< quote >

„You must remember what you are and what you have chosen to become, and the significance of what you are doing. There are wars and defeats and victories of the human race that are not military and that are not recorded in the annals of history. Remember that while you’re trying to decide what to do.“

(John Williams, Stoner, New York 2003 (Erstausgabe 1965), S. 37)

iPad versus Papierbuch oder: Ich möchte über einen vier Jahre alten Blogeintrag von mir reden

Genauer gesagt, über den hier, in dem ich erzähle, dass eBooks eigentlich ganz schnafte sind, ich aber doch lieber bei den Papierbüchern bleibe. Das hat sich inzwischen geändert, wie ich gestern abend selbst erstaunt festellen musste: Ich lese inzwischen lieber auf meinem iPad mini als in Papierbüchern. Jedenfalls die Bücher, die ich privat lese. Bei den Werken für die Uni ist das (noch?) anders.

Was schrieb ich vor vier Jahren? Zum einen, dass es mich nervt, dass ich keine Seiten in der Hand habe, die mir optisch und haptisch sagen, wie weit ich schon im Buch bin. Das Problem habe ich seit Infinite Jest nicht mehr – da war ich sehr dankbar, dass ich den Schinken nicht mit mir rumtragen musste, sondern einfach der steigenden Seitenzahl unten am Bildschirm zugucken konnte.

Die Schinkigkeit von Büchern ist auch ein Grund, warum ich inzwischen lieber eBooks lese. Seit zwei Jahren fliege ich regelmäßig von Hamburg nach München und zurück und schleppe jedesmal meinen Rechner im Rucksack mit, meist irgendwelche Unterlagen für die Uni, den üblichen Handgepäckskleinscheiß, den alle mitschleppen – und eben Bücher. Bzw. seit zwei Jahren keine mehr. Das iPad mini hat mich endgültig zur eBook-Leserin gemacht.

Angefangen habe ich mit dem iPad der ersten Generation, was fünf, sechs Bücher lang ganz lustig war und dann nicht mehr. So richtig komfortabel liegt der Brocken dann eben doch nicht in der Hand, da macht ein schlankes Suhrkamp sich schon besser abends im Bett. Deswegen kaufte ich mir den Kindle 4, das Billomodell, auf dem ich auch nicht mehr als fünf Bücher las, weil mir die fehlende Beleuchtung auf den Zeiger ging. Das Format fand ich gut, der Kindle liegt gut in der Hand, wiegt quasi nix – aber er ist eben nicht beleuchtet, sieht total scheiße aus und die Tatsache, dass er nicht per Touch zu bedienen war, sondern mit den ollen Tasten, hat mich relativ schnell genervt. Enter the Kindle Paperwhite.

Den habe ich quasi ohne ihn zu benutzen weiterverschenkt. Das Gefühl, auf der Oberfläche rumzustreichen, um umzublättern oder irgendwas zu machen, fand ich mehr als unangenehm. Das mag ein blöder Grund sein, aber Haptik und Optik spielen bei mir eben doch eine Rolle; das habe ich aber auch erst gemerkt, nachdem ich den Paperwhite in der Hand hatte. Gefühlt fünf Minuten, nachdem ich den Paperwhite angeekelt in die Ecke geworfen hatte, stand ich im Apple Store und strich verliebt über die Oberfläche des iPad mini. Es war deulich leichter und kleiner als das erste iPad, das ich überhaupt nicht mehr benutze, es lag gut in der Hand und es fasste sich vor allem toll an. Gekauft – und nie bereut.

Seit zwei Jahren lese ich alles, was ich nicht auf dem Rechner lesen will, auf dem iPad mini. Ich habe nie zu den Leuten gehört, die nach dem Weckerklingeln im Bett erstmal zum Smartphone greifen, um zu gucken, was nachts so alles in der Welt passiert ist – aber ich greife inzwischen morgens als erstes zum iPad. Die Twittertimeline wird nachgelesen, mal kurz auf Facebook geguckt, und dann muss ich natürlich noch nach meiner Farm schauen. Ähem. Und schon bei der Twittertimeline klicke ich auf diverse Artikel und lese sie sofort, anstatt sie mit einem Sternchen zu versehen und sie später am Laptop nachzulesen. Das iPad mini ist für mich ein vollständiges Lesegerät geworden. Mehr mache ich damit eigentlich nicht. (Okay, die Farm, schon gut.) Ich lese Bücher darauf, habe Magazine abonniert und seit ich einen anständigen pdf-Reader habe – PDF Expert, danke an Hirnrekorder für den Tipp -, mit dem ich markieren und annotieren kann, lese ich auch viele Papers für die Uni darauf anstatt sie mir, wie früher, auszudrucken.

Bücher für die Uni – also alles, was länger ist als ein Aufsatz – lese ich aber immer noch lieber auf Papier. Querlesen geht halt doch einfacher, wenn man alles im Blick hat und nicht immer nur eine Seite. (Ja, Bücher für die Uni werden quergelesen.) Aber auch hier mache ich inzwischen Ausnahmen: Digitale Bildwissenschaften habe ich komplett am iPad gelesen und dank des PDF-Experten wild markiert. Das könnte sich durchaus wiederholen. Auch weil die LMU tollerweise viele grundlegende Werke, die bei uns in dutzenden von Exemplaren in der Zentralen Lehrbuchsammlung rumstehen, auch gratis und ohne Einschränkung als pdf zur Verfügung stellt. Die Unibibliothek Hamburg leiht auch Bücher als pdf aus, aber die sind zeitlich beschränkt und ich habe es noch nicht geschafft, sie aufs iPad zu ziehen; die konnte ich nur am Laptop lesen und das empfinde ich immer noch als sehr unkomfortabel.

