Ein fantasierendes Dankeschön …

… an Jakob, der mich mit Fantasyland. How America Went Haywire: A 500-Year History von Kurt Andersen überraschte. Dieser Absatz in der fast hoffnungslosen Rezension in der NYT sorgte dafür, dass ich das Buch lesen wollte:

„Fake news. Post-truth. Alternative facts. For Andersen, these are not momentary perversions but habits baked into our DNA, the ultimate expressions of attitudes “that have made America exceptional for its entire history.” The country’s initial devotion to religious and intellectual freedom, Andersen argues, has over the centuries morphed into a fierce entitlement to custom-made reality. So your right to believe in angels and your neighbor’s right to believe in U.F.O.s and Rachel Dolezal’s right to believe she is black lead naturally to our president’s right to insist that his crowds were bigger.“

Vielleicht ist das der Punkt, mit dem ich so hadere seit der Wahl Trumps. Ich hatte mich immer in Sicherheit gewogen, dass mindestens seit der Aufklärung der Intellekt, die Suche nach der Wahrheit, nach objektiven Fakten, die Oberhand behält über Glauben, krude Theorien und Quatsch. Dass auch die Wissenschaft noch vor nicht allzu langer Zeit behauptete, Frauen seien wegen ihrer Gebärmutter dümmer als Kerle, nahm ich zwar als Warnung, dass auch die Wissenschaft sich gerne von Vorurteilen leiten lässt, dachte aber weiterhin, wir als Menschheit sind auf einem guten Weg, wir wollen alle klüger werden und gemeinsam besser leben.

Ja, naiv, ich weiß.

Mich macht es nervös, dass es anscheinend auch in der Bundesrepublik Menschen gibt, die wirren Facebook-Posts mehr Vertrauen schenken als der Tagesschau oder der Süddeutschen Zeitung. Mich macht es generell nervös, dass viele Menschen geschichtsvergessen sind, Impfungen verteufeln und nicht neben Leuten mit anderer Hautfarbe als ihrer eigenen wohnen möchten. Jeder von uns schleppt ein Päckchen Vorurteile und Ängste mit sich rum, ich auch, natürlich, aber ich versuche wenigstens, mir ihrer bewusst zu sein und gegen sie anzudenken. Andere wählen halt lieber die Nasen, die die wirren Facebook-Posts schreiben, was mich wahnsinnig macht.

Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, dieses Buch zu lesen, fällt mir gerade auf. Vielleicht macht es mich noch wahnsinniger, wir werden sehen. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. (Echt jetzt!)

Was schön war, Dienstag, 28. November 2017 – After-Work-Konzert

Sätze, die ich schon immer sagen wollte: „Ich kenn die Querflöte.“ Heißt in diesem Fall: Ich kenne die Dame, die bei den Münchner Symphonikern die erste Querflöte spielt, und zwar von unserem guten alten Fußballstammtisch. (Die Dame ist Stuttgart-Fan, aber das lasse ich ihr durchgehen.) Auf jeden Fall fragte eben diese Dame vor ein paar Tagen, ob ich Lust auf ein After-Work-Konzert hätte, es gebe Musik aus den 1920er Jahren und ein paar Geschichten drumherum, und viel kosten täte es auch nicht. Alles gute Argumente. Und so saß ich gestern in charmanter Begleitung (und mit noch drei weiteren Fußballfans) im Technikum und lauschte und guckte und trank Weißwein, den man netterweise mit in den Saal nehmen konnte.

Das erste Stück war dann auch gleich „die Querflöte“, ein bisschen seltsam platziert auf der Empore hinter dem Publikum, aber egal. Syrinx für Flöte solo von Debussy hat mir gut gefallen, auf Spotify scheint es mir etwas schneller gespielt zu sein als das, was ich gestern hörte.

Dann erzählte die Intendantin der Münchner Symphoniker etwas über Debussy und Ravel, von dem das nächste Stück war. Ich habe mir immerhin gemerkt, dass die beiden sich eigentlich mochten, es dann aber doofe Gerüchte gab (FAKE NEWS! SAD!) und die beleidigten Leberwürste danach nie wieder miteinander gesprochen haben. (Jungs.) Die zeitgenössische Kritik fand die Sonate für Violine und Cello eher so meh und sprach von einem Massaker; heute wird es eher als poetisch wahrgenommen. Ich konnte, ehrlich gesagt, beide Meinungen nachvollziehen. Mir gefiel es sehr gut, aber bei dem ganzen Pizzicato und den Wurfbögen im vierten Satz musste ich an Psycho denken und damit eben auch an ein Massaker. (Ich hoffe, der Begriff „Wurfbogen“ stimmt, meine Geigenspielzeit ist über 20 Jahre her.) Wir hörten den ersten Satz, Allegro, und den vierten, Vif.

Das dritte Stück war das Trio für Flöte, Bratsche und Cello op. 40 von Albert Roussel. Von dem Mann hatte ich noch nie gehört, aber das werde ich jetzt nachholen. Auch dieses Stück gefiel mir sehr gut, aber am schönsten für mich war der Gesichtsausdruck der Cellistin, die so wunderbar konzentriert aussah, dass ich mehr schmachtete als zuhörte. Von den Geschichten zwischendurch habe ich mir gemerkt, dass Roussel Lehrer von unter anderem Erik Satie und Edgard Varèse war, der als Pionier der elektronischen Musik gilt.

Die zweite Hälfte des Konzerts fand ich dann nicht mehr ganz so spannend, die drei Stücke klangen für mich eindeutig gefälliger und die Zwischeninfos immer mehr nach „Was sagt denn die Wikipedia zu den 1920er Jahren?“ Wir hörten den Danse von Debussy, bearbeitet von Ravel, das ging anscheinend noch, die Pastorale d’été von Arthur Honegger, bei der sämtliche Sissi-Filme vor meinem inneren Auge durchliefen, und zum Schluss das nicht enden wollende Le bœuf sur le toit von Darius Milhaud. Dabei unterhielt mich immerhin die Bratschistin, die ich schon im Trio im ersten Teil gehört hatte, denn immer wenn das schnelle, gut gelaunte Thema anklang, lächelte sie. Ich weiß nicht, ob da in den Proben was Lustiges passiert ist oder sie sich, wie ich, einfach immer wieder über dieses Thema freute, aber ich fand das sehr nett, ihr beim Lächeln zuzusehen.

Nach dem Konzert gab’s noch ein Bierchen und dann fiel ich sehr musikgesättigt ins Bett. Memo to me: öfter in Konzerte gehen.

Was schön war, Montag, 27. November 2017 – Rumwühlen

Ich justiere immer noch mein Dissertationsthema nach und wühle dementsprechend auf verschiedenen Baustellen rum, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Gestern bildete ich mich über die Reichsautobahn weiter und bestellte bergeweise Originalquellen in die Lesesäle der Stabi. Mal sehen, ob ich im Handschriftenlesesaal missbilligende Blicke abkriege so wie vor längerer Zeit mal im Lesesaal „Musik, Karten und Bilder“, wo ich sogar einen Zettel unterschreiben musste, dass ich den NS-Kram nur zu wissenschaftlichen Zwecken anschauen möchte. Wozu denn sonst? Die Neonazis lesen das alte Zeug doch eh nicht.

Außerdem habe ich mal bei uns im ZI im Regal nachgeschaut, von wann denn nun der erste Ausstellungskatalog aus London ist, der sich im Regal befindet. Im Blogeintrag vor ein paar Tagen mutmaßte ich, dass er aus der Jahrhundertwende stammen könnte. Da lag ich 40 Jahre daneben: Wir haben zwar einen Nachdruck eines Katalogs von 1851, aber den lasse ich nicht gelten. Der wirklich erste Originalkatalog, der nicht in den Rara-Beständen, sondern frei zugänglich im Regal steht, stammt von 1862. Ich habe überrascht festgestellt, dass sich in ihm aber noch keine Abbildungen befinden, erst recht keine fotografischen; Zeitungen in der Zeit hatten meist nur Grafiken, wenn überhaupt. Und auch keine großen Überschriften. Der erste Katalog mit Abbildungen – schwarzweiße Fotos von Gemälden – stammt von 1897. Ich habe einfach mal mitten in den schmalen Band fotografiert – und gleich einen Klassiker von Philip Burne-Jones erwischt.



Mich hat die Darstellung etwas erstaunt – in meinem visuellen Gedächtnis sind Vampire männlich und vergehen sich an ahnungslosen jungen Frauen, was ich auch immer als dusselige Metapher auf die bürgerliche Sexualmoral des ausgehenden 19. Jahrhunderts interpretiert habe. Hier haben wir einen weiblichen Vampir, mit dem ich noch gar nichts anfangen kann. Memo to me: Heute im ZI NICHT NACH VAMPIREN GUCKEN! Schön weiter an der Reichsautobahn arbeiten.

Die FAZ hat ausführlich aufgeschrieben, dass die FDP doof ist: Woran ist Jamaika wirklich gescheitert?

