On this day 80 years ago

Ein Kunstprojekt, das aus Original-Briefen und Tagebucheinträgen eine Zeitleiste entstehen lässt – vom Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten bis … ich weiß noch gar nicht, wie lange das Projekt geht. Es ist gestern gestartet. Bitte mal reinschauen: On this day 80 years ago.

Marina Abramović: The Artist is Present (keine Filmkritik)

Marina Abramović: The Artist is Present, USA 2012, 106 min
Musik: Nathan Halpern
Kamera: Matthew Akers
Regie: Matthew Akers, Jeff Dupre

Trailer

Offizielle Seite

Keine Filmkritik, stattdessen das gerade bei mir übliche Rumsinnieren darüber, was Kunst mit mir macht, vor allem solche, mit der ich mich noch nicht intensiv auseinandergesetzt habe. Trotzdem kurz was zum Film.

The Artist is Present ist ein Dokumentarfilm, der sich hauptsächlich mit der gleichnamigen Austellung und der dazugehörigen Performance im MoMA befasst. Die Ausstellung ist eine Retrospektive auf einige der Arbeiten von Marina Abramović, die sich im Film als die „Großmutter der Performance“ ansprechen lassen muss. Vielleicht stimmt das sogar; sie ist über 60 und setzt ihren Körper schon verdammt lange für die Kunst ein. Ein paar Beispiele stehen in der Wikipedia, und auch im Film sind sie zu sehen, denn für die MoMA-Ausstellung werden sie von jungen Künstlern und Künstlerinnen nachgestellt.

Im Mittelpunkt steht aber die aktuelle Performance, die genauso lang dauert wie die Ausstellung – drei Monate, acht Stunden ohne Pause an sechs Tagen in der Woche. Abramović sitzt im Atrium des Museums, vor ihr ein Tisch, ihr gegenüber ein weiterer Stuhl. Jeder, der mag, darf sich ihr gegenübersetzen, so lange das Museum geöffnet ist. Keine Berührungen, keine Gesten, nur ihr gegenübersitzen und sie anschauen, genau wie sie dich anschaut.

Klingt beängstigend simpel. Und ist unglaublich eindrucksvoll.

Schon nach wenigen Augenblicken im Film dachte ich innerlich, was für eine Präsenz mit Ausrufezeichen diese Frau hat. Sie war ja nicht einmal da, ich saß sicher und gemütlich in einem Münchner Kino, aber sie war vor mir auf der Leinwand, und das hat schon gereicht. Selbst durch den Umweg über ein unpersönliches Medium war jeder Atemzug von ihr körperlich spürbar. Deswegen konnte ich auch jeden Menschen nachvollziehen, der vor ihr saß und plötzlich zu weinen begann, denn mir ging es nicht anders. Das mag am berechnenden Soundtrack gelegen haben, aber der alleine hätte mich nicht so mitgerissen.

Was mich so fasziniert hat und noch Tage nach dem Film nachhallt: die Ruhe, die sie einem schenkt. Die Kraft, die man dadurch spürt. Oder genau das Gegenteil, die Schwäche, die einen kurz überfällt, die Schmerzen, die man sonst zudeckt, denn man hat ja Besseres zu tun. Indem man Abramović in die Augen schaut und den Tag mal kurz anhält, schaufelt man Dinge an die Oberfläche, die dort sonst nicht hingelangen, weil der Tag sonst eben weitergeht. Ich war in den letzten Tagen noch spröder als sonst, dünnhäutiger, vorsichtiger. Vielleicht habe ich deswegen in der Uni heulen müssen, als Beethoven erklang, vielleicht habe ich deswegen mehr getrunken als mir gut tat, als ich unter Menschen war. Vielleicht war der Film aber auch nur ein weiteres Puzzlestück zu den vielen anderen, die ich mir im Studium erarbeite. Mit jedem Seminar und jedem Buch und jeder Note enstehen neue Bahnen in meinem Kopf, neue Wege, auf denen Gedanken unterwegs sind, die bisher doof im Nichts verhallten oder schlicht gar keine Chance hatten, sich zu formulieren. Auf einmal mache ich aber auf, öffne Türen, schmeiße liebgewonnene, weil sicherheitspendende Vorurteile über Bord – “why is this art?” – und lasse mich auf Dinge ein, denen ich bisher naserümpfend ausgewichen bin. Performance Art hat sich mir nie erschlossen, und ich kann auch nicht mit allen Werken, die ich im Film gesehen habe, etwas anfangen, aber die meisten fand ich großartig. (Ja, ich bin sehr spät damit dran, Abramović für mich zu entdecken, ich weiß.)

Es hat mich schier überwältigt, dieser Frau zuzusehen. Wie sie bei einer Performance den Zuschauern die Macht über sich gibt und diese sie nicht nur streicheln, sondern verletzen, einfach weil sie es können. Wie sie ihrem damaligen Mann 2.500 Kilometer auf der chinesischen Mauer entgegenläuft, nur um sich danach von ihm zu trennen. Und wie sie jetzt allen Menschen gleichermaßen Aufmerksamkeit schenkt, weil sie vor ihr sitzen. Im Film wurde es meiner Meinung nach perfekt formuliert: Vor ihr sind alle gleich. (Der religiöse Bezug ist mir durchaus klar.) Und: Sie entschleunigt für viele Besucher die Zeit, ihr Denken und vielleicht ihre Ich-Bezogenheit. Abramović nannte es: „Irgendwann verschwinde ich, und die Menschen sehen nur noch sich selbst.“ Was für viele keine leichte oder angenehme Aufgabe ist.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Film so lange in mir rumort. Er zwingt mich dazu, mich anzusehen. Das meiste, was ich sehe, mag ich sehr, aber es gibt durchaus Dinge an mir, die ich gerne ändern würde und von denen ich weiß, dass ich sie nicht ändern kann. Ich kann hier nur sitzen und warten. Und ich weiß, dass es nicht aufhören wird, nur weil ein Museum schließt oder die Performance beendet ist. Ich werde weiterhin hier sitzen und mich anschauen.

#aufschrei

(wird laufend aktualisiert)

Maike auf kleinerdrei: Normal ist das nicht

Littlejamie: Ohne Worte. Ein #aufschrei

Antje Schrupp: Wie Lappalien relevant werden

Kaltmamsell: Es geht nicht um mich

Kiki: Hört auf damit! (In diesem Beitrag versteckt sich ein Zitat von spiegelkritik.de, das mich in seiner selbstgefälligen Ignoranz minutenlang sprachlos zurückließ.)

Journelle: Danke #aufschrei

Happy Schnitzel: Besser spät als nie – die Sexismus-Debatte

Natalie Sprinhart: Aufschrei-Argumente. Natalie nimmt die gefühlt am meisten getwitterten „Gegenargumente“ auseinander, von „Wehrt euch doch einfach“ bis „Das ist doch kein richtiger Sexismus“.

Helga Hansen: Wogegen ich mich wehre? „Wehrt euch.“

Dr. Mutti: Mein später Aufschrei

Habichthorn fasst gut zusammen: Meine 31 Cent zum Thema.

„Und am Ende bleibt man ein bißchen ratlos zurück. Wie soll man sich eigentlich verhalten? Darf man anderen Menschen gut gemeinte Tips geben? Macht man sich zum Opfer? Zum Täter? Darf man keine blöden Witze mehr machen? Und was hat das Ganze jetzt mit Feminismus zu tun? Wie kann man persönlich betroffenen Menschen helfen ohne aufdringlich zu sein?

