Tagebuch Samstag, 12. Dezember 2015 – #12von12

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Viel zu früh. Nochmal umdrehen.

Das ist Luise als Bildschirmhintergrund. Seit Jahren. Eigentlich seit ich sie besitze. Ich bin, was Bildschirmhintergründe angeht, eine sehr treue Seele. Der Schreibtisch meiner diversen MacBooks sieht seit ungefähr acht Jahren immer gleich aus. Ich versuche ab und zu mal einen neuen, aber der wird meistens nach einem Tag wieder zurückgeändert, weil mich ein anderer Hintergrund am Rechner anscheinend nervös macht.

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Doch wachgeblieben. Erstmal gucken, was die Twitter-Timeline so empfiehlt. Hier war es Dietmar Dath.

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Frühstück vor Referatsfolien. Ich hatte den Blogeintrag kurz nach Mitternacht online gestellt, aber es kam mir komisch vor, das schon als #1von12 zu taggen. Daher habe ich es nachgeholt. Und ich mag das Stadionbild so gern.

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Völlig vergessen, die Adventskalenderpraline zum Frühstück zu knabbern. Ebenfalls nachgeholt.

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In die Innenstadt zum Shopping gefahren. Ich kaufte nicht die abgebildete Weißwurstweihnachtsbaumdeko, sondern zwei Bleche für den Ofen. Mit nur einem Blech zu backen, ging mir nach drei Jahren dann doch auf den – Achtung – Keks. Ebenfalls erstanden: zwei neue Keksdosen und ein bisschen Nahrung. Verkniffen: eine gut gelaunte, dicke Glitzerballerina für den Weihnachtsbaum.

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Zeug nach Hause getragen, Arbeitshandschuhe eingepackt, wieder losgegangen, noch was eingekauft. Mein erster selbst in irgendeine Wohnung getragener Weihnachtsbaum. Von mir aus könnte der das ganze Jahr stehen.

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Dann begann Das Große Backen. Erstmal Vanillekipferl. Ich hatte vergessen, Vanillezucker anzusetzen (aufgeschnittene Schote in ein Glas mit Zucker packen, warten, fertig), weswegen ich auf gekauften Vanillezucker zurückgreifen musste. Ich behaupte, er schmeckt etwas chemisch, aber das ist vermutlich Einbildung. Die Kipferl sind mir etwas zu dunkel geraten, haben aber ein interessantes *ähem* Röstaroma.

Vanillezucker angesetzt.

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Plätzchen nach dem Instagram-Rezept von @dasnuf gemacht anstatt mein gewohntes Rezept für Mürbeteig zu nutzen. Muss ich dringend verbloggen – das ist wirklich besser. Der Teig klebt weniger, lässt sich besser ausrollen, und die Kekse schmecken süßer (klar, deutlich mehr Zucker als in meinem Rezept).

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Drittes Gebäck: Florentiner. Die idealen Instagramkekse, denn sie sind erstmal quadratisch. Na fast.

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Um 15.30 wird Fußball geguckt. Oder im Hintergrund laufen gelassen, während man Kekse dekoriert, abwäscht und Candy Crush spielt.

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Nach dem ganzen Zucker brauchte ich was Herzhaftes. Eisbergsalat ist ja eigentlich so schmackhaft wie Kleenex, aber neuerdings mag ich den Crunch von ihm wieder ganz gerne. Also dick auf eine geröstete Brotscheibe gepackt, Schinken dazu, noch eine Brotscheibe, die mit Dijonnaise bestrichen ist (das ist bestimmt ganz schlimm, das Zeug, aber ich liebe es), Käse drauf und Tomaten, Salz und Pfeffer, noch eine Brotscheibe. Nach dem Fotografieren Hand drauflegen und alles zusammenquetschen, damit es in den Mund passt.

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Weil ich es kann und weil es mich glücklich macht.

PS: Es ist doch nicht alles heil von Hamburg nach München gekommen: Eine goldene Kugel ist kaputt.

Tagebuch Freitag, 11. Dezember 2015 – Stadionreferat

Gut war’s. Der Dozent hat sich über mein Bildmaterial gefreut – „das unterstützte immer gut, was Sie gerade sagen“ – sowie über den großen Bogen, den ich gespannt habe, anstatt nur über das Vogelnest zu sprechen. Zitat war gut, die Idee, sich daran abzuarbeiten auch – aber ich war mal wieder zu schnell. In den ersten Semestern hatte ich immer ein Post-it mit „Langsam!“ vor mir liegen; irgendwann habe ich das gelassen, weil keine Kritik mehr an meiner schnellen Sprechweise kam, aber gestern bin ich anscheinend mal wieder gerast. „Sehr viele Informationen in einem recht kurzen Referat.“ Und ich so innerlich: meine Darlings! Ich hätte sie gar nicht killen müssen! Ich hätte doch länger reden können! Aber das weiß man bei Dozierenden, die man noch nicht kennt, ja nie, wie sie auf Überziehung reagieren; mir ist aufgefallen, dass der Herr bei Referaten des Öfteren auf die Uhr schaut, und daher wollte ich nicht so gnadenlos lang werden. Hätte ich aber anscheinend machen können.

