Tagebuch, Donnerstag, 5. Juli 2018 – Schreibtischtag

Morgens war mal wieder ein Blutbild fällig. Zu meiner Hausärztin gehe ich auch deshalb gerne, weil ihre Mitarbeiterinnen mit Spritzen umgehen können. Eine von beiden hatte vor ein paar Jahren vermutlich noch nicht ganz so viel Erfahrung, und als sie nach meinen unsichtbaren Venen suchte, bat sie doch lieber ihre Kollegin an die Spritze, anstatt an mir rumzustochern. Das wusste ich sehr zu schätzen. Gestern zapfte sie mir dann erstmals ruckzuck Blut ab und das, wie ich heute morgen feststellen darf, ohne einen blauen Fleck zu hinterlassen, der bei mir eigentlich immer Standard ist, ganz egal, wie professionell da jemand in meiner Armbeuge hantiert.

Ich musste an eine Klinik in Hamburg denken, zu der ich mal zur Blutabnahme geschickt wurde. Die machen quasi nichts anderes, das war Blutabnehmen im Akkord. Dementsprechend guckte die Dame auch nur auf meine Arme, tastete nicht mal, zückte die Nadel und piekste mich blitzschnell und völlig schmerzfrei. Ich brachte meine Freude und mein Erstaunen darüber irgendwie verbal zum Ausdruck – und sie rollte nur mit den Augen, so nach dem Motto, pfft, das ist doch nix. Ich hätte ihr gerne gesagt, doch, das ist ne Menge, jemandem keine Schmerzen zufügen zu müssen und anscheinend echt gut im Job zu sein. Bis auf das Verhalten der Patientin gegenüber vielleicht, daran könnte man noch mal arbeiten. (Gibt es ein deutsches Wort für bed-side manners?)

Das Mehrfamilienhaus, in dem ich wohne, wird neu gestrichen. Dafür begannen an Montag freundliche Herren, ein Gerüst aufzubauen, das bis gestern in den sechsten Stock wuchs. Ich war sehr überrascht davon, wie schnell das ging. Und mir wurden immer Dinge aus dem Weg geräumt, als ich mit dem Rad durch den Hof musste. Dankeschön!

Was ich am heimischen Schreibtisch in den letzten Tagen gelernt habe: EIN BOHRER IN DIE HAUSWAND IST ECHT LAUT! Und es ist komisch, wenn plötzlich jemand im fünften Stock an deinem Fenster vorbeispaziert. Ich habe jetzt quasi ein doppeltes Fensterbrett, auf das seit heute nacht gar lauschig der Regen prasselt. Leider nicht so laut wie ich gehofft hatte; ich mag das Regengeräusch doch so gerne.

Regen heißt aber auch: Ich muss die irre Spannung, welche Farbe es denn nun wird, noch ein paar Tage aushalten. Vermisse das Gelb jetzt schon.

Nach dem Besuch bei der Ärztin war ich wieder im Teahouse, um meine Nilgiri-Vorräte aufzustocken. Die beiden Tütchen vom Dallmayr und eben vom Teahouse waren längst alle, weil ich das Zeug gefühlt eimerweise trinke. In den letzten Tagen hielt ich mich mit Earl Grey über Wasser, aber gestern war die Zeit gekommen, erstmals in meinem Leben ein ganzes Pfund Tee zu kaufen. Keine kleinen Tütchen mehr, nix da!

Eigentlich wollte ich auch eine große Dose dazu haben, aber die freundliche Dame hinter der Theke meinte, große Dosen wären nur dann gut, wenn der Tee nicht lose darin läge, sondern in einer Tüte, die man verschließen könne. Sonst käme ja immer noch Luft an den Tee und das sollte es ja möglichst nicht. Gerade eine so große Dose sei nicht empfehlenswert. Das fand ich nett, dass sie mir 20 Euro ausredete.

Jetzt liegt mein Korakundah in einer schicken 100-g-Dose, die ich aus der großen Tüte immer wieder auffülle. Die kleine Dose steht im Regal, wo sie hübsch aussieht, die große Tüte liegt im Schrank in einer hässlichen Plastikdose, die aber auch ihren Job macht.