Es ist wie so oft: Die Debatte ist zu komplex für eine simple Antwort oder gar eine Lösung. Letztendlich muss jede/r für sich selbst wissen, wie er/sie/es mit dem Thema umgeht und mit welchem Verhalten man am Glücklichsten ist. Niemand ist gleich ein Männerhasser, weil sie nicht von alten Mackern betatscht werden will. Niemand ist gleich ein widerlicher Sexist, weil er einer Frau schon mal zuerst auf die Brust und nicht in die Augen gesehen hat.“

Frequenzen: Dreh dich doch mal um.

„So wenig ich glaube, dass jede Form von Sexismus und sexueller Gewalt gleichzusetzen sind, so sehr bin ich davon überzeugt, dass sie in einer fundamentalen Beziehung zueinander stehen. Ich meine damit genau diesen gesellschaftlichen Mechanismus, der uns dazu bringt, zu schweigen, wegzusehen, uns nicht zu solidarisieren. Der Mechanismus der uns dazu bringt, vielleicht kurz empört zu sein, aufzuschreien und dann zur Tagesordnung überzugehen. Ich meine das Schweigen, die Angst, die Scham, die Verunsicherung. Ich meine ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das sich in unsere Körper eingeschrieben hat, in unsere Art und Weise zu leben, miteinander umzugehen, die Art wie wir Politik machen. Ich meine Privilegien: welche Position sprechen kann, gehört und ernst genommen wird und welche nicht.“

Die Stattkatze hat eine sehr andere, schmerzhafte Sicht auf das Hashtag: Protection Tweet. Long Play.

„Ich weiß, was ihr wollt. Es ist richtig, was ihr wollt.

Es ist nur so unendlich falsch, was ihr tut. Für mich.

Weil ihr mich seit zwei Tagen verletzt, mit jedem Satz, jedem Tweet, jedem Hashtag. Schlimmer, als es meine Erinnerungen tun. Weil ich nicht vorbereitet war. Ich hasse Überraschungsparties.“

A. Stefanowitsch: Sagt ihnen nicht, dass sie sich hätten wehren sollen.

„Wer sagt, dass sie Situationen meiden sollen, die zu sexuellen Übergriffen einladen, erwartet, dass sie sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, denn Situationen, in denen es nicht zu sexualisierten körperlichen Übergriffen kommen kann, sind äußerst selten.

Und bei allem Verständnis für vereinfachtes und weltfremdes Denken, diese Erwartungen an Frauen sind tief gestört. Sie sind ein Symptom für eine Einstellung zu sexualisierter Gewalt, die alle Verantwortung weg von den Tätern, weg von möglichen Zeugen, weg von der Gesellschaft schiebt und sie allein den Betroffenen auferlegt.

Und das gilt nicht nur dort, wo es um sexualisierte körperliche Gewalt geht, es gilt auch dort, wo es „nur“ um sexualisierte verbale Übergriffe von „ungeschickten Versuchen, mit einer Frau ins Gespräch zu kommen“ über „dumme Spüche“ oder „Herrenwitzchen“ über massive sexualisierte und sexistische Beleidigungen bis zu verbaler Nötigung geht. Und sie ist dort genauso falsch.“

Lena Jakat rezensiert in der SZ die Jauch-Sendung zum Thema: Mit flachen Witzen gegen den #aufschrei

„Und als Alice Schwarzer die 60.000 Tweets ansprach, in denen seit Donnerstagnacht Frauen von sexistischen Erlebnissen berichten und fragte “Wollen wir das nicht mal ernst nehmen?”, sagte Frau Bruhns: “Nein.” Ihre Antwort wird von Beifall der Zuschauer fast verschluckt. Ihr Lächeln blieb.“

Melanie Mühl in der FAZ rezensiert ebenfalls: #Dirndl bei #Jauch

„Alice Schwarzer hatte mit ihrer Feststellung recht, dass das Problem vieler junger Frauen darin bestehe, dass ihnen stets suggeriert worden sei, sie lebten in einer Welt, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind und Erfolg nur eine Frage des Willens und des Fleißes ist. Bis es ihnen wie Schuppen von den Augen fällt. Bis sie erkennen, dass, so formulierte es Alice Schwarzer, „diese alte Kacke immer noch dampft“. Damit meinte sie nicht brüderlehaftes Schäkern an einer Bar, sondern perfide Machtausübung in Form von Sexismus, beispielsweise, wenn es um die Verteilung von Jobs geht. Leider wollte Jauch davon nichts wissen. Er wollte lieber weiter über Brüderle und darüber reden, ob er Anne Wizorek nun eigentlich noch sagen dürfe, dass sie ein schönes Kleid trage.“

notaperecorder: Vom Überleben mit Twitter

„Dass es im alltäglichen Miteinander zwischen Männern und Frauen ständig zu Missverständnissen über gegenseitige Sympathie und Paarungsbereitschaft käme, ist einfach nicht wahr. Die Grauzone ist an dieser Stelle verschwindend klein und nicht die Frauen müssen darüber aufgeklärt werden, wie sie aus der Grauzone herauskommen. Wenn es nach denen geht, die solche Argumente vertreten, dann ginge das ohnehin nur indem sie sich zu Hause einschlössen. Anders hätte sich der größte Teil der #aufschrei-Erlebnisse nämlich nicht verhindern lassen.

Können wir bitte endlich aufhören so zu tun als hätten wir es hier mit subtilen Nuancen der ach so ambiguen menschlichen Kommunikation zu tun und das Problem dort lokalisieren wo es liegt, nämlich darin, dass Menschen in bestimmten Situationen einfach den Willen und die Äußerung des Gegenübers ignorieren. Das nämlich ist tatsächlich nicht von vornherein gegendert. Das können (und tun) Frauen ebenso wie Männer und dann ist es ebenso falsch. Der Unterschied ist nur, dass die Machtverhältnisse eben so sind, dass Männer häufiger als Frauen in der Position sind, das zu tun.“

Curi0us: Was mich so aufregt

„Irgendwie hab ich seit Beginn der Diskussion immer wieder das Bedürfnis, den Frauen in meiner Umgebung zu sagen, dass „wir“ gar nicht alle so eingeschränkt/blöd/ahnungslos sind. Das faszinierende ist aber: Die wissen das!

Großer Unterschied irgendwie. „Die“ sind in der Lage, uns nicht alle in einen Topf zu stecken. Einige (viel zu viele) von „uns“ schaffen das dummerweise nicht …“

Christian Fischer: Es sind die anderen. (Ja?)

„Zuerst war da der #aufschrei. Und als »guter« Mann, denn natürlich bin ich ja überzeugt ein solcher zu sein, dachte ich so etwas wie: »Ja, super, die unterdrückte Frau bekommt eine Stimme« (also nicht wortwörtlich, aber … Sie verstehen schon …)

Dann entwickelte so ca. zehn Minuten später der #aufschrei diese ungeheure Wucht und ich erschrak. Zwischen dem Wissen über nackte Zahlen inklusive ihrer Dunkelziffern und dem Erschrecken darüber, dass quasi jede Frau, die ich so in meiner Timeline kenne, etwas eigenes zu berichten hatte – da ist es ein großer Schritt. Ein Schritt mit viel Erschrecken, kein schöner Schritt – und Johannes hat, ich verlinkte es ja schon, da schon sehr passend etwas zu geschrieben.
So Zahlen und Statistiken, das sind ja irgendwie immer die anderen und der #aufschrei brachte den Alltagssexismus viel näher an mich heran. »Lernerfolg eins: Deswegen heisst er ja auch Alltagssexismus, stupid«, dachte ich mir.“

Tillmann Allmer: Ich finde …

„Mittlerweile habe ich mich an Alltagssexismus in meinem Alltag gewöhnt und ich sage meistens nichts mehr. Dadurch bin ich Teil davon. Das möchte ich nicht.

