahrend, ich hatte ihn gesehen, gebeugten Hauptes fromm in der Fronleichnamsprozession zur Stefanskirche schreitend – und an jenem nebligen, nassen Wintertag den Katafalk, da man mitten im Kriege den greisen Mann in der Kapuzinergruft zur letzten Ruhe bettete. ›Der Kaiser‹, dieses Wort war für uns der Inbegriff aller Macht, allen Reichtums gewesen, das Symbol von Österreichs Dauer, und man hatte von Kind an gelernt, diese zwei Silben mit Ehrfurcht auszusprechen. Und nun sah ich seinen Erben, den letzten Kaiser von Österreich, als Vertriebenen das Land verlassen. Die ruhmreiche Reihe der Habsburger, die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich Reichsapfel und Krone von Hand zu Hand gereicht, sie war zu Ende in dieser Minute. Alle um uns spürten Geschichte, Weltgeschichte in dem tragischen Anblick. Die Gendarmen, die Polizisten, die Soldaten schienen verlegen und sahen leicht beschämt zur Seite, weil sie nicht wußten, ob sie die alte Ehrenbezeigung noch leisten dürften, die Frauen wagten nicht recht aufzublicken, niemand sprach, und so hörte man plötzlich das leise Schluchzen der alten Frau in Trauer, die von wer weiß wie weit gekommen war, noch einmal ›ihren‹ Kaiser zu sehen. Schließlich gab der Zugführer das Signal. Jeder schrak unwillkürlich auf, die unwiderrufliche Sekunde begann. Die Lokomotive zog mit einem starken Ruck an, als müßte auch sie sich Gewalt antun, langsam entfernte sich der Zug. Die Beamten sahen ihm respektvoll nach. Dann kehrten sie mit jener gewissen Verlegenheit, wie man sie bei Leichenbegräbnissen beobachtet, in ihre Amtslokale zurück. In diesem Augenblick war die fast tausendjährige Monarchie erst wirklich zu Ende. Ich wußte, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 2./3. Februar 2019 – Gute Zeit

Den Samstag verbrachte ich größtenteils lesend auf der Couch. Morgens hatte ich meine Einkäufe erledigt, dann die erste Kanne Tee des Tages gekocht, irgendwann gab’s die Bundesliga-Konferenz, dann die zweite Kanne Tee, und dann begann ich mit der Netflix-Serie Russian Doll. Vielleicht lag’s daran, dass ich von Samstag auf Sonntag so richtig mies schlief, mit Alpträumen und schmerzhaftem Aufwachen, Angst vor der Dunkelheit (erstmal eine Stunde lesen), dann wieder eingeschlafen und irgendwann gegen 10 arg gerädert aufgewacht.

Gelesen: unter anderem in der FAZ eine Reportage über Christen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die gerade Besuch vom Papst bekommen haben. Leider nur als FAZplus online. Mich kurz wie meine Mama gefühlt, die mir interessante Zeitungsartikel aufhebt und mich telefonisch fragt, ob ich sie haben will, was ich meist entspannt verneinen kann, als ich selbst diesen Artikel für F. aufhob, der gerade vor Ort war. Und ein paar Menschen seiner nicht-deutschen Abstammungshälfte kommen auch im Text vor.

Gefreut über: diesen Instagram-Post der Tate, die sich von einem ihrer Mitarbeiter verabschiedet, der nach 36 Jahren in den Ruhestand ging. Die vermutlich deutlich jüngeren Social-Media-Menschen haben ihn vor seinem Lieblingsbild abgelichtet und ihm ein paar Fragen gestellt, was ich einfach für sehr gelungen hielt.

Gesehen: „Als der Tee in den Norden kam“ beim NDR, danke an @TomInMuc für den Hinweis. Ich wusste nicht, dass der Hersteller meines Lieblingstees der erste Ostfriesenteeproduzent war, und ich wusste auch nicht, dass mein Getränk aus 19 Teesorten besteht. Die Reportage hatte nach wenigen Sekunden gewonnen, als ich genau das gleiche Szenario sah, das ich vor einigen Monaten beim Dallmayr hatte bewundern dürfen: eine anständige Teeverkostung. Tassen und Kännchen sahen genauso aus, und auch hier in München wird mit einer Handwaage abgemessen.