Die anschließende Diskussion war ausnahmsweise mal etwas lebhafter als sonst. Ich weiß nicht, woran es gelegen hat, aber anscheinend waren viele der Teilnehmerinnen schon mal in Stadien unterwegs und konnten was dazu sagen. Die Allianz-Arena wurde nicht als Ikone angesehen, weil ihr Design nicht so irrwitzig innovativ ist. Es wurde aber anerkannt, dass es eine gute Lösung für das Problem bietet, dass sich zwei Vereine in einem Stadion wohlfühlen müssen – nur durch Licht schafft man eine andere Außenhülle, und das ist schon schick. Das alte Olympiastadion ist laut unserer Kursdefinition (runterscrollen bis zur 4-Punkt-Aufzählung) ebenfalls keine Ikone, auch wenn wir alle in es verliebt sind, denn: Es hat keine bildhaften Qualitäten. Beim Nationalstation in Peking denkt man an ein Vogelnest, beim al-Wakrah … nun ja, ich komme gleich noch darauf zurück … aber das Olympiastadion sollte ein Zeltdach sein für ein heiteres Sommerfest und genau das ist es dann auch geworden. Man denkt eher nicht an die Berge der Alpen oder hat andere Bilder im Kopf, sondern sieht ein Zeltdach für ein heiteres Sommerfest, und deswegen fliegt es raus. Was natürlich nicht heißt, dass es irgendwie schlechter ist, ganz im Gegenteil; da waren wir uns alle einig, dass es zusammen mit dem Vogelnest eines der aufsehenerregendsten und attraktivsten Olympiastadien ist.

Beim al-Wakrah hatte ich bewusst alle Hinweise in Richtung „vagina stadium“ unterlassen, aber das halbe Seminar kicherte sofort, als die Folie mit der Aufsicht auf das Stadion kam. Zaha Hadid hat sich natürlich gegen diese Zuschreibung ausgesprochen; sie meinte, wenn der Entwurf von einem Mann gekommen wäre, hätte niemand diesen Vergleich gezogen. Kann ich nicht beurteilen, aber ich fand die direkte Reaktion aus dem Kurs dann doch bezeichnend. Das Stadion hat es übrigens im November 2013 bis in die Daily Show geschafft (ab 9.30 min).

Ich habe im Referat versucht, auf die anderen Ansichten des Stadions einzugehen; gerade die Seite finde ich nämlich sehr gelungen, schön dynamisch, trotzdem elegant, und sie erinnert nicht nur an die Dau, von deren gespanntem Segel das Dach inspiriert wurde, sondern auch an Wüstendünen, was beides gut zu Katar passt.

In der Diskussion wurde sich auch kurz mit meinem gewählten Eingangszitat befasst. Eine Kommilitonin bemerkte, dass ich das Prestigeobjekt nur aus Sicht der Architekt*innen abgehandelt habe, aber ein Stadion könne ja auch für eine Stadt ein Prestigeobjekt sein, selbst wenn es nicht von einer/m Starchitekt*in käme. Auf diese Drehung bin ich gar nicht gekommen; werde ich für die Hausarbeit noch mal überdenken. Auch die Frage, ob Stadien identitätsstiftend für Städte sein könnten – ich fragte mich das in einem Blogeintrag –, wurde besprochen. Es wurde mehrfach das Ruhrgebiet genannt, vor allem der Signal-Iduna-Park und die Veltins-Arena; gerade letztere mit ihrer Berglage wirke angeblich sehr identitätsstiftend. Bei diesen Aussagen wird natürlich die nicht gerade innovative Architektur außer acht gelassen, hier geht es rein um den gefühlten Mehrwert, den das Stadion der Stadt bietet. Auch an der Ecke muss ich noch weiterdenken.

Wen’s interessiert: Hier sind die Folien (komprimiert, daher nicht ganz optimal) und hier mein Skript. (Präsentation gelöscht, weil ich die Bildrechte nicht besitze.)

Tagebuch Donnerstag, 10. Dezember 2015 – final.docx

Erster Probedurchlauf Referat: gut 40 Minuten. Viel zu lang. Ich erwähnte bereits, dass wir in unserem kleinen, feinen Kurs nur ein Referat pro Stunde haben, deswegen ist die Faustregel „wirklich und echt jetzt mal nicht länger als 25 Minuten, besser wären 20“, die sonst gilt, außen vor. Trotzdem will ich keine halbe Sitzung alleine bestreiten. Also weiterhin Darlings gekillt, gleichzeitig aber weiter nach Fakten und Bildern gesucht, die das Zitat eher widerlegen als bestätigen, mit dem ich die Präsentation beginne. Deswegen war ich drei Stunden lang damit beschäftigt, für jedes Bild, das ich reinnehme, woanders eins rausschmeißen zu müssen.

Mein Kurs wird leider auf das originalgetreu restaurierte Stockholmer Olympiastadion von 1912 verzichten müssen, welches das erste war, das bewusst auf das Land einging, in dem die Spiele stattfanden und das eine wunderschöne Backsteinfassade im Stil der schwedischen Nationalromantik hat. Auch den Exkurs zur individuellen Gestaltung von Herzog & de Meuron, die sich laut Eigenaussage lieber von Bildender Kunst als von anderen Gebäuden inspirieren lassen, habe ich komplett geknickt, der führte schlicht in eine andere Richtung. So kann ich leider nicht die wunderschöne Sammlung Goetz zeigen, die von Donald Judd und dem Minimalismus inspiriert war. Dafür habe ich jetzt Peter Eisenmans fürchterliches Stadion für die Arizona Cardinals drin, über das Tropolism den schönen Satz formulierte: „Frank Gehry’s worst building ever“.

Zweiter Durchgang: 31 Minuten. Gekauft.

Tagebuch Mittwoch, 9. Dezember 2015 – Schreibtisch, Trümmerfrauen, Nüchtern

Vormittags im Ost-West-Dialoge-Seminar zwei spannende Referate gehört. Zunächst ging es um Bernhard Heisig. Die Referentin stellte uns seine Serie an Pariser-Kommune-Bildern vor, die er teilweise selbst vernichtete, teilweise nach Kritik der Regierung (?) überarbeiten musste („zu statisch, zeigt nicht genug Kampfgeist“) und die schließlich in einem regimekonformen Ausdruck endeten, der dann – total überraschend – auch die banalste Ausführung war. Anhand dieser Version lernte ich den schönen Ausdruck der Isokephalie. Mir persönlich haben seine litografischen Arbeiten besser gefallen als die Gemälde; hier eine Abbildung aus Der faschistische Alptraum. (Ich sehe gerade: ein Bild, das ich gestern auch sehr mochte, ist sogar bezahlbar. Hm. Hm-hm-hmmmm.)