Wir Menschen lernen voneinander. Wir müssen uns ständig neu eineichen. Wenn eine/r oder auch mal zwei.drei in diesen Runden nicht mitlachen (oder schweigen!), sondern laut aussprechen, warum das überhaupt nicht witzig ist, dann lachen sicher auch gleich zehn nicht mit und der blöde Arsch steht da.“

Johannes Mirus: #aufgewacht

„Ich las sehr viel in den letz­ten Tagen und es hat mich schwer erschüt­tert. Fast alle Frauen haben meh­rere eigene Geschich­ten, einige, die ich schon sehr lange kenne, erzähl­ten Geschich­ten, die mein Welt­bild ins Wan­ken brach­ten. Ich war ver­wirrt, konnte das nicht in Ein­klang mit mei­ner Rea­li­tät brin­gen. Zu der Ungläu­big­keit mischte sich mehr und mehr Trau­rig­keit, aber auch ganz viel Hilf­lo­sig­keit und auch Wut. Wut, weil ich so lange ahnungs­los war, weil ich nichts tun kann, weil ich glaube, mich immer rich­tig ver­hal­ten zu haben und mich jetzt irgend­wie unschul­dig mit­schul­dig fühle.“

mequito: (ohne titel)

„Mir macht #aufschrei ja gute Laune. Ich glaube, es wurde der richtige Ton getroffen. Die tausenden Beispiele, mal dramatisch, mal traurig, mal krass, aber immer bäh. Wie eine unendliche Playlist der Arschlocherei. Es gefällt mir, wie wuchtig das Thema im Mainstream aufgeschlagen ist und die Meinung ist ja durchaus einhellig, die Kritiker haben sich schnell deklassiert. Ich finde das super, ich finde das zivilisatorisch total super.“

Malte Welding: Männer, gebt die Herrschaft auf!

„Wenn eine Frau sagt, wenn hundert, wenn tausend, hunderttausend Frauen sagen, dass sie belästigt, bedrängt, geschlagen, bespuckt, vergewaltigt und weggeworfen wurden, dass sie sich nicht allein im Dunklen auf die Straße trauen und sich in Aufzügen, Parkhäusern, Innenhöfen fürchten, dann ist die richtige Reaktion nicht: Aber als Mann kann einem ja auch was passieren. Und nicht: Ich mache doch nichts. Und auch nicht: Dann muss man halt aufpassen. Sondern man muss Antworten auf die Frage finden: Wie bringt man Männern bei, Frauen keine Angst zu machen?“

In der Uni

Ich habe gestern zwischen meinen Seminaren spontan das iPhone gezückt und ein bisschen rumgeknipst; ich möchte das nicht „fotografieren“ nennen.

Mein Musikgeschichtskurs und das Seminar „Die Messe in der Renaissance“ finden im gleichen Hörsaal statt. Auf dem Weg in den nächsten Raum nehme ich immer den Umweg, der mich an dieser Fensterfront entlangführt, von der aus man auf die Ludwigstraße guckt.

Der Fenstergang und der nächste Hörsaal werden durch einen modernen Gebäudeteil verbunden.

In diesem Gang befindet sich mein Lieblingsklo (Auswahlkriterien „Alter der sanitären Anlagen“, „Frischluftzufuhr“ und „Wartezeit“) und er ist meist sehr ruhig, weswegen ich hier gerne recht langsam entlangschreite, bevor mich das Gewusel aus hunderten von Menschen wieder hat.

Und dann ist man wieder im alten Gebäude, das ich sehr gerne mag. Auch wenn der Weg in den zweiten Stock sich für mich so anfühlt wie in den fünften zuhause. (Sehr. Lange. Treppen.) Da links die Räume, da findet meine Übung in Musikwissenschaft statt, und hinter mir liegt der Riesenhörsaal, in dem ich Kunstgeschichte lerne und den ich in diesem Eintrag schon mal vorgezeigt habe. Und immer wenn ich diesen Gang langgehe, denke ich, KreuzgrAtgewölbe wie in der RomAnik, nicht KreuzrIppengewölbe wie in der GotIk.

Runter in den ersten Stock zur Romanikvorlesung oder links um die Kurve in die Bibliothek der Musikwissenschaft.

Romanikvorlesung it is. Das belegte, ausgeklappte Tischchen deutet auf einen Senior oder eine Seniorin hin, der oder die sich sicherheitshalber einen Platz reserviert hat. Wir haben ja auch nur 200 Sitze für 100 Leute. Meist setzen sie sich mit ausgebreiteter SZ ganz nach außen und gucken angenervt, wenn man es wagt, an ihnen vorbeizuwollen. Ja, ich bin latent nölig, und ja, ich werde mit 65 auch so sein. Die Stühle sind übrigens weitaus bequemer als sie aussehen. Ich persönlich mag sie jedenfalls deutlich lieber als diese blöden „amerikanischen“ Tisch-Stuhl-Kombinationen, auf denen ich schlechtgelaunt im kunsthistorischen Institut kauere.

Der Lichthof, in dem die Geschwister Scholl ihre Flugblätter auslegten, ist seit Längerem eine riesige Baustelle. Ich hoffe, ich bekomme ihn mal durchlichtet zu sehen, bevor ich meine BA-Arbeit schreibe. (Ich kann mich an diesem Gebäude nicht sattsehen, überall Bögen und Säulen und Zeug! Okay, und jetzt gerade eben auch Baugerüste.)

Aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss in Richtung Unibibliothek, kurz vorher rechts in den Innenhof abbiegen. Im Herbst habe ich in diesem Pavillon immer entspannt meinen Pausenjogurt verspeist; momentan mache ich das lieber drinnen im Warmen. Ich freue mich schon sehr aufs Sommersemester.

Durch den Innenhof, fünf Stufen runter in den kleinsten Raum, in dem ich je Unterricht hatte. Aber wir sind im Beethoven-Kurs nur zu fünft, deswegen lässt es sich sehr gut aushalten.

Und außerdem steht ein bisschen was rum, auf dem der Dozent gerne mal ein paar Akkorde anschlägt. Oder nach ihnen sucht: „In as-Moll ist kein d, oder? Oder?“

Den Pavillon rechts liegen lassen und durch den nächsten Innenhof.

Und schon steht man wieder außerhalb des Unigeländes und wartet auf den Bus, der einen in zehn Minuten bis fast vor die Haustür fährt.

Womit mein Lieblingsprofessor gestern seine Musikgeschichtsvorlesung begann


(Auch deswegen ist er mein Lieblingsprofessor.)

