Mein Fahrrad heißt Grane

Der Nordbayerische Kurier bat mich vor einiger Zeit um einen Artikel für ihren Festspielkurier, der zu den Wagner-Festspielen in Bayreuth erschienen ist. Ich sagte natürlich sofort zu, schrieb, las dann später meinen Artikel auf einer Doppelseite und twitterte freudig darüber – und jetzt ist die Sperrfrist rum und ihr könnt meinen Beitrag zum Heft auch hier lesen.

Wer auch den Rest des Festspielkuriers genießen möchte, was ich euch natürlich wärmstens an Herz lege, kann ihn hier für 9,50 Euro bestellen – auch als eBook. Dort versteckt sich in der Vorschau ein etwas ausführlicheres Inhaltsverzeichnis. Ihr sollt ja nicht die Katze im Sack kaufen.

Aber meinen Artikel kriegt ihr jetzt für lau.

Mein Fahrrad heißt Grane

Meine Eltern nahmen mich zum ersten Mal mit in die Oper, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Meine Schwester war acht und gelangweilt, mein Vater saß pflichtschuldig daneben, meine Mutter machte wie immer in der Oper gerne die Augen zu und genoss nur die Musik, aber ich sah völlig fasziniert nach vorne, wo ein großer, blonder Mann nur für mich sang. Er stand vor einem durchsichtigen Vorhang, auf den gelbgrünes Flimmern projiziert wurde, und ich verstand erst viel später, dass das ein Wald sein sollte. Wie der Mann hieß, wusste ich – Siegfried –, denn die ganze Oper hieß so. Von da an war ich überzeugt, dass alle Siegfrieds groß und blond seien. Der Irrtum klärte sich schon in der zweiten Siegfried-Aufführung meines Lebens auf, wo ich einen kleinen, knubbeligen Siegfried vor mir hatte, was mich etwas enttäuschte. Aber etwas anderes enttäuschte mich niemals: die Musik von Richard Wagner.

Wenn ich gefragt werde, was meine Lieblingsoper von Wagner ist, sage ich meistens: „Die, aus der ich gerade rauskomme.“ Ich höre seit über 30 Jahren seine Musik und ich merke, dass sie sich immer wieder ändert, immer wieder neu für mich ist und ich mich immer wieder neu in sie verlieben kann. Als Jugendliche mochte ich den Fliegenden Holländer am liebsten mit seiner offensiven Suche nach Liebe und Zugehörigkeit. In meinen 20ern, die ich im Nachhinein als ein Rumstochern im Nebel nach einer Richtung in meinem Leben empfinde, war es die Götterdämmerung, die mir Halt versprach: Alles zerfällt, aber alles kommt wieder. In meinen 30ern, in denen ich endlich erwachsen wurde – oder das, was man dafür hält: fester Job, feste Beziehung, jetzt läuft’s irgendwie –, war es der Tannhäuser, der passte, weil er so strebsam und ordentlich war. Und jetzt, in meinen 40ern, in denen ich wieder angefangen habe zu studieren, in zwei Städten wohne und mich noch mal neu orientiere, spricht Die Walküre am meisten zu mir mit ihrer ganzen Herzensverwirrung, ihrem Feuer und ihrer Leidenschaft. Mal sehen, wann ich alt genug bin, um Tristan und Isolde meine Lieblingsoper zu nennen, denn die schüchtert mich in ihrer Kompromisslosigkeit seit Jahrzehnten ein.

Über Wagner-Inszenierungen kann man wahrscheinlich regalweise Dissertationen schreiben. Ich muss zugeben, dass ich eher selten in andere Opern gehe, deswegen weiß ich nicht, ob man sich da auch so irrwitzig Mühe gibt, dauernd etwas Neues in die Handlung zu interpretieren, um eben dieses Neue bebildern zu können. Manchmal geht das fürchterlich daneben – ich erinnere mich an eine Berliner Aufführung des Holländers, wo wir zum Schluss Nutten und Koks auf dem Fußboden eines Trading Floors hatten –, manchmal klinke ich mich irgendwann aus, weil ich keine Ahnung mehr habe, was ich gerade sehe – ich denke vor allem an Schlingelsiefs Parsifal in Bayreuth –, aber manchmal erwischt mich eine Aufführung so sehr, dass ich ein paar Minuten brauche, bis ich klatschen kann. Wieder der Parsifal in Bayreuth, dieses Mal von Stefan Herheim, 2011. Ich habe noch nie vorher und leider auch seitdem nie wieder eine Aufführung gesehen, die mich so atemlos, so fassungslos und so verzaubert zurückgelassen hat. Bei der Ouvertüre jeder Oper verdrücke ich still ein paar Tränen, weil es mich jedesmal anrührt, in einem Opernhaus zu sitzen und diese einzigartige Kunst genießen zu dürfen. Bei diesem Parsifal weinte ich auch zum Schluss. Und diese Aufführung hallt immer noch in mir nach.

In meinen 20ern wurde ich von einem Freund gefragt, was mir an Wagner so gefalle. Ich wedelte begeistert mit den Armen, sprach von großen Weltentwürfen in Verbindung mit kleinen, intimen Szenen voller Menschlichkeit, schwärmte von der unendlichen Melodie und wie Wagner die Opernwelt revolutioniert habe, kurz, gab das totale Fangirl – und das anscheinend so überzeugend, dass der junge Mann, der mich gefragt hatte, mich gerne einmal begleiten wollen würde, wenn das alles so toll sei. Ich freute mich über eine Begleitung – Wagner war in meinem Freundeskreis eher weniger en vogue, weswegen ich meist alleine oder mit meinem Mütterchen in der Oper saß – und sagte zu, ihm Bescheid zu geben, wenn ich das nächste Mal zu Herrn Wagner wollte.

Das war bereits wenige Wochen später, als die Niedersächsische Staatsoper in Hannover den kompletten Ring aufführte. Ich erwähnte, dass Das Rheingold nicht unbedingt ein guter Reinkommer für einen Novizen sei, vor allem, wenn man weder ein Werk Wagners noch jemals irgendeine andere Oper gesehen hatte. Der junge Mann ließ sich aber nicht davon abbringen, mich begleiten zu wollen; ich kaufte also zwei Karten und beschwor ihn, sich wenigstens vorher den Inhalt durchzulesen. Damals gab es noch keine Übertitel und selbst heute, wo so ziemlich jedes Opernhaus sie hat, behaupte ich, dass sie einen nicht viel weiterbringen, wenn man überhaupt nicht weiß, worum es geht. Aber auch hier hatte der junge Mann eine eigene Meinung: Er wolle alles, O-Ton, unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Ich wedelte wieder mit den Armen, dieses Mal weniger begeistert, sondern verzweifelt, denn ich wollte so gern, dass es dem Herrn gefiel, was bei Rheingold schon schwierig genug ist und wenn man dann nicht weiß, was passiert, noch schwieriger. Mein letzter Versuch, ihn vom Besuch abzubringen, war der Hinweis, dass die Oper keine Pause hätte, woraufhin er leichtsinnig meinte, ach, zweieinhalb Stunden, das ginge ja.