Über was hatte ich vor vier Jahren noch gemeckert? Dass man eBooks in Flugzeugen nicht ständig benutzen kann. Das hat sich netterweise inzwischen geändert, sonst wäre das sicher noch ein Quengelgrund für mich. Noch was? Ach ja, der Abschied vom Buch, das Ins-Regal-Stellen. Auch dieser Punkt hat sich mit meinem derzeitigen Leben geändert, denn in München habe ich schlicht nicht den Platz, den ich in Hamburg habe (ein 8-Fach-Expedit im Vergleich zu zehn Billys, davon sechs mit Aufsatz). Ich habe es in meiner kleinen, schnuffigen Ein-Zimmer-Studierendenbutze sehr zu schätzen gelernt, dass nicht alles, was ich lese, danach stofflich rumsteht, sondern nur als niedliche und platzsparende Datei vorhanden ist. Ich gebe zu, ich gehöre immer noch zu den Menschen, denen eine dicke Bücherwand im Wohnzimmer wichtig ist, weil ich einfach gerne zwischen Büchern lebe. Aber ich glaube, ich habe in 45 Jahren genug Zeug angesammelt, damit das Wohnzimmer hübsch ist – der Rest darf jetzt gerne virtuell vorhanden sein.

Womit ich nicht gerechnet hatte: dass mir die Beleuchtungsfunktion des iPad irgendwann den letzten Schubs zur eBook-Leserin gibt. Ich habe Jahre meines Lebens damit zugebracht, die perfekte Nachttischbeleuchtung zu finden, weil ich da am längsten lese. Inzwischen mummele ich mich im dunklen Zimmer unter die Decke und genieße das Licht des iPads, das immer perfekt ist. Es fühlt sich ein bisschen an wie das heimliche Lesen als Kind, wenn Schwesterchen schon schlafen wollte und ich das Licht im gemeinsamen Kinderzimmer ausmachen musste. Das ist wahrscheinlich der emotionalste Grund für einen eReader ever, aber ja, das Hightech-Produkt iPad mini löst bei mir anscheinend Flashbacks in die Kindheit aus, die ich zu großen Teilen mit der Nase in irgendeinem Buch verbracht habe. Und bis heute gibt es nichts Tolleres, als immer mal wieder auf ein Buch zu stoßen, das man einfach nicht weglegen möchte, auch wenn morgen die Vorlesung um 8 beginnt oder der Kunde um Punkt 9 was von einem will. Scheißegal, nur noch 20 Seiten. Und dann leuchtet das iPad so heimelig und plötzlich sind es 80 und ich lese mit glücklichem Grinsen vor mich hin.

Gemüsesuppe gegen die Wiesngrippe
(mit total ungemüsigem Goodie)

Das Oktoberfest in diesem Jahr ist mein viertes, und inzwischen habe ich mich damit abgefunden, danach erkältet zu sein. Immer. Diese Krankheit hat hier in München sogar einen Namen: Wiesngrippe. Hier fallen ganze Abteilungen aus, weil alle KollegInnen gemeinsam krank werden. Ist halt so. Ich versuche natürlich tapfer, dagegen vorzugehen: Gestern gab’s beim ersten Kratzen im Hals meine geliebte Gemüsesuppe, der ich aber noch ein kleines Goodie hinzugefügt habe. Because everything’s better with bacon.

Foto 3

Für zwei Personen. In einem Suppentopf
1 Zwiebel, grob gehackt, mit
4 Möhren, in Scheiben geschnitten, in
einem Klacks Butter anschwitzen. Mit
1 l Gemüsebrühe ablöschen.
1 Handvoll Orecchiette sowie
1 Handvoll TK-Erbsen dazugeben. Alles so acht Minuten köcheln lassen, dann
1 Stange Lauch, in feine Ringe geschnitten, dazu und weitere fünf Minuten mitköcheln lassen. Falls die Suppe zu dick wird, noch Gemüsebrühe nachkippen. Kurz vor Schluss noch
eine Handvoll Petersilie, so mittelfein gehackt, dazugeben. Ich bin bei Kräutern grundsätzlich eine Mittelfeinhackerin.

In der Zwischenzeit das Goodie vorbereiten. In der letzten Woche hatte ich ständig Sandwichjieper und habe bergeweise Salat und Bacon auf Weißbrot gehauen, mit Käse belegt und in der Pfanne gegrillt. (Dazu auf das Sandwich in der Pfanne ein bisschen Backpapier legen und mit einer zweiten, schweren Pfanne plattdrücken. Oder sich einen Panini-Grill kaufen.)

Von diesen köstlichen Exzessen hatte ich noch zwei Streifen Bacon über. Die habe ich ohne Fett in einer beschichteten Pfanne knusprig gebraten, auf Papier abtropfen lassen und dann im Baconfett
1 Scheibe Toastbroat, in Würfel geschnitten, mit
1 TL Sonnenblumenöl als Croutons angebraten. Nur ganz kurz, dann werden sie außen knusprig und bleiben innen weich. So mag ich sie am liebsten.

Und jetzt drückt mir die Daumen, dass das Kratzen im Hals weggeht.

Fehlfarben 2 – Die BND-Zentrale in Pullach und Mise en scène

Die Herren @munifornication, @probek, @sammykuffour und ich haben Freitagabend bei vier Flaschen Rotwein die zweite Ausgabe unseres Kulturpodcasts aufgenommen. Ihr könnt ihn hier anhören, uns auch gerne bei iTunes abonnieren oder uns bei Twitter oder Facebook folgen.