Das hatte ich vor ein paar Tagen schon getwittert, aber wenn ihr ein bisschen Zeit und Muße für die Guernica habt: Die Reina Sofia hat ein wirklich tolles Online-Special mit bergeweise Dokumenten und Quellen veröffentlicht: Rethinking Guernica.

Ich musste natürlich daran denken, wie es mir vor diesem Bild ging.

Abends brachte mich mein Instagram-Stream sehr zum Lachen:

Tagebuch, Sonntag, 26. November 2017 – Lesetag

Ich lese gerade Die Feuchtwangers: Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis im deutsch-jüdischen Bürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts von Heike Specht (Amazon-Partnerlink geht zur Kindle-Version, das Buch gibt es aber auch als Hardcover). Es ist nicht nur sehr lesbar geschrieben, sondern zeigte mir persönlich auch eine neue Facette meines liebsten München-Features auf, nämlich dem Mitbringen von Speisen in die Biergärten.

Das Kapitel, aus dem ich zitiere, behandelt das orthodoxe Leben der Feuchtwanger-Familie im katholischen München, was, jedenfalls im späten 19. Jahrhundert, anscheinend besser funktionierte als jüdisches Leben im protestantischen Norden. Dort wurde von Juden eher erwartet, dass sie sich an das bürgerliche Deutsche Reich anpassten, während es in den katholischen Landesteilen auf mehr Verständnis stieß, offen religiös zu sein bzw. seine Frömmigkeit zu praktizieren; genau das taten die Katholiken mit ihren Wallfahrten, Feiertagen, Heiligenverehrungen und Gebräuchen nämlich auch. (S. 127/128.)

„Die Atmosphäre in der bayerischen Residenzstadt begünstigte zweifellos die Existenzmöglichkeit einer solchen kleinen jüdisch-orthodoxen Welt mitten in München. […] Die Münchner Juden teilten die Liebe der sie umgebenden Gesellschaft zum bayerischen Bier. Die bierlose Woche während des Pessach-Festes war für zahllose fromme Juden eine wahre Kasteiung. Mosche Feuchtwanger erinnert sich, dass sich sein Vater jedes Jahr nach Ende der Pessach-Woche schnurstracks in sein Lieblingslokal „Neptun“ begeben habe, wo er nach einwöchiger Abstinenz Bier und Breze umso mehr genoss. Das Oktoberfest fiel häuftig mit den hohen jüdischen Feiertagen zusammen, und nicht selten endete das Fasten am Versöhnungstag bei einer Maß im Festzelt auf der Theresienwiese. Nathan Drori, der seine Ferien öfter im Hause Angelos in München verbrachte, erinnert sich daran, dass das Dienstmädchen nach der obligatorischen Suppe bei jedem Mittagessen ins benachbarte Wirtshaus gehen musste, um für den Großvater ein frischgezapftes Bier zu holen. Außerdem kehrte der Großvater nach seinen täglichen Synagogen-Besuchen regelmäßig auf eine oder zwei Maß ins Hofbräuhaus ein. Am Schabbat-Nachmittag traf sich dort oft die ganze Familie zum Kaffeetrinken. Dabei legte man großen Wert darauf, dass der Kaffee nicht extra gemacht wurde, da das Kochen von Tee oder Kaffee am Schabbat nach orthodoxer Auslegung der Religionsgesetze nicht zulässig ist. War der Kaffee aber schon einmal da, so trank man ihn gerne und offenbar ohne größere Gewissensbisse. Da auch der Umgang mit Geld am Schabbat verboten ist, ließen die Feuchtwangers regelmäßig anschreiben und beglichen die Rechnung an einem Werktag. Die Tatsache, dass sie den Samstagnachmittag im Hofbräuhaus verbrachten, dabei aber streng auf die Gebote der Schabbat-Ruhe achteten, macht die von den Feuchtwangers praktizierte Kombination von beharrlichem Festhalten an jüdischer Observanz und Flexibilität gegenüber der Umgebung besonders deutlich. Mitten in einer nicht-jüdischen, bayerischen Welt, die man bis zu einem gewissen Grad als seine eigene betrachtete, war man bewusster Jude.

Lion Feuchtwanger betonte, dass seine Familie ‚Deutsch mit dem gleichen breiten, kräftigen bayerischen Akzent‘ sprach ‚wie alle anderen‘ und dass man am Leben teilnahm, soweit das die jüdischen Bräuche zuließen. Einige Rituale des bayerischen Lebens kamen den gesetzestreuen Juden sehr entgegen. Beispielsweise war die in Bayern weit verbreitete Gepflogenheit, die Biergärten zu besuchen, gerade bei den frommen Juden der Residenzstadt überaus beliebt. Man konnte zum einen die Natur genießen, zum anderen aber auch teilhaben an einem sehr volkstümlichen Zusammentreffen und Zusammensitzen mit Münchnern aus allen Kreisen der Bevölkerung. Der Vorteil an dieser Art der Geselligkeit lag für die observanten Juden, die sich an die jüdischen Speisegesetze hielten, darin, dass es in Biergärten durchaus üblich war, das Essen von zuhause mitzubringen. So nahm man einfach seine koscheren Speisen mit in den Biergarten, denn ‚es kam auf den Konsum des Bieres an, nicht auf das Essen.‘

Bei aller Heimatliebe waren die bayerischen Juden aber keineswegs von antisemitischer Diskriminierung und Vorurteilen gefeit. Martin Feuchtwanger berichtet in seinen Erinnerungen von einem hässlichen Zwischenfall, der sich während des Oktoberfestes zugetragen hat. Als kleiner Bub wurde er von seinem Onkel Louis zusammen mit den Geschwistern, Vettern und Cousinen auf diese urmünchnerische Festlichkeit mitgenommen. Die Gruppe von Kindern war aufgeregt und überwältigt von Riesenrad, Luftschaukeln, Schaubuden und den Verkaufsständen mit Süßigkeiten. Bester Stimmung begab man sich in ein Bierzelt.

‚Auch Onkel Louis war lustig, sang und schwang den Bierkrug. Da kam ein junger, besoffener Mensch auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und rief: „Bist auch hier, alter Jud mit der krummen Nas, komm her, Prosit!“ Der Onkel verfärbte sich, er war tief erschrocken, dass selbst der Besoffene nüchtern wurde und stotterte: „Was hast denn? Ich hab dir doch nichts getan!“

Zwar mischten sich die Umsitzenden ein und schalten den Betrunkenen für die ‚bodenlose Gemeinheit‘, ‚einen Jud zu beschimpfen auf der Oktoberwiese‘, aber Louis und die Kinder brachen bald darauf verstört auf.“

Heike Specht, Die Feuchtwangers: Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis im deutsch-jüdischen Bürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2006, S. 130–132.

Tagebuch, Samstag, 25. November 2017 – Drei verschissene Punkte und ein enges Höschen

Am Nachmittag stand wieder ein Heimspiel in Augsburg auf dem Programm, dieses Mal gegen Wolfsburg. Ich freute mich auf den Herrn Gomez, der in der letzten Saison leider verletzt gewesen war. Während des Spiels hatte ich dann aber doch keine Augen für ihn, sondern sah entsetzt das bisher mieseste Spiel meiner Stadionkarriere im Fuggerstädtchen. F. meinte zwar, direkt nach dem Aufstieg in die erste Liga hätte der FCA ähnlichen Rotz gespielt, aber ja, das war schon ziemlich schlecht.

Es waren lausige vier Grad und es sollte regnen, was mich wieder den ganzen Vormittag mit der Frage hadern ließ, was ich bloß anziehen sollte. Vier Schichten Shirts plus mein schnuffiges Hoodie plus Regenjacke? Das ist zwar viel Stoff, aber gegen vier Grad dann doch gefühlt recht wenig. Die richtig, RICHTIG dicke Winterjacke, mit der ich schon bei minus 10 Grad im Volksparkstadion gesessen und nicht die Bohne gefroren habe, weil das Ding schlicht richtig gut warm und winddicht und wasserabweisend ist? Klingt alles toll, ich weiß aber auch, dass ich in ihr beim Fußmarsch zum Stadion fast den Hitzetod sterbe, weil sie den Körper quasi vakuumiert. Ich entschied mich für den Mittelweg: meine lange schwarze, recht schwere Wolljacke, die auch schön warm hält und mit der man auch durch Regen kommt, solange es keine Sturzbäche sind.

Blieb noch die Frage für den Unterleib: Hose (ach was), aber: noch was drunter und wenn ja, was? Ich hatte vor ewigen Zeiten in der Allianz-Arena mal eine Baumwollleggings drunter, die ich sonst im Sommer unter langen Röcken trage. Die ist zwar hautfreundlich, aber so richtig warm hält sie nicht, und wie das halt so ist mit billigen Leggings, rutschen sie auch gerne mal in der Gegend rum.