Man ahnt, wie der Abend verlaufen ist. Der Herr begann nach gefühlt 20 Minuten unbehaglich im Sitz hin- und herzurutschen, wagte es aber immerhin nicht, mich zwischendurch nach Plotpoints auszufragen (was ich mir auch böse verbeten hätte), nach ungefähr 40 Minuten war er gebrochen und saß nur noch ergeben neben mir und wartete darauf, dass alles da vorne zuende ging. Nach der Vorstellung brachte er den Satz, der ihn mir sehr unsympathisch machte: „Ich fühle mich wie vergewaltigt“, und wir haben heute keinen Kontakt mehr. Ich glaube auch nicht, dass er Wagner noch eine zweite Chance gegeben hat. Ein weiterer Versuch mit einem anderen Freund verlief ähnlich – der Herr war zwar nicht ganz so erschlagen, wollte aber nach der Walküre auch nichts mehr mit Wagner zu tun haben. (Aber immerhin mit mir, wir sind heute noch befreundet.)

Ganz anders erging es mir vor wenigen Jahren mit einer Freundin, die ich immerhin davon überzeugen konnte, es vielleicht erst einmal mit ein bisschen konzertantem Wagner zu versuchen. Wir hörten in der Hamburger Laeiszhalle zunächst Strawinsky und dann das Finale der Götterdämmerung mit der großen Arie der Brünnhilde. Und wo ich ängstlich auf eine herumrutschende und ungeduldige Freundin vorbereitet war, bekam ich: eine Freundin, die sich langsam vorbeugte, um ja nichts zu verpassen und die beim Schlussapplaus diesen ganz besonderen Gesichtsausdruck hatte, dieses „Sowas habe ich noch nie gehört und ich frage mich gerade, warum zum Teufel nicht?“ Sie war zunächst stiller als sonst, hatte leuchtende Augen, musste sich erst einmal sortieren, aber dann schwappte sie über mit Fragen zur Götterdämmerung, zur Sängerin, die wir gerade gesehen hatten (Deborah Voigt) und wann ich bitte Zeit hätte, mit ihr mal eine ganze Oper zu sehen. Das taten wir wenige Wochen später mit der kompletten Götterdämmerung in Hamburg, wo nicht mal die olle Sozialtristesse-Inszenierung uns den Abend verderben konnte, und seitdem ist sie meine treue Begleiterin.

Mein Fahrrad heißt Grane. Jedenfalls das, das in München steht. Ich wohne zurzeit sowohl in der bayerischen Landeshauptstadt als auch in Hamburg, wo ich ein weiteres Fahrrad besitze, das noch keinen Namen hat. Ich hätte allerdings eben jenes Grane taufen sollen, denn das Fahrradfahren in beiden Städten fühlt sich sehr unterschiedlich an. In München fahren alle brav, wie sie sollen, in Hamburg fahren alle, wie sie gerade Lust haben. Weswegen ich in München deutlich entspannter unterwegs bin, weil ich nicht damit rechnen muss, Geisterfahrer in meiner Spur zu haben oder Fußgänger oder irgendwen anders, der das Konzept „Radweg“ nicht verstanden hat. Ich höre beim Radeln keine Musik, aber in München habe ich meist das freundlich-gemütliche „Sommer in der Stadt“ von der Spider Murphy Gang im Kopf, wenn ich locker-flauschig dahinradele, ohne mir über irgendetwas Sorgen zu machen.

In Hamburg läuft in meinem Kopf stattdessen der Walkürenritt.

ESA: European Space Awesomeness

Am 6. August 2014 erreichte Rosetta endlich den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, nachdem die tapfere Sonde zehn Jahre lang unterwegs gewesen war. Die Annäherung an den Kometen wurde live von der ESA gestreamt, ich lag im Bettchen, hatte Semesterferien, guckte gebannt auf mein Macbook, twitterte und ließ hemmungslos das Space-Fangirl raushängen. Das bekam Andreas Schepers mit, der die PR für die ESA macht – wir folgen uns schon länger auf Twitter –, der daraufhin ein, zwei mir schon lange bekannte Damen und mich einlud, doch einfach mal in Darmstadt rumzukommen und sich den Laden anzugucken. Also ESA. Die europäische Weltraumorganisation. Angucken. Mal so.

Nachdem ich aufgehört hatte zu hyperventilieren, sagte ich kreischend zu (danke, Twitter, dass du ein schriftliches Medium bist), buchte Züge und Hotel und freute mich wochenlang vor. Dienstag war es dann so weit.

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Herr Schepers war noch im Meeting, aber dafür holte uns Flugdynamik-Ingenieur Rainer Kresken von der Pforte ab, an der wir immer noch unsere Ausweise anhimmelten. Da es Mittagszeit war, ging’s erstmal in die Kantine. Ich erwartete mindestens sternförmige Fischstäbchen oder Ananasscheiben, die um Kiwis gewickelt waren (Saturn, you know), aber nix. (Erstmal quengeln.) Dafür sah ein Drittel der Belegschaft aus wie Sheldon Cooper. Auf meine Frage, wie es mit dem Frauenanteil aussehe, der in der Kantine jetzt nicht so irre hoch war (zehn, fünfzehn Prozent?), meinte Kresken, der sei leider recht gering, und die meisten Ingenieurinnen und Wissenschaftlerinnen der ESA seien auch nicht aus Deutschland. Wir sinnierten darüber, warum das so sei, dachten darüber nach, dass Italien und Spanien, was die Emanzipation angeht, in den 70ern quasi einen Sprung aus dem Mittelalter in die Moderne gemacht hatten, während das bei uns eher schleichend voranging, und dass die südeuropäischen Damen anscheinend eher vom Crashkurs „Everything you can do, I can do better“ profitiert haben als wir im Norden. Hm.