Den Rest des Tages verbrachte ich am Schreibtisch mit der Grossberg-Diss. Die Verfasserin hatte einen anderen Ansatz als den, den ich ausarbeiten möchte, insofern glaube ich, dass ich noch an ihre Arbeit anlegen kann. Sie hat die Bilder Grossbergs sehr ausführlich beschrieben und sie in Themengebiete zusammengefasst, ordnet sie aber äußerst sparsam in den historischen Kontext ein. Klar erwähnt sie das Bauhaus, das Deutsche Reich in den 20ern, aber spätestens ab den 30ern wird das sehr dünn. Insofern ist genau meine Baustelle noch offen. Daher bin ich doch etwas zuversichtlicher als vorgestern, dass ich noch eine neue Forschungsleistung für Grossberg erbringen kann. Auch wenn sie viele Fragen schon beantwortet hat, die sich mir während meiner bisherigen Recherche gestellt haben.

Ich suche meinen Gesamtverlauf des Browsers gerne einen Tag später nochmal durch, ob ich was Schickes gelesen habe, das ich euch hier weiterempfehlen möchte. Gestern habe ich mich bis auf wenige Ausnahmen echt nur auf Seiten rumgetrieben, die was mit der Diss zu tun hatten: Bibliotheken, Archive, digitalisierte Zeitschriften, Auktionshäuser, Bilddatenbanken, die Wikipedia. Das hat mich dann doch selbst etwas überrascht.

Abends lecker Curry mit F., einen sehr wohlschmeckenden Perlwein vom neuen Lieblingsweingut hinterher (zum Curry ging er leider nicht), auf den ich mich seit seiner Lieferung mittags gefreut hatte, gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch, Mittwoch, 4. Juli 2018 – Letzte Sitzung vor den Klausuren, die mir seit zwei Semestern egal sind, ha!

Um zehn saß ich brav im Hörsaal, wo die letzte Sitzung der Eichhörnchenvorlesung stattfand. Oder wie sie richtig heißt, die Vorlesung zu Materialien der modernen Malerei. Der Dozent hatte sich für diese Stunde einen Gast eingeladen, dessen Namen ich mir leider nicht notiert habe, aber der gute Mann promoviert gerade zum Thema Fotografie. Genau dazu referierte er auch eine gute Stunde, ich notierte mir wie immer Bücher oder Aufsätze, die für mich spannend klangen, und nebenbei blitzten im Kopf wieder Dinge auf, die für meine Dissertation wichtig sein könnten. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie genau der Referent mich in diese oder jene Richtung schubste bzw. was genau er sagte, denn das hatte alles gar nichts mit meinem Thema zu tun, aber inzwischen genügen irgendwelche Reize und mein Kopf legt an die Diss Fragezeichen an, die ich jetzt notgedrungen beantworten muss. Will. Werde. (Hoffentlich.)

Danach sagte der Dozent noch kurz was zur Klausur, ich klinkte mich geistig aus, auch bei den üblichen Fragen, die nach der Erklärung kamen und die nie was bringen. Zum Abschluss wurde ich dann aber wieder hellhörig, denn der Herr meinte, dass eine Kollegin ihm gesagt hätte, dass Teile seiner Vorlesung verbloggt worden wären – das hätte ihn sehr gefreut und seine Tochter auch, die habe das gerne gelesen und wüsste nun, was ihr Vater eigentlich genau macht.