Während des Films hatte ich ein bisschen Heimweh. Der Landkreis Hannnover liegt zwar nicht direkt bei Ostfriesland, aber die Leute hörten sich doch ein bisschen mehr nach Zuhause an als die Menschen hier unten. So nett ich das alles hier finde – ab und zu vermisse ich dann doch die Reetdächer und das Fachwerk und die Ahnung vom Meer. Und dass die Leute „büschn“ sagen, wenn sie „ein bisschen“ meinen.

Noch nicht gelesen, aber mal vorgenommen: das Buch der diesmonatigen Twitlektüre. Quasi ein digitaler Lesezirkel, in dem wissenschaftliche Werke besprochen werden. Ich habe den Account in den letzten Wochen verfolgt und mir jetzt mal das neue zu lesende Buch bestellt. Per Mail an meine Buchhandlung um die Ecke, von wo ich es am Dienstag abholen kann.

Der Sonntag begann, wie oben angedeutet, etwas später als geplant. Ich schaffte es gerade noch zu duschen, zu bloggen und ein bisschen Nutellabrot mit Kaffee zu verspeisen, bevor ich mich in meine acht Lagen Stadionklamotten zwängen musste. Wollte. So irgendwie. Samstag nacht hatte es begonnen zu schneien; als ich morgens aus dem Fenster sah, war alles weiß und ich freute mich eher weniger auf den Weg von der Tram zum Stadion, auf dem man dann vermutlich nass werden würde. Trotzdem wollte ich in Stadion, weil ich hoffte, gegen Mainz mal wieder einen Heimsieg mitansehen zu können. Der letzte von Augsburg war bereits im September gegen Freiburg; seitdem hat die Mannschaft nur noch unentschieden gespielt (wenn wir Glück hatten) oder verloren, auch gegen Gegner, gegen die wir eigentlich hätten gewinnen können oder müssen.

Wir starteten zu viert vom Hauptbahnhof, F. hatte einen Freund aus den USA dabei, und zu uns gesellte sich noch eine unserer üblichen Mitfahrerinnen. Wir beiden stiegen in Augsburg schon an der Haunstätter Straße aus, unser normaler Bahnhof, während F. und Kumpel noch bis zum Hauptbahnhof fuhren, um dort Gepäck einzuschließen. Gleich die erste Tram zum Stadion war fast komplett leer, was entweder hieß, dass wir viel zu früh dran waren oder das Stadion nachher arg leer sein würde (es war so ein Mittelding). Wir zuckelten in Richtung Arena, als die Bahn nach der vorletzten Station plötzlich länger auf freier Strecke hielt. Netterweise in einer Kurve, so dass ich sehen konnte, dass vor uns bereits zwei Trams standen anstatt zu fahren. Im Nachhinein erfuhren wir, dass es wohl gefrorene Oberleitungen waren, die die Trams stoppten. Nach einigen Minuten, in denen ich drei Tram-Fahrer*innen beim Rückwärtsfahren und Diskutieren beobachten konnte, öffneten sich alle Türen und wir mussten den restlichen Weg zum Stadion zu Fuß zurücklegen. Ich freute mich innerlich, dass wir nicht fünf Stationen vorher liegengeblieben waren und stapfte ergeben durch den Schneematsch.

Vor der Arena trennten sich unsere Wege, die Mitfahrerin und ihr Bruder stehen in der Kurve, während ich ja gemütlich auf der Haupttribüne sitze. Der Einlass ging ausnahmsweise blitzschnell, weil noch nicht so viele Leute da waren, aber ich ärgerte mich wieder über eine neue Schikane: Neuerdings gibt es eine Schlange für „Damen mit Handtaschen“. Ich habe keine Handtasche, durch die man sich durchwühlen muss, ich verteile alles Wichtige auf meine Hosen- und Jackentaschen: Dauerkarte, Fresskarte, Semesterticket für München, was immer noch aus Studiausweis, Ticket und Perso besteht, Notfallbargeld, Asthmaspray, Labello (nie ohne!), Taschentuch, Hausschlüssel, Handy. (Ausnahmsweise kein Buch.) Trotzdem drängelte man mich in die Handtaschenschlange, denn ich hatte eine Stofftasche dabei, in der meine Decke war, ohne die ich bei diesen Temperaturen nicht in ein Fußballstadion gehe. Ich hatte schon die letzten beiden Male sinnlos diskutiert, dass das keine Handtasche war und man da nichts nach Pyro oder Schusswaffen durchwühlen musste, sondern nur mit den Händen einmal draufpatschen, um zu sehen, dass da nur weicher Fleece drin ist, aber nein. Die Dame an der Handtaschenschlange patschte dann auch nur einmal auf die Stofftasche, erspürte weichen Fleece und winkte mich nach dem üblichen Abtasten durch. Was für ein sinnloser Scheiß. Vielleicht freue ich mich im Sommer darüber, wenn ich ohne Tasche anstehen muss, aber trotzdem. Der Einlass ist schon nervig genug, macht es doch nicht noch nerviger. Vor allem bei Schnee oder Regen.