Wir diskutierten abschließend – ohne Ergebnis – die Frage, ob die Werke Heisigs besser in einem historischen oder in einem Kunstmuseum aufgehoben wären, also ob sie Kunst im Sinne von „eigenständig, frei etc.“ seien oder doch eher die Kunstauffassung der DDR bebilderten und damit historisch interessant seien. Ein Argument war, teilweise habe Heisig ja nur Auftragskunst abgeliefert, woraufhin natürlich das Gegenargument kam, das habe Michelangelo mit der Sixtinischen Kapelle auch gemacht. Überhaupt liegt über unserem Seminar immer die Frage, ob DDR-Kunst Kunst sei, also ob in einem unfreien System überhaupt Kunst entstehen könne, weil sie sich ja mit dem System gemein mache. Die Dozentin erzählte, sie habe dieses Seminar vor gut zehn Jahren schon mal in ähnlicher Form abgehalten und da waren alle der Meinung, nein, das sei keine Kunst und Heisig gehöre ins Historische Museum, während wir heute deutlich zwiespältiger schienen und in weiteren zehn Jahren würde man vermutlich (oder hoffentlich) nicht mal mehr darüber diskutieren. Wir sind ja schließlich auch (nach 70 Jahren) soweit zu sagen, dass einiges von der Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstanden ist, auch durchaus so genannt werden darf. Die DDR ist anscheinend noch zu frisch, um den gleichen Status zu erhalten.

Die Dozentin erzählte auch von einer Ausstellung in Weimar 1998, Aufstieg und Fall der Moderne, wo Nazikunst und DDR-Kunst in einem Atemzug präsentiert wurde, was zu großen Auseinandersetzungen geführt hatte. (Zu Recht.)

Das zweite Referat ging um das Frühwerk von Markus Lüpertz und seine „deutschen Motive“ wie Helme sinkend – dythrambisch. Das passte mir alles ganz gut, denn ich versuche im Kopf schon die Hausarbeit zu Anselm Kiefer vorzuformulieren und muss mir dafür natürlich noch den Rest der bundesrepublikanischen Maler angucken, wie die so die NS-Zeit verarbeitet haben, wenn sie sie denn verarbeitet haben. Mir war Lüpertz immer so ein bisschen egal in seinem von mir so wahrgenommenen Größenwahn, aber das hat mit seiner Kunst ja nichts zu tun, dass ich ihn unsympathisch finde. Über die Trennung von Mensch und Werk diskutierten wir ebenfalls, was ich bei Richard Wagner schon seit 30 Jahren praktiziere.

Nach der Uni fuhr ich zur Staatsbibliothek, wo weitere Nationalstadion-Lektüre für mich lag – und endlich Leonie Trebers Mythos Trümmerfrauen, auf das ich seit Monaten warte. Es war ewig ausgeliehen oder vorgemerkt, aber jetzt liegt es bei mir zuhause, und ich habe sogar gerade Zeit, es zu lesen. Die erbitterten 1-Stern-Kommentare bei Amazon lassen übrigens erahnen, in was für ein Wespennest Treber mit ihrem Thema gepiekst hat. Ich unterstelle sämtlichen Autor*innen, dass sie vom Buch nicht mal den Klappentext gelesen haben, denn dass es Trümmerfrauen gab, bestreitet Treber gar nicht – nur ihre Anzahl und Motivation. Aber mehr kann ich auch noch nicht sagen, ich bin gestern nicht über 30 Seiten hinausgekommen.

Nachmittags bastelte ich wieder am Nationalstadion-Referat rum und endete mit einem Skript und einer Präsentation, die ich als „final“ abspeicherte. (Ein Scherz. Wissen wir ja alle.)

Abends las ich Nüchtern: Über das Trinken und das Glück aus und befand es für gut und lesenwert.

Tagebuch Dienstag, 8. Dezember 2015 – Am Schreibtisch

Den ganzen Tag am Referat rumgepuschelt. Im Prinzip steht es seit Montag abend, jetzt schiebe ich Texte hin und her, füge noch Bilder in die Präsentation, schmeiße sie zwei Stunden später wieder raus und vier Stunden später wieder rein. Die Reihenfolge meiner Argumente ist fix, jetzt gucke ich nur noch, wie tief ich wirklich argumentieren muss – also ob ich meine wie immer irrwitzig umfangreiche Stoffsammlung wirklich komplett erzählen möchte oder ob ich – ebenfalls wie immer – erstmal meine Darlings killen muss. Gestern habe ich nur die Hälfte der Lieblinge umgebracht, heute kommt vermutlich der Rest dran. Aber ich muss mich da erstmal rantasten, alles auf einmal tut zu weh.

Everwood ausgeguckt. Noch keine neue Serie angefangen. Hack und Fenchelsaat über Nudeln geworfen. Viel Tee getrunken, früh schlafen gegangen, nachdem ich in der Nacht von Montag auf Dienstag zweimal länger wach war. Zwei große Milchkaffees am Tag sind anscheinend einer zuviel.

Tagebuch Montag, 7. Dezember 2015 – Lernen und lesen

Vormittags wieder in der Barock- und Klassizismus-Vorlesung gesessen. Wir haben die Kirchen hinter uns gelassen und sind endlich bei Schlössern, und netterweise besprachen wir gestern zwei, die ich schon im zweiten Semester kennengelernt habe: Vaux-le-Vicomte und natürlich Versailles. Ich notierte mir also nur die Stichworte, die der Dozent beharrlich wiederholte (Codesprech für „klausurrelevant“) und hatte ansonsten zwei entspannte Stunden mit schönen Bildern. Und einem etwas nervigen Publikum, aber das ist in Kunstgeschichte ja fast immer so.

