Tagebuch 13. September 2015 – Abschied

Der letzte Tag in Hamburg.

Da ich Freitag den Akkuschrauber nicht aufgeladen hatte, musste ich das Samstag erledigen und konnte so am Sonntag noch bequem ein Wandregal abmontieren sowie die letzten Schrauben aus den Billy-Aufsätzen klauben. Den Christbaumständer und das Racletteset (überlebenswichtige Gegenstände!) in einer blauen Ikea-Tüte verstaut, weil sie in keine Kiste passten. Die letzten Weine eingewickelt, um sie zu verschenken. Einen Zettel an die Tür geklebt, auf dem FAHRRAD! steht, damit ich bloß nicht vergesse, eben dieses aus dem Fahrradhäuschen zu hieven, damit die starken Jungs es in den Umzugslaster laden. Die letzten Bilder abgehängt und eingepackt.

Mich abends mit zwei liebenswerten Damen weinselig von Hamburg losgesagt. Im Laufe des Abends gemerkt, dass ich jetzt wirklich durch bin. Die Abschiede der letzten Tage haben an mir genagt, aber ich freue mich, dass alle Menschen, die ich noch mal sehen wollte, für mich Zeit hatten.

Ich geh dann jetzt.

Tagebuch 12. September 2015 – #12von12

Das waren gestern recht monothematische 12 von 12.

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Einer der eher unspektakulären Ausblicke aus unserem Wohnzimmer. Es war das vorvorletzte Mal, das ich in Hamburg aufwachte. Ich schlafe derzeit auf meinem geliebten Riesensofa, das vermutlich in München die Hälfte meines Zimmers einnehmen wird.

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Cappuccino zum Frühstück.

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Gebloggt. Neben mir die fast schon leeren Billy-Regale, an der Schiebetür lehnt ein zusammengerollter Teppich, und dahinter stapeln sich die Kisten.

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Diese Kisten, um genau zu sein.

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Unter den Bibeln liegen politische Lexika. In die nächste Kiste kommt der Talmud, zusammen mit lauter Atlanten und Wörterbüchern, wobei ich von denen sehr viele verklappt habe. Ich gucke wirklich nie ins Bankenlexikon, auch wenn ich als Werberin viel für Finanzdienstleister geschrieben habe. Was ich gestern außerdem weggeworfen habe: Belege aus 15 Jahren Autotexterei. Viele Audi-, Mercedes- und VW-Kataloge, opulente, großformatige (und schwere) Messemittel. Hab ich digital, muss jetzt weg. Ebenfalls in die Tonne: meine ganzen Schulbücher und -Reclams. Ja, die wären leicht gewesen, aber mal ehrlich: Ich gucke dann vermutlich doch nicht mehr in meinen zerfledderten Don Carlos. Insgesamt füllten meine weggeschmissenen Bücher drei der sechs Tonnen im Müllraum. Entschuldigung, liebe Nachbarn! Kommt garantiert nicht wieder vor.

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Von einigen Werbeerinnerungen kann ich mich aber doch nicht trennen. Bei S&J bekam man nach der Probezeit den silbernen Pistolenfön, den man bei Präsentationen vor Kunden ansteckte. Das Ding ist der Grundriss der ersten Agenturräume und diente als eine Art Erkennungszeichen für uns Hansel. Wer bei S&J im Guten ging, bekam den eisernen Pistolenfön, so dass man immer zurückkehren konnte. Falls es die Agentur noch geben würde, that is.

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Den wollte ich eigentlich wegschmeißen, aber jetzt liegt er doch noch in einem meiner vielen Tagebücher, die ich natürlich nicht verklappe.

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Nach drei Tagen und 49 Kisten waren sechs Billys plus Aufsätze leer. Nein, in den Kisten sind natürlich nicht nur Bücher. Irgendwer muss das ja noch tragen. Ich allerdings nicht; ich bezahle Menschen für ihre Körperkraft und bin sehr dankbar für sie. (Sowohl für die Menschen als auch für ihre Kraft.)

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Gegen 13.30 Uhr war es dann soweit: Ich habe fertig. Das bisschen Kleinkram, die wenigen Klamotten und das Körperpflegezeug, das ich morgen und übermorgen noch brauche, landet im Koffer, den ich Montag zum Flughafen zerren werde. Im Koffer transportiere ich auch alle Regalbretthalternupsis, die ich aus den Billys gezogen habe. Hoffentlich geht mein Gepäck nicht verloren.

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Nach einer Dusche und einem Sandwich ging’s aufs Sofa zum Fußballgucken. Dabei bin ich natürlich eingeschlafen. Sorry, Bayern.

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Im vorletzten Bild zu erkennen: meine zwei leergeräumten Weinregale, die ihre neue Heimat in meinem Münchner Keller finden werden, weil ich leider keinen Platz in der Wohnung für sie habe. Ihren Inhalt habe ich aufgeteilt: Meine Lieblingsflaschen sind hoffentlich bruchfest eingepackt, der Rest wird verschenkt. Vorgestern wollte ich schon meinem besten Freund ein paar Flaschen in die Hand drücken, aber der Mann hatte unfassbarerweise keinen Rucksack und keinen Korb für seinen Gepäckträger dabei. Dann muss er sich die Weine halt abholen. Heute, Sonntag abend, sehe ich meine beiden besten Freundinnen, die natürlich auch was Hübsches in die Hand bekommen. Und Samstag schleppte ich sechs Flaschen zu meinen liebsten Kolleginnen, von denen ich mich bei Sushi und Fisch mit Tomatensalsa und Avocadocreme verabschiedete.

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Beim Nachhausekommen der zweite Heulflash des Tages. Der erste ereilte mich, als die Bücherregale leer waren. Jetzt wohne ich wirklich nicht mehr hier – hier sind keine Bücher mehr von mir.

Der zweite kam abends, als ich die Badezimmertür schloss. Unser Bad … ich stolpere seit Tagen über „unser“, wenn es um die Wohnung geht, weil es „uns“ ja nicht mehr gibt. Also noch mal: Das Bad ist innenliegend und aus welchen Gründen auch immer haben die ErbauerInnen damals eine Öffnung in die Wand gekloppt, die zur Küche geht. In einer Nachbarwohnung ist diese Öffnung mit einem Fenster temporär verschlossen, bei uns hängt ein kleines Stoffrollo davor, das man hochziehen kann, falls man mal wieder zwei Stunden gebadet hat und das Bad ein einziges Feuchtgebiet ist, das nach Sauerstoff schreit. Wenn man die Badezimmertür schließt, entsteht ein Luftzug, der das Rollo kurz anhebt und es dann wieder an die Wand drückt. Dabei dengelt die Leine, mit der man das Rollo öffnet, kurz an die Wand und der Metallpröppel am unteren Ende des Bandes erzeugt ein Geräusch. Gestern ist mir nach fast neun Jahren Zusammenwohnens aufgefallen, dass ich dieses Geräusch nur noch wenige Male hören werde, weil ich dann nicht mehr in diesem Badezimmer sein werde. Ich kann in diese Wohnung nicht mehr zurückkehren. Ich habe mich so daran gewöhnt, immer wiederzukommen, auch wenn ich so oft weggefahren oder -geflogen bin, aber jetzt ist damit Schluss. Jetzt komme ich nicht mehr wieder. Und obwohl ich das wusste und mich ängstlich, aber hoffnungsvoll auf einen neuen Lebensabschnitt freue, hat mich das gestern sehr schmerzhaft erwischt.