Links vom 23. Januar 2013

Diskothek auf SRF2

Ein toller Tipp von Stromzufuhr:

„In der Diskothek geht es jede Woche um ein anderes Werk. Im Studio finden sich neben einer ModeratorIn noch zwei Studiogäste ein, Menschen die richtig Ahnung von Musik haben, weil sie selbst professionelle MusikerInnen sind, selbst den Dirigentenstab schwingen, oder sich wissenschaftlich mit Musik auseinandersetzen. Dann hören sie sich gemeinsam einen Ausschnitt des Werkes an. Allerdings fünf mal, in fünf verschiedenen Aufnahmen, der gleiche Ausschnitt, wobei nicht verraten wird, um welche Interpreten es sich jeweils handelt. Blindes hören. Zwischendurch vergleichen und bewerten die Studiogäste. Wo liegen die Unterschiede, woran hört man, das Aufnahme 2 auf historischen Instrumenten eingespielt wurde, weshalb gefällt uns die Fermate in Aufnahme 4 so gut?“

Ich habe mir natürlich erstmal die Folge mit Richard Wagners Tannhäuser runtergeladen, konnte sie aber gestern abend nicht mehr hören, weil ich Dschungelcamp gucken für die Klausur lernen musste. Klingt aber großartig.

How movies teach manhood

Sehr spannender und nicht allzulanger TED-Talk über Lehren, die Jungs aus Filmen ziehen können. Colin Stokes, Vater einer Tochter und eines Sohns, erzählt und schlägt den Bogen vom Wizard of Oz zu Star Wars, dem Bechdel-Test und sexueller Gewalt. Danke an @kasimon für den Hinweis.

(Direktlink)

Ein Nachruf auf Beate Sirota Gordon

Der Economist erzählt mir mal wieder etwas über jemanden, von dem ich noch nie gehört habe. In diesem Fall ist es eine junge Amerikanerin, die 1946 damit beauftragt wird, Frauenrechte in die japanische Verfassung zu schreiben. Gordon starb mit 89 Jahren im Dezember 2012. Danke an @dogfood für den Hinweis.

„Japanese women, for example, never came to her mother’s parties. Only the men came. Japanese women would serve their husband’s friends dinner, then eat alone in the kitchen. In the street they always walked three or four paces behind the men. They were usually married to men they did not know, could inherit nothing, and could even be bought and sold, like chattels. (…) There was plenty more, as she warmed to her mission: women’s right to paid work, to custody of children, to equal education. Much of it was stripped out, because it made the men’s eyes water on the American side as much as the Japanese. A kindly colonel pointed out that she had put in far more rights than were in America’s constitution. She fired back that that wasn’t hard.“

Haydn hören

Von den drei Wiener Klassikern bin ich am meisten in Beethoven verknallt, dann kommt mit großem Abstand Mozart, und zu Haydn hatte ich bisher nicht mal wirklich eine Meinung außer „mir egal“. Ihr ahnt schon, was kommt: Zwei Stunden mit meinem Schnuffelprofessor haben gereicht, um mir diese Meinung auszutreiben.

Eckdaten: Joseph Haydn, 1732–1809, galt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als der wichtigste Komponist für Instrumentalmusik und hat sich diesen Ruf zwei Jahrhunderte lang bewahren können. Heute nennen wir eher Mozart den big shot, aber wie immer bei Genies: Sie stehen schon auf den Schultern von Giganten. Mozart wäre ohne Haydn nicht der, der er war, und Beethoven auch nicht. Was an ihm neu und besonders war: Er verweigerte sich der Nebenbeimusik des galanten Stils (über den schrieb ich hier schon mal). Seine Musik sollte herausfordern, sie verlangte nach einem aktiven Zuhörer. Das ist für uns heute nicht mehr so recht nachzuvollziehen, weil wir schon sowas Herausforderndes wie Zwölftonmusik kennen, aber wenn man sich das hübsche Geplänkel des galanten Stils anhört, wird klar, was Haydn wollte.

Während seines recht langen Lebens komponierte er neben anderen Wundertüten 106 Sinfonien – zum Vergleich: Mozart komponierte rund 60, Beethoven neun – und 68 Streichquartette; er gilt als Begründer dieser Art der kammermusikalischen Darbietung. Bis 1900 nannte man Streichquartette die anspruchsvollste musikalische Gattung, und nicht jeder kam gut mit ihr zurecht. Sowohl Mozart als auch Beethoven taten sich ein bisschen schwer mit diesem Ding, und wenn man sich Mozarts KV 589 anschaut – ein Quartett, das sich auf Haydns Opus 33,2 bezieht –, dann merkt man schon, dass er sich anstrengen musste, um seinem „Lehrmeister“ Paroli bieten zu können. Und den Schluss, auf den ich noch genüsslich zu sprechen komme, konnte selbst er nicht übertreffen.

Haydn verbrachte fast sein gesamtes Komponistenleben am Hof des Fürsten Eszterházy, wo er unbeeinflusst von anderen musikalischen Strömungen ausprobieren konnte, was ging und was nicht und so seinen eigenen Stil entwickelte. Und der war, wie erwähnt, eine Ansage. Haydns Art zu komponieren, lässt sich am besten mit „ökonomisch“ umschreiben. Er nutzt wenige motivische Bausteine, die sich in einem folgerichtigen, logischen Prozess stimmig entwickeln. Seine Quartette haben einen konsequenten, fast zwingenden Charakter. Um das einzuordnen: Mozart folgt auch einem Schema, dengelt aber gerne noch eine Runde Verzierungen an alles dran, während Beethoven, das enfant terrible, gleich ganz die strenge Sonatensatzform zertrümmert – die Haydn entwickelt hatte, die aber erst nach 1800 überhaupt einen Namen bekam.

Hören wir doch mal in seine kleinen Spielereien rein, die er betrieb, um die Zuhörer bei der Stange zu halten. Oder: sie überhaupt vom Billardtisch, dem Kaffeekränzchen oder dem neuesten Klatsch aus der Hofburg wegzukriegen.

Im Streichquartett 25 in C-Dur von 1771 (Opus 20,2) eröffnet zum Beispiel nicht die erste Geige das Quartett, wie sich das gehört. Statt dessen ist es das bis dahin total egale Cello, das sonst nur als „Grundlage“ diente (Stichwort „Generalbass“). Was für ein Opener, wenn man diesen Klang als Soloinstrument nicht gewohnt war! Außerdem spielt das Cello in einer sehr hohen Lage, was es fast nach Bratsche klingen lässt: Es entsteht eine bis dahin ungehörte Klangfarbe. Und wenn man die Hörer schon mal hat, kann man ihnen auch gleich noch mehr zumuten: Der vierte Satz ist in Fugenform geschrieben, was sich eher weniger nebenbei weghören lässt. (O-Ton Professor: „Außer Sie sind unmusikalisch, dann ist das super.“)

Opus 20 „schlug den Weg frei“, wenn man Haydn glauben mag, zu Opus 33 von 1781, das als erstes großes Werk der Wiener Klassik gilt. Opus 33,5 (Streichquartett Nr. 29 in G-Dur) überraschte auch schon mit den ersten zwei Takten: Sie waren nämlich im pianissimo zu spielen. Normalerweise fehlte jede Dynamikangabe in den Noten, weil allen klar war: Wir fangen entspannt in Zimmerlautstärke an. Nicht so hier: Die ersten Takte haben fast den Charakter eines kleinen „Pssst, es geht los.“ Und wer sich mal die Noten anschauen mag: Der kleine Reinkommer ist zudem noch ein ziemlich wichtiger Baustein in der Melodieentwicklung, denn er beendet in Takt 9/10 das Hauptthema des Satzes. Es schließt sich ein für damalige Zuhörer erkennbarer Kreis.