Danach zur Packstation geradelt, wo ein Geschenk auf mich wartete. Tamara überraschte mich mit Die Kunst der Gegenwart: 1960 bis heute von Philip Ursprung. Über den Mann bin ich bei der Recherche zum Vogelnest-Referat oft gestolpert, weil er mit Herzog & de Meuron zusammengearbeitet hat und anscheinend gerne über sie publiziert. Ich freue mich immer, wenn ich Namen wiederlese, die ich schon mal zitiert oder über die ich mir schon mal Gedanken gemacht habe. Gerade als Anfängerin weiß man ja nie so recht, wer da gerade schreibt, dessen oder deren Sätze man auseinandernimmt oder bejaht, aber je länger man sich in einem gewissen Umfeld, wie der Architektur, bewegt, umso mehr liest man immer wieder die gleichen Namen und kann besser einschätzen, wie sehr man dem- oder derjenigen trauen darf oder soll. Ich fühle mich meist so, als ob ich alte Bekannte wiedertreffe, was ich sehr mag.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Nachmittags am Referat weitergebastelt. Herzlichen Dank für die vielen schlauen Mails und Tweets mit Anmerkungen zu meinen Überlegungen! Die haben mir alle weitergeholfen. Wissenschaftliches Bloggen aus der Werkstatt scheint doch zu funktionieren. Ich habe dafür zwar mal leidenschaftlich argumentiert, aber so richtig geglaubt habe ich es selber nicht. Aber jetzt habe ich unter anderem einen Podcast zum Anhören, diverse Artikel zum Nachlesen – und den Bildschirmhintergrund der Stadtverwaltung Mönchengladbach, den ich prima als Bild einsetzen kann, um die Sichtbarkeit von Stadien im Stadtbild zu unterstreichen.

Tagebuch Sonntag, 6. Dezember 2015 – Theorien, Schmeorien

Da tippte ich gestern noch frohgemut von der hübschen These, dass Stadien neuerdings Ikonen sein möchten, was ich im Referat belegen will – und stellte am Ende des Tages fest: kann ich nicht. Aber ich kann die These stark anzweifeln. Ist ja auch was.

Ich beginne mein Referat jetzt mit einem Zitat von Jan Tabor (Stand heute, mal sehen, was ich dann Freitag wirklich mache):

„Rechtzeitig zum Jahrtausendwechsel 2000 hat der Stadionbau den Museumsbau als den bevorzugten Prestigebau des 20. Jahrhunderts eindeutig abgelöst – genauso, wie die Opern, Theater und Bahnhöfe, die architektonisch das 19. Jahrhundert prägten und als die Tempel der einbrechenden modernen Zeiten galten, vom Kunstmuseum verdrängt worden waren.“

(Tabor, Jan: „Olé. Architektur der Erwartung. Traktat über das Stadion als Sondertypus politischer Geltungsbauen (Fragment)“, in: Marschik, Matthias/Müllner, Rudolf/Spitaler, Georg/Zinganel, Michael (Hrsg.): Das Stadion. Geschichte, Architektur, Politik, Ökonomie, Wien 2005, S. 49–88, hier S. 49.)

Ich glaube, dass diese Aussage nicht ganz richtig ist. Je länger ich mich mit Stadionbauten auseinandersetze, desto mehr sehe ich multifunktionale, vermutlich komfortable und einträgliche Arenen, aber keine stilistischen Ikonen, mit denen sich Architekt*innen schmücken wollen. Herzog & de Meuron sind da sicher eine Ausnahme, schließlich haben sie nicht nur das Vogelnest gebaut, sondern noch diverse weitere Stadien („Sports and Recreation“ auswählen, schicke Bilder angucken). Ihr erstes Stadion war die Überarbeitung vom St. Jakobs Park in Basel, wo sich ein Altersheim in das Gebäude integriert. Würde ich noch nicht als Ikone bezeichnen, ist aber schon ein anderer Schnack als die ganzen Mehrzweckbauten, die sonst so in der Gegend rumstehen. Sie sind aber so ziemlich das einzige Architekturbüro, das schon mehrere Ikonen errichtet hat (soweit ich weiß).

Ein weiteres Zitat ließ mich länger nachdenken:

„Many stadia have become potent landmarks that heighten their city’s regional or even international profile and, at the local level, spur gentrification and new investment.“

(Zinganel, Michael: „The Stadium as Cash Machine“, in: Frank, Sybille/Steets, Silke: Stadium Worlds. Football, Space and the Built Environment, London 2010, S. 77–97, hier S. 78.)

Der Satz bleibt leider ohne ein follow-up und ich frage mich: welche Stadt hat denn bitte ein Stadion, welches das Profil der Stadt anhebt? Mir ist ehrlich gesagt neben Peking nur eine einzige Stadt eingefallen, bei der man das Stadion überhaupt als architektonisches Wahrzeichen wahrnimmt:

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(Das Foto hatte ich für mein Heimat-Referat abgespeichert. Praktisch.)

München ist allerdings ein anderer Ausgangspunkt als Peking, das bereits im Briefing an das Architekturteam eine Ikone, ein landmark verlangte. In München wollte man die Offenheit des neuen Deutschlands symbolisieren, man wollte die sprichwörtlichen „heiteren Spiele“ mit einer bisher ungesehenen, leichten Architektur unterstützen.