Tagebuch 11. September 2015 – Zerrupft

Dass es der 11. September ist – vulgo: Nine Eleven –, merkte ich erst anhand einiger Twitterbilder, zum Beispiel von der New York Times, auf denen das World Trade Center zu sehen war. Es dauerte ein paar Momente von der Frage „Wieso twittern die das World Trade Center“ bis zu „Ach stimmt“.

Weiter Kisten gepackt. Bei einem normalen Umzug, bei dem man alles einpackt, um alles woanders wieder auszupacken, knülle ich Kleidungsstücke rund um mein Lieblingsgeschirr. Fast alle Klamotten, die ich gerne anziehe, sind aber bereits in München, weswegen ich jetzt T-Shirts eingepackt habe, die ich vermutlich nie wieder tragen bzw. in München wegschmeißen werde, nur damit mein geliebtes Teeservice von Omi heil ankommt. (Ich packe für sechs Personen, die Teile für die restlichen 18 Gäste bleiben erst mal in Hamburg und landen dann beim Umzug Teil II wieder bei meinen Eltern, die deutlich mehr Platz haben als ich gerade.)

Den ganzen Tag über latent traurig gewesen. Am Donnerstag habe ich fast nur Bücher und mein eigenes Zeug eingepackt; gestern ging es in die Eingeweide der gemeinsamen Wohnung. Ich teilte das Geschirr in „meins“ und „seins“, die Töpfe und Pfannen, die Tupperdosen, die Handtücher im Bad, selbst den Inhalt unserer Medikamentenbox konnte ich aufteilen. Auf einmal sieht die Wohnung zerrupft aus, und das hat mich sehr traurig gemacht.

Abends vom besten Freund verabschiedet, mit dem ich bisher drei Wohnorte in 30 Jahren geteilt habe. Nach München wird er wohl aber nicht kommen. Ich trank einen Liter Apfelschorle, weil ich nicht in Stimmung für Wein war. Das kommt hoffentlich in nächster Zeit erstmal nicht wieder vor, dieses Nicht-in-Stimmung-für-Wein-Sein.

Mich auf der Rückfahrt im Bus gefreut, dass ich die blöde HVV-Ansagestimme bald nicht mehr hören werde. „Nächste Haltestelle: Kottwitz … straße.“ Macht mich seit Jahren wahnsinnig, diese Pause.

Tagebuch 10. September 2015 – Anke Gröner, B. A.

Mein Tag begann, wie der letzte aufgehört hatte: mit Umzugsvorbereitungen. Der freundliche Mensch der Umzugsfirma lieferte Kartons und legte für lau nicht angefordertes, aber sehr gerne gesehenes Einwickelpapier für Geschirr dazu, und ich verbrachte die Zeit bis ca. 16 Uhr damit, sowohl die Kartons als auch das Papier zu nutzen … und mich nach 24 gepackten Kartons zu fragen, wo zur Hölle bloß das ganze Zeug in München hin soll? Ich sehe mich schon Storage anmieten, in dem dann Weihnachtsdeko, selten getragene Opernklamotten und die Bildbände lagern, in die ich zwar nicht mehr reingucke, von denen ich mich aber auch nicht trennen will.

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Aus Spaß schaute ich dann mal wieder in unser LMU-Online-Tool, in dem wir unseren Notenspiegel ansehen können. Das mache ich seit dem 31. August, dem Notenschluss für die AbsolventInnen, quasi zweimal täglich, weil ich halt fucking neugierig bin und nicht auf die Mail vom Prüfungsamt warten will. Wer weiß, wann die kommt. Ich erwartete wie immer nix, aber: Da stand die Note meiner Bachelor-Arbeit, und damit sind alle ECTS-Punkte eingefahren. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Studium beendet und musste darob einige wenige Zähren der Rührung vergießen.

Die Gesamtnote habe ich noch nicht, kann sie auch nicht ausrechnen (ein Kommilitone twitterte, dass das niemand könne), aber die BA-Arbeit hat eine schöne 1,3 gekriegt. Dafür, dass ich zum Schluss nicht mehr wusste, ob ich gerade totalen Quatsch fabriziere, ist das ziemlich klasse, und ich trank ein kleines Pikkolöchen auf ex.

Hier könnt ihr die Arbeit lesen.

Der Kerl und ich hatten ein gutes Gespräch. (Dieser Satz ist eine kleine Gedächtnisstütze für mich. Bitte gehen Sie weiter.)

Abends war ich im Lieblingsrestaurant mit der Lieblingshamburgerin verabredet, und Hamburg, die kleine Drecksperle, zeigte sich noch mal so richtig schön, um mir zu vermitteln, selbst schuld, dass du wegziehst, das haste jetzt davon. Keinen Blick mehr auf die Elbphilharmonie ohne Kräne, wo du jahrelang auf eben diese gucken musstest und dir immer eine unverstellte Aussicht gewünscht hast.

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Noch ein Grund mehr, ins Trific zu gehen: der schöne Blick, den man auf dem Weg vom Rödingsmarkt zum Restaurant hat. Aber das Essen hat auch was.

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Crémant mit Himbeergeist und Zitrone zur Feier des Tages.

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Schwertfischcarpaccio mit Crevettenöl.

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Der Trific-Klassiker: das Backhendl mit vier Salaten. Das musste zum Abschied noch mal sein.

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Schokoladenmousse mit Mango und Kirsche.

Tagebuch 9. September 2015 – Umzugsvorbereitung

Tagebuch 8. September 2015 – Heimweh

Als ich noch zwischen Hamburg und München pendelte, war die S-Bahn-Fahrt zum Münchner Flughafen immer Vorfreude auf zuhause, die Rückfahrt immer Vorfreude auf die Uni. Jetzt ist es nur noch eine nervige Stunde, die mich vom Boarding trennt, während die Rückfahrt Vorfreude auf zuhause ist, wie ich vorgestern nach dem Amsterdamtrip merken durfte.

Die S-Bahn- und Busfahrt vom Hamburger Flughafen in die ehemals gemeinsame Wohnung ist dagegen schon fast Tourismus. Ich komme nur noch zu Besuch, ich beschaue mir das Draußen vor dem Fenster und habe keine Bindung und kein Heimatgefühl mehr.

Bisher sind meine Wohnungen immer größer geworden, wenn ich umgezogen bin. Das ist dieses Mal anders und ich erstickte den ganzen Tag lang in ZEUG. Wenn mir jemand einen Container unters Fenster stellen würde, würde ich freudig diverse Quadratmeter Erinnerungen und ZEUG wegwerfen. Brauche ich wirklich noch die US-Flagge, die ich mir damals aus den USA mitgebracht habe? Die 30 Gesellschaftsspiele, die niemand mehr anfasst? Die Platten, die ich seit 20 Jahren nicht mehr aufgelegt habe? Die Klamotten, die seit drei Jahren hier sind und nicht in München und die ich dementsprechend wohl nicht vermisst habe? Die selbst aufgenommenen Tapes aus der Pubertät, die auch nur noch aus Sentimentalität in einer großen Kiste liegen und wahrscheinlich beim ersten Einlegen in ein Abspielgerät reißen würden? Wenn ich unbedingt The Fanatic hören will, mache ich YouTube oder Spotify an.