In der zweiten Ausgabe befassen wir uns gleich mit zwei Ausstellungen. Die erste war Die BND-Zentrale in Pullach, eine Fotodokumentation von Martin Schlüter, wobei schon das Wort „Dokumentation“ heftig diskutiert wurde. Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. Oktober im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung.

Die zweite Ausstellung: Mise en scène von Stan Douglas, ebenfalls eine Fotoausstellung, aber mit einer ganz anderen Ausrichtung. Sie läuft noch bis zum 12. Oktober im Haus der Kunst. Wir können beide Ausstellungen empfehlen, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Und Wein gab’s natürlich auch. Weil wir zwei Ausstellungen besprechen wollten, fiel unsere Getränkewahl auf Cuvées – also Weine, die aus zwei oder mehr Traubensorten gekeltert wurden. Ich bin mir nicht sicher, wie lange wir uns Getränke passend zur Ausstellung überlegen oder ob wir einfach irgendwann umschwenken zu: Wir trinken, worauf wir Lust haben.

Dieses Mal haben wir fast eine Blindverkostung hingekriegt; jeder brachte eine Flasche mit abgeklebtem Etikett mit, die Flaschen wurden farbig markiert und dann hat jeder von uns vier Gläser vor der Nase gehabt, die ebenfalls farbig markiert waren. Die ich nach der Aufnahme bis um 3.14 Uhr abgewaschen und poliert habe. Ächz. The things you do for wine.

Hier die vier Weine in der Reihenfolge, wie die Mehrheit am Tisch sie gut fand – wobei da kein einziger wirklicher Ausfall drunter war. Die waren alle gut bis großartig. Und wir haben lustigerweise fast alle die gleichen Traubensorten mitgebracht.

1. Domaine Les Goubert, Cuvée Florence, Gigondas, 2003, 15%. Der stammte aus dem Keller von Felix’ Eltern und dürfte damals um die 30 Euro gekostet haben. Heute liegt er bei um 40, wenn man ihn überhaupt noch erwischt. Trauben sind Syrah und Grenache.

2. Château Coulon Selection spéciale, Corbières, 2009, 14,5%. Den habe ich aus meinem Hamburger Regal nach München geschleppt. Auf der delinat-Website, wo ich ihn damals geordert habe, ist derzeit nur der 2012er Jahrgang zu kriegen und der kostet 9,50 Euro. Trauben sind Syrah, Grenache, Carignan und ein Hauch Mourvèdre.

3. Brotte, La fiole, Côtes du Rhône, 2012, 14%. Supermarktwein für 6 Euro, Trauben sind Grenache und Syrah.

4. Thunevin-Calvet, Cuvée Constance, Côtes du Roussillon Villages, 2012, 15,5%. Gekauft bei Aldi Süd für 8 Euro, Trauben sind Grenache und Carignan. Der kommt übrigens, je länger er an der Luft steht. Wo der Fiole nix mehr macht, sobald er einmal offen ist, wird der hier nach einer Stunde im Glas fruchtiger und voller und verliert fast komplett seine Trockenheit, die ich persönlich anfangs überhaupt nicht mochte.

Ein unausgeschlafenes Dankeschön …

… an die @alsergrundlerin, die mich mit John Williams’ Stoner* überraschte. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wie ich auf das Buch gekommen bin, aber ich hatte anscheinend einen guten Grund, es auf den Wunschzettel zu packen. Gestern abend, als ich um ein Uhr nach Hause kam, dachte ich mir so leichtsinnig, ach guckste doch mal kurz rein, liest ein paar Seiten und schläfst dann gemütlich nach 20 Minuten weg. Der Plan war super, die Ausführung komplett ungelungen, denn um 3 Uhr habe ich immer noch gelesen und musste mich dann zwingen, das Buch wegzulegen. Ich weiß jetzt auch echt nicht, warum mich die Geschichte eines jungen Mannes so interessiert, der von seinen Eltern an die Uni geschickt wird, um Agrarwissenschaft zu lernen, der dann aber der englischen Literatur verfällt und plötzlich Tage und Nächte in Bibliotheken rumhängt. Echt. Keine Ahnung.

„In the University library he wandered through the stacks, among the thousands of books, inhaling the musty odor of leather, cloth, and drying page as if it were an exotic incense. Sometimes he would pause, remove a volume from the shelves, and hold it for a moment in his large hands, which tingled at the still unfamiliar feel of spine and board and unresisting page. Then he would leaf through the book, reading a paragraph here and there, his stiff fingers careful as they turned the pages, as if in their clumsiness they might tear and destroy what they took such pains to uncover.“

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

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Kunst gucken: Der Kontext zählt

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, wo die Bilder ein bisschen größer sind.)

Die Hamburger Kunsthalle baut um, weswegen die Sammlung derzeit nur eingeschränkt zugänglich ist – und das ist überraschenderweise ziemlich großartig. Denn die KuratorInnen haben sich anscheinend ihre Lieblinge (und die des Publikums) rausgepickt, neu angeordet und damit wunderbare Blickwinkel geschaffen.