Ich wollte nach der Stunde eh runtergehen und mich persönlich bedanken. Ich war zur Vorlesung nicht angemeldet, weil ich als Doktorandin eingeschrieben bin und daher keine ECTS-Punkte mehr sammele, weswegen ich nicht den üblichen Link zur Evaluation der Lehrkräfte zugeschickt bekam, unter dem ich sonst immer lobhudele wie nichts Gutes. (Meistens jedenfalls.) Also wollte ich das persönlich erledigen und hatte nun auch einen Gesprächsanfang: „Ich bin das Blog.“ Der Dozent meinte, dass meine Art der Vorbereitung – Dinge verbloggen – vermutlich eine effektivere Klausurvorbereitung war als das blöde Auswendiglernen der Folien, die er eh nur als „Fragment“ ansieht. Den Gedanken hatte ich beim Bloggen auch schon mal. Ich meinte, dass ich, gerade weil ich nicht für die Klausur lerne, sondern mir fürs Blog nur die großen Bögen gemerkt oder aufgeschrieben habe, auch anders zugehört hatte. Solange ich wusste, dass ich abgefragt werde, habe ich zehn Semester lang bei jedem Fakt überlegt, ob der wohl klausurrelevant sein könnte … ach, lieber zuviel als zuwenig aufschreiben. Das war bestimmt kein Fehler, aber ich merke jetzt, in der ersten Vorlesung ohne Abschlussklausur, dass ich dem Dozent viel aufmerksamer, weil unselektiver zugehört habe. Ich habe warten können, bis ein Gedanke abgeschlossen war und konnte mich dann entscheiden: Will ich das im Blog teilen oder ist das zu spezifisch für meine Leserschaft? Ist das wirklich so interessant, skurril, spannend, dass damit auch Leser*innen etwas anfangen können, die mit Kunstgeschichte sonst weniger am Hut haben? Anders ausgedrückt: Will ich mir das selber merken oder will ich hier nur sitzen und zuhören und dem Zufall vertrauen, was mein Kopf davon behält? Das ging bei den bisherigen Vorlesungen nicht – und wie ich schon ahnte, habe ich mir von diesem Semester weitaus mehr gemerkt als in den zehn Semestern vorher. Ich hatte immer auf die Klausur hingelernt und danach alles wieder vergessen. Durch das Aufschreiben im Blog – also der selbstgewählten Wiederholung des Stoffes, den ich dazu auch noch so aufbereiten musste, dass man ihn versteht, auch wenn man nicht in der Vorlesung saß – merkte ich mir viel mehr als jemals zuvor. Neulich stolperte ich in einer NS-Publikation über die Analogie von Mensch und Technik, also dass technische Hilfsmittel Verlängerung des menschlichen Körpers seien und konnte grinsend feststellen, alter Hut, die Idee hatte im 19. Jahrhundert auch schon jemand, das habe ich schon am Anfang der Vorlesung gelernt.

Nach der Vorlesung radelte ich in die UB, wo drei dicke Bücher in der Ausleihe auf mich warteten und ein äußerst schmales in der Fernleihe, das ich auch nur in den Lesesaal mitnehmen durfte. Der bisher kürzeste Ausstellungskatalog zu Grossberg stammt von 1960, hat sechzehn Seiten und liegt sonst wohlbehütet in der Unibibliothek Stuttgart. (Ich gucke immer interessiert auf die Buchstempel und winke im Geist in die anderen Bibliotheken. You rock!) Dort fand ich sehr hilfreiche Zitate und Hinweise, notierte mir brav alles und gab den Katalog dann wieder ab. Gute Heimreise, kleines Bändchen!

Ich holte noch ein weiteres Buch aus der Stabi und verglich kurz: die Dissertation aus der UB hat über 500 Seiten, zwei Bände und wiegt gefühlt zwei Kilo. Die aus der Stabi ist nur DIN-A5-groß, hat gute 200 Seiten und wiegt nicht mal ein Pfund. Team kürzere Dissertationen! Immer an die ausleihenden Studis denken, die auf Rädern unterwegs sind und Puddingärmchen haben!

Die 500-Seiten-Diss beschäftigte mich dann den Rest des Tages. Sie hat leider ein bisschen mein inneres Gleichgewicht ruiniert, denn in ihr finden sich gefühlt dutzende von Dingen, die ich im Nachlass herausfinden wollte. Den hat anscheinend doch schon einmal jemand durchwühlt und zwar nicht der Herr im Katalog 1976 und auch nicht die Tochter Grossbergs im Katalog 1994 (der letzte große zu ihm), die beiden Auswertungen kannte ich, vermisste aber für mich wichtige Infos. Die fand ich teilweise hier in der Diss von 1990. Das ist zwar einerseits toll – ich hatte mit einigen meiner Theorien fett recht –, aber andererseits total doof, denn das wollte ich doch alles rausfinden und erstmals publizieren. Außerdem finden sich hier Dinge, die in allen Publikationen danach zu Grossberg anscheinend komplett ignoriert wurden, und ich frage mich seit gestern, ob das bewusst passiert ist oder einfach niemand diese Diss gelesen hat. Einen elementaren Fakt zu Grossbergs Leben, den ich hier nicht ausplaudern will, habe ich so noch nirgends gelesen und wundere mich daher seit gestern arg.

Ich habe gestern nicht alle 500 Seiten geschafft, weil ich mit dem für mich wichtigen Teil begonnen hatte (Ende 20er Jahre bis zu seinem Tod 1940), aber heute lese ich den Rest, und dann muss ich sehr gut nachdenken, ob meine Diss überhaupt noch funktioniert. Momentan glaube ich ja, denn die Verfasserin hatte eine andere Zielrichtung als ich, aber das hat mich gestern doch kurz aus der Bahn geworfen.