Drinnen erledigte ich den üblichen Gang zum Klo, der auch dazu diente, meine Schuhe nochmal festzuschnüren und die letzten Knöpfe an der Jacke zu schließen, die ich beim Rumlaufen immer nur halb geschlossen trage. Halb heißt hier: Ich nutze nur die Haken, die die Jacke zusammenhalten, verzichte aber der guten Luftzirkulation wegen auf die Druckknöpfe, die die Wolljacke richtig dicht machen. Bei 90 Minuten Rumsitzen tut das aber ganz gut, wenn da nichts mehr zirkuliert, sondern ich von meiner Körperwärme profitieren kann.

Danach die übliche Stadionwurst und eine Apfelschorle. Kurz über Punsch oder Glühwein nachgedacht, dann aber doch Schorle getrunken.

Man sieht auf dem Bild den feinen Schneegriesel nicht so gut, der das ganze Spiel über runterkam; beim Spielbericht vom FCA erkennt man ihn etwas besser. Die ursprünglich roten Spielfeldlinien wurden in der Halbzeitpause wieder geweißelt, aber das machte sie auch nicht besser sichtbar. Der Kasper aus der Puppenkiste, der immer das Ergebnis voraussagt, hoffte auf ein 3:1, wir lachten noch, und dann ging es ernsthaft 3:0 aus, wie geil! Im Zug wimmerten wir alle noch, dass wir auch ein dreckiges 1:0 nehmen würden, Hauptsache mal wieder gewinnen, Augsburg steht nur einen Platz vom Relegationsplatz entfernt auf 15, jeder Punkt wäre geil, und so saßen wir nach dem Spiel deutlich entspannter im Zug nach München und erinnerten uns gegenseitig daran, wie angenehm so ein Spielende doch sein kann, wenn man sich nicht aufregen muss. Aufgeregt haben wir uns natürlich trotzdem, denn der Sieg hätte sogar noch höher ausfallen können, da wurden einige Chancen liegengelassen. Andererseits hatten wir in den vergangenen Spielen nicht übermäßig viele Chancen, insofern freute ich mich überhaupt darüber, dass die Mannschaft wieder eine gewisse Ge- und Entschlossenheit erkennen ließ.

Abends die restlichen Folgen von Russian Doll geschaut und sehr mit der Serie zufrieden gewesen. Und noch einen Artikel aus der FAS online gelesen: „Die große Inszenierung“ schreibt über das Ehepaar Lethen/Sommerfeldt, von der letztere im vergangenen Jahr erfolgreich die Geschichte lancieren konnte, dass ihre Kinder der Waldorfschule verwiesen wurden – angeblich wegen der rechten Gesinnung der Mutter.

„Die Kündigung des Ausbildungsvertrages der Kinder zum Schuljahresende 2018 sei nicht „Knall auf Fall“ erfolgt. Grundlage dafür sei ein Beschluss der Generalversammlung des Vereins gewesen, dem langwierige Diskussionen vorausgegangen waren. Manu Knirsch gibt zu bedenken, dass dem Ehepaar Sommerfeld-Lethen „sehr viel Beachtung geschenkt“ wurde, mehr, als es der kleinen Schule gutgetan habe. In einer anderthalbjährigen Auseinandersetzung habe sich die Schulgemeinschaft nahezu aufgerieben. Sommerfeld habe einschlägige Texte über den Mailverteiler verschickt, wogegen sich Eltern verwahrten. Insgesamt bedauert die Schule, dass sie den Vertrag mit der Familie lösen musste. Man habe lange nach Kompromissen gesucht, aber der Mutter sei wohl ihre Weltanschauung wichtiger gewesen als der Schulplatz ihrer Kinder.