Dann schlenderten wir ein bisschen durch die kleine ESA-Stadt, die zwar wie ein Gewerbegebiet aussieht, aber natürlich tausendmal cooler ist, und kamen an diesem Ding vorbei:

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(Foto: Andrea Diener – hier ihr ganzes Flickr-Set vom ESA-Besuch.)

Das ist ein Modell von ERS-2, dem Nachfolger von ERS-1 (ach was), die beide Erdbeobachtungen betrieben haben. Das heißt, sie beobachteten zum Beispiel Wellenbewegungen oder Eisvorkommen. Ich zitiere die Wikipedia for more amazing stuff:

„Nach dem Start von ERS-2 konnten die SAR-Sensoren von ERS-1 und ERS-2 in sehr kurzen Zeitabständen (in der Regel einem Tag) dieselbe Erdoberfläche erfassen und diese Daten für Interferometrie benutzt werden. Dabei führen die leicht verschiedenen Orbits der zwei Satelliten (in der Regel wenige 100 Meter) zu leicht unterschiedlichen „Blickwinkeln“ desselben Gebietes der Erdoberfläche. Durch rechnerische Kombination der zwei Aufnahmen konnten somit entweder digitale Höhenmodelle der Erdoberfläche erstellt werden oder auch kleine Bewegungen der Erdoberfläche zwischen den zwei Aufnahmen auf etwa einen Zentimeter genau erfasst und sichtbar gemacht werden (differentielle Radar-Interferometrie, DInSAR).

So lieferten die Satelliten Daten über Veränderungen der Erdoberfläche vor oder nach einem Vulkanausbruch oder über Verschiebungen der Erdoberfläche durch Erdbeben. Die Expansion einer Lavakammer des Ätna oder die Vorhersage der Schlammlawine eines Vulkans in Island waren weitere Beispiele.“

Die beiden ERSis sind nicht mehr aktiv. Ihr Arbeitsplatz war in circa 800 bis 900 Kilometer Höhe über der Erde, wo sich die meisten Satelliten rumtreiben. Also auch die mit militärischen Zielen, von denen keiner wissen soll, wo sie sind, aber es gibt inzwischen nicht nur Train- und Planespotter, sondern auch Menschen, die Raketentarts genauer angucken und aus den offiziellen Daten und dem, was sie beobachten, schließen können, was da oben so rumfliegt.

ERS-1 und ERS–2 sind nur noch Weltraumschrott – oder im offiziellen Slang „Raumfahrtrückstände“ (ich bin sehr in dieses Wort verliebt). Wenn man lange genug wartet, nähern sie sich irgendwann der Erdatmosphäre und verglühen. Die chinesische Weltraumagentur CNSA hat vor kurzem einfach mal einen ihrer Satelliten mit einer Rakete beschossen, um zu gucken, was so passiert, wenn man keine Lust mehr hat zu warten. Den Satelliten hat es zerlegt und wir haben jetzt noch mehr Raumfahrtrückstände da oben. Aber eben auch die Gewissheit, dass man feindliche Satelliten, wenn’s nötig ist, außer Gefecht setzen kann. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das finde.

Das erinnerte uns sofort an Gravity, wo dieser blöde Schrott dafür sorgt, dass George Clooney sterben muss, und Kresken meinte, den Film fänden hier alle super. Klar müsse man bei vielen Dingen alle Augen zudrücken („… was bei einem 3D-Film ganz schön doof ist“), aber das sei tolles Kino. Das hat mich etwas überrascht; ich dachte, wenn man wirklich weiß, was da oben abgeht, könnte man sich das nicht angucken, aber nein, ganz im Gegenteil.

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(Foto: Andrea Diener)

Der nächste Stopp war vor einem Gebäude, durch dessen Fenster wir gucken konnten, wo ein weiteres Modell auf uns wartete – und zwar eins von Rosetta. Das ist komplett baugleich bis auf die rechts und links angebrachten Solarsegel, die jeweils 16 Meter lang sind, und dafür ist der Raum zu klein. Rosetta ist ordentlich groß, wenn sie ein Würfel statt einer Tonne wäre, hätte sie eine Kantenlänge von ungefähr zwei Metern. Das Modell wird dazu genutzt, Befehle auszuprobieren, bevor sie an die echte Rosetta geschickt werden, oder Gegenmaßnahmen zu testen, falls wirklich mal etwas schiefläuft. Quasi wie bei Apollo 13, wo die Jungs auf der Erde Sauerstofffilter nachbauen mussten aus Zeug, das die Jungs oben in der Raumkapsel zur Verfügung haben.

Nebenbei: Ich hoffe, ich habe mir alles richtig gemerkt, ich hatte nichts zum Mitschreiben dabei, weil ich nur gucken und staunen wollte, aber im Nachhinein ärgert mich das doch etwas, dass ich nur aus der Erinnerung zitieren kann – und das vor allem wahrscheinlich so unwissenschaftlich wie nix Gutes. Hey, ich studiere KUNSTGESCHICHTE! Wenn’s um eine Bildanalyse von 67P geht – ruft mich an! Wenn’s um physikalischen Kram geht – Bahnhof mit sieben Siegeln. Rainer, wenn hier kompletter Quatsch steht, melde dich bitte.

Nach dem Rosetta-Modell ging’s in ein Gebäude, wo wir ehrfürchtig vor einem Kontrollraum rumlungerten und den Ingenieuren durch die Glasscheibe bei der Arbeit zuguckten. In diesem Fall arbeiteten sie an der Rosetta-Mission, aber ich muss gestehen, ich habe vergessen, woran genau. Der Komet 67P, dem sich Rosetta gerade nähert, ist übrigens nicht grau, wie wir ihn aus den ganzen Aufnahmen kennen, sondern pechschwarz. Aber so ein schwarzer Komet im schwarzen All sähe halt doof aus in den Pressebildern.