Aber ich hatte immerhin frisch gebackenenes Buttermilchbrot zur Aufheiterung, das ich gestern teilweise zu einem ordentlichen Steak Sandwich mit Paprika und Zwiebeln verwandelte. Da ich dazu keinen gesonderten Blogeintrag schreiben werde, hier die Zutaten: 585 g Weizenmehl, Type 550, 205 g Wasser, 200 g Buttermilch, 12 g Salz, 0,5 g Frischhefe. Zubereitung wie das Weizenbrot ohne Buttermilch. Bitte kaufen Sie dieses Backbuch, es macht sehr glücklich.

Spinat-Parmesan-Knödel mit Ofentomaten

Eigentlich gehört auch noch Salbeibutter ans Rezept, aber ich hatte und wollte keinen Salbei. Und einen Zweig Rosmarin für die Tomaten hatte ich auch nicht, aber dafür spontan gekauften Spinat, weswegen ich dieses Rezept ergoogelte. Das kommt auf die Liste fürs erneute Kochen, das war nämlich gut gegoogelt.

Für acht eher kleine Knödel (also nicht die bayerische Semmelknödelgröße, eine international bekannte Einheit, wie ich glaube).

250 g altbackene Brötchen (bei mir Weizenbrot) fein hacken.
1 Zwiebel sehr fein hacken und in
1 EL Butter glasig dünsten.

140 ml Milch erhitzen (nicht kochen), mit
Muskat und
Salz würzen. Mit der Zwiebelbutter über das Brot geben. Gut durchmischen und abgedeckt 15 Minuten quellen lassen.

Blattspinat waschen und von Strünken befreien, so dass 300 g dabei herauskommen. (Sagt jedenfalls das Rezept. Ich habe die Hälfte vom Rezept gemacht und hatte statt 150 g Spinat nur gut 100 und das hat auch gereicht). Den Spinat in reichlich kochendem
Salzwasser für 30 Sekunden blanchieren und sofort in
Eiswasser abschrecken. Gut abtropfen lassen, dann sehr gut ausdrücken und fein hacken.

2 Eier verquirlen,
40 g Parmesan reiben. Wenn die 15 Minuten Quellzeit rum sind, beides plus den Spinat in die Brotmischung geben und alles zu einem Teig verkneten. Acht Knödel formen und diese mit einem feuchten Tuch abgedeckt 15 Minuten ruhen lassen.

In einer feuerfesten Form
450 g Strauchtomaten (wer mag, lässt die Rispen dran) waschen, abtrocknen und mit
3 EL Olivenöl,
2 Zweigen Rosmarin (bei mir gerebelt),
2 angedrückten Knoblauchzehen,
2 Lorbeerblättern sowie
schwarzem Pfeffer und
Meersalz mischen. Im auf 180 Grad vorgeheizten Ofen auf der zweiten Schiene von unten für 20 Minuten backen, bis die Tomaten weich sind.

Reichlich Salzwasser aufkochen. Die Knödel nach der Ruhezeit hineingeben, die Hitze sofort reduzieren und für 15 bis 20 Minuten knapp unter dem Siedepunkt garziehen lassen. Mit einer Schaumkelle herausnehmen, kurz abtropfen lassen und mit den Ofentomaten servieren. Wer mag, reibt noch etwas Parmesan darüber (mag ich immer).

Wie gesagt, keine Salbeibutter bei mir, dafür einfach ein bisschen Butter mit Olivenöl erwärmt und fertig. Das fand ich auch sehr nötig; der weiche Buttergeschmack fängt die Säure der Tomaten gut ein und hat für mich alles sehr rund gemacht. Außerdem sind Knödel ohne Sauce, wie wir wissen, einen Hauch trocken, trotz des schönen Spinats.