Die anderen Olympiastadien des neuen Jahrhunderts, die ich mir inzwischen angeschaut habe, kommen im Hinblick auf Ikonizität weder an München noch an Peking heran. Und auch bei Fußballarenen, die häufiger gebaut werden und in größerer Anzahl vorhanden sind als Olympiastadien, sehe ich keine einzige Ikone, nicht mal das Maracanã oder das Giuseppe-Meazza-Stadion mit seinen charakteristischen Säulen. Aber das mag persönlicher Geschmack sein.

Ich werde also im Referat versuchen, das erste Zitat zu widerlegen und vor allem die Sonderstellung von Peking hervorheben, denn das Stadion war nicht der einzige Bau, der zu Beginn des neuen Jahrhunderts von nicht-chinesischen Architekten in Peking gebaut wurde. Weitere Neubauten, die (dafür habe ich immerhin Belege) den wirtschaftlichen Erfolg des Landes und damit den der kommunistischen Partei bezeugen sollten, sind zum Beispiel Rem Koolhaas’ CCTV-Tower, Paul Andreaus Nationaltheater oder Norman Fosters Flughafen.

*weiterdenkend*

Tagebuch Samstag, 5. Dezember 2015 – Serien, Fußball, Vogelnest

Morgens entspannt bei F. ausgeschlafen, heimgeradelt, eingekauft. Danach die ältere Nachbarin im Fahrstuhl getroffen, die ich als einzige dauernd sehe; den Rest des Hauses kenne ich bis auf diese Dame und die Nachbarin, die mir die Vogelnest-DVD geliehen hat, überhaupt nicht. Und sie erzählt mir immer irgendwas, allerdings in wunderschönem Bairisch, von dem ich nur die Hälfte verstehe. Immerhin weiß ich jetzt – oder glaube zu wissen –, dass sie und ihr Mann schon seit 45 Jahren im Haus wohnen, früher noch „mitm Bua“, jetzt halt zu zweit, und sie sehr dankbar für den Fahrstuhl ist, der uns gemeinsam in den 5. Stock trug.

Everwood weitergeguckt (nur noch zehn Folgen von vier Staffeln übrig, hilfe!), danach Fußball. Nach langer Zeit mal wieder eine Bundesliga-Niederlage des FCB mitangesehen. Der Herr @fehlpass twitterte danach mein neues Lieblingsbild.

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Weiter fürs Referat gelesen. Nachdem ich jetzt weiß, von was das Stadion inspiriert ist, wieviel es gekostet hat, wie es gebaut wurde, dass die Dachhülle in Teilen das gleiche Material verwendet wie die Allianz-Arena und dass überhaupt alle das Ding echt supi finden, stöbere ich jetzt gerade in Texten rum, die sich mit Sport generell befassen, mit dem Massenphänomen, das er ist, mit den Menschen im Stadion und ihren Ansprüchen.

Die Frage, die ich seit ein paar Tagen mit mir rumschleppe: Warum wollen auf einmal Stadien ikonisch sein? Dass Banken, Versicherungen, große Firmen ihre Zentralen repräsentabel aussehen lassen wollen – klar. Dass kulturelle Institutionen wie Opernhäuser oder Museen schon von außen sagen wollen, dass sich Kunst in ihnen befindet – auch klar. Aber wieso Sportarenen? Meine Theorie, die ich noch durch Literatur unterfüttern muss: Sport ist in unser heutigen Zeit die größte Massenunterhaltung, das Event, das am meisten Zuschauer an sich binden will. Deswegen werden Bundesligastadien mit Gastronomie und Erlebniswelten ausgestattet, so dass sie über einen reinen Zweckbau hinausgehen. In VIP-Lounges werden Geschäfte gemacht oder gefeiert anstatt dem Spiel zuzuschauen, was dem Stadion eine neue Funktion verleiht. Das passt noch nicht auf alle Stadien, klar, siehe Darmstadt, aber selbst das angeblich so alternative St. Pauli hat im Millerntor sogannte Eventräume, die nichts mehr mit dem Klischee des schwitzigen, machohaften Arbeiterfußballs zu tun haben. Stadien sind inzwischen also mehr als reine Sportstätten und deswegen dürfen (oder wollen) sie auch anders aussehen.

Olympische Spiele sind wieder ein anderer Schnack. Sie finden, im Gegensatz zu Ligaspielen, nicht jede Woche, sondern nur alle vier Jahre statt, sind also in ihrer Anlage flüchtig. Dafür sind sie ein weltweites Event, das medial rund um die Uhr begleitet wird. Meiner Meinung nach soll das Stadion dieses globale, ephemere Ereignis aus eben dieser Flüchtigkeit herausholen und es durch große Architektur binden. Dass es im Vogelnest ein Wachsfigurenkabinett gibt, in dem man sich IOC-Präsidenten anschauen kann, diverse Schaukästen, in denen unter anderem die olympische Fackel oder die kleinen Fahrzeuge ausgestellt sind, mit denen beim Speerwerfen die Wurfgeräte wieder zu den Athlet*innen transportiert wurden sowie Vitrinen, in denen Gegenstände ausgestellt sind, die während der Eröffnungsfeier benutzt wurden, zeigt für mich den musealen Charakter, den zumindest das Nationalstadion in Peking dem Gebäude verleihen will.

Das Londoner Olympiastadion von 2012 ist inzwischen hauptsächlich ein Premier-League-Stadion geworden, weswegen es meine Argumentation nicht ruiniert, aber leider auch nicht unterfüttert.

Dass China sich ein ikonisches, langlebiges Stadion bauen wollte, sagte bereits die Anforderung des chinesischen olympischen Komittees: „The brief called for a landmark building that would be the main venue for track and eld events during the 2008 Beijing Olympics, with a subsequent working life of 100 years.“
(The Arup Journal 1 (2009), S. 8.)