Ich entschied mich spontan für meine Lauftights, die ich noch nie zu anderen Zwecken als zum Walken/Joggen getragen hatte. Sie passten – natürlich, weil hauchdünn – ganz hervorragend unter die Jeans und wie es sich für Funktionskleidung gehört, blieben sie auch genau da, wo ich sie beim Anziehen hingezuppelt hatte.

Das Ensemble vervollständigten meine Wollhandschuhe und der FCA-Schal, den ich seit unserem nervigen Zusammentreffen mit doofen 1860-Fans lieber in der Tasche trage, bis wir aus München raus sind. Eine Mütze brauchte ich nicht, meine Wolljacke hat eine Kapuze. Dazu erstmals die dicken Winterstiefel statt der leichten Sneakers. Was tut man nicht alles für Fuppes. Daran dachte ich beim hundertsten Fehlpass während des Spiels: Wieso bin ich nicht auf dem Sofa unter meiner Kuscheldecke geblieben?

In der ersten Halbzeit rannten die Augsburger zwar brav gegen alles an, verhedderten sich aber dauernd in den gefühlt acht Viererketten der Wolfsburger. Die igelten sich irgendwo zwischen Mittelkreis und Strafraumgrenze ein und Augsburg fiel nicht genug ein, um anständig zum Tor zu kommen. Ein paar Chancen gab’s, die großflächig vergeben wurden, dann schoss Wolfsburg einmal aufs Tor – und der Ball glitschte unserem Torwart durch die Hände ins Netz. Ich wollte in der Halbzeitpause gerne in die Kabine gehen und jeden einzelnen liebevoll mit „IHR SPIELT ALLE SCHEISSE UND ES IST KALT“ anbrüllen, aber ich glaube, der Trainer hat ungefähr dasselbe gesagt. In der zweiten Halbzeit lief es zunächst besser, der Ausgleich fiel irgendwann, dann kamen wieder Szenen, bei denen die ganze Tribüne kollektiv stöhnte – da laufen vier Augsburger mit dem Ball auf einen armen Verteidiger zu, man hätte sich so schön den Ball hin- und herschieben können, bis das Tor halt leer ist, aber nein, man spielt lieber den tausendsten Fehlpass, der Torwart kann abwehren, und ab diesem Zeitpunkt saß ich nur noch ergeben da und dachte daran, dass meine Füße allmählich kalt wurden. Ansonsten war meine Kleidungsauswahl perfekt, alles war halbwegs warm bzw. erträglich. Schließlich fiel sogar der Siegtreffer, worüber man sich hätte eigentlich irre freuen müssen, aber irgendwie waren alle eher genervt von diesem planlosen Gehacke da unten, dass man ein bisschen klatschte und dann die Minuten bis zum Abpfiff zählte.

Beim Rausgehen zückten natürlich alle die Handys, um zu gucken, wie der Rest der Liga so gespielt hat, und als man sah, dass Dortmund noch eine fucking Vierzunull-Führung hergeschenkt hatte, war man doch wieder recht versöhnt mit den eigenen Jungs.



Die Choreo zum zehnjährigen Bestehen der Legio Augusta, einem der größeren Fanclubs, wenn ich F. richtig verstanden habe. Die abgeklebten Werbeplätze waren in der Halbzeit wieder frei, und ich habe mich gefragt, wie man das mit den Sponsoren abspricht.

Abendessen: weiße Bohnen und Cherrytomaten auf Knoblauchbaguette mit ordentlich Rosmarinöl. Genau das Richtige zum Aufwärmen und blitzschnell fertig.

Die Lauftights habe ich danach den ganzen Abend nicht mehr ausgezogen. Normalerweise laufe ich zuhause in irgendwelchen bequemen Stoffhosen rum, aber nachdem ich die Jeans ausgezogen hatte, fand ich es total überflüssig, eine bequeme Hose gegen eine andere auszutauschen. Und als ich nach dem Bayernspiel gegen 21 Uhr zu F. ging, um mit ihm den restlichen Abend zu verbringen, trug ich sie wieder unter der Jeans, einfach weil sie so herrlich angenehm sind.

Als ich mich nachmittags fürs Stadion anzog, twitterte ich, gerade in die Tights geschlüpft, dass ich eben genau dieses Kleidungsstück trug. Dann zog ich mich weiter an und begann mit den Stiefeln – bis mir einfiel, dass ich über die Tights noch eine Jeans anziehen sollte. Ich bin inzwischen so daran gewöhnt, in den Dingern aus der Wohnungstür zu gehen, dass ich mich wirklich selbst daran erinnern musste, dass da heute ausnahmsweise noch eine Lage drüberkommt.

Tagebuch, Freitag, 24. November 2017 – Raus aus dem Sumpf

Ich hatte mir eigentlich beim letzten Durchhänger gemerkt: Wenn’s dir nicht gut geht, geh in eine Bibliothek. Seit vorgestern weiß ich: Noch besser geht’s mir, wenn ich dorthin nicht gehe – also: in die U-Bahn steige –, sondern radele.

Eigentlich war ich immer noch brummig und mundfaul und überhaupt irgendwie stinkig auf alles, aber schon nach wenigen Metern auf meinem wunderbaren Fahrrad gingen meine Mundwinkel von ganz alleine nach oben. Ich vergesse das anscheinend auch immer wieder, wie ich auch mehrfach vergessen habe, wie gut mir Bibliotheken tun: wie gut mir Bewegung tut, vor allem das Radeln. Durch die blöde Erkältung bin ich seit über zwei Wochen morgens nicht mehr unterwegs gewesen, und anscheinend fehlt mir das inzwischen. (Na toll.)

Am Anfang des Studiums habe ich mir ein Post-it an die Wohnungstür geklebt, auf dem NETZTEIL stand, weil ich es des Öfteren geschafft hatte, hoch motiviert in der Bib aufzulaufen, nur um dort festzustellen, dass ich mein Netzteil für das Macbook vergessen hatte. Mein Akku reichte damals für ungefähr eine Stunde, aber damit kann man ja in einer Bibliothek nichts anfangen. Das Post-it brauchte ich recht schnell nicht mehr; irgendwann schleifen sich halt auch die Studi-Sachen ein, die man immer dabei haben sollte: Studiausweis (für einige Bibliothekspforten als Eintrittskarte und eh fürs Semesterticket), Kopier- bzw. Scannerkarten (eine für Uni-Institute, eine für die Stabi, inzwischen auch noch eine fürs ZI), Notizbuch und Stift, Wasserflasche, durchsichtige Plastiktüte, damit man Zeug in die Bibliotheken schleppen kann (inzwischen netterweise fast überall Tragekörbe vorhanden), 1- und 2-Euro-Münzen fürs Schließfach (in jeder Bib unterschiedlich – für neue Erstis der Hinweis: die kunsthistorische Bibliothek will 2 Euro und nein, es kann nie jemand wechseln) und eben Laptop und NETZTEIL.

Vor ein paar Monaten habe ich ein neues Post-it an die Tür geklebt: MÜLL. Mein Spatzenhirn vergisst neuerdings immer, den Müll runterzubringen, wenn ich eh nach unten muss. Manchmal tagelang, bis schließlich zwei Mülltüten in der Küche stehen und sich über mich lustig machen. (Nein, das stinkt nicht, das sieht nur doof aus.)

Vielleicht hänge ich noch ein neues daneben: BÜCHER UND BEWEGUNG. Dann sollte das eventuell endlich mal bei mir ankommen.

Dieser Tweet vom Donnerstag ist vielleicht etwas missverständlich, wie mir erst im Nachhinein auffiel. Ab da, wo mein Notizbuch liegt, stehen sechs Regale zu einem Meter mit jeweils sechs Böden, in denen ausschließlich Ausstellungskataloge von Londoner Museen stehen. Auf diesem Stockwerk stehen alle Ausstellungskataloge nach Orten geordnet, und London dürfte die größte Ecke sein. Ich habe leider nicht geguckt, von wann der erste Katalog ist – sie sind nach Jahren geordnet –, aber das dürfte um die Jahrhundertwende sein oder kurz danach. Wir haben das schon sehr gut im ZI.

Die SZ hatte neulich eine kleine Bildergalerie: Acht Münchner Bibliotheken, die Sie gesehen haben sollten. Darin kommt das ZI nicht vor, vermutlich, weil halt nicht jeder rein darf, sondern nur Kunsthistoriker*innen. Genau das richtige studiert.

Danke für eure Mails zu meinem etwas hilflosen Eintrag vom Mittwoch, in dem ich unter anderem beklagte, dass das Jahr so irre schnell vergangen ist. Einen Satz fand ich diesbezüglich sehr schön: „Wenn Du möchtest, dass die Zeit langsamer vergeht, musst Du es Dir langweilig machen. (Könnte vielleicht schwierig werden …) Wer lauter tolle, spannende Sachen macht, dem vergeht die Zeit im Flug. ;-)“ Das war nett, mal von außen darauf hingewiesen zu werden, dass man tolle, spannende Sachen macht. Das vergesse ich gerne. Aber ich vergesse ja auch Netzteile und Müll.