Vor einigen Wochen war ich schon mal hier und wollte den Umzug organisieren, aber damals hat mich das hier alles überfordert und ich habe außer fünf Tagen Rumheulen nichts gebacken gekriegt, bevor ich zurück nach München geflüchtet bin. Das war wohl der emotionale Abschied; in der Zwischenzeit habe ich anscheinend genug Abstand gewonnen und mich mit vollem Herzen für München entschieden. Der Kerl und ich gehen wie WG-Bewohner miteinander um. Wir haben uns schon so weit voneinander entfernt, dass sich unsere Gespräche wie Smalltalk anfühlen. Das macht mich einerseits traurig, aber es zeigt mir andererseits, dass die Entscheidung für die Trennung die richtige war.

Ein letztes Augustiner im Kühlschrank gefunden. Ein Foto davon per SMS an F. geschickt, der mir per fotografiertem Augustiner aus einem Lokal zurückprostete. Ich will nach Hause.

Tagebuch 7. September 2015 – Platz schaffen

Nach vier Tagen fast ständiger Zweisamkeit mal wieder im eigenen Bett geschlafen und alleine aufgewacht. Seltsam, wie schnell man sich an andere Menschen gewöhnen kann und wie schnell sie fehlen. Trotzdem schön, mal wieder so richtig Platz im Bett zu haben. Zum letzten Mal allerdings, denn im Laufe des Tages wurden aus dem Bett Einzelteile.

Tagsüber die Münchner Wohnung auf den anstehenden Umzug vorbereitet. Meine bisherigen Umzüge waren einfacher, da galt es: alles einpacken und woanders in einer leeren Wohnung auspacken. Hier steht aber schon Zeug aus drei Jahren, wenn auch recht wenig, und dazu kommt jetzt der Kram, den ich seit 40 Lebensjahren anhäufe. Gestern habe ich vieles in den Keller getragen, einiges weggeschmissen oder im Treppenhaus in die „Zu verschenken“-Ecke gelegt (eine prima Einrichtung, wie ich finde).

Abends haben F. und ich dann mein Bett auseinandergebaut und die Einzelteile ebenfalls in den Keller getragen. Meine Wohnung sieht jetzt halb bewohnt und halb leergefressen aus, ein komischer Zustand. Die Küche ist gefühlt ein bisschen zusammengeschrumpft, weil ich den Tisch zusammengeklappt und den Bürocontainer an seinen neuen Platz gerollt habe. Im Bad sieht alles aus wie immer, sehr sympathisch. Meine Abstellkammer ist deutlich leerer geworden, genau wie der Flur, aus dem Teile nun für einige Tage in der Küche stehen, damit nächste Woche die starken Jungs nicht dauernd gegen Zeug rennen, wenn sie Kisten und Möbel durch den Flur schleppen. In meinem Zimmer steht ein aufrechtes Expedit voller Bücher, die demnächst in Billys umziehen; dann kommt das Expedit in den Flur. Außerdem liegt hier noch eine einsame Matratze. Ich bekomme drei Tage nach dem Umzug Übernachtungsbesuch, was im Nachhinein vielleicht eine doofe Planung war, aber mei, man kann sich den Oktoberfesttermin ja nicht aussuchen. Und außerdem freue ich mich sehr auf den Gast.

Ab heute bin ich wieder in Hamburg, wo ich nochmal wegschmeiße oder verschenke (dazu gründe ich jetzt eine „Zu verschenken“-Ecke im Hamburger Haus) oder in Kisten packe. Ich kann immer noch nicht einschätzen, ob ich zu viel oder zu wenig mitnehme, ob alles so passt, wie ich mir das vorstelle oder ob ich in München in einer völlig zugestellten Wohnung ende. Momentan weiß ich gar nicht, wo die vielen Kisten hinsollen, die die Umziehjungs anschleppen werden, aber das sehe ich dann. Macht mich überhaupt nicht nervös, nein, nein. Ich stehe ja total auf Überraschungen und Ungeplantes.

Moment, ich muss kurz in eine Papiertüte atmen.

Weil ich kein Bett mehr habe, bei F. übernachtet und Fußball geschaut. In der zweiten Halbzeit erschöpft von allem eingeschlafen.

Tagebuch 6. September 2015 – Amsterdam, Tag 4

Amsterdam war unser erster (und hoffentlich nicht letzter) gemeinsamer Urlaub. Erst am Ende der Reise merkte ich, dass ich F. quasi die komplette Planung überlassen hatte: Wann fliegen wir los, wann zurück, was machen wir, wenn wir da sind. Einzig das Hotel kam von mir, da hatte mir eine freundliche Twitter-Followerin ein gutes Plätzchen empfohlen, nur wenige Gehminuten vom Museumplein entfernt, wo sich Rijskmuseum, Stedelijk und das Van-Gogh-Museum befinden. Wenn ich alleine geflogen wäre, hätte ich gestern entspannt ausgeschlafen, ausgiebig gefrühstückt, mich dann reisefertig gemacht und wäre zum Flughafen gerollkoffert. Stattdessen wartete noch Programm auf uns, während unsere Koffer im hoteleigenen Schränkchen außerhalb unserer Zimmer standen. Mir fehlte ein bisschen das Gefühl, eine Homebase zu haben, zu der man zurückkehren kann, aber das merkte ich eben erst gestern. Ich brauche anscheinend immer was zum Festhalten, sei es eine Person oder ein Ort.

Letztes Museum der Reise: das Van-Gogh-Museum. Ich mag van Gogh sehr gerne (wer nicht) und freute mich daher sehr, auch wenn ich gespannt war, wie ein Museum damit umgeht, dass quasi alle Bilder, die man eben so von van Gogh kennt, genau hier nicht hängen. Aber bevor mir diese Frage beantwortet wurde, standen wir erstmal eine Stunde lang in der Kassenschlange. Wir naiven Frohnaturen hatten gedacht, unsere tolle Museumkaart würde den Einlass beschleunigen, aber dem war nicht so. Die Zeit verging allerdings trotzdem angenehm schnell; wenn wir uns nicht unterhielten, versorgte uns das Museum schon draußen mit freiem WLAN, und so konnten wir lesen und twittern und überhaupt kann einem ja gar nicht langweilig werden, wenn man ein Smartphone hat. Freies WLAN gab’s übrigens in so ziemlich jeder Location, in der wir eincheckten, egal ob Museum oder Kneipe. Tach, Deutschland, du altmodische 3G-Schnecke.

Im Museum selbst kommen zuerst Gift Shop, Garderobe und die elegantesten Klos, die ich in Amsterdam gesehen habe (gerne wieder!). Dann chauffiert eine Rolltreppe einen in die eigentlichen Ausstellungsräume, die sich auf vier Ebenen befinden und chronologisch angeordnet sind. Unten begann alles mit verschiedenen Selbstporträts, an denen ich relativ schnell vorbeischlenderte. Damit war ich allerdings ziemlich alleine: Die meisten Besucher waren mit Audioguides ausgerüstet, der sie anscheinend zunächst zum allerersten Bild schickte – und da stellten sich dann auch alle an. Ernsthaft. Eine Schlange vor einem Bild, und diese Schlange zog sich dann an der Wand entlang weiter zum nächsten. Das hatte ich noch nie gesehen, fand es sehr merkwürdig – und ignorierte es total, indem ich einfach zu dem Bild ging, das ich jetzt angucken wollte und fertig. Wo sind wir denn hier.