Tagebuch, Montag, 2. Juli 2018 – Stabi, Fuppes, Weizenbrot

Morgens zur Stabi geradelt, dabei wie üblich Monologe mit Autofahrern geführt: „Ja, klar, blink halt nicht, passt schon … nee, fahr ruhig bis an meinen Hinterreifen an der Ampel, dann bin ich garantiert schneller weg … ach, Sicherheitsabstand, das ist doch was für Anfänger, hast recht …“

Tief durchgeatmet, mich nicht ärgern lassen, auch nicht von den Radler*innen, die an einer Baustelle mal eben den Fußweg benutzten, ohne abzusteigen (ja, Kinder, das ist auch scheiße), an der Stabi aber schon keinen Platz mehr an den Fahrradständern gefunden, so voll war es morgens bereits. Mir fiel ein, dass das Semester ja gerade in die Endrunde geht – die Termine habe ich gar nicht mehr im Kopf, seit ich mich nicht mehr für Prüfungen anmelden oder Klausuren schreiben muss. Nur noch zwei Wochen, dann ist mein zweites Promotionssemester schon wieder rum bzw. die Zeit der Vorlesungen in diesem Semester. Nur noch eine Eichhörnchensitzung!

In der Stabi zwei Jahrgänge der Straße aus meinem Regal gezerrt und darin Aufsätze über die künstlerische Auseinandersetzung mit den Reichsautobahnen nachgelesen, die ich in Ansätzen schon aus anderen Werken kannte. In meiner üblichen Fußnotenfaszination über Paul Bonatz, einen der Hauptverantwortlichen für den Brückenbau der Autobahnen, gestolpert und über ihn ein paar Aufsätze gelesen, ich hab ja Zeit. Ein Zitat von ihm ist mir im Gedächtnis geblieben, ich las es, als ich gerade im ZI saß: Er meinte, die Architektur des „Dritten Reiches“ wäre quasi komplett Schrott, aber die beiden Führerbauten am Königsplatz in München seien wirklich gut gelungen. Als jemand, der dauernd in einem dieser Bauten sitzt, nicke ich das mal ab.

Außerdem blätterte ich in einigen Ausstellungskatalogen über die Neue Sachlichkeit und war wie immer hingerissen. Ich glaube, ich habe meine künstlerische Heimat gefunden. Aus Neugier und Interesse treibe ich mich in den späten 30ern herum, aber die 20er schaue ich mir immer gerne an. Praktisch, dass ich den Zeitumfang meiner Diss mal auf 1925 bis 1940 gesetzt habe, best of both worlds.

Neben mir blätterte eine junge Dame in diversen Jahrgängen der Brigitte und ich guckte ab und zu mal rüber – meist, wenn sie einen Karton öffnete, in dem ein Jahrgang lag, denn dann schwappte eine Welle modriger Luft zu mir rüber. Die Straße hat nicht so gestunken. Ich lasse das mal so stehen. Der junge Herr rechts von mir blätterte in gar nichts, er guckte sehr lange stumm auf irgendwelche Notizen, legte dann seinen Kopf auf seine Arm und ruhte sich ein bisschen aus.

Im Scanraum der Stabi gelernt: Man kann bei Overheadscannern die Platten, auf denen man die Bücher ablegt, seitlich hochklappen, so dass die Bücher nicht ganz flach liegen – gut fürs Buch (oder für einen Jahresband von Nazikram) und der Scan ist trotzdem plan. Wieder fasziniert von dieser Technik gewesen – und mich verschämt daran erinnert, dass ich bei der ersten Benutzung dieser Dinger die Bücher mit dem Schriftbild nach unten auf die Platten gelegt hatte, wie man das von Kopierern halt kennt und mich gewundert habe, dass ich immer nur den schwarzen Einband auf dem Vorschaubild hatte.

Pünktlich zum Fußball zuhause gewesen, es aber nicht ertragen, Brasilien zuzugucken bzw. Neymar. Nebenbei Zeitung gelesen … oder nee, Zeitung gelesen und nebenbei stumm den Livestream laufen lassen. Das Daumendrücken für Mexiko hat nicht geholfen. Vor dem nächsten Spiel Masterchef Australia geguckt, dann erstaunt Japan zugeschaut und mich über die schöne, ruhige Hymne gefreut. Immerhin waren hier meine Daumen auf der Seite der Sieger.

Mich den ganzen Tag von Cold Brew und belegten Broten ernährt, mein Weizenbrot hält sich sehr gut, wird nicht trocken und schmeckt auch nach Tagen noch super. Im Kühlschrank steht schon Buttermilch fürs nächste Rezept aus dem tollen Backbuch.