Kunst gucken: Einzelmeister – Martin Parr, „Gourock Lido“ (2004)

In der Kategorie „Einzelmeister“ betrachte ich ein Werk, meist mit wenig bis gar keinen Vorkenntnissen, schreibe auf, was ich sehe, und gehe dann in die Bibliothek, um mir etwas Wissen anzulesen. Einige der Arbeiten Parrs kannte ich, vor allem The Last Resort, das Foto vom Gourock Lido kannte ich nicht.

Was ich sehe:

Gourock Lido ist eine Fotografie im Querformat. In der Ausstellung Souvenir im Kunstfoyer München hing es an einer einzelnen Wand und musste nicht mit neben ihm gehängten Werken um meine Aufmerksamkeit buhlen. Aber ich glaube, auch in Gesellschaft wäre ich länger vor diesem Bild stehen geblieben. Es fällt aus den weiteren Bildern der Ausstellung heraus; es wirkt großflächiger, weniger detailreich, weniger grell und bunt. Das mag daran liegen, dass das Bild von großen Farbflächen beherrscht wird und der Mensch, Parrs Lieblingssubjekt, fast nur Beiwerk ist.

In der unteren Hälfte des Bildes ist ein öffentlicher Pool zu sehen. Das Blau des bewegten Wassers entspricht fast dem der Balustrade, die das Schwimmbad vom ebenfalls bewegen Fluss trennt, der direkt hinter dem Bad zu sehen ist. Das Blau findet sich auch in den Pollern im Bildvordergrund wieder sowie im Papierkorb in der Bildmitte, der mit einer hellen Werbung beklebt ist. Rechts und links vom Papierkorb stehen weiße Liegestühle, nicht ganz ordentlich, vielleicht hat der Wind, der das Wasser aufwühlt, auch die Liegen etwas verschoben. Sie sind komplett unbelegt, das Wetter lädt nicht unbedingt dazu ein, sich auf ihnen auszuruhen. Ein einzelner männlicher Schwimmer in dunkler Badehose zieht trotzdem seine Bahnen.

Ignoriert man den Fluss und den weiteren Bildhintergrund, der die obere Hälfte des Bildes einnimmt, hat das Bild etwas Friedliches, fast Niedliches. Ein kleiner roter Rettungsring ist links im Bild zu sehen, im Vordergrund steht ein ins lachsfarben ausgeblichener Hochsitz für den derzeit anscheinend abwesenden Bademeister.

Aber hinter dem knackigen Blau wälzt sich der dunkelgraue Clyde entlang, auf seinen Wellen blitzen ab und zu weiße Schaumkronen auf. Am rechten Bildrand scheint ein kleines Segelboot dringend in den Hafen zurückzuwollen. Man kann das Ufer des Flusses kaum erkennen, es geht, nur durch eine schmale helle Linie angedeutet, direkt in eine bergige, dunkelgrüngraue Landschaft über, die unter einem tiefen, grauen Himmel hängt. Ein Sturm zieht auf.

Was ich las:

Anscheinend bin ich nicht die einzige, die von diesem Pool-Bild fasziniert ist. Catrin Barnsteiner begann ihren Artikel in der Welt vom 16. Dezember 2007 auch mit diesem Bild, und sie sagt auch, was ich über Parrs Werke denke, auf denen zum allergrößten Teil Menschen zu sehen sind: Er macht sich nicht über seine Subjekte lustig, auch wenn diese vielleicht nicht normgerecht aussehen oder skurrile Dinge tun:

„Es ist immer genau der Moment, bevor wir uns eine Pose aussuchen oder gerade nachdem wir die Pose aufgegeben haben und erschöpft die Füße hochlegen. Szenen, wie wir sie hinter Schlüssellöchern finden. Nur: Martin Parr schaut nie durch Schlüssellöcher, das ist gar nicht nötig. Alles, was wir hier sehen, hat sich in aller Öffentlichkeit so zugetragen. Das löst Unbehagen aus – denn: Sind die Leute echt so?

Martin Parr fragt nie vorher, ob er jemand fotografieren darf, damit sich der nicht schnell in Szene setzen kann. Kritiker werfen ihm vor, in seinen Bildern die Menschen bloßzustellen. […] Und vielleicht ist das auch ein Grund, warum man nicht wegschauen kann von diesen Fotos: Martin Parr fotografiert nicht irgendwen – sondern uns. Alle. Nur – Gott sei Dank und Glück gehabt – dieses Mal bleiben wir unerkannt in der Gestalt einer dicklichen Engländerin mit Badetuch um die Hüften.“

Vielleicht war ich auch deshalb so von Gourock Lido fasziniert, weil dort der Mensch zu einem kleinen Detail wird und nicht im Mittelpunkt steht. Das Bild lebt vom Kontrast des quietschigen Aquamarin zum bedrohlichen Grüngrau, aber auch davon, dass die Natur hier scheinbar die Zivilisation – oder was wir für sie halten – wieder in die Schranken weisen will.

Der Herr im Bild ist übrigens Zahnarzt und hat sich erst viele Jahre nach der Aufnahme überrascht entdeckt. Er meint, das Foto fange hervorragend eine Facette schottischer Schrulligkeit ein: „the eccentric local who decided to go swimming when no one else would.“ In den Kommentaren zum Artikel weist ein Autor darauf hin, dass es wohl nur wenige Menschen gäbe, die von Parr abgelichtet wurden und sich im Nachhinein zu erkennen geben wollen; er verlinkt auf einige Bilder, die man auf den ersten Blick als „unvorteilhaft“ ansehen könnte. Aber auch hier würde ich widersprechen.

Im Podcast zu Parr habe ich es mehrfach gesagt: Meiner Meinung nach stellt Parr nicht bloß, sondern bildet ab, unvoreingenommen und immer im Bewusstsein, dass er selbst nicht besser ist. Seine wunderbare Serie Autoportraits zeigt das recht gut: Dort lässt sich Parr von anderen Menschen (oder Automaten) fotografieren und sieht genauso seltsam aus wie wir alle.

Sandra Phillips nennt Parrs Fotografie „socially observant photography“. Sie beschreibt in ihrem Buch von 2007, wie Parr sich von seinen ersten Gehversuche in Schwarzweiß der Farbfotografie zuwandte, ein Weitwinkelobjektiv sowie mehr Blitzlicht, auch tagsüber, nutzte, um die fast grelle, schattenlose Farbigkeit seiner Bilder zu erreichen. Sie erwähnt einflussreiche Fotobücher, die Parr nachweislich (teilweise spricht er in Interviews oder eigenen Veröffentlichungen selbst darüber) gelesen hat, zum Beispiel Robert Franks The Americans oder Walker Evans Let Us Now Praise Famous Men. Beide zeigen vor allem die amerikanische Unter- und Mittelschicht; auch Parr fotografierte zunächst eher Menschen dieser Klassen in seiner Umgebung, zum Beispiel in New Brighton. Sein Buch The Last Resort zeigt genau diese Menschen. Phillips unterstellt diesen Personen eine gewisse Vulgarität, meint aber auch, dass Parr hier vor allem den Wandel in der britischen Gesellschaft zeigen wollte: Es ginge nicht mehr darum, einfach sein Leben zu leben, sondern sich zu zeigen, materielle Werte zu erringen, in der Arbeiterklasse so zu tun, als sei man schon Mittelklasse.

Im Buch Common Sense konzentriert sich Parr auf die neuen Trophäen dieser Klasse: Tattoos, Fast Food, Gebrauchsobjekte, die in Massen gekauft und weggeworfen werden. Phillips kann dieser Serie nicht so viel abgewinnen:

„These pictures show us what we have become by that we eat. They are frightening – how can people consume so much grotesque food, how can we treat our own bodies so tastelessly and cheaply and with such reckless abandon? All of us have grown too fond of cheap sugar and fat, and of food produced by brand-name companies rather than food made with care. These pictures are as close to hatefulness as Parr has ever come.“ (Phillips 2007, o. S.)

Hier fühlte ich mich arg an die händeknetenden Moralapostel erinnert, die uns zuwimmern, bitte keine Fertigpizza zu essen, wo es doch so schönen Salat gibt. Ich habe eine andere Lesart dieser Bilder, auch weil ich persönlich keine Angst vor Zucker und Fett habe und genau diese Angst bescheuerter und ungesünder finde als das zu essen, was einem halt schmeckt. Hartwig Dingfelder, der für die Bremer Kunsthalle über Parrs Bild Doughnut, Margate aus der eigenen Sammlung schrieb, findet fettiges Essen – und damit die Menschen, die es verspeisen – auch irgendwie bäh:

„Wie ein Alarmsignal wirkt der Schmutz unter den Fingernägeln des Kindes, unappetitlich schimmert der Fettglanz auf der Haut, schmuddelig erscheint der angegraute Anorak im Hintergrund.“ (Dingfelder 2011, 316.)