Opus 33,3 (Streichquartett Nr. 32 in C-Dur, „Vogelquartett“) fängt ebenso seltsam an: mit der Begleitung. Hört man, sieht man in den Noten aber auch schön: Die zweite Geige und die Bratsche begleiten ein Thema, das noch gar nicht da ist, und als es dann endlich kommt, klingt es wie sinnlos rumzwitschernde Vögel. Oder wie unser Professor es nannte: „Eigentlich sind das bloß G’s mit Zeug dazwischen.“

Mal kurz weg von den Streichquartetten: In seiner 60. Sinfonie in C-Dur erklingt im Finalsatz etwas, das jeder wiedererkennt, der schon einmal ein Streichinstrument gespielt hat. Wenn Sie mal reinhören möchten? Dauert nur ein paar Sekunden, bis der Effekt kommt. Bitteschön. Für alle Nicht-Streicher_innen: Nach wenigen satten Akkorden, die so richtig schön klassisch nach brachialem Finalsatz klingen, ertönen die charakteristischen Quinten, die man hört, wenn man seine Geige, sein Cello oder ein ähnliches Instrument stimmt. Die zweite Geige darf sogar mit einer Sexte beginnen, so dass es wirklich so klingt, als hätten die Musiker_innen vergessen, ihre Instrumente zu stimmen – oder als ob sie lieber noch mal nachprüfen, ob auch alles seine Ordnung hat. In der Wikipedia sieht man das hübsche Notenbild dazu. Der Beiname dieser Sinfonie lautet übrigens „Der Zerstreute“.

Und als Rausschmeißer, der mich wirklich verzückt hat, noch schnell den vierten Satz von Opus 33,2 (Quartett Nr. 30 in Es-Dur). Er überrascht mit einem Schluss, den unser Professor als einen der „schönsten und zwanglosesten Schlüsse in der Musikgeschichte“ bezeichnete. Wenn Sie sich diese drei Minuten mal aufmerksam gönnen würden? Es lohnt sich. Der Hörsaal lauschte jedenfalls ziemlich begeistert und konnte sich irgendwann ein zufriedenes Lachen nicht verkneifen. Kein Wunder, dass dieses Quartett im englischen Sprachraum den Beinamen „The Joke“ trägt. (Ein Hinweis – ich kenne euch ungeduldige Internetleute doch: nicht zu früh weghören.)

De rouille et d’os

In De rouille et d’os (Der Geschmack von Rost und Knochen) zieht Ali (Matthias Schoenaerts) mit seinem kleinen Sohn zu seiner Schwester und ihrem Mann in Antibes. Als ehemaliger Boxer und Thai-Boxer heuert er bei einem Sicherheitsdienst an, der unter anderem auch den Einlass zu einer Diskothek leistet. Dort trifft er eines Nachts Stéphanie (Marion Cotillard), die sich mit einem Mann streitet und dabei von ihm blutig geschlagen wird. Ali bringt sie nach Hause und hinterlässt seine Telefonnummer. Stéphanie nutzt diese Monate später – als sie in ihrer neuen, kleinen Wohnung lebt und im Rollstuhl sitzt. Durch einen Unfall bei ihrem Job in einem Freizeitpark, wo sie mit Walen arbeitete, verlor sie beide Beine knapp über dem Knie.

Beide Hauptfiguren scheinen zunächst nur aus ihren Körpern zu bestehen: Seiner strotzt vor Kraft und Adrenalin, will dauernd laufen, boxen, ficken. Ihrer tanzt und schwimmt und genießt die Blicke, die er aktiv herausfordert. Der Film bleibt zunächst bei der Körperlichkeit und ist dabei netterweise keiner der üblichen „Wir kommen dann mal eben mit einem ungeplanten Leben klar“-Filme. Natürlich muss sich Stéphanie umstellen, natürlich hat sie Momente der Verzweiflung, aber sobald sie zum Telefon gegriffen hat, um Ali anzurufen, scheint sie wieder zu bemerken, was ihr Körper noch kann. Die erste Begegnung der beiden nach der Nacht in der Disko führt sie ans Meer, wo Stéphanie sich ins Wasser tragen lässt – und dort tiefe Seufzer des Wohlbefindens ausstößt, als sie wieder in ihrem Element ist. Auch das hatte sie vergessen, und auf einmal weiß sie wieder, was ihr guttut.

Alis Körper wird im gleichen Maße zum Schlachtfeld, in dem Stéphanies Körper heilt: Er tritt zu illegalen Boxkämpfen an, um Geld zu verdienen. Der Film hat noch weitere Ebenen – die Arbeiterklasse, die sich gegen „die da oben“ zur Wehr setzt, die Beziehung zwischen Vater und Sohn und natürlich die Liebesgeschichte, die vom ersten Treffen der beiden unausweichlich ist – und einige von ihnen hätte ich gerne etwas kürzer gehabt, weil sie das eigentliche Thema eher verwässern, aber trotzdem fand ich De rouille et d’os fast hypnotisch in seiner Ausstrahlung. Und dass ich ausgerechnet bei Katy Perrys Firework heulen würde, hätte ich vorher auch nicht gedacht.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Stéphanie spricht ab und zu mit ihrer Freundin, ihren Kolleginnen oder Alis Schwester, die ebenfalls ein, zwei Sätze mit ihren Kolleginnen wechselt, aber das sind wenige Momente, die kaum den Namen Dialog verdient haben. Daher:

Test bestanden? Eher nein.

Skyfall

Ja, ich bin etwas spät dran, aber besser spät als nie, um laut kundzutun, dass mir Skyfall sehr gut gefallen hat – mein bisher liebster Craig-Bond.

Schon die Anfangssequenz legt die Messlatte so richtig schön hoch: Wir sehen eine Verfolgungsjagd mit dem Auto, auf einem Motorrad, einem Zug und wenn man’s genau nimmt, auch noch einem Bagger, und zwar nicht irgendwo gemütlich auf der Landstraße in Hintertupfingen, sondern im belebten Istanbul, genauer gesagt, ich zitiere: “They seem to be on top of the bazaar.” Genau. Hervorragendes Tempo, aber nie so schnell, dass man nicht mehr mitkriegt, wer jetzt gerade gemein zu wem ist. Außerdem lernen wir eine neue Agentin kennen, was ich persönlich ja grundsätzlich nett finde, wenn nicht nur die üblichen Klischee-Bond-Girls dabei sind, sondern auch Mädels, die ein bisschen was in der Birne und nicht nur in der Bluse haben.

Schon vor dem Vorspann gibt’s die erste Überraschung, und so geht der Film auch weiter: Immer wenn ich dachte, so, jetzt kommen wir langsam zum Ende, legte Skyfall noch ein Schippchen drauf. Das hat allerdings manchmal ein bisschen genervt; das Finale war einen Hauch zu lang, wenn auch hübsch elaboriert, und den Pseudo-Showdown mit Bösewicht Javier Bardem (JAVIER FUCKING BARDEM!) hätte man etwas kürzen können, genauso wie die komplette Szene davor im Casino, wo das bereits angesprochene Bond-Girl entsetzlich beknackte Dialogfetzen in verführerischem Timbre von sich geben darf. Nochmal zu JAVIER FUCKING BARDEM: Ich habe seine Frisur und seine Outfits gehasst, aber die eine lange ungeschnittene Sequenz, wo er aus der Tiefe des Raums auftaucht und langsam, gemächlich und offensichlich durchgeknallt auf Bond zugeht, bis er schließlich vor ihm steht – die war großes Kino. Ein klassischer Bond-Schurke wie er im Buche steht.