„‚Some cities staged very successful Olympics, but their image suffered after the Games because they failed to use the sporting venues effectively,‘ Jiang Xiaoyu, former Executive Vice President of the Beijing Organizing Committee for the Games of the XXIX Olympiad, recently wrote in the Beijing based China Daily newspaper. In the same article, Jiang wrote that the number of visitors to the Bird’s Nest and the Water Cube exceeded even that to the Palace Museum for some time after the Games.“

(Li Li: „Space to Let“, in: Beijing Review, 27.8.2009, S. 16–18, hier S. 17.)

Dass ein Fußball- und ein Schwimmstadion (zeitweilig) mehr Tourist*innen anziehen als das bisherige Wahrzeichen, die Verbotene Stadt, zeigt für mich, dass die Anforderung – build us a landmark – zumindest bis jetzt ganz gut erfüllt wurde.

*weiterdenkend*

Tagebuch Freitag, 4. Dezember 2015 – Lesen, basteln, trinken

Vormittags im Iconic-Architecture-Seminar ein eher schlechtes Referat gehört, was der Referentin allerdings bewusst war, wie sie mir nachher sagte. Der Dozent wies etwas missmutig auf deutliche Ähnlichkeiten zu den betreffenden Wikipedia-Einträgen der Gebäude hin, über die die Dame sprach, was die Stimmung im Kurs nicht besser werden ließ. Erstmals ließ sich der Dozent dazu hinreißen, was er sich für ein gutes Referat wünschte – das wäre vielleicht in der ersten Sitzung besser aufgehoben gewesen, aber vielleicht ist er im Master davon ausgegangen, dass wir halbwegs wissen, was wir tun.

Er erwähnte also Dinge, die er gut fände, und ich hakte im Geist ab, was ich schon in meinem Skript habe: aussagekräftige Bilder (bergeweise, Baby), Quellentexte, wenn möglich (check, danke an die wirklich gute Website von Herzog & de Meuron, die zu jedem ihrer Gebäude eine umfangreiche Bibliografie anbieten [hier das Nationalstadion] und dazu noch Interviews und Katalogtexte en masse, aus denen man ganz herrlich zitieren kann), eine Fragestellung, die man beantworten möchte oder eine kontroverse These, an der man sich abarbeitet, anstatt einfach ein Gebäude vorzustellen (habe ich nach recht langen Überlegungen seit vorgestern auch, wo-hoo) und eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang (reichen fünf Olympiastadien vor dem Vogelnest? Ich denke ja).

Die drei Gebäude, über die wir uns zur Fragestellung „Ab wann gab es eigentlich iconic architecture?“ anschauten, waren das Guggenheim New York, das Opernhaus in Sydney und das ehemalige AT&T-Gebäude, das heute Sony Tower heißt. Wir einigten uns darauf, dass wir ab Sydney von iconic architecture sprechen, denn das Gebäude war als eine Art Wahrzeichen geplant und zwar nicht nur für die Stadt, sondern das ganze Land, das sich trotz seiner entlegenen Position auf dem Globus in den Mittelpunkt (oder die Nähe davon) der kulturellen Welt spielen wollte. Ob das kulturell geklappt hat, kann ich nicht beurteilen, aber als Wahrzeichen und Tourismusziel funktioniert das Gebäude hervorragend.

Nachmittags im Zentralinstitut für Kunstgeschichte weiter nach Zitaten gesucht, mich an Canettis Masse und Macht erinnert, das bei mir zuhause im Regal steht und der immerhin ein paar Sätze zu Stadien verloren hat. Weiter Bilder gescannt, mir von Google die chinesische Website des Vogelnests übersetzen lassen, dabei gemerkt, dass es Wachsfiguren von IOC-Präsidenten zum Angucken gibt. An der Präsentation weitergebastelt. Produktiv und darob zufrieden gewesen.

Abends einen Draculawein genossen: die Nase ist voller Brombeeren, der erste Schluck enthält dann auch eine Millisekunde lang herrlich fruchtiges und breites Brombeergelee, aber das dauert eben nur eine Millisekunde und dann zerfällt alles zu Staub und man sitzt da und möchte sich den Mund ausklopfen. Nach einer halben Stunde im Glas ist nur noch Kirsche und eine Erinnerung an Tannin da. Spannendes Zeug.

Tagebuch Donnerstag, 3. Dezember 2015 – Gemischtwarenladen

Immer noch sehr müde gewesen. Post von der Hausratsversicherung im Briefkasten gehabt, was natürlich gleich einen Heulflash zur Folge hatte. Ich hoffe, die Post, welche die ehemals gemeinsame Wohnung betrifft, ist allmählich durch. Reicht jetzt.

Abends im Theater gewesen: Past is Present, ein interessantes Projekt von Dokumentarfilmer Shaheen Dill-Riaz. Hat mir gefallen, bin aber gerade zu mundfaul, um das länger zu begründen. Das Stück läuft heute noch mal.

Ich instagramte die Treppe zur Kammer 3 der Kammerspiele, woraufhin die Münchner Stadtbibliothek kommentierte und den ersten Münchner Instaswap erwähnte. Auf diese Aktion, die am 5. und 6.12. stattfindet, wollte ich euch dringend hinweisen – darauf freue ich mich schon sehr, morgen und übermorgen lauter Kulturinstitute im Stream zu haben, die alle von Dingen schreiben, von denen sie nicht wirklich Ahnung haben. Die Pinakotheken twitterten in den vergangenen Tagen bereits, dass sie „Dynastien pauken“, damit die Social-Media-Menschen nicht wie komplette Idioten im Ägyptischen Museum stehen. (Da müsste ich auch noch rein. Man kommt ja zu nix. Man muss ja dauernd schlafen und traurig sein.)