Spannend, wie unterschiedlich man auf Bilder schauen kann: Ohne dass ich das Kind sehe, das mit dreckigen Fingernägeln zu einem süßen Donut greift, glaube ich, dass dieses Kind gerade sehr glücklich ist und ihm sein vom Spielen angeschmutzter Anorak total egal. Meiner Meinung nach entlarven diese Interpretationen eher die Autor_innen als den Fotografen.

„Das Schöne an Martin Parrs Bildern ist, dass sie nichts wollen. Keine Konsumkritik üben, kein Mahnmal der Wegwerfgesellschaft sein oder die englischen Klassenunterschiede anprangern. Journalisten mit allzu komplexen Interpretationsversuchen warnt Martin Parr dann auch: ‚Ich bin kein Intellektueller. Ich fotografiere nur das, was ich sehe.‘“ (Barnsteiner 2007.)

Val Williams beschrieb diesen entlarvenden Blick sehr schön:

„Martin Parr’s photographs can make us feel very uncomfortable. He has made a comedy about the food we eat, the clothes we wear, the places we go; scrutinized the very way we live our lives. Some might say that Martin Parr has exploited our lack of taste and good judgment by picturing it all, latterly in the brightest of colours, exposing our petty vanities to the world. Others, who have perhaps a more honed sense of the political, […] could insist that Parr has merely recorded a myriad of social ills, the loosening of community ties, the mass embrace of consumerism, the manic pursuit of leisure and global tourism, the vanity fair of the English middle class and the phantasmagoria of the sub-class that emerged in Britain during the 1980s.“ (Williams 2014, 3/4.)

Williams weist auch auf eine Stärke Parrs hin: seine extreme Farbigkeit. Sie nennt sie eine „visual extravaganza“; seine Fotos seien ein Spiegel von, aber kein Urteil über diese Welt. (S. 10.) Manches ist eben einfach sehr bunt und sehr schrill und vielleicht sehr fett oder sehr billig, aber sich darüber zu beklagen, hat für mich den Geschmack des Snobismus. Gerade Nahrung ist heute ein Distinktionsmerkmal; der Weg von „dieses Plunderteilchen ist bestimmt nicht gesund“ zu „Der Mensch, der dieses Plunderteilchen isst, ist nicht gesund und vermutlich zu doof, was Vernünftiges zu essen und liegt mir garantiert auf der Tasche, weil meine Krankenkassenbeiträge steigen“ ist unangenehm kurz und wenn man sich jede beliebige Diskussion zu Essen online anschaut, weiß man, dass viele ihn schon gegangen sind, ohne ihn weiter zu hinterfragen. Für mich ist jeder ästhetisch dampfende Spiced Pumpkin Latte auf Instagram eher ein sozialer, weil distinktiver Kommentar als die Fleischberge, die Parr ablichtet oder die eingeschweißten Süßigkeiten, die bereits an der Folie kleben, weil die Auslage zu warm ist.

Ich gebe zu, ich bin sehr weit vom Gourock Lido weggekommen, aber ich mag Parrs Bildsprache sehr gerne und reagiere etwas gereizt auf manche Unterstellungen. Obwohl ich ihm natürlich genauso Dinge unterstelle, nämlich, dass er kein Problem damit hat, wenn Leute Fast Food essen, rauchen, sich bis zum Hautkrebs sonnen oder in Massen vor der Mona Lisa stehen, ohne das Bild richtig sehen zu können, weil man da halt mal hin muss, wenn man in Paris ist, wo man auch nur hin muss, weil alle irgendwie hinfahren. Ich mag an ihm, dass er scheinbare Nebensächlichkeiten ins Zentrum seiner Arbeit stellt – und dass diese anscheinend keine Nebensächlichkeiten sind, denn sonst würden sich nicht diverse Kataloge an ihm abarbeiten. Auch das Bild vom Gourock Lido, dem ersten beheizten Außenpool Schottlands, ist eigentlich eine Nebensächlichkeit: Das Foto entstand im Rahmen einer Auftragsarbeit, die Parr für den schottischen Architekten John McAsland ausführte. Er sollte die A8 in Schottland fotografieren, aber Parr interessierte sich natürlich eher für die durchschnittlichen Menschen entlang dieser Straße, die teilweise unästhetischen Bauwerke und – natürlich – das Essen. Ich glaube, ich bin in der Ausstellung auch deshalb so lange vor diesem Bild geblieben, weil es eben so untypisch ist. Es zeigt mir nicht die Welt, die ich sowieso jeden Tag um mich herum sehe, sondern eine andere. Aber selbst in ihr findet sich eine Werbung auf dem Papierkorb, vermutlich für Eiscreme, billiges Plastik anstatt solidem Metall und ein Mann mit einer leichten Glatze beim ungelenken Brustschwimmen.

Literatur:

Barnett, Laura: „ That’s me in the picture: Ian Galt, swimmer in Martin Parr’s image of Gourock lido“, in: The Guardian, 27.9.2014, abrufbar unter https://www.theguardian.com/artanddesign/2014/sep/27/gourock-lido-martin-parr-swimmer-in-picture.

Barnsteiner, Catrin: „Die wundersame Urlaubswelt des Mr. Parr“, in: Welt, 16.12.2007, abrufbar unter https://www.welt.de/kultur/article1460820/Die-wundersame-Urlaubswelt-des-Mr-Parr.html.

Dingfelder, Hartwig: „Martin Parr: ‚Doughnut, Margate‘ (Common Sense), 1997“, in: Kreul, Andreas/Riemer, Katja (Hrsg.): Wunderkammermusik, Köln 2011, S. 316/317.

Phillips, Sandra S.: Martin Parr, London 2007.

Williams, Val: Martin Parr, London 2014.

Tagebuch, Mittwoch, 22. November 2017 – Im Sumpf

Den ganzen Tag gehadert, gefühlt mit allem. (Okay, mit fast allem.) Von mir selbst genervt gewesen, vom immer noch vorhandenen Husten genervt gewesen, vom Genervtsein genervt gewesen.

Kontrastprogramm hochgefahren: viel gelesen. Kuchen gebacken. Musik gehört.

Eine Mail aus London bekommen: Die Society of London Theatre möchte, dass ich einen Link in meinem Blog von 2003 korrigiere. Kinder: Nicht mal ich lese 14 Jahre alte Blogartikel, vor allem nicht meine eigenen. Mal wieder darüber nachgedacht, den ganzen alten Quatsch zu depublizieren. Genervt von der alten Anke gewesen.

Abends einen koffeinfreien Irish Coffee zubereitet. Nachts weniger gehustet. Das mache ich heute gleich nochmal.

Immerhin besser gelaunt aufgewacht.

Tagebuch, Dienstag, 21. November – Adventskalender

Adventskalender gekauft. Traurig gewesen.

Ich fühle mich derzeit wie mit Mitte 20, wo gefühlt alle Freunde und Freundinnen einen Plan hatten und wussten, wo es langgehen soll die nächsten 10 bis 40 Jahre. Die ersten Babys kündigten sich an, die ersten verlobten sich oder heirateten, alle hatten eine schicke Ausbildung oder ein gutes Studium und alle wussten, was sie wollten. Ich wusste das nicht. Ich fand immerhin mit Mitte 20 heraus, dass ich keine Kinder haben wollte, aber meinen Beruf fand ich erst mit Anfang 30. Und plötzlich ist es 20 Jahre später und ich bin wieder da, wo ich schon mal war. (Immerhin erfolgreich kinderlos, puh.)

Mir ist eigentlich erst durch den Adventskalender klar geworden, dass schon wieder ein Jahr rum ist, und ich habe keine Ahnung, wann es bitte vergangen sein soll, es hat doch gerade erst angefangen und ich formuliere noch mein Master-Thema. Aber dann wird mir klar, nee, das Master-Thema ist schon durch, da hat dir jemand eine hübsche Urkunde überreicht und du bist jetzt Doktorandin. Ich weiß aber nicht so recht, was ich noch bin.

Seit über einem Jahr überlege ich, wie ich diese Website umgestalten möchte, damit potenzielle Arbeitgeber wissen, wer ich bin und wen sie da buchen. Genau diese Art Einträge sollen sie bitte nicht als erstes von mir lesen, wenn sie meinen Namen googeln, aber jetzt gerade ist mir das auch egal. Positioniere ich mich als frisch gebackene und total motivierte Kunsthistorikerin? Weise ich auf meine Erfahrungen als Werbetexterin hin, durch die auch meine wissenschaftlichen Texte lesbar werden? Betone ich, wie lange ich schon ein Blog schreibe und dass mich Leute seit 15 Jahren lesen? Erwähne ich mein Buch? Wer oder was bin ich eigentlich?