Der erste Stock gefiel mir schon besser. Das Bauernhaus (1885) zog meine Blicke auf sich und ich besah mir genau, wo van Gogh Lichtpunkte gesetzt hatte, wo welche Brauntöne zum Einsatz kamen (und welche weiteren Töne eben nicht), wie er das Gebäude dreidimensional modellierte, was im Hintergrund passierte. Im Obergeschoss hing ein weiteres Bauernhaus (1890), so dass ich gut vergleichen konnte: Wie anders malte van Gogh nur wenige Jahre später ein sehr ähnliches Motiv, wie wenig interessierte ihn noch eine nachvollziehbare, architektonische Wiedergabe, wie anders leuchteten die Farben, wie fast egal war auf einmal der Hintergrund, weil das Wichtige eben das Hauptmotiv war. Auch eine bewusste Lichtsetzung ist kaum noch zu erkennen, viel spannender waren die Farben, die nun das Haus formten. Das gefiel mir am Museum außerordentlich gut: wie einfach man durch die chronologische Ordnung und eine kleine thematische Gliederung nachvollziehen konnte, wie van Gogh sich entwickelte.

Mit Stillleben kriegt man mich bekanntlich immer; hier gefielen mir die Zitrusfrüchte (1887) besonders gut, vielleicht weil ich vor zwei Tagen im Rijksmuseum so viele Stillleben mit Zitronen gesehen hatte und wiederum vergleichen konnte. (Das ist ja quasi die Hauptbeschäftigung der Kunstgeschichte: vergleichen.) Auch vor einem Stillleben mit Geschirr (1885) und vor einem mit Rotkohl (1887) stand ich recht lange und besah mir vor allem die Farben und die immer kräftiger werdenden Pinselstriche, die schließlich zu Farbauftrag per Palette wurden und diesen typisch pastosen, fast holzschnittartigen Stil erzeugten. Ganz anders: die vielen Zeichnungen und Studien, die mir ebenfalls gut gefielen, zum Beispiel die hier von einem jungen Mann (1884/85). Davon hätte ich gerne mehr gesehen.

Vor den etwas bekannteren Werken wie dem Zimmer in Arles (1888) oder den Mandelblüten (1890) drängten sich die Menschen genau wie vor allen anderen Bildern; es war kaum möglich, mal alleine vor einem Bild zu stehen, aber dafür, dass anscheinend alle BesucherInnen Amsterdams in dieses Museum wollen, war es doch ziemlich erträglich. Neben der Sternennacht sind die Mandelblüten mein Lieblingsbild von van Gogh, und daher wurden sie die Grundlage für mein einziges Reiseandenken.

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Die Sonnenblumen sind mir sehr egal, wie ich zugeben muss; eine Version hängt auch in der Neuen Pinakothek, aber dort mag ich den Blick auf Arles viel lieber.

Im oberen Stockwerk wies die Beschriftung auf das vermutlich letzte Werk von van Gogh hin: die Baumwurzeln (1890). Das kannte ich zugegebenermaßen noch nicht und war überrascht, wie abstrakt es schon wirkte. Mal wieder das Leben van Goghs bedauert und mich gefragt, ob es ihn glücklich gemacht hätte zu wissen, dass Menschen aus der ganzen Welt in langen Schlangen stehen, um seine Bilder sehen zu können.

Das klingt jetzt alles ganz toll, aber das van-Gogh-Museum hat mich von den vielen Museen, die wir besichtigten, am wenigsten zum Wiederkommen animiert. Es ist wunderbar aufgebaut und ich glaube, man kann viel lernen und mitnehmen, aber mich persönlich hat es eher unberührt gelassen – vielleicht weil es mir so verschult vorkam. Ich freue mich jetzt schon darauf, nochmal im Rijksmuseum durch die unendlich vielen Säle zu gehen und Dinge zu entdecken, aber hier hatte ich am Ende des Rundgangs das Gefühl, jau, passt, hamwa jesehen, reicht jetzt.

Ich ging wieder ins Erdgeschoss, wartete auf F., der sich noch oben rumtrieb, und guckte auf eine Videoinstallation, die in vielen Bildern den Einfluss van Goghs zeigte; Variationen der Sternennacht, des Zimmers, des Selbstporträts, halt alle die Bilder, die wir kennen. Erst da wurde mir klar, wie sehr van Goghs Werke zu unserem kulturellen Gedächtnis gehören und wie groß sein Einfluss nicht nur auf die Kunst, sondern auch die Populärkultur war. Das war für mich eine größere Erkenntnis als alle, die ich oben vor den Bildern gemacht hatte.

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Zum Abschluss schlenderten wir noch ein wenig durch den Skulpturengarten des Rijksmuseums und füllten die leeren Mägen mit viel Torte und heißer Schokolade, bevor wir uns wieder in eine Tram quetschten, die uns zum Bahnhof fuhr. Wir fuhren durch das alte Amsterdam, das ich nicht erbummelt hatte, weil meine Füße früher streikten als mir lieb war, was mich sehr ärgerte. Das war in Rom vor ein paar Jahren noch anders. Ja, ich bin älter geworden, aber anscheinend hat mich das ständige Radfahren meine Fußkondition gekostet. Ich brauchte mehr Pausen, was F. gutmütig mitmachte, aber für die nächste Reise werde ich trainieren. Ich habe längst nicht so viel gesehen, wie ich sehen wollte, aber im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, mal runtergekommen zu sein, die blöde Wohnsituation und das Warten auf meine BA-Note und den Studienplatz außen vor lassen zu können. (Natürlich habe ich trotzdem täglich online nachgeguckt, ob die Note oder der Platz jetzt mal da sind. Sind sie nicht.)

Mach’s gut, Amsterdam, du kleiner Schnuckel – ich komme wieder. Die Museumkaart gilt ja noch bis Anfang September 2016.

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Tagebuch 5. September 2015 – Amsterdam, Tag 3

Nach dem weinseligen Festmahl gestern schliefen wir aus, womit wir jede Chance auf einen zeitigen Einlass im Van-Gogh-Museum verspielten, für den man quasi davor campieren muss. (Oder man ist schlau und bucht ein Ticket für einen bestimmten Zeitslot, aber wir hatten ja die tolle Museumkaart und dachten, ach, da stellen wir uns dann halt morgen kurz in die Schlange. Wie das ausging, kann man sich fast schon denken, aber so klug waren wir Samstag halt noch nicht.)

Nach dem Frühstück spazierten wir zum Foam, dem Fotografiemuseum in Amsterdam. Ich war ein bisschen wackelig auf den Beinen, was weniger mit Alkohol und mehr mit Kreislauf zu tun hatte, wusste aber nicht, warum die kleine Diva gerade so memmig war. Im Foam nutze ich jede Sitzgelegenheit und war nicht ganz so konzentriert, wie ich gerne gewesen wäre. Die drei Ausstellungen, die wir uns ansahen, waren netterweise aber recht schnell zu durchschreiten, und zwei gefielen mir auch sehr gut. Die dritte war für mich ein Totalausfall; die Welt braucht meiner bescheidenen Meinung keine weiteren Bilderserien mehr von sehr dünnen (doofe Formulierung, ich ändere in:) normschönen, eher unbekleideten, weißen, jungen Damen, die irgendeinen inneren und gerne auch äußeren Schmerz vor der Kamera zeigen. But that’s just me. Da gefielen mit die Auseinandersetzung mit Transsexualität von Momo Okabe oder die mit der heutigen Medienvielfalt von Anne de Vries weitaus besser.

Einmal über die Gracht rüber. Dabei gingen wir am Stadtarchiv vorbei, bei dem ich sehr stolz war, die Bauzeit ungefähr richtig geschätzt zu haben.