Penne mit Lammragout im Conviva, dazu erst einen Rotwein, dann ein dunkles Bier. Gute-Nacht-Kuss vorm Theater und versöhnliches Nachhauseradeln.

Tagebuch Mittwoch, 2. Dezember 2015 – Erstes Referat im Master

Dozentin: „Ein sehr gutes Referat, auch eine schöne Einordnung in die Zeitgeschichte. Und den Bayreuther Handzettel kannte ich noch gar nicht!“

Lohnt sich eben doch, bis zum Schluss am Referat rumzupuscheln. Dass der Bayreuther Zettel scored, wusste ich vorher, der ist so schön bräsig, bei dem muss man einfach laut ausatmen. Hat das Seminar auch brav gemacht. Know your audience!

Wer schlau ist, wartet auf meine Hausarbeit, wer neugierig ist, kann sich hier die Präsentation (gelöscht, ich habe keine Bildrechte) und hier das Skript angucken. Normalerweise besteht mein Skript nur aus Stichwörtern, aber da ich mit jemandem „zusammengearbeitet“ *hust* habe, habe ich es ausformuliert, damit der Herr das nachvollziehen konnte.

Nachmittags bewusst Pause gemacht und vor jeder Serienfolge und jedem Buch eingenickt. Abends Sekt in angenehmer Gesellschaft. Danach wieder geschlafen wie ein Stein, eben erst um 10.30 aufgewacht. Da war ich wohl doch ein wenig angespannter als ich dachte.

Tagebuch Dienstag, 1. Dezember 2015 – Let my Kiefer go

Vormittags weiter in der Stabi über Olympiastadien gelesen. Ich weiß gar nicht, ob ich den ganzen Vorlauf überhaupt brauche – also ausgewählte Vorgängerbauten des Vogelnests –, aber ich wollte selbst wissen, was in der Vergangenheit für die Olympischen Spiele hochgezogen wurde. Anfangs recht wenig: Nach den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen, wo Anastasios Metaxas das antike Stadion für 40.000 Zuschauer nachbaute, steckte man 1900 in Paris (wo übrigens schon Frauen teilnehmen durften) einfach eine Laufbahn im Bois de Boulogne ab. In St. Louis 1904 diente der Sportplatz der Washingtoner Universität als Austragungsort, und nicht mehr als 2000 Besucher interessierten sich für die Angelegenheit. Der geistige Vater der Olmypia-Idee, Pierre de Coubertin, fand neue Stadien eh überflüssig: „Die bauliche Beschaffenheit des Stadions und der feierliche Rahmen der Veranstaltungen sollten wie die olympische Idee selbst keinen Wert an sich verkörpern, sondern im Individuum die Voraussetzungen schaffen, [Zitat Coubertin:] ‚den Körper von dem Zwange ungeregelter Leidenschaften freizumachen, denen er sich unter dem Vorwand persönlicher Freiheit hingab‘“. (Verspohl, Franz-Joachim: Stadionbauten von der Antike bis zur Gegenwart. Regie und Selbsterfahrung der Massen, Gießen 1976, S. 165.)

Mit dieser Idee hatte Coubertin allerdings kein Glück. Bereits in London 1908 schuf James B. Fulton mit der Stahlkonstruktion des White-City-Stadion das erste moderne Stadion, das leider in den 1980er Jahren abgerissen wurde. In Stockholm 1912 wies das Stadion erstmals auf das Land hin, in dem die Spiele ausgetragen wurden: Torben Grut verkleidete modernen Stahlbeton mit einer altertümlich anmutenden Backsteinfassade im Stil der schwedischen Nationalromantik. Das Stadion ist restauriert und in den Orignalzustand zurückversetzt worden.

In Berlin entstand 1936 mit dem Reichssportfeld das erste Mal eine Gesamtanlage für die Olympischen Spiele, die über einen reinen Stadionbau hinausging. Seit Los Angeles 1932 finden die Olympischen Wettbewerbe an verschiedenen Orten statt; die ersten Stadien hatten noch unter anderem ein Schwimmbecken und eine Reitbahn in sich aufgenommen. Stadien sind Bauten des 20. Jahrhunderts, genau wie Hochhäuser. „Sie sind die größten öffentlichen Räume, gefüllt oder entleert, sie sind zu kollektiven Symbolen für Städte und Staaten geworden, quasi Kathedralen unserer säkularisierten Massengesellschaft, Katalysatoren beim ambivalenten Wechsel zwischen Individuum und Masse.“ (Marg, Volkwin: „Die Kuratoren besprechen die Ausstellung“, in: Marg, Volkwin für die
Akademie der Künste (Hrsg.): Choreographie der Massen. Im Sport. Im Stadion. Im Rausch, Berlin 2012, S. 8–13, hier S. 13.)

Mein Referatsteil ist mit der reinen Objektbeschreibung des Stadions schon recht lang, aber meine Mitreferentinnen haben sich auch ewig Zeit genommen, und da wir in unserem ausnahmsweise recht kleinen Seminar nur jeweils ein Referat pro Sitzung haben statt wie sonst zwei, stört es weder den Dozenten noch uns, dass die Damen vorne deutlich länger als 20 Minuten reden. Ich selber nehme mir gerade luxuriöse 30 Minuten vor, bei denen ich landen will.

Mein Teil des heutigen Kiefer-Referats dauert ungefähr 16 Minuten, was ein winziges bisschen zu lang ist für meinen Geschmack, aber laut des Manuskripts meines Mitstreiters, das ich gestern nachmittag geschickt bekommen habe, hat er meine Ausarbeitungen nicht mehr um viel ergänzt, daher könnte das ungefähr hinkommen mit gut 20 Minuten. Ich habe von der Aufteilung her den weitaus größeren Teil bekommen, aber das passt uns beiden ganz gut so.