Ich habe die Entwürfe bereits mehrfach umgeschmissen, und ich ahne, dass das einen simplen Grund hat: Ich weiß gerade selbst nicht, wer oder was ich bin. Ich wusele auf verschiedenen Baustellen herum, aber keine fühlt sich zwingend an. Und dann macht einem ein Adventskalender klar, dass halt schon wieder ein Jahr rum ist und man wieder älter geworden ist, sich aber im Prinzip wieder fühlt wie ein Teenager, der auch nicht weiß, wo er aufhört und wo die Welt beginnt.

Tagebuch, Montag, 20. November 2017 – Shopping

Die FAZ war wieder rechtzeitig da, wo-hoo! Netterweise brachte F. sie mir an die Wohnungstür und ich konnte von schwierigen Verhandlungen lesen, obwohl ich vorher auf dem iPhone natürlich schon mitbekommen hatte, dass eben diese Verhandlungen bereits gescheitert waren. Okay, Internet, gestern hast du gewonnen. Aber ich freute mich den ganzen Tag auf die Zeitung von heute, in der ich ausführliche – und ruhige – Analysen erwarte. Ich habe mir inzwischen die Namen der Berlin-Korrespondenten der FAZ gemerkt und finde das etwas seltsam. Andererseits weiß ich auch, wen ich im Feuilleton gerne lese und wessen Artikel ich von vornherein argwöhnisch umschleiche.

Als Tagesordnungspunkt 1 hatte ich mir das Entkalken der Nespresso-Maschine vorgenommen. Obwohl ich seit Monaten frische Kaffeebohnen mahle und sie in der French Press zubereite, finde ich es manchmal morgens doch recht nett, einen Cappuccino zu trinken, der in 30 Sekunden vor mir steht. Mein Maschinchen zickte in den letzten Wochen etwas, gab mir gefühlt weniger Kaffee als früher und es dauerte ewig. Das Münchner Leitungswasser schmeckt hervorragend, ich trinke täglich einen Liter davon, aber es ist so irre kalkhaltig, dass man seine Geräte wie Wasserkocher etc. wirklich regelmäßig entkalken muss. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben nicht so oft Zeug entkalkt wie hier in den letzten fünf Jahren.

Ich füllte also extrem vorsichtig den Entkalker in den Wassertank der Maschine, wusch mir zehnmal danach die Hände, weil ich Warnhinweise wie „ätzend“, „bloß nicht in die Augen kriegen“ und ähnliches sehr ernst nehme, schaltete die Maschine an und ging nach nebenan, um irgendwas zu machen. Als ich wenige Minuten später wieder in die Küche kam, stand die komplette Ecke meiner Kaffeemaschine unter Wasser bzw. Entkalkungsflüssigkeit, während im Behälter, in dem sie eigentlich hätte landen sollen, nur ein paar Tropfen angekommen waren. Ich fluchte, putzte die Ecke, putzte Zuckerdose, Sirupflasche, Wasserkocher und Milchaufschäumer, die alle von unten nass waren, wusch mir zehnmal die Hände, entsorgte den Putzschwamm, warf das Handtuch, das ich zum Nachtrocknen genommen hatte, in den Wäschekorb (aka meine Waschmaschinentrommel), füllte die nächste Packung Entkalker ein und blieb dieses Mal neben der Maschine stehen.

Sobald ich sie anschaltete, floss das Zeug wieder überall hin, nur nicht dahin, wohin es sollte. Ich entsorgte das Gift, putzte die Ecke (dieses Mal mit schlimmen Einwegtüchern), wusch mir zehnmal die Hände, füllte den Tank mit Wasser, hielt das Maschinchen über meine Spüle und schaltete sie an. Dieses Mal lief wenigstens alles gleich in den Abfluss, aber ich hatte das Gefühl, ein leckes Sieb in der Hand zu halten. Aus mindestens drei Eckchen strömte Wasser ins Innere der Maschine und ich beschloss spontan und sehr nörgelig, eine neue Kaffeemaschine zu kaufen.

Wenn ich eh schon zum Karstadt um die Ecke gehe, kann ich auch gleich in der Lebensmittelabteilung was Nettes mitnehmen. Die ist nämlich meine erste Anlaufstelle für De-Cecco-Nudeln, meine Lieblingssorte, sowie Pastrami. Außerdem gibt’s dort Ben & Jerry’s Peanut Butter Cup. Und weil mir neulich der Irish Coffee selbst mit schottischem Whisky gut geschmeckt hatte, nahm ich eine Flasche Irish Whiskey mit, um das ganze nochmal stilvoll zu basteln. Der Bäcker im Haus hatte auch mein liebstes Weißbrot, und so war ich dann doch besser gelaunt als ich dachte, als ich zuhause die neue Maschine (die gleiche wie vorher) aufbaute und mir erstmal ein schönes Brot mit Pastrami und Dijonnaise gönnte. (Ich weiß immer noch nicht, ob diese Dijonnaise eine Ausgeburt des Teufels oder ein Geschenk des Himmels ist, aber sie ist irre lecker.)

The Nationalist’s Delusion

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Wahl Trumps, die deplorables auch endlich mal deplorables nennt.

„“There’s very little evidence of Trump being openly racist or sexist,” Colvin insisted. “It wasn’t until he started running for president that all these stories started coming out. I don’t believe it, I’ve done the research.”

The plain meaning of Trumpism exists in tandem with denials of its implications; supporters and opponents alike understand that the president’s policies and rhetoric target religious and ethnic minorities, and behave accordingly. But both supporters and opponents usually stop short of calling these policies racist. It is as if there were a pothole in the middle of the street that every driver studiously avoided, but that most insisted did not exist even as they swerved around it. […]

In other words, the relevant factor in support for Trump among white voters was not education, or even income, but the ideological frame with which they understood their challenges and misfortunes. It is also why voters of color—who suffered a genuine economic calamity in the decade before Trump’s election—were almost entirely immune to those same appeals. […]

Overall, poor and working-class Americans did not support Trump; it was white Americans on all levels of the income spectrum who secured his victory. Clinton was only competitive with Trump among white people making more than $100,000, but the fact that each of their share of the vote was near-identical drives the point home: Economic suffering alone does not explain the rise of Trump. Nor does the Calamity Thesis explain why comparably situated black Americans, who are considerably more vulnerable than their white counterparts, remained so immune to Trump’s appeal. The answer cannot be that black Americans were suffering less than the white working class or the poor, but that Trump’s solutions did not appeal to people of color because they were premised on a national vision that excluded them as full citizens.

When you look at Trump’s strength among white Americans of all income categories, but his weakness among Americans struggling with poverty, the story of Trump looks less like a story of working-class revolt than a story of white backlash. And the stories of struggling white Trump supporters look less like the whole truth than a convenient narrative—one that obscures the racist nature of that backlash, instead casting it as a rebellion against an unfeeling establishment that somehow includes working-class and poor people who happen not to be white. […]

Birtherism is rightly remembered as a racist conspiracy theory, born of an inability to accept the legitimacy of the first black president. But it is more than that, and the insistence that it was a fringe belief undersells the fact that it is one of the most important political developments of the past decade.

Birtherism is a synthesis of the prejudice toward blacks, immigrants, and Muslims that swelled on the right during the Obama era: Obama was not merely black but also a foreigner, not just black and foreign but also a secret Muslim. Birtherism was not simply racism, but nationalism—a statement of values and a defining of who belongs in America. By embracing the conspiracy theory of Obama’s faith and foreign birth, Trump was also endorsing a definition of being American that excluded the first black president. Birtherism, and then Trumpism, united all three rising strains of prejudice on the right in opposition to the man who had become the sum of their fears.

In this sense only, the Calamity Thesis is correct. The great cataclysm in white America that led to Donald Trump was the election of Barack Obama.

History has a way of altering villains so that we can no longer see ourselves in them.“

Fehlfarben 11: Mark Steinmetz, Martin Parr

Wir haben uns ein paar Fotos angeschaut und darauf mit Riesling angestoßen.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 74 MB, 92 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:35. Wir trinken heute Rieslinge von der Mosel, hier der erste in der Blindverkostung.

00.03:45. Die erste Ausstellung: Mark Steinmetz, unitedstates pt. 2, im Amerikahaus. Läuft noch bis zum 7. Januar 2018. Achtung: Das Amerikahaus wird gerade generalsaniert, die Ausstellung ist im Gebäude vor dem israelischen Generalkonsulat am Karolinenplatz zu sehen. Der Eingang ist links, nur für die Interessierten unter euch, die nicht wie ich sinnlos ums Gebäude irren wollen.

Der Time-Artikel, den ich erwähne, steht hier; das Foto, auf dem ich ewig rumreite, findet sich in der Sammlung South East. Generell sind viele Fotos, über die wir sprechen, auf Steinmetz’ Website zu finden.

00.26:40. Blindverkostung Wein 2.

00.40:00. Fazit der ersten Ausstellung: drei Daumen nach oben.