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Es ging ins Museum van Loon – einem Privathaus auf dem 17. Jahrhundert von einem der Gründer der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Das Haus wird heute noch von den Nachfahren bewohnt und ist seit den 1970er Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich. Man durchschreitet hochherrschaftliche Räume sowie Privatgemächer, die Küche, an deren Tür steht, dass man sie bitte schließen soll, damit die Katze nicht reinkommt, sowie den Garten und das Kutschenhaus. Letzteres war leider für eine private Feier geschlossen, aber ich war auch so sehr glücklich mit den vielen Möbeln, Wandbezügen, Paneelen und natürlich Bilder über Bilder, die an den Wänden hingen. Das viele Geschirr hatte es mir angetan, das im Esszimmer auf dem Tisch eingedeckt war, genau wie die blauweißen Porzellanvasen, die oben auf einem dafür ausgelegten Schrank zur Dekoration standen. Es war ein bisschen wie gestern im Rijksmuseum, nur dass da nicht zentimeterdickes Panzerglas zwischen mir und dem Objekt war – manchmal nur ein gespanntes Seil, meist aber gar nichts. Wunderschön.

Weniger wunderschön: Mein Kreislauf drängelte zurück ins Hotel, wo ich kraftlos zwei Stündchen verdämmerte, während F. den ZERO-Katalog aus dem Stedelijk besorgte, um den wir seit zwei Tagen rumschlichen und sich noch eine Ausstellung dort ansah.

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Gemeinsam machten wir uns dann zu einer temporären Attraktion Amsterdams auf: dem Sonnenblumenlabyrinth, mit dem das Van-Gogh-Museum seinen neuen Eingangstrakt einweihte. 125.000 Sonnenblumen waren für zwei Tage zu einem Irrgarten aufgestellt. Im Labyrinth selbst standen Fragen an Vincent an den Wänden, deren Antworten man in einer eigens dafür konzipierten App finden konnte. Es machte viel Freude, durch die Sonnenblumen zu schlendern; überall standen kleine Kisten, auf die man sich stellen konnte, um gerade so über die Blumen hinwegfotografieren zu können. Vor dem Labyrinth selbst gab es eine kleine Aussichtsplattform, und selbst wenn man sich verirrte, wurde man belohnt: Mitten drin stand ein Musiker, der ein kleines Konzert gab, und sich mit weiteren Acts den ganzen Tag über abwechselte.

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Und weil wir ja gestern quasi nichts gegessen hatten *hust*, gönnten wir uns zum Tagesabschluss noch die 17-gängige Rijstafel im Sama Sebo, wo wir spontan einen Tisch ergattern konnten. Gemüse in Kokosmilch oder Erdnusssauce, verschiedene Spießchen, eingelegte Gurken, Sojasprossen, Bohnen, Erdnüsse, fein gesalzen, alles mild, scharf, sauer oder würzig, zum Schluss gebackene Banane – ich mochte diese fast unendliche Vielfalt sehr gerne, wüsste aber nicht, wie man das jemals aufessen sollte.

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Aber selbst wenn der Speise- und der Dessermagen voll sind – der Schnapsmagen kann immer noch. Mein erstes quietschsüßes Fruchtbier im Kingfisher-Café ließ mich glücklich grinsen, während F. ganz erwachsen hochprozentige Biere trank.

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Tagebuch 4. September 2015 – Amsterdam, Tag 2

Nach der modernen Kunst am ersten Tag ging’s heute zu den Alten MeisterInnen ins Rijksmuseum. Dort findet man Kunst, Kunsthandwerk und weitere Sammlungen aus neun Jahrhunderten. Bereits im Erdgeschoss faszinierte mich die Romanik und Gotik (wie immer) mit ihrer schlichten Gläubigkeit, die so feinfühlig und überzeugend präsentiert wurde. Ich mag den Goldgrund der frühen Bilder, und ich mag die stilisierten Posen der Skulpturen. Dieses Werk des Meisters von Joachim und Anna von ca. 1470 hat mich sehr berührt mit seiner Zärtlichkeit. Auf einem weiteren Bild suchte ich die Attribute der Heiligen, bis mir der Objekttext erklärte: Sie sind als Halsketten sichtbar (Katharina mit Schwert und Rad, Barbara mit Turm usw.).

Im zweiten Stock wartete dann die Ehrengalerie, eine lange Raumflucht, die auf Rembrandts Nachtwache zulief. Ich muss zugeben, ich kann mit dem Werk immer noch nichts anfangen; seine Jüdische Braut hat mich allerdings dieses Mal erwischt. Das Bild kannte ich nur aus Katalogen, aber im Original hat es mich durch seine Plastizität sehr gefesselt.

Das Bild, auf das ich mich am meisten gefreut hatte, war auch das, auf das sich anscheinend alle anderen am meisten gefreut hatten. Vor Vermeers Milchmädchen drängelten sich Gruppen und EinzelbesucherInnen; eine Dame mit überbordendem Haarschopf zog sich meinen ganz persönlichen Hass zu, als sie direkt vor dem Bild stand, es aber keines Blickes würdigte, sondern sich ständig hin- und herdrehte, um ihren Freund, Mann, was weiß ich zu finden, der ihr schließlich von hinten eine Digicam reichte – sie knipste (immerhin ohne Blitz – dann hätte ich sie auch getreten), guckte aufs Display, war anscheinend mit dem Ergebnis zufrieden und ging durch die Menschentraube nach hinten. Ohne das Bild wirklich angeschaut zu haben. Dusselige Kuh.

Nach kurzem Durchatmen konnte ich dann endlich an ihren Platz und stand vor dem Bild. Es ist wunderschön (totale Überraschung), und ich war mehr gerührt als ich dachte. Aber: Tränen runtergeschluckt und intensiv aufs Bild gestarrt, wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier. Ich liebe an dem Bild die Lichtstimmung; ich mag das helle Weiß des Häubchens, das fast zu leuchten scheint. Ich mag die klare Farbigkeit, das kraftvolle Blau des zur Arbeit gerafften Rockes, das schimmernde Gelbgrün der Armel und das effektvolle Rot des Unterrocks, was von unten ins Bild leuchtet. Am liebsten mag ich aber die Stofflichkeit der gelben Wamses, bei dem man fast das Gefühl hat, die einzelnen Webfäden zählen zu können. Der Verschluss hat es mir besonders angetan, die Nähte, die von oben bis unten durch das Gelb laufen. Ich mag die stille Konzentration des Mädchens; es gibt kaum einen Vermeer, der mich mehr zu beruhigen vermag. Was mir aber direkt vor dem Bild erstmals aufgefallen ist: dass das blaue Tuch auf dem Tisch beleuchtet ist. Dieser kleine helle Fleck, der das Blau in vielen verschiedenen Tönungen strahlen lässt, ließ mich minutenlang nicht mehr los, bis ich an die Rotte hinter mir dachte und endlich mal andere gucken ließ.

Der zweite Stock war eh mein Liebling: Neben den vielen, vielen Bildern der Ehrengalerie, für die alleine sich der Eintritt schon locker lohnt, gab es Delfter Porzellan (hier ein paar schnieke Leuchter), mein Lieblingsstillleben, viele wunderschöne Möbel, Kristall, Silber, Pokale aus Muscheln und: Puppenhäuser. Was mir am Museum so gut gefallen hat: dass es keine reine Gemäldegalerie war, sondern sich die vielen Objekte teilweise zu einer Erzählung gruppierten. In einem Raum hingen Bilder von Interieurs, und wie durch Zufall standen direkt daneben Schränke, Kommoden und Stühle, die direkt aus dem Bild zu stammen schienen. In einem Raum zeigte ein Bild einen Stützpunkt der Niederländischen Ostindien-Kompanie am Ganges, und daneben stand ein Schaukasten mit Geschenken, mit denen man sich Geschäftskontakte warmhielt sowie eine Vitrine mit Porzellan, das von einem Schiff der Company stammte, das gesunken und erst vor wenigen Jahren geborgen wurde. Unter einem Bild vom Walfang lagen Wollmützen von den Männern, die auf den Booten gearbeitet hatten, neben einem Stillleben voller schöner Schüssel stand Geschirr.