Die Rückfragen beim Schulverein lassen die Vorwürfe des Ehepaares Lethen-Sommerfeld also in einem anderen Licht erscheinen. Einige werden entkräftet, in anderen scheinen zumindest unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten auf. Mitunter steht Wort gegen Wort, oder präziser: stünde Wort gegen Wort, wenn die Position der anderen Seite überhaupt erwähnt worden wäre. Die Waldorfschule wurde in der Skandalisierung aber nicht einmal nach ihrer Sicht gefragt.“

1000 Fragen, 21 bis 40

(Ich paraphrasiere Christian: „Die Fragen stammen ursprünglich aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht, und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF erstellt.“)

21. Ist es wichtig für dich, was andere von dir denken?

Die Klassiker-Antwort: kommt darauf an. Ich habe, interessanterweise auch durch das öffentliche Schreiben gemerkt, dass ich es ja, doch, schon gerne hätte, dass mich alle toll finden, es aber unmöglich ist. Und so haben mir doofe Kommentare beigebracht, dass es mir manchmal egal sein muss, was andere von mir denken.

Ich möchte aber immer, dass meine Arbeitgeber*innen, meine Freund*innen und der jeweilige Lebensgefährte mich für absolut großartig halten. Und ich hoffe, ich tue dafür genug.

22. Welche Tageszeit magst du am liebsten?

Den Vormittag. Da bin ich am aufnahmefähigsten, motiviert, neugierig, durchaus auch noch für körperliche Anstrengung zu haben und will Dinge erledigt kriegen, während ich ab dem späten Nachmittag nur noch rumliegen oder kochen will.

23. Kannst du gut kochen?

Ich halte mich für okayen Durchschnitt.

24. Welche Jahreszeit entspricht deinem Typ am ehesten?

Frühling oder Herbst. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Den Frühling mag ich, weil ich endlich wieder fahrradfahren kann (ich fahre nicht auf Schnee), den Herbst mag ich, weil dann bald Weihnachten ist, und ich mag Weihnachten doch so gern, wenn alle ihre Lichterketten in die Fenster hängen.

25. Wann hast du zuletzt einen Tag lang überhaupt nichts gemacht?

Ich kann gar nicht nichts machen. Selbst wenn ich rumliege, lese ich oder schaue Serien oder grübele vor mich hin, was ich machen könnte, wenn mich das Sofa wieder gehen ließe, das gute Ding.

26. Warst du ein glückliches Kind?

Meine Kinderfotos sehen jedenfalls idyllisch aus. Ich kann mich auch an nichts Schlimmes erinnern außer einem eingetretenen Nagel im Fuß auf der Baustelle, aus der später unser Haus wurde, oder ein gebrochener kleiner Finger. Mir ist allerdings erst in meinen Dreißigern klargeworden, dass ich schon immer lieber alleine oder in sehr kleiner Gesellschaft war, lieber zuhause bei meinen Büchern als auf wilden Partys. Das hat etwas gedauert, bis ich mir selber eingestanden habe, dass ich dann wohl so bin und einfach weiter so sein darf und die anderen auf die wilden Partys gehen, wenn ihnen das Spaß macht.

27. Kaufst du oft Blumen?

Ich würde mir gerne dauernd Blumen kaufen, aber das ist eine Ausgabe, die ich mir momentan verkneife. Aber ich liebe Blumen und habe fest vor, meine neuen Balkon damit buntzupflanzen.

28. Welchen Traum hast du?

Gesund alt werden. Alles andere passt dann schon.

Vielleicht nochmal woanders als in München wohnen. Vielleicht noch ein Seniorenstudium.

29. In wie vielen Wohnungen hast du schon gewohnt?

Zehn Häuser/Wohnungen an sechs Orten.

30. Welches Laster hast du?

Ich will ja eigentlich Süßigkeiten nicht als Laster bezeichnen, weil es kein gutes und kein schlechtes Essen gibt, aber mir ist durchaus bewusst, dass ich vermutlich deutlich mehr davon esse als die meisten anderen Menschen. Schmeckt aber so gut! (Deswegen ist es eindeutig ein gutes Lebensmittel, liebe Kinder.)

Ansonsten kaufe ich zu viele Bücher, die ich vermutlich nie lesen werde.

31. Welches Buch hast du zuletzt gelesen?

Ich lese gerade Stefan Zweigs Die Welt von gestern.

32. Warum hast du die Frisur, die du jetzt trägst?

Weil sie praktisch und pflegeleicht ist und mir nicht dauernd Zeug in den Augen hängt. Außerdem steht sie mir natürlich ausnehmend gut.

33. Bist du von deinem Mobiltelefon abhängig?

Ich glaube, wenn ich es nicht mehr hätte, würde es mir sehr fehlen, aber abhängig? Hm. Ich müsste wieder Menschen nach dem Weg fragen, mit dem Walkman Musik hören und nur noch vom Laptop twittern. Klingt machbar für mich.