Kresken erklärte uns, warum der Komet so wichtig für die Forschung ist. Kometen sind generell „Bauschutt“ des Universums Sonnensystems (Edit-Tweet 1 und 2). Beim Big Bang flog viel Zeug rum, und Kometen tragen quasi den Bauplan des Universums in sich: Ihre stoffliche Zusammensetzung kann uns viel über die Entstehung des Weltalls verraten – vor allem, wenn sie noch Wasser enthalten. Das Problem bei Kometen: Es gibt periodische und aperiodische. Die periodischen haben eine feste Umlaufbahn um die Sonne, wir wissen, wo sie wann sind – aber durch ihre Nähe zur Sonne geht gerne mal das ganze schöne Wasser verloren, das uns so interessiert. Die aperiodischen Kometen kommen nur einmal bei uns im Sonnensystem vorbei, wir beobachten sie, wenn wir Glück haben, und schon sind sie wieder weg. Aber dafür haben sie all das gute Zeug an Bord, das wir erforschen wollen. Das Tolle an 67P: Er vereint quasi das Beste aus beiden Welten in sich. Laut Wikipedia war er ein langperiodischer Komet – hatte also eigentlich eine feste, wenn auch eeeewig lange Umlaufbahn um die Sonne –, wurde aber von einem Gravitationsfeld gestört und so zu einem kurzperiodischen, den wir verfolgen können. Und: Wir gehen davon aus, dass er noch Wasser bzw. Eis mit sich führt. Deswegen ist Rosetta so wichtig – und ihr Gepäck Philae noch mehr: Wenn Philae im November wie geplant über dem Kometen (der übrigens 800 Millionen Kilometer von uns weg ist, so von wegen „kurz“) abgeworfen wird, soll der Lander erstmals auf einem Kometen Messungen vornehmen.

Hier bitte mal kurz anerkennend in Richtung Darmstadt nicken.

Beim Thema Big Bang kam das Stichwort Kreationismus auf und um was für irrwitzige wissenschaftliche Erkenntnisse sich die Menschen bringen, die daran glauben. Trotzdem fragte ich nach: Besteht nicht doch irgendwo eine winzige Möglichkeit, dass das Universum geschaffen wurde anstatt einfach so zu beginnen? Kresken meinte, es sei durchaus möglich, Gottesglauben und die Wissenschaft miteinander zu vereinbaren – bei der ESA gäbe es auch genügend gläubige Menschen –, aber man könnte schlicht erklären, wie das Universum entstanden sei und müsse nicht mehr an irgendwas glauben. Interessanterweise besitzt ausgerechnet der Vatikan die größte Meteoritensammlung der Welt und beteiligt (?) sich an einem der großen Teleskope. Vielleicht sucht der Vatikan nach etwas anderem als die ESA, aber das ist nur meine Theorie.

Kresken und Schepers, der inzwischen zu uns gestoßen war, erzählten quer durch die Bank von ESA-Projekten, über die Zusammenarbeit mit der NASA, führten uns von einem Raum mit Glasscheiben, an denen coole Titel dranstanden („flight dynamics room“, „estrack control centre“, zum nächsten, wir guckten und staunten und fragten und kriegten alles beantwortet.

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(Foto: Andrea Diener. Das niedliche Pappmodell an der Wand ist XMM.)

Dann durften wir endlich mal in einem Raum rein: in den Kontrollraum für XMM und INTEGRAL, zwei Satelliten, die Gamma- und Röntgenstrahlung im Weltall erforschen. XMM war eigentlich nur für fünf Jahre ausgelegt und kreist inzwischen seit 15 um uns rum, INTEGRAL immerhin seit zwölf. Eine Ingenieurin erklärte uns mit leuchtenden Augen, was genau sie da oben machen – und vor allem, was hier unten im Kontrollraum passiert. Die Satelliten senden pausenlos Telemetrie nach unten, und im Kontrollraum werden alle ankommenden Daten überwacht. Falls mal etwas unplanmäßiges passiert – das heißt, auf einem der gefühlt 20 Monitore leuchtet irgendwas nicht mehr grün, sondern rot und außerdem gibt’s ein akustisches Signal –, gibt es Handbücher (ja, genau wie in Gravity), in denen steht, welcher Befehl nach oben gesendet werden muss, um den Fehler zu beheben. Die Systeme laufen übrigens auf einem ESA-eigenen Betriebssystem, die Anwendungen sind Linux. „Aber für Twitter darf man auch Windows benutzen.“ (Edit: genau andersrum, siehe die Tweets 1 und 2 von @hessi.)

Kresken erzählte, dass sie XMM das Spritsparen beigebracht hätten: Jetzt verbraucht er nur noch ein Schnapsglas Hydrazin alle zwei Tage. Hydrazin wird auf der Erde für so gut wie nichts genutzt, was ich wieder irrwitzig fand: Da entwickelt man ein Gerät, das nur im Weltall funktioniert und betankt es mit etwas, das ebenfalls (fast) nur im Weltall Anwendung findet. (Edit: Das mit dem „so gut wie nichts“ scheine ich mir falsch gemerkt zu haben.)

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Zum Abschluss gingen wir in ein weiteres Gebäude („mit dem langsamsten Fahrstuhl Westeuropas“), um ohne Vorwarnung vor dem Rosetta-Kontrollraum zu stehen. Kresken meinte launig, er suche mal Andrea, was Schepers relativ fassungslos zurückließ. Er hatte aber kaum Zeit, sich zu wundern, als plötzlich Rosettas Flight Director Andrea Accomazzo vor uns stand, der uns zwischen Tür und Angel mit lebhaften Gesten die nächsten Flugmanöver von Rosetta erklärte, die bis November bis auf weniger als 20 Kilometer (!) an den Kometen herangeführt werden soll, um den kleinen Philae abzuwerfen. Accomazzo beschrieb, wie Rosetta sich in Dreiecksbewegungen 67P nähere, der die Sonne umkreise und sich dazu noch unregelmäßig um sich selbst drehe und das bei einer irrwitzigen Geschwindigkeit (was ich bei den ganzen schönen Moodfilmchen gerne vergesse). Ich hatte sehr große Augen und konnte es kaum glauben, dass der Leiter der zurzeit wichtigsten ESA-Mission mit uns drei Noobs spricht. Wir bedankten uns euphorisch und kletterten wieder in den Fahrstuhl, wo Schepers immer noch fassungslos war: „Der wissenschaftliche Redakteur von [total wichtiges Printprodukt] wartet seit zehn Tagen auf ein Interview … wie hast du Andrea zu fassen gekriegt?“ „Ich hab ihn heute morgen angerufen, ob er nachher ne Viertelstunde Zeit hat.“ Ich war noch mehr verliebt und hätte mir vielleicht doch Körperteile signieren lassen sollen. Robbie Williams ist ja nix gegen die ganzen Jungs und Mädels da in Darmstadt.