Und wo wir schon bei Klassik sind: Skyfall bietet schönes neues Zeug, greift aber gleichzeitig tief in die Traditionskiste – und ich habe es geliebt. Der wunderschöne Aston Martin aus Goldfinger taucht auf, gefühlt alle 20 Minuten sprach irgendwer davon, es “the good-old fashioned way” zu machen, wir erfahren etwas über Bonds Kindheit, und gefühlsmäßig gehört auch meine liebste Verfolgungsjagd in die gute alte Zeit: Anstatt mal wieder die üblichen Coupés über malerische Serpentinen zu jagen, muss Bond in der Tube rumsprinten – eben nicht irgendwo auf der Welt, sondern in der Stadt, in der alles begann: London. In den letzten zehn Filmminuten gibt’s dann noch mehr aus den Anfängen der Serie; das will ich aber nicht spoilern, auch wenn ich mit einer dieser dramaturgischen Entscheidungen überhaupt nicht glücklich bin. (Wer den Film gesehen hat, müsste wissen, was ich meine.) Trotzdem: eine Story, der man nach dem Totalausfall von Quantum of Solace mal wieder folgen wollte, tolle Darsteller_innen, viel Bond, wie man ihn kennt und vor allem: viel Bond, den man besser kennenlernen will. So frisch und gleichzeitig charmant altmodisch kann sich also diese Filmreihe anfühlen.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Drei Frauen haben Sprechrollen: M, die Agentin und das Bond-Girl, aber die Damen reden nie miteinander.

Test bestanden? Nein.

Unfertiges Rumsinnieren über moderne Kunst oder: Ein Blogeintrag mit vielen Vielleichts

Der charmante Begleiter gestern so im Haus der Kunst: „Einmal für Ends of the Earth, bitte.“

„Das macht zehn Euro.“

Ich so: „Gibt’s Ermäßigung für Studierende?“

„Ja, das wären dann sieben Euro.“

„Gibt’s noch nen Bonus, wenn’s Kunstgeschichte ist?“

„Gibt’s, dann kostet es gar nichts. Aber der Herr ist normal, ja?“

Das muss ich mir jetzt wahrscheinlich ewig anhören, dass man als Kunstgeschichtsstudi nicht normal ist. Aber darum soll’s mir gar nicht gehen.

Die Ausstellung „Ends of the Earth“ beschäftigt sich mit Land Art, genauer gesagt, mit Land Art in der Zeit der sechziger Jahre bis 1974. Ich zitiere zur Einführung kurz von der oben verlinkten Website, die man sich gern komplett durchlesen darf:

„Als erste große Museumsausstellung über Land Art liefert „Ends of the Earth“ den bisher umfassendsten Überblick über die Kunstbewegung, die die Erde als Material benutzte und das Land als Medium. (…) Anfang der 1960er-Jahre begannen Künstler an verschiedensten Orten der Welt, mit Erde als Material zu arbeiten und sich mit der Beschaffenheit der Erde als Planet auseinanderzusetzen. (…) Oft operierten die Künstler der Land Art direkt unter freiem Himmel. Dass die freie Natur andere Bedingungen für die Lebensdauer eines Werkes vorgab als geschlossene Räume, nutzten die Künstler produktiv. Manche Werke existierten nur für die kurze Zeit ihrer Ausführung (…)[.] Bei der Entstehung und Entwicklung der Land Art spielten Sprache, Film und Fotografie eine zentrale Rolle. Magazine und Fernsehsender gaben künstlerische Arbeiten in Auftrag, veröffentlichten sie als Erste und leisteten so einen wichtigen Beitrag zur Distribution der Werke. (…) Zahlreiche Künstler der Land Art beschäftigen sich mit den Wunden und Narben, die der Mensch dem Planeten Erde zufügt, sei es durch Kriegsmaschinerie (Robert Barry, Isamu Noguchi), Diktaturen (Artur Barrio), Atomtests (Heinz Mack, Jean Tinguely, Adrian Piper) oder Besiedelung (Yitzhak Danziger); sie forderten ein verstärktes Bewusstsein für die Bedingungen von Produktion, Präsentation und Verbreitung von Kunst und verliehen in ihren Werken den technologischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Zeit Ausdruck.“

Ich gebe das nur zögernd zu, aber ich werde mit vielem aus der modernen Kunst nicht so recht warm. Vor den meisten Werken oder Installationen ploppt in meinem Kopf ein großes Fragezeichen auf. Wenn die Beschriftung der Werke mir dann auf die Sprünge hilft, macht es manchmal klick und ich grinse und freue mich über eine gute Idee oder ein spannendes Konzept. Wenn es nicht klickt, wird das Fragezeichen zu einem Achselzucken.

In der gestrigen Ausstellung habe ich sehr oft gegrinst und weniger die Achseln gezuckt, was mich sehr gefreut hat, denn natürlich weiß ich, dass ich (noch) eine sehr bornierte Haltung zur Kunst habe – „italienische Renaissance und das 19. Jahrhundert in Deutschland und dann ist gut“ –, und mein Studium dient nicht nur dazu, meine Midlife-Crisis abzuwenden, sondern auch dazu, von diesem Standpunkt runterzukommen und mir die Augen zu öffnen für Epochen und Künstler_innen, die ich bisher noch nicht kannte oder verstanden habe.

Genau über den Begriff des Verstehens habe ich gestern länger nachgedacht. Da liegt vor mir ein vier mal vier Meter großes Erdquadrat von Kristján Gudmundsson, auf das ich mir keinen Reim machen kann. Es ist einfach nur Erde, denke ich – und dann lese ich den Begleittext:

„Die Arbeit ist eine minimalistische Skulptur aus herkömmlicher Erde; eingefügt ist ein Dreieck aus geweihter Erde. Für den Betrachter lässt sich jedoch kein sichtbarer Unterschied ausmachen; er kann nur an die Existenz des geistigen Inhalts glauben.“

Und schon ist das nicht einfach nur Erde, die da vor mir liegt, sondern eine total schlaue Idee. Aus dem Fragezeichen wird ein Grinsen, aber gleichzeitig denke ich das, was ich immer bei moderner Kunst denke: „Wenn’s mir keiner erklärt, kapier ich’s nicht.“ Der nächste Gedanke ist dann immer das selbstgefällig hinterhergeschobene „Das ist bei alten Bildern ganz anders, da weiß ich ja, was ich sehe.“ Und gestern ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass das Blödsinn ist.

Wenn ich vor irgendwelchen Heiligenbildern aus dem Mittelalter stehe, erkenne ich einen Menschen, vielleicht seine Funktion. Aber das war’s dann auch. Ich lerne gerade, welche/r Heilige/r welches Attribut mit sich herumschleppt, damit er oder sie schön identifizierbar ist; aber selbst wenn ich mir gemerkt habe, Sebastian ist der mit den Pfeilen und Katharina ist die mit dem Rad, bringt mich das nicht die Bohne weiter, wenn ich die Geschichten hinter den beiden nicht kenne. Dann sehe ich weiterhin nur irgendeinen Menschen, vielleicht mit Pfeilen oder einem Rad, aber das ist ungefähr das gleiche wie ein vier mal vier Meter großes Stück Erde zu sehen.