34. Wie viel Geld hast du auf deinem Bankkonto?

Genug. Netterweise. Da ich aber noch nie im meinem Leben Schulden hatte oder einen Kredit aufnehmen musste und ich beim einzigen Rutschen in den Dispo, weil ich schlicht nicht aufgepasst hatte, schon Atemnot bekommen habe (30 EURO!), spare ich trotzdem, damit auch weiterhin genug drauf ist. Könnte ein Selbständigen-Ding sein.

35. In welchen Laden gehst du gern?

Eigentlich gehe ich in keinen Laden wirklich gerne, weil ich Einkaufen oder Shoppen, wie wir crazy young people sagen, eher als eine Pflicht empfinde und nicht als entspannende Freizeitgestaltung. Aber dafür gehe ich umso lieber in Bibliotheken! Da kosten die Bücher auch nichts!

36. Welches Getränk bestellst du in einer Kneipe?

Bier oder Apfelschorle. Very deutsch. In Restaurants bestelle ich Wein, in Cafés irgendeine Kaffeespezialität mit Milch drin.

37. Weißt du normalerweise, wann es Zeit ist, zu gehen?

Als ehemalige Kellnerin bin ich diejenige, die den ganzen Tisch eine Stunde vor Ladenschluss zum Aufbruch drängt, um bloß nicht der letzte Gast zu sein. Auf privaten Feiern bin ich meist die erste, die geht, weil ich wieder allein sein möchte.

Daher: Nein, vermutlich fehlt mir das Händchen für das gesunde Mittelmaß.

38. Wenn du dich selbständig machen würdest, mit welcher Tätigkeit?

Ich habe mich selbständig gemacht und zwar mit Schreiben. Noch lieber würde ich mich mit Lesen selbständig machen.

39. Willst du immer gewinnen?

Bei Gesellschaftsspielen? Ja, natürlich! Wozu machen wir das denn? Ich schmeiße aber keine Schachbretter mehr aus Wut um, was ich für ein gutes Zeichen halte.

40. Gehst du in die Kirche?

Nicht oft genug. Immer wenn ich da bin, finde ich es sehr schön.

Tagebuch Freitag, 1. Februar 2019 – Solotheater

ES IST SCHON FEBRUAR? WIR HATTEN DOCH GERADE ERST WEIHNACHTEN? Ich fühle mich sehr alt.

Wie immer am 1. des Monats erledigte ich brav Steuerkram, was man als Selbständige halt so macht, was weggearbeitet ist, ist weggearbeitet. Danach war ich für einige Stunden mit privatem Orgakram beschäftigt, bekam zu diesem Thema eine WhatsApp, über die ich sehr betrübt war, aber dafür auch ein paar Mails und DMs, die mich freuten.

Nachmittags las ich Zeitung (ich liege schon wieder hinter dem eigentlichen Zeitungstag zurück, seit ich den Wirtschaftsteil nicht mehr ungelesen wegwerfe, verdammt!) und schaute auf Netflix die Doku zum Fyre-Festival, das im letzten Jahr kurz in meinem Twitterstream aufflackerte. Bisher war ich nur ein bisschen entsetzt gewesen, nach der Doku war ich es sehr und konnte mich kaum zwischen den inneren Hashtags #KriminelleEnergie, #VeryWhitePrivilege, #HumansofLateCapitalism und #BurnItAllDown entscheiden. Meine Schadenfreude mit den angeblich so blasierten Millennials hielt sich in Grenzen, denn erstmal waren das Leute, die Geld für eine Leistung bezahlt hatten, die sie aber sowas von gar nicht erhielten. Ob die Leistung jetzt in meinen Augen komplett sinnloser Scheiß war, tut hier nichts zur Sache.