Dass sich ein Bild anders anfühlt bzw. ansieht, wenn es auf einem anderen Hintergrund hängt, ahnt jeder, der mal mit Instagramfiltern rumgespielt hat. Es kommt aber auch auf die Umgebung an, die Beleuchtung, die Nachbarschaft und wenn’s nach mir geht, auch die Ecke des Raumes, in der das Werk hängt oder steht. Als ich das erste Mal in der Alten Pinakothek war, wollte ich nur zu den Raffaels. Die drei hingen damals in einer Ecke; wenn man aus der Richtung der Franzosen kam, war links von der Tür zum Saal der da Vinci (und noch irgendwas), dann hörte die Wand auf, die lange Seitenwand begann und auf ihr hingen meine drei Schnuffis. Direkt nach ihnen kam der Durchgang in die Kabinette. Sie hatten also quasi eine Wand für sich, wenn auch nur eine recht kurze. Eine der ledernen Sitzinseln stand direkt vor ihnen, so dass man Muße hatte, sie sich genau anzuschauen.

Seit einiger Zeit hängen die Raffaels aber fast genau gegenüber von der Position, auf der ich sie kennengelernt habe. Sie hängen nun rechts in der Mitte der langen Wand, die von keiner Tür unterbrochen wird, sind also zentral im Raum angeordnet – aber sie gehen meiner Meinung nach unter, weil rechts und links von ihnen noch andere Bilder hängen. Ich muss mich inzwischen immer selber bremsen, nicht an ihnen vorbeizuschlendern, wozu lange Wände mich immer verführen. Ich mag kleinere Säle lieber, die mit Ecken und Türen automatisch Zäsuren einfügen und mich innehalten lassen.

Im letztem Semester hatte ich den Kurs Spaces of Experience (ich schrieb darüber), in dem wir durch mehrere Museen gingen und uns ausnahmsweise nicht die Kunst, sondern die Art ihrer Präsentation anschauten. Genau über die Raffaels habe ich mit einer Kommilitonin diskutiert: Sie fand, sie wirkten jetzt weniger gequetscht und hätten den Raum, der ihnen zusteht, was ich, wie gesagt, ganz anders empfinde. Ich mochte die kleine Extraecke, die sie hatten, denn diese betonte für mich ihre Einzigartigkeit. Natürlich ist jedes Werk einzigartig, das in dem Raum hängt, aber die Raffaels sind für mich etwas Besonderes und eben diese Besonderheit konnte ich allein durch ihre Anordnung spüren. Jetzt sind sie drei Bilder unter vielen.

Ein anderes Beispiel aus der Alten Pinakothek: unser aller Liebling, der kleine Dürer im Pelzrock. Der hing vorher direkt neben einer Tür, so dass man selten ungestört vor ihm stehen konnte, weil dauernd Bewegung neben einem war. Wenn man von den Franzosen kam, übersah man ihn auch gerne, weil er rechts vom Durchgang hing, was man kaum im Blick hat, wenn man in den Raum reingeht. Seit einiger Zeit hängt er in der Blickachse des gesamten Flügels, man ahnt ihn quasi schon fünf Räume im voraus. Das ist einerseits toll, andererseits geht er jetzt neben den Aposteln total unter, die ungefähr viermal so groß und deutlich farbintensiver sind. Und obwohl ich Sitzgelegenheiten direkt vor Bildern mag, ist die Insel hier eher deplatziert, weil genau vor dem Bild eigentlich immer wer steht, so dass man es im Sitzen sowieso nicht genießen kann.

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Richard Serra, „Spot On“ (1996)
Wandmalerei, Ölkreide auf Dispersionsfarbe (paint stick), geschmolzen und aufgespachtelt, entstanden in der Woche vom 11.–15.03.1996
174 x 184 cm
Hamburger Kunsthalle/bpk
© VG Bild-Kunst, Bonn 2014
Photo: Kay Riechers

Mit diesem Wissen im Hinterkopf besuchte ich gestern die Kunsthalle, die, wenn ich ganz ehrlich sein darf, nicht unbedingt mein Liebling ist. Ich mag die Beleuchtung nicht, ich mag die Fußböden nicht, und wenn da nicht meine Herzblätter wie Leibl und Lehmbruck hängen und stehen würden, wäre ich deutlich seltener da. Wahrscheinlich hat mich deshalb die eingeschränkte Präsentation so umgehauen, weil sie deutlich moderner und weniger beliebig wirkt.

Ich kam aus dem dritten Stock der Galerie der Gegenwart, wo noch bis zum 18. Januar eine sehr gute Ausstellung mit Stillleben von Max Beckmann läuft (kann ich sehr empfehlen, los, angucken!), stieg aus dem Fahrstuhl – und stand erstmal vor einem Fernseher. Darauf lief neckischerweise Florian Slotawas Museums-Sprints 2000–2001, ein 13-minütiger Film, in dem ein Mann in Hemd und Shorts zu sehen ist, wie er durch diverse Museen der Republik rennt. Ich blieb eigentlich nur deshalb stehen, weil gerade das Treppenhaus der Alten Pinakothek zu sehen war – und verharrte dann grinsend ungefähr zehn Minuten, während der Sprinter noch durch die Hamburger Kunsthalle, das Freisinger Diözesanmuseum, das Fridericianum in Kassel und andere Ausstellungsräume rannte. Während ich dem stummen Film zuschaute, hörte ich schon das Werk im nächsten Raum: On Kawaras One Million Years, bei dem zwei Stimmen eine Jahreszahl nach der anderen runterbeten. Betritt man den Raum, in dem die Stimmen erklingen, steht man auch dem Werk gegenüber, das der Sonderpräsentation ihren Namen gegeben hat: Spot on von Richard Serra. Alleine die drei Werke in ihrer Zusammenstellung haben den Besuch schon gelohnt.