Und das war’s dann schon. Eigentlich hatten wir uns für knapp zwei Stündchen verabredet, im Endeffekt waren es über drei, wenn ich richtig auf die Uhr geguckt habe, und ich war platt und gleichzeitig sehr begeistert. Auf Twitter quietschte ich den ganzen Abend lang rum, summte Space Oddity vor mich hin („… and the stars look very different today“) und fand es im Nachhinein doch sehr schade, damals in Physik so komplett desinteressiert gewesen zu sein.

Aber dafür interessierten und interessieren mich andere Dinge, und so guckte ich mir einen Tag später im Städelmuseum die Flémaller Tafeln an (1, 2, 3) und empfand so ziemlich das gleiche, was ich 24 Stunden vorher in Darmstadt empfunden hatte: große Begeisterung und tiefe Bewunderung für eine Leistung, die mir gerade präsentiert wird und die ich niemals auch nur in Ansätzen erbringen könnte. Aber: Die mittelalterliche Malerei mit ihrer christlichen Ikonografie hat mir ganz persönlich dann doch noch etwas mitgeben können, was selbst die ESA nicht hinkriegt: das Gefühl von Aufgehobensein. Der Weltraum ist für mich irrwitzig spannend, aber gleichzeitig zutiefst unheimlich in seiner Unermesslichkeit, die ich in meinem Kopf schlicht nicht erfassen kann. Ich weiß, dass Einrichtungen wie ESA und NASA und wie sie alle heißen, genau diese Unsicherheit abbauen mit ihren Forschungsmissionen und -ergebnissen, mit Zahlenreihen, Berichten und Beweisen. Jede Art von Wissenschaft soll Bestätigung bringen, wo wir herkommen, wohin wir gehen und wie wir uns auf dem Weg verhalten. Aber ich ganz persönlich kann mir immer noch eher einen göttlichen Funken vorstellen als Materie, die aus Nichts entsteht.

Wobei: Vielleicht sind die beiden Theorien gar nicht so weit auseinander.

(Ich bin jetzt selbst ein bisschen überrascht über das Ende. Wenn ich über Dinge schreibe, die ich erlebt habe oder darüber, wie’s mir gerade mit etwas geht – also Einträge, die kein Argument machen wollen, denn bei denen weiß ich natürlich von Anfang an, wie das Ende aussehen soll –, lasse ich meine Finger einfach lostippen, denn die wissen meist am besten, wo sie hinwollen. Ich hatte nicht geplant, einen Eintrag über eine wissenschaftliche Einrichtung mit einer theologischen Frage zu beenden, aber jetzt, wo sie da steht, lasse ich das so. Passt schon.)

Fehlfarben. Ein Kulturpodcast

Die Herren @munifornication, @probek, @sammykuffour und icke haben gestern abend bei vier Flaschen Weißwein unseren ersten Kulturpodcast aufgenommen, den ihr hier anhören könnt (78 Minuten). Wir haben gemeinsam die Ausstellung von Regina Schmeken „Unter Spielern – Die Nationalmannschaft“ besucht, die noch bis zum 14. September in der Villa Stuck in München läuft und darüber gesprochen. Außerdem haben wir vier Rieslinge genossen oder bemängelt.

Der Name ist natürlich eine Reminiszenz an den von uns verehrten Fehlpass-Podcast. Ich glaube, Felix ist auf unseren Namen gekommen, der auch sofort und ohne jeden Gegenvorschlag einstimmig abgenickt wurde. Wir haben auch einen Twitter-Account, aber der ist noch ziemlich unbespielt.

Unsere (nicht öffentliche) Nullnummer ist nach dem gemeinsamen Besuch des Cremaster-Cycles von Matthew Barney entstanden, bei der wir erst mal ausprobiert haben, ob wir uns genug zu sagen haben, was wir, totale Überraschung, mit „ja“ beantworten konnten. Auch die Idee, nebenbei verschiedene Weine zu testen und kurz über sie zu sprechen, ist an den drei Abenden entstanden.

Was wir bei der Erstausgabe gemerkt haben und beim nächsten Mal besser machen wollen: Wir schenken gleich alle vier Weine ein und probieren alles gleichzeitig. Gestern haben wir das lustig durch den Podcast verteilt, hatten aber nicht wirklich die Möglichkeit zum direkten Vergleich, weswegen gerade Frau Mäkelnase Gröner ihre Meinung von „hopp“ zu „topp“ bei Wein Nummer 1 am Ende des Abends geändert hat.

Außerdem wollen wir weniger durcheinander reden.

Was ich persönlich versuchen werde besser zu machen: LAAAANGSAAAMEEER ZUUU SPREEEECHEEEEN. Das versuche ich zwar seitdem ich sprechen kann, aber ich geb mir einfach noch ne Chance. Bei Referaten an der Uni habe ich gerne ein „Langsam!“-Post-it vor mir liegen. Es hilft aber meistens nicht. Außerdem klinge ich in meinem Kopf beim bewussten Langsamsprechen so, als würde Dory Whale sprechen.

Genug geredet. Wir hatten sehr viel Spaß, und ihr dürft jetzt zuhören.

Die vier verkosteten Weine:

Wein 1: Dr. Loosen, Wehlener Sonnenuhr Riesling 2012, 12,5%, 16 Euro.

Wein 2: Württembergische Weingärtner-Zentralgenossenschaft, Riesling, auf der Flasche steht ernsthaft kein Jahrgang, 11,5%, 4 Euro.

Wein 3: Van Volxem, Saar Riesling 2012, 12%, 12 Euro.

Wein 4: Edeka Biowein, Riesling 2013, 11,5%, 4 Euro.

Kunst gucken

Ich gehe nicht gerne zu zweit oder in Gruppen in Museen, ich bin gerne alleine mit Bildern und Skulpturen. Ich kann in meinem eigenen Tempo durch die Räume wandern, ohne immer im Hinterkopf zu haben, dass jemand auf mich wartet oder mir jemand hinterherbummelt, womöglich schon schlecht gelaunt, dass es so schnell oder so langsam geht. Ich lasse mich auch nur ungern aus meinem eigenen Fluss herausziehen, in den ich inzwischen falle, sobald ich in einem Museum umherlaufe; ich mag es nicht, wenn mich jemand am Ärmel zupft und mir etwas bestimmt ganz Großartiges zeigen will, ich mag jetzt nicht, ich möchte jetzt genau hier, an diesem Punkt sein und das Bild anschauen, das vor mir hängt und nicht das, was du mir zeigen willst, du wirbelst meinen Fluss auf und das nervt.