Immerhin hatte ich abends Zeit, den Kopf wieder klarzukriegen, denn ich ging ins Theater, ausnahmsweise mal alleine. Ich war schon mal alleine im Residenztheater für Kabale und Liebe gewesen, aber ansonsten immer in Begleitung, wenn ich mich richtig erinnere. Aber F. hatte Miranda Julys Der erste fiese Typ bereits gesehen und war gestern eh schon vergeben. Also las ich im Foyer der Kammerspiele, bis sich die Türen öffneten und ich in den Balkon klettern konnte. Ich hatte mir nur die günstigste Kartenkategorie gegönnt, aber die war auch völlig in Ordnung. Ich sah von meiner vorletzten Reihe im rechten Balkon zwar das rechte vordere Drittel der Bühne nicht mehr, aber ich hörte gut, und im Stück kamen genug Einblendungen auf Leinwände vor, die ich komplett sehen konnte, also alles gut.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viel im Theater gelacht und zwei Minuten später Rotz und Wasser geheult zu haben. Also nicht nur die eine Alibiträne, wenn mich etwas rührt, nee, schon so mit Schniefen und Schneuzen. Mittendrin zerrte das Stück bzw. die hervorragende Inszenierung arg an meinen Nerven, wenn ich über Dinge staunte oder mich über sie aufregte (mit oder ohne die Frauen auf der Bühne, denn Kerle gab’s nicht, yay!) oder sie mich ärgerten oder beglückten. Ich saß kaum einen Moment einfach nur da, so gut waren die Dialoge und die Ereignisse, die auf der Bühne passierten und natürlich vor allem die beiden Schauspielerinnen, die Sängerin und die Videokünstlerin. Ich kam fast erschöpft nach zwei Stunden wieder an die frische Luft, so sehr konnte mich die Aufführung fesseln und mitnehmen.

Geht rein, wenn es nochmal läuft. Ganz große Empfehlung.

(Die Nachtkritik-Kritik zum Stück, allerdings voller Spoiler.)

Aus Year of Wonder: Luciano Pavarotti mit „Che gelida manina“ aus La Bohème. Nicht meine liebste Puccini-Oper, ich komme da irgendwie nie rein, aber diese Arie geht natürlich immer. Hach!

Tagebuch Mittwoch/Donnerstag, 30./31. Januar 2019 – ZI und Klangtexturen

Da ich im Moment auf weitere Textvorlagen bzw. Briefings warte, hatte ich am Donnerstag entspannt Zeit, endlich mal wieder ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu gehen. Ich war anscheinend recht lange nicht mehr dort – mich überraschten neue Schließfächer im Vorraum der Bibliothek, und der praktische Tisch in der Mitte, auf dem man sonst sein Zeug schnell ablegen konnte, um Jacke und Rucksack ins Schließfach zu stopfen, war nicht mehr da. Jetzt balanciert man anscheinend alles auf der Fensterbank und hofft, dass der Laptop nicht herunterfällt, während man nach dem 1- oder 2-Euro-Stück sucht, das man zum Schließen braucht. (Habe ich natürlich immer in der Hosentasche.)

Meine geplante Diss hatte sich leider zerschlagen, seit mir die Erben Grossbergs im August mitteilen ließen, dass sie niemand in den Nachlass gucken lassen wollen (ich war nicht die erste, die nachfragt). Das warf mich doch länger aus der Bahn als ich dachte, dann kam der Umzug, dann musste ich gefühlt drei Monate Lampen aussuchen, dann Kekse backen und plötzlich ist es Ende Januar und ich habe seit Monaten nichts für die Diss gemacht. Jetzt aber!

Ich habe inzwischen eine deutlich veränderte Fragestellung im Hinterkopf, weiß aber noch nicht, ob sie trägt. Daher bin ich jetzt wieder beim, wie mein Doktorvater es so schön nennt, „ergebnisoffenem Forschen“ angekommen; ich suche erstmal alles zusammen, was ich so finde und gucke dann, welche Frage sich daraus ergibt. Oder auch nicht. Momentan weiß ich nicht, ob ich mit Protzen alleine eine Diss bestreiten kann, wenn ich mehr will als nur ein kommentiertes Werkverzeichnis zu erstellen – das ginge nämlich halbwegs mit seinem Nachlass und den Archivdokumenten, die ich bisher durchgewühlt habe. Aber das ist natürlich total langweilig, auch wenn es für die Nachwelt bestimmt nett wäre, so eine Übersicht zu haben. In meinem Hinterkopf wird das ein dicker Anhang, aber mehr nicht.

Daher fing ich am Mittwoch wieder einmal von vorn an, indem ich mir ein paar Ausstellungskataloge zur NS-Kunst raussuchte – so viele gibt’s ja nicht – und die Aufsätze las, die ich bisher ignoriert oder nur überflogen hatte. Gerade den Katalog von der problematischen Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ in Weimar 1999, wo NS-Kunst relativ unkommentiert neben DDR-Kunst hing, wollte ich komplett lesen. Der war dann auch deutlich ergiebiger als ich gedacht hatte, gerade weil bei mir im Kopf eben nur die Kontroverse war, aber nicht die eigentliche Intention: die Zeitläufte deutscher Kunst am Beispiel von Weimar abzubilden. Im Katalog klappt das deutlich besser als es vermutlich in den Ausstellungsräumen gelungen ist, auch wenn hier die Zeit vor 1933 ein deutliches Übergewicht hat. Aber genau die fand ich spannend.