Den Kawara hört man übrigens auch im anschließenden Raum, quasi dem ersten des eigentlichen Rundgangs. Dort hängen meine Lieblinge aus dem 15. Jahrhundert, und ich fand es sehr spannend, direkt aus der Moderne fünfhundert Jahre zurückgeworfen zu werden – aber die Moderne noch im Ohr zu haben.

Der nächste Raum ist recht klein, aber das passt ganz wunderbar zum zentralen Bild. Dort hängt nämlich das Kunstkammerregal von Johann Georg Hinz, das quasi vorausahnen ließ, was einen beim Rundgang erwartete: eine kleine Schatzkammer nach der anderen. Wo die Sammlung sonst brav nach Jahrgängen, Schulen und/oder MalerInnen geordnet hängt, hängt sie nun eher thematisch. Ganz aufgegeben wird die Chronologie nicht, aber zwischendurch gibt es immer wieder Räume, die Bilder neu verknüpfen und, ich wiederhole mich da gerne, das hat mir ausgesprochen viel Spaß gemacht. Es kam mir weniger verschult, sondern verspielter, vergnügter vor, weniger „Ehrfurcht vor der Kunst, bitte“, mehr „Guckt mal, was wir alles Tolles haben“.

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Johann Georg Hinz, „Kunstkammerregal“ (1666)
Leinwand, 114,5 x 93,3 cm
© Hamburger Kunsthalle/bpk
Photo: Elke Walford

Da darf ein Porträt von Paula Modersohn-Becker neben einem von Anita Rée hängen – der Picasso zwischen ihnen ist mir fast nicht aufgefallen, so gerne habe ich die beiden Damen betrachtet –; da haben meine geliebten Kathedralen-Bilder von Hendrik van Steenwijck und Gerard Houckgeest endlich mal Platz und hängen nicht gequetscht in einem Seitenkabinett, sondern zentral an einer langen Wand, was viel besser zu ihren gotischen Gewölben und dicken Säulen passt; da gibt es einen Raum mit Porträts der Moderne, der die Stilvielfalt zeigt, und einen Raum mit Landschaften, wo kleine und größere Werke nebeneinander hängen, ohne sich in die Quere zu kommen, sondern sich ergänzen. Für mich fast am schönsten: Die Bilder von Caspar David Friedrich wirken endlich mal weniger verwaschen, weil sie nicht mehr auf dem ollen Hellgrau hängen und mit Raumlicht beleuchtet sind, sondern stattdessen edel auf tiefem Graublau durch gezielte Spots erstrahlen.

Für mich etwas überraschend war die neue Hängung der Brücke-Jungs: Normalerweise ist das der Raum, den ich am wenigsten mag, denn er ist riesig, und man wird quasi zugeschmissen mit Kirchner, Nolde, Pechstein und Schmidt-Rottluff. Ich kann mich in dem Raum nie auf ein Bild konzentrieren, weil um mich rum 30 weitere um Aufmerksamkeit winseln. Hier hängen deutlich weniger Werke, und auf einmal kann man zwischen ihnen atmen.

Aber das Tollste war diese Blickachse, die mein beknacktes iPhone-Foto nicht anständig wiedergeben kann, weswegen ihr wirklich und echt jetzt mal selbst in der Kunsthalle vorbeigehen müsst, denn dieser Raum ist schlicht großartig:

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Das meinte ich mit „Guckt mal, was wir alles Tolles haben“. Da komme ich nichtsahnend um die Ecke gebogen, schaue nach links – und sehe in einem Raum meinen Lieblingslehmbruck von 1918, den wunderschönen Pierre de Wiessant (1885) von Rodin und zwischen ihnen, ganz selbstverständlich, einen Beuys von 1970. Und auf einmal ist Beuys nicht mehr der verkopfte Künstler, den man nur versteht, wenn man 200 Seiten Ausstellungskatalog durchgearbeitet hat. Auf einmal hat man einen Zugang, weil sein Filzanzug hier zwischen zwei menschlichen Abbildern hängt, die ihn erden und sinnhaft werden lassen. Nicht mehr auf dem Bild: Ganz rechts steht der wunderbare goldglänzende Kopf der Skulptur 23 von Belling (1923), und links stehen eine Holzmadonna aus dem 15. Jahrhundert und ein Giacometti einträchtig nebeneinander. Fünfhundert Jahre Kunstgeschichte in einem Raum – und es passt.

Ich habe mich wahrscheinlich ziemlich zum Affen gemacht, weil ich mich von dem Raum und seinen Achsen gar nicht losreißen konnte und ich deswegen dauernd rein- und rausgerannt bin. Wenn man die Augen zusammenkneift, sieht man im Bildhintergrund schon den nächsten Raum, wo sich noch mal Richard Serra die Ehre gibt, dieses Mal mit Measurements of Time, eine Bleischüttung, die ich auch sehr gerne mag und die 1996 speziell für die Galerie der Gegenwart angefertigt wurde. Auch diese Kombination mochte ich gerne: Die feste Installation, vor der sich neue Werke anordnen. Weil sie’s können. Danke, Kunsthalle. Punktlandung.

Links vom 12. September 2014

I Talked to Strangers for a Week, and It Did Not Go Well

Die Überschrift sagt schon alles, wobei sie einen Hauch zu pessimistisch ist:

„Day 2:

A.M.: A woman who appears to be in her 40s enters the train and sits next to me. “Morning,” I say. She hears me. I know she hears me — she looks me right in the eye when I say it! — but she quickly averts her eyes and pretends she didn’t hear anything. We sit in awkward silence until I get off a few stops later.