Ich höre keine Audioguides mehr. Wo ich früher wissen wollte, was mir KuratorInnen oder ExpertInnen zu den Werken zu erzählen haben, gucke ich jetzt einfach selbst. Mir entgehen bestimmt viele Anspielungen und Hinweise, aber dafür sehe ich Dinge, die mich ansprechen, die etwas von mir wollen und mir etwas sagen, denn nur deswegen sehe ich sie. So werden aus irgendwelchen Bildern meine Bilder, sie tauchen aus der Masse auf, die an den Wänden hängt und bleiben bei mir.

Ich gucke inzwischen selektiv. Ich weiß, dass die Durchschnittsverweildauer vor einem Bild sieben Sekunden ist. Ich weiß auch, dass ich nicht alles angucken kann, was in einem Museum hängt, genauso wie ich nicht alles lesen kann, was in einer Buchhandlung steht. Ich bleibe nicht mehr pflichtschuldig vor Werken stehen, von denen ich weiß, dass die Kunstgeschichte sie großartig findet; wenn sie mir egal sind, sind sie mir egal und ich gehe weiter. Ich laufe in der Alten Pinakothek immer am da Vinci vorbei, weil er mir egal ist, und starre dafür auf die Bilder, die traurig oben in zweiter Reihe hängen, weil sie nicht so wichtig sind, wichtig für wen, ich mag die gerne, ich sehe sie gerne, ich gucke zu ihnen hoch und habe den da Vinci schon wieder vergessen.

Ich höre den Menschen zu, wenn sie über moderne Kunst lästern und kann sie verstehen und gleichzeitig nicht. Dass in der Pinakothek der Moderne Zeitgenössisches hängt und steht und liegt und leuchtet und flimmert und flüstert, sollte man eigentlich wissen, bevor man Eintritt bezahlt. Es ist völlig in Ordnung, sich lieber die Alten Meister anzuschauen, geh einfach rüber zu ihnen, sind nur 100 Meter, die Fußböden knarzen so schön und die Bilder hängen teilweise sogar in zwei Reihen. Aber wenn du hier in der Moderne bist, dann guck doch einfach mal. Bleib stehen und guck. Länger als sieben Sekunden. Hör auf, mit deiner Begleitung verschiedene Level des Unverständnisses auszutauschen und guck. Wenn Kunst dich aufregt oder verstört oder dich zum Lachen bringt, ist das ein gutes Zeichen, dass du diesem Gefühl mal nachspüren solltest anstatt es mit „Versteh ich nicht“ abzuwürgen. Wenn ein Werk nichts mit dir macht, geh weiter.

Ich stehe in der Hamburger Kunsthalle und vermisse die Münchner Pinakotheken. Ich stehe in den Pinakotheken und vermisse die Berliner Gemäldegalerie. Irgendwo hängt immer das Bild, das ich jetzt gerade sehen möchte, und nie bin ich da. Ich schlendere durch Museen und taumele innerlich zwischen Pflichtbewusstsein und purer Freude. Ich weiß, dass ich das alles kennen müsste, was vor mir hängt, ich müsste es inzwischen im Schlaf datieren und Bezüge herstellen und Biografien und Besonderheiten runterbeten können. Manchmal kann ich das, manchmal zwinge ich mich zur Konzentration, aber manchmal bummele ich auch nur einfach, wie andere Leute das mit Schaufenstern machen. Ich gucke, genieße, freue mich, kann atmen und den Kopf ausmachen, obwohl er gerade im Museum die ganze Zeit an sein müsste.

Ich kann vor einem Werk, auf dem quasi nichts zu sehen ist, zehn Minuten stehenbleiben. Das erste Mal ist mir das bei Mondrian im Bucerius-Kunstforum passiert, das nächste Mal vor einem Twombly im Museum Brandhorst. Twombly ist meistens nicht so meins, aber eines der vielen mit „untitled“ bezeichneten Bilder hat mich dann doch gekriegt. Ich guckte zehn Minuten lang auf einen bläulichen Hintergrund, auf dem dünne, zittrige, weiße Linien in mehreren Reihen sanft abwärts liefen, ich stand da und guckte, mal gesellte sich jemand zu mir, mal mehrere, man guckte, wie ich guckte, denn anscheinend gab’s da was zu sehen, oh, Linien, hm, gut, ich geh dann doch mal weiter, ich nicht, ich stand vor dem namenlosen Twombly und verstand zum ersten Mal, was es bedeutet, in einem Werk zu versinken. Weil es gerade passte, zum Tag, zum Moment, zu mir. Untitled. Passt ja auch auf alles, den Tag, den Moment, mich.

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Robin Williams, Oscar-Winning Actor, Dies at 63 in Suspected Suicide

„Mr. Williams was an admitted abuser of cocaine — which he also referred to as “Peruvian marching power” and “the devil’s dandruff” — in the 1970s and ‘80s, and addressed his drug habit in his comedy act. “What a wonderful drug,” he said in a sardonic routine from “Live at the Met.” “Anything that makes you paranoid and impotent, give me more of that.”

In 2006, he checked himself into the Hazelden center in Springbrook, Ore., to be treated for an addiction to alcohol, having fallen off the wagon after some 20 years of sobriety.

He later explained in an interview with ABC’s Diane Sawyer that this addiction had not been “caused by anything, it’s just there.”

“It waits,” Mr. Williams continued. “It lays in wait for the time when you think, ‘It’s fine now, I’m O.K.’ Then, the next thing you know, it’s not O.K. Then you realize, ‘Where am I? I didn’t realize I was in Cleveland.’“

Im Artikel der NYT wird auch von Williams’ Depressionen gesprochen, die vermutlich zu seinem Selbstmord geführt haben.

Mich erschreckt diese Krankheit immer wieder, sie schreckt mich auf, mir geht es ähnlich wie in dem Zitat oben „It’s fine now, I’m O.K.’ Then, the next thing you know, it’s not O.K.“

Ich habe gerade mein eigenes Blog durchsucht, um einen uralten Eintrag von mir zu verlinken, und beim Stichwort „Depression“ kommen dann solche Ergebnisse:

– der Spiegel-Mitarbeiter, der über die Krankheit schreibt

– ein Interview mit Sebastian Deisler

– ein Blogeintrag eines Pastors, der mit den Dämonen kämpft

– und dann eben mein Eintrag von 2002, der an guten Tagen klingt, als hätte ihn jemand anders geschrieben.