Was schön war, Sonntag, 1. Juli 2018 – In der Puppenkiste

Als ich das erste Mal zum Fußball mit nach Augsburg kam, spielte F. den Fremdenführer und wies mal hierhin, mal dorthin, was es da alles gab im Fuggerstädtchen, ich nickte und hatte keine Ahnung, und dann kam irgendwann der Satz: „Und da hinten geht’s zur Puppenkiste.“ Und ich so: „Wie, die Puppenkiste? Die gibt’s wirklich?“

Für mich war die Augsburger Puppenkiste ein Fernsehstudio in Köln, in dem Jim Knopf und Lukas wohnten und dann übers Plastikplanenmeer nach Lummerland fuhren. Aber nein, es gibt wirklich ein Theater in Augsburg, das 1948 eröffnet wurde und wo zum Beispiel der Räuber Hotzenplotz seit 1966 die Kaffeemühle der Großmutter klaut. Und genau das schauten F. und ich uns gestern an.

Wenn ich alleine dagewesen wäre, wäre ich vermutlich am Theater vorbeigelaufen, denn es befindet sich in einem ehemaligen Spitalgebäude – übrigens von Elias Holl, den ich aus dem Studium kannte; den Goldenen Saal im Augsburger Rathaus hatte ich mal in einer Vorlesung gesehen. Eine unscheinbare Tür führt in einen kleinen Vorraum, in dem es eine Garderobe gibt, ein Café, das aus geschätzt zehn Tischen besteht und einer kleinen Merchandisinginsel, wo man neben Shirts, Büchern und Postkarten auch die bekanntesten Marionetten kaufen kann. Von der Puppenkisten-Website habe ich gelernt: Jim und Lukas wohnen wirklich nur im Fernsehen, dieses Stück ist als Bühnenproduktion viel zu aufwendig.

Nebenbei bin ich jetzt schon gespannt darauf, welche Marionette in der nächsten Bundesliga-Saison anstatt eines Wimpels an den Kapitän der Gastmannschaft übergeben wird, die gerade beim FC Augsburg spielt; in der abgelaufenen Saison war es ausgerechnet der Hotzenplotz – natürlich stilecht mit einem grünweißroten Fanschal um den hölzernen Hals.

F. kannte das Theater schon, ich wie gesagt nicht, und ich war unerwartet aufgeregt, als wir in den Gewölbesaal traten und in der dritten Reihe Platz nahmen. F. hatte die Karten schon im letzten September gekauft; die Dinger sind so schnell weg wie Karten für die Bayreuther Festspiele, aber deutlich günstiger. Er hatte auch brav darauf geachtet, möglichst weit vorne zu sitzen, denn, wer hätte es gedacht, die Kiste ist quasi wirklich eine Kiste. Die Bühne ist winzig, und ich habe keine Ahnung, ob man in der letzten, der 20. Reihe, überhaupt noch was sehen kann. Ich war schon gerührt, bevor es überhaupt losging, denn die Flügel der Kiste kannte ich natürlich aus dem Fernsehen und war gespannt, ob sie sich wirklich seitlich öffneten oder einfach nach oben weggezogen wurden.

Sie öffneten sich seitlich, wie es sich gehört und ich verdrückte ein kleines Tränchen, ich Marionettenmemme.

Im ersten Bild singen der Kasperl und der Sepperl der Großmutter ein Geburtstagsständchen. Den Kasperl kenne ich auch aus dem Stadion; er sagt immer das Spielergebnis voraus, meist allerdings falsch. Deswegen war ich sehr über die Theaterstimme des Kasperl irritiert, denn sie war anders. Das lag daran, dass wir gestern ernsthaft noch die Sprechstimmenaufnahmen von 1966 hörten – so wurde der Zauberer Petrosilius Zwackelmann (Petersilius Wackelzahn) vom Puppenkistengründer Walter Oehmichen eingesprochen, der seit 1977 tot ist. Aber warum auch Dinge ändern, die anscheinend seit 50 Jahren funktionieren? Ich hatte erwartet, dass die ganzen Kinderscharen um uns herum, die mit iPads und Laptops groß werden, nicht mehr von Holzpuppen an deutlich sichtbaren Schnüren fasziniert werden können, aber damit lag ich tollerweise total falsch. Sobald sich der rote Vorhang hinter den Kistenflügeln öffnete, war Ruhe im Saal (bis auf die stets blubbernden Kleinstkinder, aber das muss so) und die Kinder lachten über die gut platzierten Witze genau wie ich, erfreuten sich genau wie ich daran, dass Zwackelmann von einem Besen verkloppt wird oder dass ein Schnupftabaksack plötzlich Beine hat und staunten genau wie ich lautstark über ein besonders dramatisch ausgeleuchtetes Bühnenbild (der Unkenpfuhl! Huuuuh! Ich will die Unke als Marionette!).