P.M.: It’s a relatively crowded car, but no one sits by me. This is becoming something of a pattern, undoubtedly because I am staring at everyone a little too eagerly, trying to catch eyes or notice something about them in order to make conversation.

Finally, an older man sits next to me. He is watching a video on his iPhone, with the sound off and no headphones. “Mind if I ask what you’re watching?” I ask. He looks at me blankly, gestures toward the phone. I don’t think he speaks English. (Though I am now remembering the times I’ve pretended to be a non-English speaker to get weirdos to stop talking to me.)“

No comment – Wer leistet die Verdichtung?

Christoph Kappes über die vielen Formen von Online-Kommentaren und wo sie nützen. Stichworte: Sender und Empfänger, oben und unten, Demokratisierung, Mitsprache und – Geschäftsmodelle. Sehr lang, sehr lesenswert, selbst für Kommentarhasserinnen wie mich.

„Der Kommentar [ist] zwar kein Format von Gewicht, er ist kleiner als der neudeutsche „Microcontent“; der Artikel, der Leitkommentar etc., sie alle sind die großen Sinneinheiten, die eine Debatte tragen. Doch ist der „Kommentar“ ein Stück kulturelle Verarbeitung durch „die Massen“, er verarbeitet im Grunde den kulturellen Nährstoff großer Texte sichtbar zu Kulturkompost und trägt den Dung weiter, bis er überall den Boden fruchtbar machen konnte (http://de.wikipedia.org/wiki/Kompostierung). So können die Nährstoffe in einer grossen Verstoffwechselung ausgewählt und wieder in neue kulturelle Artefakte integriert werden. Wer online kommentiert, spricht über etwas, und dieses online Sprechen macht den kulturellen Prozess. Kopie und Link als Technik kompostieren nicht, sie lassen alles unberührt oder ändern Kontext und Fokus. Sie ver-, zer- und be-arbeiten aber nichts, erst der Kommentar als Sinnverarbeitung leistet das.

Diese Micro-Verarbeitung mit dem „Kommentar“ als kleinstem Baustein darf man daher auch politisch nicht unterschätzen. Sie ist der Meinungsbildungsprozess im digitalen Raum (und nicht “ein Leserbrief”). Sie ist Teilhabe an Öffentlichkeit, genauer: es entstehen hierdurch erst Teil-Öffentlichkeiten. Der Prozess besteht eben nicht nur aus dem Lesen und stillen Verarbeiten von Texten.“


Matchmaker, Matchmaker, Make Me A Spreadsheet

Die facepalmigste Statistik der Woche kommt von Christian Rudder, dem Gründer von OKCupid, der unter anderem ausgewertet hat, nach welchem Alter Männer auf der Dating-Website von Frauen gesucht werden – und umgekehrt.

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Bildschirmfoto 2014-09-12 um 09.37.02

(via irgendjemand gestern auf Twitter, sorry, vergessen)

Reeva Steenkamp and Oscar Pistorius: Not a question of fact, but perspective

Das lasse ich einfach mal so stehen.

„When women feel anger and dismay at verdicts such as those delivered today, we are told not to generalise. We must stick to the facts. We must also be reasonable. Here are some things that are facts, not generalisations (whether or not they are reasonable is another matter):

– In 2009, 1024 women in South Africa were killed by intimate partner violence (one woman for every eight hours)
– In this year alone, male violence has seen three women beheaded in London
Two women a week are killed by their partner or former partner in England and Wales (yeah, I know. That one’s got boring)
– In the UK, 30% of the female population have experienced some form of domestic abuse since the age of 16
– Almost 94% of murderers in the UK are men
– Six doors down from me, a pregnant teenage girl was killed by her ex-boyfriend. What about where you live?“

(via @astefanowitsch)

Links vom 11. September 2014

Heilbrunn Timeline of Art History

Ich lese gerade Digitale Bildwissenschaften von Hubertus Kohle, das man netterweise für lau laden kann (dankeschön!), für das man aber natürlich auch Geld ausgeben darf. Sobald ich es durch habe, kommt hier eine Lobeshymne bin, aber bis dahin lege ich euch einen der tausend Linktipps ans Herz, die im Buch vorkommen: die Heilbrunn Timeline of Art History vom Metropolitan Museum of Art in New York. Das Museum ist eh ganz groß im Teilen von tollem Zeug, siehe ihre vielen frei zugänglichen Kataloge und Bücher.

Das Schöne an dieser Timeline: Sie ist nicht europazentriert, was Kunstgeschichte gerne mal ist (ab dem 20. Jahrhundert dürfen auch die USA mitspielen). Wir sind eine sehr konservative Wissenschaft, die sich gerne mit Kunst von weißen Männern in Westeuropa und Nordamerika beschäftigt, und das Fach beruht auch zu sehr großen Teilen auf Texten und Erkenntnissen von weißen Männern, die sich mit Westeuropa und Nordamerika beschäftigen. Das äußerst sich zum Beispiel daran, dass Kunst aus Afrika oder Asien – ich schmeiße gerade der Einfachheit halber ganze Kontinente zusammen, aber bleibt trotzdem bei mir, bitte – nicht als Kunst bezeichnet wird, sondern als Kunsthandwerk, was man mit ein bisschen bösem Willen als abfällig ansehen kann. Außerdem stehen die Werke dieser KünstlerInnen nicht unbedingt in Kunst-, sondern in Völkerkundemuseen, was alleine durch die Namensgebung schon dafür sorgt, dass afrikanische und asiatische Werke eben nicht als Kunst wahrgenommen werden. Darunter leidet zum Beispiel die islamische Kunst, die sich größtenteils in bildlich gestalteten Gebrauchsgegenständen wie Keramiken und Metallarbeiten, aber vor allem durch Bauwerke, Ornamente und der arabischen Schrift manifestiert und nur zu einem sehr geringen Teil durch Bilder oder Skulpturen, die wir mit westlich geschulten Augen sofort als Kunst identifizieren.