Vielleicht muss man Kunst nicht verstehen, damit sie zu einem spricht; ich verwende hier bewusst die Metapher, von der ich vorgestern schrieb, dass sie nicht ganz passend ist, denn ich möchte, dass die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, zu mir sprechen, damit ich mich mit ihnen auseinandersetzen kann. Einen Film sehe ich nicht passiv, ich folge der Handlung, überprüfe meist sofort, ob sie sich mir erschließt oder einen Sinn ergibt, und nach dem Abspann formuliere ich innerlich (oder im Blogeintrag), was ich gesehen habe – und vor allem, was es mit mir gemacht hat. Genauso bei Büchern, die mich in Welten führen, zu denen ich sonst keinen Zutritt habe.

Wie gehe ich mit Kunst um? Vielleicht greife ich bei ihrem Konsum unbewusst auf die Mechanismen zurück, die ich bei Filmen und Büchern und im Umgang mit Menschen gelernt habe: Ich will sie verstehen. Aber vielleicht muss ich Kunst gar nicht verstehen. Vielleicht muss ich nur würdigen, dass sie da ist? Aber kann ich etwas würdigen, das mich nicht bewegt, nicht erreicht, nichts mit mir macht, weil ich es nicht verstehe? Und da knackt es schon wieder: Es gibt genug Dinge oder Ereignisse, die etwas mit mir machen, gerade weil ich sie nicht verstehe. Mir fallen spontan nur die Klassiker ein: menschliche Grausamkeiten, politische Entscheidungen, verhängnisvolle Beziehungen usw. Vor vielen dieser Dinge stehe ich hilf- und ahnungslos, aber: Sie machen etwas mit mir.

Viele Werke der modernen Kunst machen auch etwas mit mir, ohne dass ich sagen kann, was genau. Wenn ich meine raffael‘schen Schnuffis angucke, merke ich, dass es mir besser geht, weil mich ihre Schönheit erfreut. Wenn ich Wilhelm Leibls Bilder betrachte, merke ich, dass sich Bewunderung regt. Aber was genau eine Mondrian‘sche Komposition mit Rot, Schwarz, Blau und Gelb oder ein Erdquadrat in mir auslösen, kann ich nicht in Worte fassen. Oder vielleicht doch: Sie werfen Fragen auf, die ich nicht formulieren kann. Und deswegen habe ich auch keine Antwort.

Edit: Agnes Martin hat dazu etwas sehr Schönes gesagt: “Art is the concrete representation of our most subtle feelings.

(via Brainpickings, die 2013 eine tolle Serie beginnt: The Reconstructionists.

„It can be extraordinarily challenging to write about notable women without ghettoizing it as “women’s issues,” and yet some of the most remarkable hearts and minds to drive humanity forward have come equipped with two X chromosomes. It gives me enormous pleasure to announce a new collaboration with artist Lisa Congdon, titled The Reconstructionists — a yearlong celebration of remarkable women across art, science, and literature, both famous and esoteric, who have changed the way we define ourselves as a culture and live our lives as individuals of any gender.“

< quote > vl;ra/Very long, read anyway

„Wir haben oben schon darauf hingewiesen, dass das Kunstwerk im Gegensatz zur face-to-face-Kommunikation eine asymmetrische Kommunikation auslöst. Diese Feststellung ist eine relative, denn totale Asymmetrie kennt die Kommunikationstheorie nicht – immer muss ein Gegenüber anerkannt werden, immer muss ein gemeinsamer Bezugsrahmen angesprochen sein. Im Falle der ästhetischen Kommunikation erweist sich die relative Asymmetrie als Antrieb, den Betrachter nicht nur zu disponieren – durch äußere Vorgaben, deren Berücksichtigung vorausgesetzt wird –, sondern auch zu stimulieren, zu aktivieren, am Aufbau des Werks zu beteiligen. Dies geschieht durch die Art und Weise, wie der Betrachter an der innerbildlichen Kommunikation beteiligt ist. Genauer: Wie er an einer Kommunikation teilnimmt, an der er nur als Betrachter, nicht als Akteur beteiligt sein kann. Die innere Kommunikation, das, was wir häufig Darstellung, Komposition, Handlung nennen, besteht aus „Menschen, die sich Zeichen geben […], Dinge[n], die Zeichen sind […], Vorgänge[n], die selbst schon Kommunikation sind oder zumindest von Kommunikation begleitet werden oder aber der Gegenstand von Kommunikation sind, die von den Menschen im Bild gemacht wird.“(1) Im Unterschied zu den meisten Formen der Alltagskommunikation ist für die innerästhetische Kommunikation wesentlich, dass sie unter den Augen von Betrachtern stattfindet. „In das Medium sind bestimmte Formen eingelegt, die die Wahrnehmung der Zuschauer, die Weise, in der sie auf die innere Kommunikation schauen, organisieren; die innere Kommunikation wird präsentiert, und zwar so, dass sie nicht nur das bedeutet, was sie ohne Zuschauer für die beteiligten Akteure der inneren Kommunikation bedeuten würde, sondern dass sie eine zusätzliche Bedeutung hat, die gerade aus dem Umstand der Anwesenheit von Zuschauern resultiert.“(2)“

(1) Bitomsky, H.: Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit, Neuwied/Darmstadt 1972, S. 30.
(2) ebd., S. 105.

Kemp, Wolfgang: Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, Berlin 1985, 7. überarbeitete Auflage 2008, S. 252/253.

Ich bin sehr in das Buch verliebt, wie man vielleicht merkt. Es reißt so viele Themen an, die unbewusst mitschwingen, wenn ich mich mit Kunst auseinandersetze, die ich aber noch nie in Worte gefasst gelesen habe. Und es zeigt mir gleichzeitig viele neue Perspektiven und Denkansätze auf, die bisher noch nicht in meiner Wahrnehmung stattfanden. Zum Beispiel, dass Bildbeschreibungen ein bisschen wie Architekturtanzen ist:

„Interpretationen werden gesprochen oder geschrieben, die Werke der bildenden Kunst sind aber gezeichnet, gemeißelt, gegossen, gemalt, gebaut, montiert; und die Schrift ist nicht ihr Darstellungsmittel, auch wenn sie in Signaturen und Inschriften auftritt. Wir neigen dazu, die Unterschiedlichkeit der Darstellungsmittel zu verwischen mit einer Reihe von Metaphern: Wir sprechen vom Lesen oder von der Lektüre der Bilder, als wären sie Texte, wir lesen von „architecture parlante“ und von „peinture parlante“. Wir sprechen von der Aussage eines Bildes, als könnte es die sprachliche Darstellung eines Sachverhaltes sein, und wir bemerken, dass ein Bild uns „nichts sagt“, wenn wir meinen, dass es uns gleichgültig sei. (…) Mit der Metaphorik vom Sprechen der Werke, die auf die Antike zurückgeht, äußern wir den Wunsch, das Kerygma, die an uns gerichtete Botschaft der Werke, zu entziffern und zu hören – kühler gesagt, ihren „Appell“ zu erfahren. (…)

Das Verstehen der Werke setzt die Unterbrechung der flüchtigen Wahrnehmung und des alltäglichen Gebrauchs der Werke voraus und kommt in Gang durch die Feststellung der Unverständlichkeit der Werke.