Ich hatte das Glück, FreundInnen, KollegInnen und ÄrztInnen zu haben, die sich um mich kümmerten, die mich an die Hand nahmen, die mich nicht aus den Augen ließen, bis es mir wieder gut ging. Ich ahne, dass Herr Williams das auch hatte, und trotzdem war die Krankheit irgendwann stärker als alle anderen, als alle guten Vorsätze, als Liebe, Vertrauen, Können, Hoffnung.

Immer, wenn meine Tage schlechter werden, versuche ich mich an eben der Hoffnung festzuhalten. An der Hoffnung, dass alles gut wird, je mehr Tage man hinter sich gebracht hat, denn wenn man genügend Wissen und Weisheit angesammelt hat, kann einen die Krankheit nicht mehr erwischen. Denn dann weiß man ja: Mir ging es schon einmal so mies, aber es ist mir irgendwann wieder besser gegangen. Ich komme da wieder raus, denn ich bin da schon mal wieder rausgekommen.

Daran halte ich mich seit Jahren fest, und es ist das einzige, an dem ich mich verlässlich festhalten konnte. Bis heute.

Die Depression ist eine Lügnerin. Glaub ihr kein Wort.

Weltkriegstagebücher

Das erste Tagebuch eines Urgroßvaters, das jetzt genau 100 Jahre später als Blog veröffentlich wird, war auf meinem Radar Vierzehnachtzehn, über dessen Twitteraccount ich stolperte und auf dem das steht:

„Kriegstagebuch eines Fußartilleristen 1914-1918. Geschrieben von Ernst Pauleit, betrieben von seinem Urenkel @hdsjulian

Hier der Eintrag vom 2. August 1914:

„Leisnig, 2.August 1914

Mein guter Ernst!

Wohl wissen wir nicht, ob Dich unsere Zeilen noch erreichen. Trotzdem kann ich es nicht unterlassen, Dir noch einmal zu schreiben. Schneller, als wir gedacht, haben sich unsere Befürchtungen erfüllt und nun ist ja auch wohl kein Zurück mehr.

Dass es uns wehe tut, von dir nicht persönlich Abschied nehmen zu können, kannst Du Dir denken. Doch will ich Dir das Herz nicht schwer machen. Mutig wollen wir der Zukunft entgegensehen. Gott behüte Dich, mein lieber Junge, auf allen Wegen.

Um uns sorge Dich nicht – und was das Geschick auch bringen mag, denke stets, dass Du uns nur Freude gemacht hast in Deinem jungen Leben und dass unsere heißen Wünsche für Dein Wohlergehen Dich überall hin begleiten.

Wenn irgend möglich, so schreibe uns einige Zeilen, damit wir wenigstens wissen, wo Du bist und wie es Dir geht. Nochmals meine innigsten Segenswünsche. Bleibe brav und halte dich tapfer.

Deine Mutter.“

Das Weblog von Fridolin Mayer aus Tannheim bei Villingen ist kein reines Tagebuch, sondern wird von Artikeln über das Projekt unterstützt. Außerdem gibt’s Fotos, Karten und Fußnoten, was ich sehr gerne mag. Mayer war freiwilliger Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1917. Auch hier gibt es einen Twitteraccount.

Hier ein Ausschnitt des Eintrags vom 3. August 1914:

„In Markelfingen hält der Fuhrmann und ich gebe ihm und den Soldaten Geld zu einem guten Schoppen und eile nach Radolfzell. Zum Telegraphieren an Jauch[1] keine Möglichkeit, erreiche gerade noch den Schnellzug nach Donaueschingen. Darin auch ein Amerikaner, der heim will über Holland via Köln. In Donaueschingen treffe ich Ernst Hottinger – unseligen Andenkens von Brombach her. Er ist Ersatzreservist beim Train. Die Züge fahren so regelmäßig und pünktlich wie schon lange nicht mehr. Kurz vor Abfahrt steigt Domkapitular Schenk[2] ein, und aus seinen Reden und Benehmen merke ich gleich, daß er wirklich ernst krank ist im Kopf. In den Ortschaften steigen die einrückenden Landwehrmänner ein.– es ist schon der zweite Mobilmachungstag. Tränen von Frauen, viel Lebewohl sagen und Begeisterung, daß es eine helle Freude ist. In Bachheim ist das ganze Dorf mit der Militärvereinsfahne hinter der Perronsperre versammelt. Auch in Neustadt großer Betrieb. In Freiburg kommt gerade ein 113er aus der Konviktskirche. Ich merke ihm an, daß er reden will; wollen Sie beichten? Ja, und schon sitze ich mit meinem nassen Hemd – es ist heiß – im Beichtstuhl. Nach diesem kommt einer in Zivil, dann Ablösung durch den Konviktsdirektor. Am Abend großes Aufgebot von Schwarzen in der Artilleriekaserne zum Beichthören, aber der Sturm mißlingt, da nichts vorbereitet, war nichts zu machen. Kein Platz. Unverrichteter Sache heim ins Bett mit schweren Gedanken.“

Und dann lässt noch die geschätzte Frau Percanta ihren Urgroßvater Curt, Hauptmann im Königlich-Sächsischen Leibgrenadierregiment Nr. 100 in Dresden, zu Wort kommen, wie sie hier in einem Blogeintrag beschreibt. Sein Tagebuch findet man unter Fürchten lernen. Hier der Eintrag vom 8. August:

„Marburg 8. VIII.
7°° Vorm. Reizendes Lahntal. Stimmung der Mannschaft ausgezeichnet.
Anschrift an den Wagen:
Die Russen sind alle Verbrecher,
Ihr Herz ist ein schwarzes Loch,
Die Franzosen sind auch nicht besser,
Aber Dresche kriegen sie doch!