Deshalb fand ich die Timeline so spannend, weil sie genau diese Werke schlicht in eine Reihe stellt mit den ganzen Meistern (und wenigen Meisterinnen), die wir in der Schule kennengelernt haben. Die Zeitleiste birgt außerdem dutzende von Essays zu diversen Themen und genügend Kartenmaterial, um sich ein ganzes Studium lang hindurchzuwühlen. Und unter jedem Artikel stehen ganz selbstverständlich die üblichen FacebookTwitterDingsbums-Icons, mit denen man die ganzen Schätze teilen kann. Ich bin dann mal ein paar Jahre beschäftigt.



How Okwui Enwezor Changed the Art World

Okwui Enwezor ist seit drei Jahren Direktor des Hauses der Kunst in München und leitet 2015 als erster Afrikaner die Biennale in Venedig.

„Enwezor’s curatorial project has been global since the beginning, pushing African and diaspora artists to the foreground. And between the Douglas show, the museum’s retrospective of works by the mixed-media artist Ellen Gallagher earlier this year and a 2013 show of the photographer Lorna Simpson’s work, the Haus der Kunst will have already presented nearly as many major solo shows of black artists as the Museum of Modern Art in New York has in the past 20 years.

Since his 1996 breakthrough as a curator of In/Sight: African Photographers, 1940 to Present, an exhibit of 30 African photographers at the Guggenheim Museum, Enwezor has alternated between ambitious international exhibitions that seek to define their moment—biennials in Johannesburg, Gwangju and beyond, along with the Paris Triennale in 2012—and historically driven, encyclopedic museum shows centered on topics such as African liberation movements in the 20th century, the arc of apartheid and the use of archive material in contemporary art. Enwezor is the first curator of his generation and the second ever to command two of Europe’s most precious cultural territories—Documenta, the five-yearly exhibition in Kassel, Germany, and now the Venice Biennale—and the first African to direct either one.“

Links vom 10. September 2014

Felix hat ja recht. Wir sollten alle wieder mehr teilen.

Creativity Creep

Joshua Rothman erklärt im New Yorker, woher der Begriff Kreativität kommt, was wir früher unter ihm verstanden haben und warum er heute total verdorben ist.

„How did we come to care so much about creativity? The language surrounding it, of unleashing, unlocking, awakening, developing, flowing, and so on, makes it sound like an organic and primordial part of ourselves which we must set free—something with which it’s natural to be preoccupied. But it wasn’t always so; people didn’t always care so much about, or even think in terms of, creativity. In the ancient world, good ideas were thought to come from the gods, or, at any rate, from outside of the self. During the Enlightenment, rationality was the guiding principle, and philosophers sought out procedures for thinking, such as the scientific method, that might result in new knowledge. People back then talked about “imagination,” but their idea of it was less exalted than ours. They saw imagination as a kind of mental scratch pad: a system for calling facts and images to the mind’s eye and for comparing and making connections between them. They didn’t think of the imagination as “creative.” In fact, they saw it as a poor substitute for reality; Hobbes called it “decayed sense.”

It was Romanticism, in the late eighteenth and early nineteenth centuries, which took the imagination and elevated it, giving us the “creative imagination.” (That’s the title of a classic intellectual history of this period, by the literary scholar James Engell.) People like Samuel Taylor Coleridge argued that we don’t just store things in our imaginations; we transform them. Coleridge made a useful distinction, largely lost today, between two kinds of imagining. All of us, he thought, have a workaday imagination, which we use to recall memories, make plans, and solve problems; he called this practical imagination “fancy.” But we also have a nobler kind of imagination, which operates, as Engell puts it, like “a human reflex of God’s creative energy.” The first kind of imagination understands the world; the second kind cares about it and brings it to life.“

Das fand ich schon spannend genug, aber dann kommt er zum Punkt, der mich als Quasi-Ex-Werberin zu genau dieser gemacht hat: dass Kreativität auf einmal mit Produktivität gleichgesetzt wurde. Dass man nicht mehr rumspinnen konnte um des Rumspinnens willen, sondern dass auf einmal am Ende irgendwas Geldwertes dabei rumkommen muss. Deswegen durchforsten in den Agenturen viele nette Praktis den gerade heißen Scheiß auf YouTube und Tumblr und gucken, welche Mechaniken man für Werbespots klauen kann. Und schon ist aus einer Idee, die jemand hatte, weil er Zeit für sie hatte und Lust darauf, sie umzusetzen, etwas geworden, das man Kunden verkaufen kann.