Nach dem Museum waren unsere Füße platt, und wir gingen ins Hotel zurück, um uns auf die Abendveranstaltung vorzufreuen: ein Besuch in Le Restaurant, ein winziger Laden knapp einen Kilometer vom Hotel weg, der seit Jahren einen Michelin-Stern hat. Die Fotos können nicht wiedergeben, wie wunderschön alles aussah – und noch weniger, wie hervorragend alles geschmeckt hat. Wir kugelten danach im Schritttempo ins Hotel, sehr glücklich und sehr wohlig angetrunken.

Der Reinkommer waren winzige Grissini und Gewürzplätzchen mit Hummus, der herrlich frisch nach Paprika schmeckte. Hab ich verfressenerweise nicht fotografiert. Dann kam das vom Koch persönlich an den Tisch gebracht und erläutert:

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Ein kleiner Chip, der kaum gewürzt war, mit Geflügellebermousse, die dafür umso mehr Eindruck hinterließ.

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Mit Sepia gefärbte Macarons und Makrelencreme drin. Die Macarons zerflossen quasi im Mund.

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Mein zweitliebster Gang: warme, erdige Erbsensuppe mit kühlem Minzschaum und: Grapefruit … äh … also die einzelnen Tropfen aus den Filets. Die schwammen unten in der Suppe und zerplatzten frischfruchtig im Mund, der noch mit Erde, Wärme und Kühle beschäftigt war.

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Das war ein äußerst wohlschmeckender Überraschungseigang: Eine Kartoffel, die nach Markknochen aussah, mit Heringsrogen, unter dem sich Rindertartar versteckte. Daneben ein bisschen Meerrettichschaum und Avocadocreme.

le_tunfisch

Mein Lieblingsgang: mit sehr viel Zitronigem marinierter Tunfisch, Wasabischaum und Fenchel. Hört sich erstmal wie die übliche Sushikombination an, war aber viel zarter und intensiver. Bei dem Gang war ich kurz davor, den Teller abzulecken.

le_fisch

Kabeljau, Auberginenpüree, Pfifferlinge, ein bisschen Gemüse – das war alles schon toll, aber dann kam die Beurre Blanc mit Zitronenthymian und machte alles tollstens von toll.

le_iberico

Der Hauptgang war der schwächste von allen, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Schweinefleisch finde ich relativ banal, auch wenn’s ein Iberico-Schwein war. Der Schweinebauch war allerdings ein Kracher (Kunststück, bei Fett und knackiger Kruste, da kann ja wirklich kaum was schiefgehen), und die winziges Blumenkohl- und Broccoliröschen waren bissfest und aromatisch. Die Sauce war mit Râs al Hânout gewürzt, was interessant war, aber irgendwie auch ein bisschen beliebig. Vorne leckeres Trüffelkartoffelpüree, hinter dem Fleisch, nicht zu erkennen, weil ich zu hektisch fotografiert habe, der eigentliche Star des Tellers: Spinat mit Estragon gewürzt. Da stank dann die gestern noch so gelobte Estragonmayonnaise aber ziemlich ab.

Der Käsegang aus fünf verschiedenen Käsen war herrlich – sieht aber auf dem Foto total doof aus, daher müsst ihr euch jetzt mal einen Teller mit fünf kleinen Stücken Käse und ein nussiges, hauchdünn geröstetes Früchtebrot dazu vorstellen.

Und dann gab’s endlich was Süßes.

le_rhabarber

Buttermilcheis mit Rhabarber, einmal geröstet, einmal geschmort, und dazu: Gurkenstückchen. Die waren der Hammer.

le_eclair

Ein Eclair mit Baiserstäbchen, Nektarine und Cassis-Parfait. Ich war nach drei Weiß-, einem Rot- und einem Desserwein schon völlig am Ende, aber dann kam noch was. Mir entfleuchte ein „It never ends!“, woraufhin der stets aufmerksame Kellner lächelnd meinte: „It will end sometime“, was ich dann sofort wieder bedauerte.

le_dessert

Ein Haselnusshörnchen, Cassisgelee, Macarons mit irgendwas, Kekse mit Dulce de Leche und ein winziger, glasierter Kuchen … danach bekamen wir noch ein ofenwarmes Madeleine gereicht, aber ich hatte keine Kraft mehr, das iPhone hochzuheben, ein weiterer Teller mit Gelee und Macarons kamen – „… take them, they’re on us …“, ich glaube, wir bekamen eine Extraportion, weil ich den ganzen Abend verzückt roch, fiepste und grinste, ich signalisierte irgendwann nach einem Espresso und verzichtete auf einen Schnaps, weil einfach nichts mehr ging, dann zahlten wir und ließen uns vom Chefkoch in die Jacken helfen. „If we come back to Amsterdam, we would love to eat here again.“ „That’s the idea.“

Die Nachtluft tat nach vier Stunden herrlichstem Essen sehr gut und ich habe danach geschlafen wie ein dicker, glücklicher Engel.

Tagebuch 3. September 2015 – Amsterdam, Tag 1

F. und ich sind für vier Tage in Amsterdam. Im Flieger hinter uns zwei Businesskasper aus der Hölle: „Und dann hat er seine Frau ruhiggestellt, indem er ihr drei Kinder gemacht hat, und dann hat er den ganzen Tag gearbeitet. Hab viel von ihm gelernt.“

In Schiphol checkten wir topcheckermäßig ein, woraufhin uns ein Flughafen antwitterte:

Jetzt hat sich das F Punkt im Blog eigentlich auch erledigt, aber ich behalte das mal bei.

Auf dem Weg zur Baggage Hall (ich las zuerst Baggage Hell) fiel mir auf, dass alle Beschriftungen ausschließlich auf Englisch sind. Erst am Ausgang, als der Flughafen in einen Bahnhof oder eine Metrostation übergeht, kamen niederländische Begriffe dazu.

Am Gepäckband lief eine Animation, wie man anschließend durch den Zoll geht, also: Hast du was dabei, was du uns sagen möchtest? Ein Bild, das einen zum roten Durchgang statt zum grünen schickte, war ein Piktogramm der Mona Lisa, und damit hatten die Niederlande eigentlich schon gewonnen.

stedelijk

Unser Hotelzimmer war leider noch nicht fertig (wir waren aber auch ein bisschen zu früh dran), weswegen wir uns auf den Weg zum Stedelijk machten. Dass mir eine kleine Ruhepause zum Frischmachen und Runter- und Ankommen ganz gut getan hätte, merkte ich erst im Museum, als ich schon bei den ersten Kandinskys und Kirchners und Mondrians dachte, jajaja, schon gut, whatever. (Damit habe ich vermutlich jede Street Cred als Kunsthistorikerin eingebüßt.) Das Erdgeschoss war gerade nicht zu besichtigen, weil eine Ausstellung abgehängt wurde, weswegen wir in den ersten Stock kletterten, wo laut Beschriftung Kunst nach 1950 auf uns wartete. Damit kriegt man mich eigentlich immer, und ich war auch sehr glücklich über Donald Judd, von dem ich anscheinend alles mag, aber an vielen der Werke bin ich dann doch eher flüchtig vorbeigegangen.