Irgendwie landete ich bei der Kulturpolitik der 20er Jahre, die Justus H. Ulbricht in einem Aufsatz gut zusammenfassen konnte, hier ein Ausschnitt. (Das verlinkte Wort musste ich googeln, kleiner Service für alle, denen es vielleicht genauso geht.)

„Nach Kriegsniederlage und Revolution nämlich erwartete man quer durch alle politischen Lager hindurch gerade von Kunst und Kultur identitätsstiftende Impulse für die Gemeinschaftsbildung der in antagonistische Milieus, Parteien, Klassen und Konfessionen gespaltenen deutschen Gesellschaft und stritt sich in diesem Bereich folglich um die Deutungskompetenz für Werte und Normen mit kulturreformatorischem Anspruch. Die ersehnte „Wiedergeburt“ des unterlegenen Reiches als Nation schien sich allein auf dem Wege der Kulturpolitik erreichen zu lassen, glaubte man hier doch an die integrative Kraft eines gemeinsamen Erbes. Die Ankunft des ersehnten „neuen Menschen“ auf Erden versprach man sich – auf der Rechten wie der Linken – von einer ästhetischen Erziehung der Zeitgenossen, in der die mit soteriologischen Hoffnungen überfrachtete Kunst eine zentrale Rolle spielen sollte. Derartige Vorstellungen wurden gerade in der Stadt des klassischen Erbes emphatisch beschworen und zeichneten sich oftmals durch ihre programmatische Politikferne aus – eine in Zeiten beginnender Demokratie folgenschwere Hypothek des deutschen Kulturbewusstseins, die überdies in direkten Konflikt mit den dezidiert politischen Positionen einzelner Avantgardeströmungen geraten musste.“

(Justus H. Ulbricht: „‚Wir wünschen hier kein München-Schwabing‘. Das Staatliche Bauhaus im Spannungsfeld der politischen Kultur Weimars 1918–1925“, in: Kat. Ausst. Aufstieg und Fall der Moderne. Kunstsammlungen zu Weimar, Schlossmuseum Weimar/ Mehrzweckhalle Weimar, Mai bis November 1999, Ostfildern-Ruit 1999, S. 264–272.)

Beim Thema Kunsterziehung las ich Donnerstag gleich weiter, denn darüber hatte ich noch nie nachgedacht: dass natürlich nicht nur die radikale Rechte, sondern auch die Linke und das angeblich unpolitische Bürgertum jeweils eine Agenda hatten – die sie teilweise mit Kulturpolitik durchzusetzen versuchten. Ich las nur in einem Buch, denn das beschäftigte mich für Stunden: Transformation der Kunst: Ziele und Wirkungen der deutschen Kultur- und Kunsterziehungsbewegung von Peter Ulrich Hein. Ich fing im Kaiserreich an, dessen Kulturkritik bzw. die Schriften dazu eine Stoßrichtung hatten: das Anprangern der „Künstlichkeit städtischer Zivilisation, obwohl gerade sie erst die Voraussetzung für eine größere kulturelle Dispostionsfreiheit schafft. Zivilisationskritik bei gleichzeitiger Verfügung über ein romatisches Naturideal gilt als das Grundelement des sogenannten Kulturpessimismus [wie bei Fritz Stern oder Georg L. Mosse].“ (S. 32/33.)

Wir überspringen mal lustig den Ersten Weltkrieg und sind in den 20er Jahren:

„Die gesamte kulturkritische Bewegung ist beherrscht von einer Ablehnung des Parlamentarismus. Indem man um eine „wahre Bildung“, eine „echte Kunst“, eine „unmittelbare Erlebnisfähigkeit“ bemüht ist, also um Werte, vor denen jedes zivilisatorische Provisorium Stückwerk bleiben muss, sind so weitgehende Maßstäbe gesetzt, dass auch ein höchst mittelbarer, unvollkommener und mühseliger Weg politischer Beteiligung als Korrumpierung des hohen, einzig akzeptablen Anspruchs empfunden werden muss.“ (S. 35.)