Ich merke gerade, dass ich vielleicht nicht nur werbemüde, sondern kapitalismusmüde geworden bin, aber das macht jetzt ein anderes Fass auf. Zurück zu Rothman:

„From this point of view, creativity is really just a fancy kind of productivity. In fact, you can produce a very ingenious policy memo, a very clever invention, or even a very good book by using just your regular, thinking mind; much of the “creative” work undertaken by “creatives” today—and I include my own work in this category—is actually fanciful, in the Coleridgian sense. By the same token, the unconstrained curiosity and organic, natural emotionalism of the “creative imagination” are unlikely to be felt within the strictures of work. Work is demanding, structured, and rewarding. But if you yearn for the sense of imaginative transcendence and openness to the world that Wordsworth described in the “Prelude,” you’re not very likely to find it in front of your computer or in a conference room.“

How playing an instrument benefits your brain

Mein Lieblingssatz aus dem Video: „Playing music is the brain’s equivalent of a full-body workout.“ Merke ich bei jeder Gesangsstunde. Und allmählich verstehe ich auch meine Lehrerin, die mich manchmal ausbremst und sagt: „Vielleicht reicht’s für heute, du hast heute viel gemacht.“ Im ersten Moment denke ich dann, was, wieso, ich tiriliere doch hier gerade ganz oben in meinem Register rum und habe davor Musicals geschmettert und davor eine Ballade durchgeheult und jetzt knallen die Endorphine gerade so schön, ich will noch nicht aufhören. Aber dann gehe ich und fünf Minuten später an der Bushaltestelle könnte ich im Stehen einschlafen, weil mein Körper so viel geleistet hat, ohne dass ich es bemerkt habe.

(YouTube-Direktlink, via @doppelhorn)

Wie kaputt ein Teil dieses Landes sein muss

Anna Prizkau von der FAZ liest den NSU-Untersuchungs-
ausschussbericht wie einen Roman. Es ist kein guter.

„Das Roewer-Kapitel liest sich zuerst wie eine bizarre Behördenkomödie. Auf einmal ist da dieser Leiter, der vielleicht mit sechs oder sieben Frauen bei Kerzenschein im Verfassungsschutzamt die Nächte durchfeiert, der seine Kollegen schikaniert, der abends Rotwein aus seinem Büro-Rotweinfässchen trinkt. Roewer leugnet das alles, hat gegen zwei geschwätzige Ex-Kollegen sogar Strafanzeige gestellt. Doch auch wenn die Geschichten nicht stimmen, sind sie doch mitreißend genug, um weiterzulesen. Und dabei muss man immer wieder kurz lachen: über die Intrigen in dieser deutschen Behörde, über die Kleinbürgerlichkeit, über das alberne Büro-Rotweinfässchen.

Doch dann kommt wieder, worum es eigentlich geht: der Rechtsextremismus. Eine Zeugin berichtet, wie Roewer einmal erklärte, dass „das ,Dritte Reich‘ nicht nur schlechte Seiten gehabt habe“. Und sofort fragt man sich, warum so ein Mensch ein so wichtiges Amt leiten darf? Das erklärt sich damit, dass diese Behörde schon von Anfang an so obskur funktionierte wie das Steueramt in David Foster Wallace’ Roman „The Pale King“.“

(via mediumflows Facebook)

Okay, brüsker Themenwechsel, aber ich lache immer noch über diesen Tweet von Ikechi Anya:

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(Für Frau Kaltmamsell: Das ist ein schottischer Fußballspieler, der beim EM-Qualifikationsspiel am Sonntag das 1:2 für Schottland gegen die deutsche Mannschaft geschossen hat. Manuel Neuer heißt der Torwart der DFB-Auswahl. DFB steht für Deutscher Fußballbund.)

Der Schrecken der Raumfahrtrückstände

Andrea Diener hat in der FAZ über ihren ESA-Besuch geschrieben. Deutlich weniger launig als ich, aber dafür viel informativer.

„Es gibt viel zu sehen außerhalb des Planeten, eigentlich möchte man sich als neugieriger Mensch das alles einmal genau anschauen. Und natürlich riechen, diese Mischung aus Walnuss und Bremsbelägen. Denn eine genaue Vorstellung von einem Ort bekommt man ja erst dann, wenn man einmal dort gewesen ist. Doch vermutlich werden wir die Ära des Weltraumtourismus nicht mehr miterleben, was wirklich sehr schade ist. Wir stehen vor den Berichten von Planeten und Kometen wie Dorfbewohner des siebzehnten Jahrhunderts, denen man von den Kopffüßlern der Terra Australis erzählt und phantastische Bildertafeln dazu zeigt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als erst einmal alles zu glauben, was diese klugen Menschen aus dem Darmstädter Gewerbegebiet uns erzählen.“

Marcus Wiebusch: Der Tag wird kommen

Und dann natürlich noch der Clip, der in den letzten Tagen durch meine gesamte Timeline ging. Zu recht.

(YouTube-Direktlink)

Bücher August 2014

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Nicole Zepter – Kunst hassen: Eine enttäuschte Liebe

Hätte besser „Den Kunstbetrieb, seine Player und die Tatsache, dass ich mir keinen Richter mehr leisten kann, hassen“ heißen sollen. Nölige Abrechnung, aber eben nicht mit Kunst. Oder nur der Kunst, die für Zepter keine ist. Naja.

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Alison Bechdel – Are You My Mother?

Hätte besser All Families Are Psychotic heißen sollen. Leider längst nicht so gut wie Fun Home … oder Moment, vielleicht eher: für mich persönlich nicht ganz so leicht zugänglich und weitaus anstrengender zu lesen.

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Hervé Le Tellier (Jürgen und Romy Ritte, Übers.) – Neun Tage in Lissabon

Hätte besser „Zwei mittelalte Männer, die sich an junge Frauen erinnern und mich dabei tödlich langweilen“ heißen sollen. Nach 100 Seiten weggelegt. Schade, denn meinen ersten Le Tellier, Kein Wort mehr über Liebe, fand ich sehr schön.

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Lewis Carroll – Alice’s Adventures in Wonderland

Das ist irre kurz, das hätte ich ja schon längst mal lesen sollen! Done.

Diese Bücher hier haben mir deutlich mehr Freude gemacht:

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