Zwischen den einzelnen Bildern ging der Vorhang immer kurz zu – und sofort begannen die Gespräche um uns herum. „Mama, wieso hat der Kasperl …“ „Willst du dem Papa erzählen, was der Räuber gemacht hat?“ und ähnlich. Ich ahne, dass die Umbaupausen auch dazu da sind, damit man kleinen Kindern notfalls noch schnell erklären kann, was da gerade passiert ist. Das schien zu funktionieren, die Gespräche brachen immer sofort ab, sobald der Vorhang sich wieder öffnete. Das Publikum war übrigens geschätzt nur zur Hälfte im Kindesalter, wenn überhaupt. In der ersten Reihe saß zum Beispiel ein kleiner Junge, dem sich gleich vier gut gelaunte Erwachsene als Begleitperson angedient hatten.


(Deko auf dem Merchandisingstand.)

Was mich überraschte: Die Marionetten waren deutlich kleiner als ich dachte. Aber klar, wenn man als Puppenspieler*in eine 80-Zentimeter-Puppe bewegen muss, ist das vermutlich irre anstrengend und vor allem schwer zu koordinieren. Was ich auch lustig fand und mich an meine erste Ballettaufführung denken ließ: dass man das hölzerne Geklapper der Füße auf dem Bühnenboden hört. Daran musste ich mich erst gewöhnen, wie auch an das für meine Ohren immer noch anstrengende Augsburger Schwäbisch. Mit Bairisch komme ich inzwischen halbwegs klar, aber in Augsburg wird eher geschwäbelt. Und dann auch noch, wie F. es nannte, eher maulfaul. Vieles wird verwischt oder verschluckt, weswegen ich mich in der Pause beschwerte, dass das total fies gegenüber uns armen Norddeutschen ist. F. nur so: „Dann baut’s eich halt selba a Puppakischt.“ Werde den Mann jetzt ins Ohnsorg-Theater schleppen müssen. Oder in irgendwas Plattdeutsches. Im Programmheft steht übrigens eine Übersetzung für viele Ausdrücke, aber davon hat man leider während der Vorstellung nichts. Gerade den Sepperl, der auch noch betont doof sprach, habe ich kaum verstanden. Außer bei einem seiner Lieder, aber der Reim war auch idioten- bzw. norddeutschensicher, der ging ungefähr so: „Ich bin das arme Sepperle, ich bin ein kleines Depperle.“ Aus dem Programmheft übernehmen werde ich aber ab sofort den Ausdruck „Simpelfranzn“ für „Stirnhaare mit waagrechter Schnittlinie.“

Die Vorstellung dauerte knapp anderthalb Stunden, wobei es nach knapp einer Stunde eine Pause gab. Danach wurde der Zauberer verprügelt, aus der wirklich tollen Unke wurde eine total langweilige Fee, der Zauberer fiel in die Hölle, der Hotzenplotz wurde aus einem Gimpel wieder zu einem Mensch verwandelt und zum Schluss kriegten alle, auch der Wachtmeister Dimpflmoser, von der Großmutter einen anständigen Zwetschgendatschi. Der Vorhang fiel und die Klappe schloss sich blitzschnell. Keine Verbeugung der Marionetten oder sogar der Spieler*innen. Letzteres findet wohl bei den Vorstellungen für Erwachsene statt, aber bei den Stücken für Kinder ist das Ende sehr kurz und schmerzlos. Ich fand das ein bisschen schade, aber andererseits: Wenn man als Kind noch nicht die Theatererfahrung gemacht hat, dass sich am Ende alle verbeugen, dann muss das ja auch nicht sein.

Leider war die Kasperleampel in der Nähe des Theaters gestern nicht eingeschaltet, die hätte ich auch gerne noch gesehen. So trösteten wir uns mit Guinness und Kilkenny und eher mäßigen Pommes in einem Biergarten um die Ecke, sahen das Elfmeterschießen von Spanien und Russland und fuhren gemütlich (g’miatlich) mit dem Regionalzug wieder nach München.

Das war sehr ungewohnt, mal ohne Stadionklamotten nach Augsburg zu fahren, aber wirklich schön. Die Puppenkiste. Es gibt sie wirklich.