lewitt
Sol LeWitt

Da ich mir aber als erste Amtshandlung eine Museumkaart gekauft hatte, mit der man in eine Million Museen reinkommt, kann ich da notfalls am Sonntag, unserem Mal-gucken-was-mir-machen-Tag, noch mal reingehen, und dann mache ich das anständig. Die Museumkaart ist übrigens der Grund, warum wir überhaupt hier sind. Nachdem F. und ich so ungefähr fünf Minuten zusammen waren, meinte er, hey, meine Museumkaart gilt noch bis Ende September, bis dahin könnten wir mal nach Amsterdam fahren.

lichtenstein
Lichtenstein-Detail

Nach einer Stunde eher genervtem und unruhigem Rumguckens kam dann allerdings ein Werk, das mir wieder klarmachte, warum wir hier waren. Edward KienholzThe Beanery von 1965 war ein Nachbau einer schmuddeligen Bar, in den man einzeln reingehen konnte. Man drängelte sich zwischen Besuchern auf Barhockern durch, die alle Uhren statt Köpfe hatten, im Hintergrund spielte quietschige Musik, alles war verstaubt und versteift, aber trotzdem habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass mir einer der Barflys an den Arm greift und mich nach einer Kippe fragte. Ein wenig beängstigend, aber ich hätte trotzdem gerne mehr Zeit in der Kaschemme verbracht. Blöd nur, dass man weiß, dass draußen der nächste Museumsbesucher darauf wartet, dass man gefälligst wieder rauskommt.

Nach Kienholz drängelte ich ins Museumscafé, um dann doch endlich einfach mal irgendwo zu sitzen und mir zu vergegenwärtigen, wo ich gerade war. Diese Ruhepause tat mir sehr gut, und ich fand einen Namen für meine fiktive Hardrockband, die allerdings in den Niederlanden vermutlich total floppen würde. „Welcome to the staaaage: SLAGROOOOOOM!“

slagroom

Im Untergeschoss bei der ZERO-Ausstellung waren mein Interesse und meine Neugier hellwach und ich schlenderte deutlich enthusiastischer durch die Räume. Das könnte natürlich auch an den Werken gelegen haben. Ich verliebte mich in Henk Peeters (vor allem Akwarel), genoss den Lichtraum (1964) von Heinz Mack, Otto Peine und Günther Uecker, war von kinetischen Skulpturen verzaubert und von anderen irritiert.

peeters
Akwarel (Detail)

Eine Installation war das Werk Empty von herman de vries, das aus einer ca. drei mal drei Meter großen, geschlossenen Holzbox bestand, in die man durch ein kleines Guckfenster schauen konnte. Darin befand sich laut der Objektbeschreibung draußen eine Lampe, aber die sah man nicht. Genausowenig wie man Kanten sah oder den Raum in der Box oder überhaupt irgendetwas Fassbares. Man schaute buchstäblich in ein helles Nichts, was mich komplett verstörte. Es war ein bisschen wie damals in der Ausstellung von Hans op de Beeck, wo man auch bei jedem Werk dachte, hier stimmt was nicht und ich muss mich mal kurz irgendwo festhalten. So war es hier auch; ich legte meine Hände an die Holzbox, spürte meine Stirn über der Sichtöffnung und schaute verzweifelt und begeistert in einen erleuchteten Abgrund, der sich in mir auftat. Nietzsche hätte das Ding geliebt.

zero_weiss

zero_rot
Die Ausstellung war mir teilweise schon fast *zu* ästhetisch.

Nach drei Stunden Museum schlenderten wir endlich ins Hotel, wo wir eigentlich nur kurz ausruhen wollten, dann aber zwei Stunden im Bett dösten, bis uns der Hunger zum Burgermeester trieb. Dort genoss ich einen ganz hervorragenden Burger mit gegrilltem Gemüse und Estragonmayonnaise, den ich zuhause dringend nachbauen muss.

burger

Zum Abschluss des Tages fuhren wir in die Amsterdam ArenA zum EM-Qualifikationsspiel zwischen den Niederlanden und Island. Die Arena liegt quasi mitten in der Stadt, man braucht nur wenige Stationen zu fahren und muss dann vor allem nicht mehr ewig durchs Nichts laufen, bis man da ist (hallo, Allianz Arena). Im Stadion fuhren uns wundervolle Rolltreppen bis in den Oberrang (HALLO, ALLIANZ ARENA!), wo allerdings eine Musikbeschallung aus der Hölle auf uns wartete. (Okay, der Punkt geht an München.)

Auch der Rückweg machte uns sehr glücklich: ein Ausgang leitete uns direkt wieder zur U-Bahn-Station, und wir waren quasi eine dreiviertel Stunde nach Spielende wieder im Hotel, was in München niemals möglich ist mit dieser zwar wunderschönen, aber trotzdem am Arsch der Heide gelegenen Arena.

arena

Aus der Metro bzw. der Tram heraus und auf dem Weg zum Museum und zum Burgerladen konnte ich den fließenden Radverkehr auf breiten Wegen in Amsterdam beobachten und wollte sofort umziehen.

Tagebuch 2. September 2015 – Vorbereitungen

Immer noch kein Briefing. Allmählich glaube ich, die haben mich aus Spaß gebucht und gucken mal, wie lange es dauert, bis ich von mir aus nachfrage, wann ich denn mal was zu tippen kriege.

Auf zwei Dinge vorbereitet: zum einen auf den Umzug, den ich nächste Woche in Hamburg vorbereiten werde, bevor dann Dienstag in einer Woche der Großteil meiner Möbel in München ankommt.

Gestern begann ich damit, Kleinkram in den Keller zu tragen, wobei ich sehr stolz darauf bin, meinen Keller überhaupt wiedergefunden zu haben. Als ich vor knapp drei Jahren hier einzog, zeigte mir der Verwalter den Raum, ich nickte geistesabwesend, weil ich ja wusste, dass ich kaum Kram hier haben würde und erst recht nichts, was ich außerhalb meiner Wohnung irgendwo unterbringen musste. Daher habe ich das Kellergeschoss seit eben dieser Vorführung nicht mehr betreten und war deshalb, wie erwähnt, sehr erfreut, meinen Verschlag im verwinkelten Keller wiederzufinden. Und den Schlüssel dazu, ha! In zwei Wochen werden dann hier unter anderem meine zwei Weinregale stehen, die bisher in unserer Speisekammer standen und für die in meiner Arbeitszimmer-Küchen-Kombi leider kein Platz ist; dazu mein auseinandergebautes Bett, denn ich bringe mein Schlafsofa mit, das ich mir vor 15 Jahren gekauft habe, als ich als kleiner Textprakti nach Hamburg in eine 1-Zimmer-Wohnung zog. Gefühlt schließt sich ein Kreis, aber ich habe noch nicht rausgefunden, welcher.

Meine zweite Vorbereitung war Kofferpacken, denn ich fliege heute nach Amsterdam, um dort in vier Tagen so viele Museen anzugucken, wie die Füße aushalten. Bis auf einen heute kaum noch erklärbaren Trip Ende der 1990er Jahre, um Ben und Jerry’s einzukaufen, das es damals noch nicht in Deutschland gab, war ich noch nie in Amsterdam und ich freue mich sehr.