Eigentlich hatte ich ja schon Montag beschlossen, fertig, das Referat steht, das lassen wir jetzt so, aber wie es halt so ist, irgendwo kommt dann ja doch immer noch ein Aufsatz, ein Buch, ein Gedankenblitz her und deswegen bin ich gestern nochmal drübergegangen. Das ist bei mir aber normal; wenn mir nicht irgendwann jemand den Kram aus der Hand reißt (oder der Referatstermin ansteht), würde ich nie aufhören.

Ich mag diesen Zeitpunkt des „nie aufhören Wollens“ sehr gerne. Inzwischen traue ich mir selber ein Urteil über Kunstwerke zu und vertraue nicht mehr nur auf das, was die Profis vor mir schon gedacht und aufgeschrieben haben. Ich schaue mir Bilder, Skulpturen oder Bauwerke an, mache mir selbst meine Gedanken und lese dann erst nach, was andere schon vor mir für Überlegungen angestellt haben. Inzwischen wage ich es auch, bei manchen Aussagen mit den Augen zu rollen, was meist der Startpunkt für eine kritische Auseinandersetzung ist. Wo ich in den ersten Semestern so ziemlich alles geglaubt habe, was in der Literatur steht (bis auf eine Aussage des Direktors der National Gallery, an der habe ich per Fußnote schon im ersten Semester rumgequengelt, weil sie mir einfach völlig unplausibel vorkam), gehe ich inzwischen mit einem Hauch kunsthistorischen Selbstbewusstseins an Werke heran. Ich mag das Vertrauen in meine Fähigkeiten und in mein Wissen, das ich mir erarbeitet habe, und ich mag es, wenn sich nach langem Lesen bei mir neue Gedanken formen, die ich noch nicht in der Literatur gefunden habe. Wobei ich da allerdings nie weiß, ob ich nur nicht gut genug gesucht habe oder wirklich noch niemand auf die Idee gekommen ist, dieses Bild so und so auszulegen. Meist ist das der Zeitpunkt, an dem ich das Referat halten muss, was mich jedesmal nervt, weil ich denke, aber ich fange doch gerade erst an! Jetzt lass mich doch noch mal vier Wochen hier zwischen den Bücherstapeln sitzen und denken!

Jedenfalls fühle ich mich mit Kiefers Frühwerk jetzt sehr wohl, die Bilder sind mir vertraut und sehr ans Herz gewachsen, und deswegen nörgele ich noch mehr darüber rum, dass ich sie jetzt erstmal gehen lassen muss, um mich ausschließlich ums Vogelnest zu kümmern, denn Freitag in einer Woche steht da das Referat an. Aber dann komme ich sofort wieder zu Kiefer, Richard Wagner, der jungen Bundesrepublik, der unbewältigten NS-Vergangenheit und den melancholisch-trauernden Bildern zurück.

Tagebuch Montag, 30. November 2015 – Produktiv und dankbar

Vormittags in die Stabi geradelt. Gegenwind auf der Ludwigstraße – hell on wheels.

Endlich meine in den Lesesaal geliehenen Bücher angeguckt. Dabei mal wieder gleichzeitig die Informationstiefe der Stabi bewundert (alle Zeitschriften, die ich haben will!) und die Schwere der Werke verflucht (aber wieso müssen die in ein Kilo Pappe gebunden werden, so dass ein Jahrgang zwei Kilo wiegt? Ich hab davon fünf im Arm!).

Konzentriert und ohne Pause über vier Stunden übers Vogelnest gelesen. Okay, ich hab mit Anselm Kiefer angefangen, weil da halt noch eine Zeitschrift rumlag, die ich nicht kannte und natürlich habe ich wieder was Schönes fürs Referat gefunden, und okay, ich hab zwischendurch getwittert. Aber sonst: viel Schönes über das Stadion sowie die Olympischen Spiele und ihre Bauten der letzten 100 Jahre gelesen. Dabei auch den überlegenswerten Hinweis, von welchem Land die einzigen beiden deutschen Olympiastadien erzählen, nämlich die in Berlin (1936) und München (1972). Jetzt im Nachhinein wäre es vielleicht doch spannend gewesen, Hamburg die Chance zu geben, wieder von einem anderen (?) Deutschland zu erzählen.

Ich hätte trotzdem dagegen gestimmt. Aber musste ich ja nicht mehr.

Nachmittags zur Post geradelt. Rückenwind auf der Ludwigstraße – Paradise City.

Auf der Post (und damit wieder nicht in der Packstation – holt endlich euer Zeug da raus!) wartete ein Buchpaket auf mich. Christoph beschenkte mich gleich mit drei Büchern: Zum einen mit der Kulturgeschichte der Neuzeit Band 2 von Egon Friedell, die ganz wunderbar zu Band 1 passen wird, der schon in meinem Regal steht. Zum anderen zwei Bücher, die mir garantiert irgendwelche Dozenten empfohlen haben, da schreibe ich ja immer brav mit, wenn’s Buchtipps gibt: Theorien der Gegenwartskunst von Juliane Rebentisch und Jürgen Hasses Was Räume mit uns machen – und wir mit ihnen: Kritische Phänomenologie des Raumes. Vielen Dank für das dicke Paket und die Widmung – ich habe mich sehr gefreut!

Nach Hause geradelt, ein Käsesandwich gegessen, eine Folge The Good Wife geguckt. Dann endlich das Kiefer-Referat finalisiert und mir geschworen, das jetzt nicht mehr anzufassen, bis wir es morgen halten. Die dazugehörige Präsentation fertiggebastelt. Noch ein paar Wagner-Bezüge reingehauen – ist ja keiner da, der mich daran hindert.

Feierabend mit weiteren Serienfolgen, einer Kanne Tee und ein paar der Madeleines von gestern. Keinen Hunger gehabt, nichts gekocht.