Tagebuch, Samstag, 30. Juni 2018 – Kopf runterfahren

Seit Tagen merke ich an mir, dass mir Namen nicht mehr einfallen. Nach den ersten Gedanken in Richtung ALZHEIMER GEHIRNTUMOR NÄCHSTES JAHR WIRST DU 50 fällt mir dann meistens ein, dass ich seit der Abgabe der Masterarbeit im letzten Juli keinen Urlaub mehr hatte. Ich war mit F. im Juli 2017 für zwei Tage in Kassel auf der documenta und dann im Februar ein hektisches Wochenende in Frankfurt, um noch die Weimar-Ausstellung in der Schirn mitzukriegen, aber ansonsten war ich nicht wirklich weg aus München. Ein paar Hamburg-Trips, teils beruflich, teils privat, meistens halbe-halbe, ein langes Wochenende in der alten Heimat bei den Eltern, was nie Urlaub ist, sondern eher Stress – netter Stress, aber Stress – und einen halben Tag in Halle auf dem Rückweg kommen noch dazu. Ansonsten habe ich mich nie wirklich ausgeruht und den Kopf aus allem rausgezogen. Direkt nach der MA-Arbeit garantiert, da ging auch nichts mehr, aber auch das fand auf dem heimischen Sofa statt und unter dem Vorzeichen „Du musst jetzt wieder Werbung machen, sonst sitzt zu in einem Jahr im alten Kinderzimmer, weil du München nicht mehr finanzieren kannst.“ Auch nicht unbedingt entspannende Vorzeichen.

Seit Januar diesen Jahres bin ich wieder eher Texterin als Doktorandin, was immerhin das letzte Problem deutlich verkleinert hat. Dieses Jahr ist locker finanziert und ein paar Reserven für das nächste konnte ich auch schon zurücklegen, wie man das als Selbständige halt macht. Trotzdem hoffe ich ein bisschen darauf, dass noch ein paar mehr Jobs reinkommen, denn dann kann ich auf der Baustelle wieder ruhig schlafen.

Wenn ich nicht für Geld am Schreibtisch gesessen habe, tat ich das für Luft, Liebe und Wissenschaft (Bloggen, rührselige DMs an F. schreiben, Dissertation). An so ziemlich jedem Tag, an dem ich wusste, ich muss nichts für die Werbung machen, drängelte der kleine Doktorhut im Hinterkopf, dass ich dann gefälligst was für die Diss tun sollte. Da ich ja nie weiß, wann der nächste Job bei mir aufschlägt, sollte ich doch bitte jede freie Zeit für die Kunstgeschichte nutzen. Natürlich habe ich auch diverse Tage einfach vor Netflix vergammelt, das muss schließlich auch sein. Aber gefühlt habe ich mir seit Juli letzten Jahres keine vernünftige Auszeit mehr genommen. Also mehr als hier mal einen Tag und da mal ein Wochenende. Ich bräuchte gefühlt mal mindestens eine Woche weg von hier, in eine andere Stadt, Museen angucken, viel zu viel essen und lange schlafen.

Eigentlich hatten F. und ich Paris für dieses Jahr geplant, vielleicht wird’s jetzt doch eher Wien, das war letztes Mal so nett da, wir werden sehen. Aber ich ahne, dass ich allmählich wirklich mal raus muss. Mir machen derzeit meine Jobs Spaß, mir macht die Wissenschaft noch mehr Spaß, aber sobald ich mit diesen Pflichtteilen des Tages durch bin, fährt mein Kopf quasi auf Null runter. Wenn mich am Donnerstag nicht ausgerechnet Facebook an den Geburtstag meines besten Freundes erinnert hätte, hätte ich den glatt vergessen, so sehr ist mein Kopf schon raus.

Gestern lag ich dementsprechend nur rum, guckte Serien und Fußball, und schlief auch alleine zuhause, um mal ohne Wecker oder Sonnenlicht wach zu werden (letzteres ist bei F. immer mein Problem, weil der Herr kein Freund von Jalousien oder Gardinen ist, was das Allererste ist, womit ich mich in neuen Wohnungen, in die ich einziehe, beschäftige: Tageslicht muss beherrschbar sein!). Ich ging gestern normal um kurz vor Mitternacht ins Bett – und wachte heute gegen 11 Uhr auf. Ich glaube, mein Körper möchte mir irgendwas sagen.