00.41:10. Die zweite Ausstellung: Martin Parr, Souvenir – A Photographic Journey, im Kunstfoyer der Versicherungskammer. Läuft noch bis zum 28. Januar 2018. Das wollte ich gestern noch erwähnen, habe es aber natürlich vergessen: Das Kunstfoyer ist generell ein schöner Ausstellungsraum. Kostet nichts, ist jeden Tag geöffnet und zeigt stets interessante Fotografie. Wenn euch mal langweilig ist – einfach für eine halbe Stunde vorbeischauen, gibt immer was zu gucken.

Wir erwähnen das Buch Think of Scotland, das gerade erschienen ist; auf der Magnum-Website sind daraus einige Bilder zu sehen, über die wir sprechen – wie mein Liebling Gourock Lido (2004), das man als Druck für 139 Dollar kaufen kann. Hier kann man einige Bilder aus der Souvenir-Ausstellung sehen. Auf Parrs Website kann man sich durch seine Bücher klicken und bekommt einen guten Einblick in seine Arbeit. Ebenfalls erwähnt: Mona Lisa Selfie.

00.58:15. Blindverkostung Wein 3.

01.22:50. Fazit der zweiten Ausstellung: zwei Daumen nach oben und ein Querdaumen.

01.25:25. Wir lösen die Weine auf und fanden keinen so richtig super. Ich bin raus, weil ich erkältet eh nichts geschmeckt habe außer Zucker.

Wein 1: Joh. Jos. Christoffel, Ürziger Würzgarten Riesling Spätlese Alte Reben trocken 2014, 11,5%, beim Winzer für 14,80 Euro.

Wein 2: Wegeler, Bernkasteler trocken 2015, 12,5%, für 13 Euro.

Wein 3: Blees Ferber, Piesporter Goldtröpfchen Spätlese 2016, 7,5%, beim Kaufhof für 11 Euro. Ich möchte hier noch schnell eine Lanze für liebliche Weißweine brechen: Der hier ist schon fast ein Dessertwein und dafür finde ich 11 Euro sehr sparsam. Wir haben nach der Aufnahme noch ein schön zimtiges Curry gegessen, dazu war der Wein mit seiner Schwere perfekt.

Tagebuch, Samstag, 18. November 2017 – Irish Coffee

Für unseren Podcast wollte ich in der Bibliothek eine Winzigkeit nachschlagen. Eigentlich sogar mehr als eine Winzigkeit, aber über den einen Künstler, den wir besprechen, gibt es quasi null Literatur. Die wenige, die in München zu finden ist – eine einzige Monografie, obwohl der Herr auf seiner Website zwölf Bücher auflistet, in denen er alleine vertreten ist, – steht im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, das leider am Wochenende geschlossen hat, und während der vergangenen Woche fühlte ich mich noch zu matschig, um irgendwas vernünftig zu denken. Also ging ich gestern in die Bibliothek des kunsthistorischen Instituts der LMU, die immerhin Samstags offen ist und wollte über den anderen Künstler etwas lesen. Im ZI stehen über 20 von ihm herausgegebene Werke, in der Institutsbibliothek – steht eins. Mpf. Immerhin fand ich ihn noch in wenigen weiteren Publikationen, aber so richtig glücklich war ich nicht.

Trotzdem war es ein schöner Vormittag, denn wie immer in Präsenzbibliotheken steht neben dem Buch, das ich bewusst im Regal gesucht habe, mindestens eins, gerne fünf, das bzw. die ich jetzt spontan durchblättern will. Das scheint meine neueste Methode von Prokrastination zu sein: Anstatt mich über Kunst des Nationalsozialismus weiterzubilden, muss ich eher dringend was über dokumentarische Fotografie des ausgehenden 20. Jahrhunderts wissen.

Jemand retweetete meinen diesbezüglichen Tweet und meinte, Bibliotheken seien schlimmer als das Internet, immer liegt irgendwo was rum. Stimmt. (Und nirgends gibt es Kommentare! Es ist so herrlich, Texte ohne Widerworte zu lesen!)

Nachmittags sah ich müde der zu erwartenden Augsburger Niederlage in der Allianz-Arena zu, allerdings vom Sofa aus. Ich hätte eine Karte für das Spiel bekommen können, aber ich habe mich schon beim letzten Aufeinandertreffen der beiden eher als Auswärtsfan gefühlt. Das ist immer noch ein seltsames Gefühl, aber okay.

Wenn man nicht im Stadion ist, hat man übrigens Zeit für andere Dinge. Hefeteig zum Beispiel.

Und abends, nachdem ich rausgefunden hatte, dass man aus Netflix heraus Screenshots machen kann, was bei DVDs ja nicht funktioniert, und ich jetzt eine reichhaltige Bildschirmhintergrund-Kollektion von Schnuckifotos habe (wie früher! Never grow up!), hatte ich noch eine andere, ganz tolle Idee.

Tagebuch, Freitag, 17. November 2017 – Back to life und Prost

Wenn ich krank bin, denke ich immer, die Welt um mich herum hat sich brachial verändert, wenn ich plötzlich wieder in ihr auftauche. Ich muss mich gefühlt daran erinnern, wie U-Bahn-Fahren geht, wie man auf den Verkehr achtet, wie man mit Menschen an Supermarktkassen interagiert, wenn ich eine Woche lang bräsig vor mich hingedämmert habe.

Gestern besuchte ich endlich die zweite Ausstellung für unseren Podcast, den wir an diesem Wochenende aber wirklich aufnehmen. Letzten Sonntag konnte ich kaum sprechen; das geht jetzt gut, aber ich huste immer noch ein bisschen. Wird bestimmt prima fürs Zuhören. (Sorry!)

Ohne jetzt schon verraten zu wollen, was wir uns angeschaut haben: Ich mochte beide Ausstellungen sehr, und in beiden hing jeweils ein Bild, über das alleine ich eine Seminararbeit hätte schreiben wollen. Mal sehen, ob es zu einer neuen Ausgabe der Einzelmeister reicht; für diese Blogserie habe ich ja bisher erst einen Beitrag produziert. Der hat aber sehr viel Spaß beim Schreiben gemacht, weil ich mich fürs Blog genauso zum genauen Hinschauen motiviert habe, wie ich es sonst nur für die Uni tue. Aber bei den eben erwähnten zwei Bildern blieb ich recht lange stehen und schaute, weil es so viel zu schauen und zu vergleichen und zu denken gab.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, die Zeitungen der letzten Tage nachzulesen, von denen ich matt und matschig meist nur ein, zwei Seiten geschafft hatte. Das Feuilleton will ich auf jeden Fall komplett nachlesen, den Politikteil wenigstens überfliegen, Wirtschaft und Finanzen kommen gleich weg, hilft ja nix.

Bei Outlander habe ich inzwischen alles gesehen, was es an Folgen gibt (Netflix und vom Laster gefallenes Zeug). Die erste Staffel ziiiiiieht sich meiner Meinung nach äußerst ungebührlich in die Länge und die vorletzte Folge konnte ich nur zwischen meinen Fingern anschauen, die ich mir vor die Augen hielt, weil ich sie unglaublich brutal fand. Bei einigen Szenen sah ich bewusst ganz weg. Bei der zweiten Staffel daddelte ich die komplette erste Hälfte Candy Crush und Hay Day nebenbei, weil mir die ganzen politischen Intrigen in Paris total egal waren, aber die Kostüme haben mir sehr gut gefallen (die sind immer toll und ich möchte jetzt so ein großkariertes Schultertuch haben, das ich mir wie eine Pashmina überwerfe). Die zweite Hälfte fand ich dann spannend genug, um anständig zuzuschauen. Bisher mag ich die dritte Staffel recht gern, zumindest bis zum großen Wiedersehen der beiden Hauptpersonen, weil da endlich mal beide für sich alleine stehen und wirken können. Jetzt wo sie wieder knutschen, versackt alles wieder ein bisschen.

Das hält mich aber natürlich nicht davon ab, YouTube nach Schnuckischnipseln leerzusuchen. Jetzt weiß ich auch, wie sich der Hauptdarsteller ausspricht.

Ich beschloss den Tag und offiziell die Erkältung damit, Alkohol zu trinken, ungefähr 1 cl. In Outlander saufen sie den – ganzen – verdammten – langen – Tag lang, meistens Wein oder Whisky (Schottland halt).