Tagebuch 1. September 2015 – Zwei Welten

Immer noch kein Briefing, immer noch keine Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Dafür eine, Geld auszugeben. Am Montag abend fuhren die ersten Flüchtlingszüge im Münchner Hauptbahnhof ein, die von Ungarn aus über Österreich durchgewunken wurden. In meiner Twittertimeline zwitscherten einige Helfer, die spontan vor Ort waren. Am Dienstagmorgen war mir dann auch klar: Jetzt ist das Flüchtlingsthema kein abstrakter Spiegel-Titel mehr für mich, keine Zeit-Reportage, kein Hashtag, kein Twibbon. Jetzt sitzen acht Radlminuten von mir entfernt Menschen, die nur noch das besitzen, was in einen Rucksack passt, und die Hilfe brauchen.

Abgegeben. #trainofhope #refugeeswelcome #muenchen

Ein von @ankegroener gepostetes Foto am

Im Drogeriemarkt so viel eingekauft wie ich tragen konnte, zum Hauptbahnhof gefahren und alles abgegeben. Ich bin nicht lange vor Ort gewesen, ich wollte mich nicht wie eine Katastrophentouristin fühlen; ich war froh, dass ich einer Helferin einfach ein paar Plastiktüten voller Hygieneartikel in die Hand drücken und wieder nach Hause konnte. Nach Hause. In eine Wohnung, zu einer Dusche, einem vollen Kühlschrank, zu Büchern, einem Bett, Privatsphäre. Totaler Allgemeinplatz, aber: Ich habe es gestern noch mehr als sonst zu würdigen gewusst.

Abends Kontrastprogramm: Geschmackssache Heimat, ein Abend mit deutschem Wein und ein bisschen Futter dazu. Stevan bloggte über die Hamburger Ausgabe, woraufhin Frau Kaltmamsell mich fragte, ob ich in München dabei wäre – aber natürlich!

Ich war noch nicht ganz in Stimmung, aber schon das erste Glas Sekt machte gute Laune. Den Reichsrat von Buhl hätten wir beide nicht als Riesling erkannt, waren aber äußerst angetan. Zum ersten Gang gab’s dann einen trockenen Bechtheimer Silvaner (2013, 12€), der kaum trockener sein könnte, dazu viel Sauerness im Mund. Es war keine Säure, es war sauer. Aber gut sauer, angenehm frisch. Zum Hauptgang wurde uns zunächst ein laut Winzer noch nicht ganz fertiger 2013er Sauvignon Blanc serviert, der müsse eigentlich noch so fünf, sechs Jahre liegen, aber er fände den jetzt auch schon ganz spannend. Frau Kaltmamsell weigerte sich nach einem Glas, den weiterzutrinken, und auch ich war nicht ganz überzeugt. Er schmeckte, als ob man nasse Weinblätter ableckte, aber ich glaube dem Winzer aufs Wort, dass der in ein paar Jahren ein kleines Kracherchen sein könnte.

Der Sommelier des Abends, Justin Leone aus dem Tantris (ich so: Ehrfurcht!), erzählte dann was über den Wein, auf den ich mich schon den ganzen Abend gefreut hatte: einen 2011er Monzinger Halenberg Riesling von Emrich Schönleber. Von diesem Weingut stammt mein absoluter Lieblingsriesling; den trank ich im reinstoff und bezahlte danach mit freudigem Herzen 60 Euro für eine Flasche. Jeden Cent wert. Leone: „Riesling braucht Kampf, schwierige Böden, kaum Wasser, dann kommt da was Gutes bei raus.“ Unterschreibe ich sofort. Der 2011er war die kleine, dünne Schwester des 2008er, den ich so liebe: Der Geschmack geht schon in genau die Richtung, die ich kenne, ist aber noch feiner. Ich mag die Rieslinge gerne, die sich so richtig breit machen in Mund; das kann der hier noch nicht, aber auch von dem würde ich sofort eine Kiste ordern. (19€ die Flasche.)

Zum Schluss kamen noch zwei Rotweine, zu denen ich gerne ein dunkelschokoladiges Dessert gehabt hätte, aber da kam nix mehr. Schon der erste löste Verzücken am Tisch aus: ein 2013er Frühburgunder für entspannte 9,50€ die Flasche. Der roch zuerst nach Gouda, dann nach Vanille, und im Mund war zuerst viel Vanille und nasses Moos, dann wurde die Süße weniger und der Wein wurde schwerer. Wunderbar. Aber der Höhepunkt kam zum Schluss, jedenfalls für mich: ein 2011er Spätburgunder, der mein Herz schon mit der ersten Nase eroberte und mich danach kurzerhand flachlegte. Ein bisschen Pferd auf Himbeerwölkchen und dann nur noch fruchtiges, tiefes Rumschmeicheln bis in die letzte Gaumenecke, wo der Wein ein bisschen piekst. Der war genau meiner. (27€)

Die Location gefiel mir gut, auch wenn es mir deutlich zu laut war; ich bin inzwischen zu alt, um meine Gesprächspartner den ganzen Abend mit erhobener Stimme erreichen zu wollen. Vom Essen war ich allerdings ein wenig unterwältigt. Der erste Gang waren marinierte rote Bete mit Orangenfilets, die eher lieblos aufs Tellerchen gehäuft waren, der Hauptgang dann immerhin die legendären und durchaus wohlschmeckenden Spare Ribs mit Kartoffelpüree und Ratatouille. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau, denn die ganze Sause hat nur 30 Euro gekostet, und alleine für die wirklich tollen Weine hat sich’s gelohnt. (Für die charmante Begleitung ja sowieso.)

Tagebuch 31. August 2015 – Warteschleife

Morgens zur Hausärztin gefahren, Blut abnehmen lassen, die übliche Kontrolluntersuchung alle paar Monate. Gestern zusätzlich einen HIV-Test in Auftrag gegeben. Im Nachhinein war ich über mich selbst verärgert, dass ich erst nach drei Monaten Beziehung darauf komme, diesen Test machen zu lassen. Der letzte ist jetzt elf Jahre alt, seitdem war ich monogam, habe keine Spritzen geteilt und keine Bluttransfusion bekommen, aber eigentlich sollte man sich doch sicher sein, bevor man mit jemand Neues im Bett landet. Es hat mich verwundert, dass ich diese Krankheit überhaupt nicht mehr auf dem Schirm hatte, obwohl wir doch gerade erst vor kurzem in der Keith-Haring-Ausstellung waren, wo AIDS eines der großen Themen war.

Ergebnis in ein paar Tagen.

Für AbsolventInnen am kunsthistorischen Institut der LMU ist am 31. August Notenschluss. Natürlich gucke ich seit Tagen in unser Onlinetool, über das ich mein Transcript of Records einsehen kann, ob endlich meine BA-Arbeitsnote da ist oder sogar schon die Gesamtnote.

Nix.

Den halben Tag auf ein Briefing gewartet, mit dem ich mal wieder ein paar Autos betexten soll. „Müsste mittags da sein.“

Nix.

Seit Samstag Hold On von Yes im Ohr. Spotify erfreute mich mit einer Gute-Laune-Playlist, in der Owner of a Lonely Heart vorkam, woraufhin ich sofort die ganze Platte anklickte, die in Hamburg als Vinyl im Schrank steht und über die ich, wie auch über meine anderen Platten, schon länger nachdenke: wegschmeißen oder ein weiteres Mal in eine neue Wohnung schleppen, um sie die nächsten 20 Jahre auch nicht mehr aufzulegen?

Abends auf F.s Balkon den Sommer verabschiedet. Good riddance, du heiße Nervensäge. Ich freue mich auf die kürzeren, kühleren Tage, an denen mein Herz langsamer schlägt und ich mich irgendwo einmummeln kann.