Und schließlich:

„Die Sprache der Kulturkritik ist voller Andeutungen über eine Zukunft in diesem Sinne, nicht etwa mit konkreten Vorstellungen, sondern sie propagiert eine geistige Haltung als solche, die diese Zukunft gleichsam verkörpert und primär als eine „künstlerische“ begriffen wird. Die Rede ist von einem „neuen Mythos“, einem „unerlösten Gott“ und schließlich auch vom „Kommen des Dritten Reiches“. Dies alles waren nur sehr schwer positiv zu füllende Vorstellungen und weder in einem politischen noch in einem ethischen Sinne konsenstauglich. Ein solcher Konsensus war aber sehr wohl herzustellen: Auf der Ebene einer deklamatorischen Ablehnung und zugleich „genialen“ Überwindung der gegebenen Verhältnisse, die einer wahrhaft großen Nation als unwürdig erachtet wurden. Kulturkritik, Kunst und Patriotismus bildeten auf diese Weise eine ideologische Liaison.“ (S. 36.)

(Alle Zitate: Hein, Peter Ulrich: Transformation der Kunst. Ziele und Wirkungen der deutschen Kultur- und Kunsterziehungsbewegung, Köln u.a. 1991.)

Ich stolperte im Buch allerdings über eine Stelle, in der die Dissertation von ausgerechnet Armin Mohler als „viel beachtet“ bezeichnet, aber nicht weiter eingeordnet wird, nämlich als durchaus problematisches Standardwerk zur konservativen Revolution. (In diesem Zusammenhang musste ich wieder an den unseligen Artikel von Alexander Dobrindt denken, bei dem ich mir bis heute nicht sicher bin, ob er den Begriff letztes Jahr bewusst oder unbewusst benutzt hat; hier ein Faktenfinder-Artikel dazu, in dem auch Mohler erwähnt wird.) Heins Buch ist von 1991, die Diskussionen damals waren vermutlich andere als heute, allerdings hatten wir gerade den Historikerstreit hinter uns, und so lese ich jetzt etwas vorsichtiger weiter.

Abends lauschten F. und ich dann dem Münchner Kammerorchester – und waren nicht ganz so begeistert wie sonst. Es begann sehr faszinierend mit Iannis Xenakis’ Aroura für 12 Streicher von 1971. Ich überlegte die ganze Zeit, wie man diese Musik beschreiben konnte und fand im Programmheft das perfekte Wort dafür: „Klang-Textur“.

Dann kam das Stück, weswegen ich eine Karte hatte haben wollen: Kammermusik Nr. 4 op. 36/3 für Violine und größeres Kammerorchester (1925) von meinem derzeitigen Spezl Paul Hindemith. Das überforderte mich aber, warum auch immer, gegen Atonales habe ich ja gar nichts, siehe Xenakis, aber irgendwie haderte mein Kopf. Ich habe mir das Stück für den Blogeintrag noch ein weiteres Mal angehört und heute morgen komme ich damit weitaus besser klar. Vielleicht war mein Hirn vom Lesen müde.

Nach der Pause gab’s Brahms, und ich dachte im Vorfeld noch, och, Brahms, na gut, nehmen wir den halt noch mit, aber nach dem sperrigen Hindemith (der mir beim zweiten Hören gar nicht mehr sperrig vorkommt) freute ich mich dann doch auf was Braves. Brav war’s. Leider war’s auch langweilig. Die Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 von 1860 vermochte mich im ersten Satz noch zum freundlichen Mitnicken zu bewegen, aber in Satz 2 bis 4 war ich damit beschäftigt, Scheinwerfer zu zählen (wir saßen in der letzten Reihe), mir die bunte Decke anzugucken und zu versuchen, nicht einzunicken. Die zwei letzten Sätze hüpften dann schnell und belanglos an uns vorbei und wir wollten dringend nach Hause. Dort wartete leider kein Sekt mehr auf uns, wie ich vor dem Losgehen entsetzt festgestellt hatte, als ich eine Flasche kalt stellen wollte. Ich. Habe. Nichts. Blubberiges. Im. Haus! Das ist seit ungefähr zehn Jahren nicht mehr vorgekommen und ich bin darob sehr verstört. Aber wie F. abends am Küchentisch nur noch müde sagte: „Der Brahms hat dem Abend irgendwie den Stecker gezogen.“ Und so gingen wir einfach ohne Absacker und große musikalische Diskussion ins Bett.