An Whisky habe ich mich jahrelang nie so recht rangetraut und hatte in Hamburg auch nur eine Flasche, hauptsächlich um ihn in Backwerk oder Nachtisch zu kippen; immerhin einen Oban und keinen Johnny Walker oder ähnliche Blends. In F.s Wohnzimmer stehen „zwischen 20 und 30, glaube ich“ Flaschen Whisky und Whiskey (der Mann liegt gerade neben mir und weiß es selbst nicht genau), und natürlich habe ich in den vergangenen Jahren den einen oder anderen Schluck bei ihm probiert. So ganz richtig warm werde ich mit dem Torf und dem Rauch nicht, aber es gibt einen Whisky aus den Highlands – natürlich aus den Highlands –, der mir sehr gut schmeckt, überhaupt nicht brennt, sondern das Brustbein mit Vanille und einem winzigen bisschen Ingwer wärmt: der Singleton of Glen Ord, 15 Jahre gereift. (Ich bin ja alleine von den Reifungen bei Bränden immer schon beeindruckt. Da lässt man dieses herrliche Produkt einfach jahrelang rumliegen und plötzlich ist es groß und darf in die Welt.) Ein kleines bisschen Rauch, kein Torf, der, soweit ich weiß, eher bei den Insel- und speziell den Islay-Whiskys vorherrscht, nur schöne Geschmeidigkeit.

Dass die Glen-Ord-Destillerie nur ein paar Kilometer von Inverness entfernt liegt, dem Ort, an dem die ganze Outlander-Serie beginnt, fand ich erst gestern beim Whisky-Googeln heraus und fand es sehr charmant. Sláinte!

(Nachtrag: Der Herr ist inzwischen zuhause und hat nachgezählt: 43 Flaschen.)

Tagebuch der letzten Woche, die Erkältungsedition

Am Samstag führte ich einige Interessierte durch unsere Ausstellung in Rosenheim. Ich glaube, das ging das gut, jedenfalls war das Feedback positiv. Meine Stimme hielt auch die gute Stunde durch, aber schon beim Gang zum Bahnhof zurück pfiff meine Lunge lustig vor sich hin, und ich habe dann erstmal bis Montag abend nicht mehr gesprochen. Dienstag konnte ich immerhin schon beim Bäcker nach einem Brot krächzen, wobei mir fünf Leute im Laden gute Besserung wünschten. Das war gestern beim Zahnarzt auch so, obwohl die Stimme schon fast wieder da ist.

Ach ja, Zahnarzt. Das war gestern nur eine Kontrolle meiner Schiene, die ich nachts trage, damit ich nicht mit den Zähnen knirsche und von der ich eine neue bekommen hatte. Bevor der Arzt sich zu einem bewegt, ist man ja gerne alleine oder nur mit den zahnmedizinischen Fachangestellten im Raum. Bisher hatte ich in meinem gesamten Zahnarztleben nur weibliche Angestellte, die ein paar freundliche Worte für einen hatten, einen aber sonst in Ruhe ließen, hinter mir vielleicht noch sinnlos auf dem Rechner rumklickten oder die Instrumente nochmal neu anordneten. Gestern war da ein junger Mann, der sich innerhalb von fünf Minuten siebenmal die Hände desinfizierte, erst über Erkältungen und U-Bahn-Unsitten mit mir plauderte, was ich mir noch gefallen ließ, denn das war ja naheliegend. Dann meinte er aber, über Politik reden zu müssen, und seit gestern weiß ich, dass Angela Merkel noch jemand über sich hat, dessen Anweisungen sie ausführt – wer das ist, weiß ich leider nicht –, und dass sie eh immer ein Schoßhündchen von Obama war. Ich brummte irgendwann nur noch „Das sehe ich nicht so“, hatte aber wirklich keine Lust, das noch auszuführen, sondern wartete augenrollend darauf, dass der Mann sich nochmal seine Hände desinfizierte und dass der Arzt bitte bald käme.

Ist nur anekdotisch, unterstützt aber wieder die Theorie, dass Kerle einem Gespräche aufdrängen, während Frauen einen in Ruhe lassen.

Die FAZ ist wieder seit Tagen zu spät, aber sie liegt dafür immerhin vor der Wohnungstür. Weil ich im Moment froh bin, nicht nach unten zum Briefkasten zu müssen, sondern unter meiner Decke bleiben zu dürfen und eh lange schlafe, beschwere ich mich darüber nicht.

Ich begann ja schon im gesunden Zustand, Outlander zu gucken und nölte mehrfach auf Twitter, dass die Serie fürchterlich langweilig sei, wenn man die Prämisse „Krankenschwester wird aus dem Jahr 1945 ins Jahr 1743 gerissen“ kapiert und sie sich im alten Schottland eingewöhnt hat. Aber immer wenn ich denke, so, jetzt gucke ich nicht mehr weiter, kommt eine Folge, die mich dann wieder erwischt.

Außerdem hat die Serie ein Asset, das mir gerade sehr recht kommt:

About last night… @outlander_starz screening with @entertainmentweekly #droughtlanderIsALMOSTover

Ein Beitrag geteilt von Sam Heughan (@samheughan) am

Schnucki-Alarm! Endlich wieder was zum Gucken!

Ich verschenke mein fickle heart ja gerne an irgendwelche Leinwandkerle, mit denen ich nachts Hochzeiten plane, wenn ich nicht schlafen kann, oder denen ich mich liebevoll in meiner Oscar-Dankesrede für das beste Originaldrehbuch zuwende. Was man halt so macht anstatt Schäfchen zu zählen. Der ganze Wahn begann mit Kiefer Sutherland in Stand by Me und Kiefer ist auch heute noch der Oberschnuckel, der diesen Ehrentitel bis auf ewig tragen wird, auch wenn der Mann inzwischen miese Tattoos hat und gerne betrunken in Weihnachtsbäume springt. My love will never die.

Danach kamen Russell Crowe und, die frühen Leser*innen dieses Blogs werden sich erinnern, Viggo Mortensen. Matthew Perry war immer dabei, Matthew McConaughey auch und vor einigen Jahren wurde dann Jeremy Piven der Mann, der mich einschlafen ließ. Der geht mir aber schon länger auf den Zeiger und es kam schlicht niemand nach. Bis letzte Woche, als Netflix mich zu Outlander schickte. Danke, Netflix!

Apropos Tattoos, nicht miese, sondern großartige: hier. Davon hätte ich auch gerne eins. Verdammt, ich dachte, das Thema sei für mich durch. Hm. Hmmmm.

Und dann erfreute mich gestern die BVG mit einem herrlichen Spot, der mich sofort die Spotify-Playlist „Best of Münchener Freiheit“ öffnen ließ. Ich besitze ernsthaft eine CD der Jungs, und ja, ich höre den Kram immer noch. Haters gonna hate hate hate hate hate.

BVG – Ohne Uns

Die 80er haben angerufen – und wir haben abgenommen.

Posted by Weil wir dich lieben on Mittwoch, 15. November 2017

Ich habe versucht, den Sänger zu ergoogeln, der Stefan Zauner so irre ähnlich klingt, aber der Mann möchte laut Tagesspiegel nicht genannt werden. Die Münchener Freiheit kommentierte netterweise selbst unter dem FB-Video, dass sie sehr zufrieden seien. Awww!

Was schön war, Freitag, 10. November 2017 – Kunst gucken

Bei mir gemeinsam aufgewacht. Bei der Verabschiedung von F. eine Lindt-Schokoeule auf einem Aldi-Baumstamm (Nougat mit Marzipan drum, my drug of choice in der Weihnachtszeit) entdeckt. Vielleicht bin ich gar nicht dick, weil meine Schilddrüse im Eimer ist, sondern weil F. mir dauernd irgendwo Schokolade hinlegt, der gute Mann.

Den Vormittag verbrachte ich in einer der beiden Ausstellungen, die wir im nächsten Fehlfarben-Podcast besprechen wollen. Wir nehmen hoffentlich Sonntag auf, es gibt also eventuell Montag oder Dienstag wieder was von uns zu hören. (Hoffentlich = siehe letzter Absatz.)

Nachmittags bastelte ich mein Manuskript für die Rosenheim-Führung fertig. Wie immer, wenn ich Zeug erzählen soll, drucke ich mir das Manuskript einmal aus, trage es vor, korrigiere handschriftlich währenddessen, wenn ich merke, dass Bezüge doof sind oder ich etwas umstellen sollte, füge die Korrekturen danach ein und drucke danach alles nochmal aus. Den ersten Durchgang drucke ich immer auf Schmierpapier aus, also Zeug, das ich schon mal ausgedruckt oder kopiert hatte, aber dann nicht brauchte – Handouts für meine Kommilitoninnen, Fehldrucke, Kopien, was auch immer. Ich erinnerte mich gestern daran, als ich mein letztes Referat im Studium vorbereitete – meinen Vortrag im Masterarbeits-Kolloquium – und damals dachte, wäh, das ist mein letztes Referat, dessen Manuskript ich ausdrucke. Ich freute mich gestern, dass ich anscheinend noch andere Vorträge ausdrucken kann. Vielleicht bleibt die Rosenheim-Führung ja nicht die letzte. (Mal sehen, was die Versuchskaninchen nachher so als Feedback dalassen.)

Was dann abends weniger schön wurde: mein Gesundheitszustand. Mies geschlafen, dicker Hals. Mal sehen, wie lange nachher die Stimme hält oder ob es irgendwann eine Flüsterführung wird. Oder ich einfach stumm mein Manuskript rumreiche und auf Bilder deute. Wird super!