Wetzlar, Weilburg, Selters, Fachingen, Nassau. Hier Nachricht, dass in Coblenz die ersten gefangenen Franzosen sind. Fahrt im Tale immer schöner. Verteilung von Pastillen. Grosser Jubel.
4° Nachm. Rheinübergang. Ein herrlicher erhebender Eindruck. Brücke besetzt M.G. 4²° Abfahrt Richtung Trier. Halt, müssen warten bis I./181 weg ist. Fahrt an der Mosel, hohe Felsenhänge mit Wein bepflanzt. Cochem, Tunnel 9 Minuten Fahrt. Sturm auf Lüttich soll 5000 Mann gekostet haben. Feind 10000?“

Safranreis mit Zimtspinat

Seit der Kerl und ich letzten Sonntag bei unserem neuen Lieblings … äh … Mittelmeeranrainerrestaurant waren – dem Mansaaf –, wo wir großartige Mezze aßen, will ich was mit Spinat machen. Eben warf ich dementsprechend Zeug und Gewürze zusammen und ta-daa: schmeckte total anders als die Mezze, war aber sehr warm und weichwürzig und schnuffig. Merke ich mir für lange Winterabende.

safranreis_spinat

Für eine Person. In einem Topf mit Deckel
1 kleine Zwiebel, fein gehackt, in
Olivenöl bei mittlerer Hitze glasig braten.
1/2 Tasse Basmatireis (oder wieviel Reis ihr eben sonst so esst) dazugeben, mit
1/4 TL gemahlenem Koriander und
1 paar Fäden Safran würzen, alles kurz anbraten,
1 Tasse Gemüsebrühe (oder wieviel Brühe ihr eben sonst so für Reis braucht) dazugeben, aufkochen, Herdplatte ausschalten und den Reis im geschlossenen Topf fertigziehen lassen. Ab und zu mal umrühren, kennt ihr ja alles.

In einer Pfanne
1 TL Butter zerlassen und
125 g TK-Blattspinat (frischer geht natürlich auch, den hatte ich aber nicht) bei mittlerer Hitze kurz durchschwenken. Mit
1 ordentlichen Prise Zimt und
wenig Salz würzen.

Den Spinat vorsichtig unter den Reis heben und wer mag, hackt noch schnell ein paar Mandeln und streut die drüber, dann hat man wenigstens ein bisschen was zum Kauen.

In meinem Reis und dementsprechend auf dem Foto sind noch Vermicelli bzw. the closest thing to them, nämlich schwäbische Eiernudeln, die ich eigentlich auch der Knackigkeit wegen kurz vor Ende der Garzeit in den Reis geben wollte. Ich habe sie aber viel zu früh reingeworfen, so dass sie weich wurden. Schmeckte auch, müsst ihr aber nicht nachmachen.

Links vom 3. August 2014

Mutterreisen und Rollentausch

Stepanini, deren Blog und Instagram-Feed ich sehr mag, schreibt über eine Reise, die sie mit ihrer Mutter nach Irland unternommen hat. Und vor allem, warum.

„Es gibt kaum einen Menschen, der mich mit ein paar Fragen so schnell und leicht zur Weißglut treiben kann und an den ich doch gleichzeitig auch immer wieder denke, wenn es zuviel ist, um mich herum, weil – egal wie alt – es tut doch immer gut, bemuttert zu werden und das kann eben auch nur eine so richtig gut.

Das gilt immer noch, aber es hat sich auch ganz leise gedreht. Kaum merklich. Die besorgten Fragen. Jetzt stelle sie ich. Noch grundlos. Was sind das für Tabletten, die du da nimmst? Du gehst schon wieder auf eine Beerdigung?

Es ist ein neues Gebiet, das man betritt, wenn man die eingespielten Rollen verlässt. Und das fällt leichter in einem Terrain, das für alle beide neu ist.“

Bauen für autoritäre Staaten: Die B-Seite der Architektur

@MaikNovotny schreibt im Standard über Gebäude für Diktatoren:

„Das 2013 eröffnete Heydar Alijev Center in Baku, erbaut von Zaha Hadid, wurde mit dem Design Award des Londoner Design Museum ausgezeichnet. Nicht zum ersten Mal erhob sich darauf Kritik, vor allem in britischen Medien.

Ein Bauwerk in einem autoritären Staat, gewidmet dem 2003 verstorbenen Staatsoberhaupt, dem Amnesty Menschenrechtsverletzungen attestierte, errichtet auf einem Areal, dessen frühere Bewohner laut lokalen Aktivisten zwangsenteignet wurden, habe eine solche Auszeichnung nicht verdient.

Es sei in der Auszeichnung eben nur um die Architektur gegangen, verteidigte Design-Museum-Direktor Deyan Sudjic die Entscheidung, und die sei eben herausragend. In der Tat sind die sahneweißen Kurven des Ensembles aus Museum und Konferenzzentrum selbst für vom Hadid’schen Wiedererkennungswert ermüdete Augen ausgesprochen elegant und ausgewogen.“

Herr Hibbe macht zu

Schöner langer Sonntagsartikel, der mal nicht die übliche „Einzelhandel gut, Internet doof“-Kiste aufmacht. Aber besonders hoffnungsvoll ist er dann auch nicht. Via Buddenbohm.

„Es ist, als beiße sich der Individualismus von heute mit dem Gleichheitsgrundsatz, der die Kaufhäuser groß machte: Hier gab es vor gut hundert Jahren erstmals feste Konfektionsgrößen zu festen Preisen. Am erfolgreichsten war das Geschäftsmodell, als VW kaum mehr als den Käfer anbot und die Fußballstadien noch keine Logen hatten. Es war Ausdruck einer egalitären Idee – die einige wenige Familien sehr reich machte, große Kaufhausdynastien wie die Wertheims in Berlin und kleine wie die Hibbes in Neustadt.

Jetzt genügen 40.000 Artikel nicht mehr. Und wenn etwas fehlt, kommen die Kunden nicht auf den Gedanken, dass auch ihre Extravaganz damit zu tun haben könnte. So sieht es Klaus Hibbe, der versucht, seinen Groll für sich zu behalten, und doch einmal sagt: “Die Menschen sind Tiere.”

Samy Liechti in Zürich erzählt die Geschichte vom Sterben der Kaufhäuser anders: als Geschichte einer Demokratisierung, als das Ende von Hierarchien und Herrschaftswissen. Gerade hat er sich für 30 Euro Versandkosten einen Tisch in den Vereinigten Staaten bestellt, weil es der war, der ihm am besten gefiel. Sein Lieblingswein, sein iPad, sein Rucksack: online gekauft. “Die Welt wird flacher”, sagt Liechti. Wieso sollte er sich dem Sortiment des örtlichen Möbelhändlers ausliefern? Warum seine Hobbys nach dem Angebot des lokalen Sportgeschäfts ausrichten? Weshalb auf das Weltwissen einer einzigen Reisefachverkäuferin vertrauen – jetzt, da es überall Urlaubsportale voller Benutzerbewertungen gibt?“

Ohne Begleittext, erklärt sich von selbst, habe ich gestern endlich mal gegoogelt und gebe das einfach weiter:

What Is Cultural Appropriation and Why Is It Wrong?

In diesem Zusammenhang:

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