(…) Wir erkennen im „Appell“ oder in unserem Unverständnis die Aufforderung, mit der Tätigkeit des Verstehens zu beginnen. Wir können das Verstehen von Werken der bildenden Kunst allgemein als jene Tätigkeit umschreiben, durch die wir unser Unverständnis beseitigen wollen. Wir unterscheiden den „Appell“ der Werke, der sich an unser Verstehen richtet, von der Aufforderung an unser Verhalten, die z.B. von Plakaten ausgeht und zum Konsum von diesem oder jenem Bier leiten will. Ich glaube auch, dass wir einen Unterschied machen müssen zwischen dem Verstehen von Werken der bildenden Kunst und dem Verstehen beim Lesen von Texten. Klaus Weimar hat das Verstehen beim Lesen (den Vorgriff auf die folgenden Sätze und den Rückgriff auf das Gelesene) als einen „geistigen Reflex“ bezeichnet: Das Verstehen beim Lesen kann man nicht willentlich unterdrücken, es sei denn, man hört auf zu lesen.(3) Dagegen kann man Werke der bildenden Kunst gebrauchen oder wahrnehmen, ohne die Tätigkeit des Verstehens zu beginnen.“

(3) Weimar, Klaus: Enzyklopädie, §§ 285–297

Bätschmann, Oskar: Anleitung zur Interpretation: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, in: Belting, Hans: ebd, S. 201/202.

Brainiac

Gestern im Seminar „Die Anfänge der Porträtmalerei im 14. und 15. Jahrhundert“ hörten wir spannende Dinge über unter anderem Pisanellos Porträt des Leonello d’Este von 1441. Das sieht so aus:

Ich mag die Kodderschnauze unserer Dozentin sehr, die gerne mal mitten im Referat laut äußert, dass manche Kunsthistoriker aber auch total beknackte Theorien entwickelt hätten. „Auf was für Ideen die Herren manchmal kommen. Naja. Aber machen Sie mal weiter, bitte.“ Gestern hatten wir wieder eine solche Theorie.

Am Hof der Este war man Anhänger des neu entstandenen Humanismus und erinnerte sich an die Antike, die als Norm für viele Lebensbereiche gelten sollte. Leonollo ließ sich daher im Profil abbilden, ganz wie die antiken Herrscher auf ihren alten Münzen, und nicht im 3/4-Profil, wie es nördlich der Alpen um die Zeit schon Usus war. Auch hier konnte die Dozentin sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Es heißt ja immer, die italienische Renaissance wäre der Ausgangspunkt für quasi alles gewesen; vor Dürers Reise nach Italien hätte Nordeuropa noch keine Ahnung von anständiger Malerei gehabt. Das müssen Sie sich abschminken, dass alles mit den niedlichen Raffael-Bildern angefangen hat.“ Frau Gröner fasste sich an ihre kleine Nase und hörte weiterhin aufmerksam zu.

Das Lustige an unseren Referaten ist, dass wir so ziemlich alle keine Ahnung haben. Die meisten von uns sind im ersten Semester und vertrauen daher der Literatur, die wir so finden. Was bleibt uns übrig? Daher brachte die Referentin gestern auch im Brustton der Überzeugung die Idee vor, dass die seltsame Kopfform ein Hinweis auf die besondere Klugheit des Herrschers sei – Pisanello habe das Gehirn (!) des Fürsten betonen wollen. Woraufhin die Dozentin den oben zitierten Satz brachte und launig fragte, ab wann denn die Menschen überhaupt wussten, wie ein Gehirn aussähe. Ich erinnerte mich an Michelangelo und dass der lustig an Leichen rumgeschnippelt hatte, um die Muskeln zu sehen, die unter der Haut spielten und die Bewegungen erzeugten, die er darstellen wollte. Der Kurs war der gleichen Meinung – „so ab 1500?“ – und lag fast richtig: Leonardo da Vinci hatte sich schon vor Michelangelo für unser Gewebe interessiert. Pisanello aber noch nicht. Und von diversen niederländischen Gemälden kennen wir diese hoch anrasierten Schläfen, den ausrasierten Nacken und sogar die rasierte Stirn auch schon. „Der Gute hatte einfach viele Locken, und deswegen bauscht sich das bei ihm eben so. Aber nein, das ist nicht sein Gehirn, das behaupte ich jetzt einfach mal so.“

Ein weiteres Bildnis des Fürsten findet sich übrigens auf ebenfalls von Pisanello angefertigten Medaillen, auch so ein wiederentdecktes antikes Ding. Von Leonello gibt es fünf Medaillen, die an andere Höfe verschenkt wurden. Die Vorderseite ist stets sein Porträt, aber auf der Rückseite finden sich verschiedene Darstellungen. In der italienischen Wikipedia sind sie zu sehen, und laut der Referentin, die hier unwidersprochen blieb, können wir uns nur noch auf eine Rückseite einen Reim machen. Auf dieser Medaille sehen wir einen nackten jungen Mann in einer Art Busch liegen, und hinter ihm befindet sich ein Gefäß. Laut der Literatur, die ich hier wild aus dem Gedächtnis zitiere, spielt dieses Motiv auf die Vergänglichkeit des Körpers an, der nur ein Gefäß für unsere unsterbliche Seele ist. Kurz vor der Erstellung der Medaille hatte Este seine erste Frau verloren und beschäftigte sich seitdem mit Fragen zum Leben und zum Tod.

Alle anderen Medaillen bleiben uns verschlossen. Wir wissen nicht einmal, ob die damaligen Empfänger etwas mit ihnen anfangen konnten, aber: Das sollten sie auf jeden Fall. Ein beliebtes Spiel unter humanistisch eingestellten Menschen war es, sich derartige Rätsel aufzugeben. Doof, dass wir auch nach 500 Jahren noch keine Lösung gefunden haben, obwohl sich diverse Kunsthistoriker_innen bereits daran versucht haben, allen voran Aby Warburg. Ein Name, den ich fast jede Woche höre, zusammen mit Wölfflin, Morelli und Panofsky. Überhaupt erstaunlich, was in doch recht kurzer Zeit schon alles im Kopf hängengeblieben ist und unwillkürlich lustige neue Bahnen zu anderen Dingen knüpft, die da schon rumliegen wie Michelangelo-Biografien oder altdeutsche Malerei. Toll.

Oh noes!

Schnuffis – einer von euch herzensguten Menschen hat mir etwas an meine Hamburger Packstation geschickt. Das ist zuckersüß und ich schwimme in Dankbarkeit, aber: Ich bin gerade und für die nächste Zeit sowas von gar nicht in der Nähe dieser Packstation, so dass ich das Geschenk nicht abholen kann. Und der Kerl auch nicht, denn die güldene Karte zum Einlass ins Paradies habe ich natürlich dabei. Nämlich für die, ta-daa, Münchener Packstation, deren Adresse ich aber nicht rausrücke, damit hier bloß niemand was hinschickt, wenn ich in Hamburg bin.

Der Plan hat anscheinend nicht so supi funktioniert, weswegen du, lieber Versender oder liebe Versenderin, wahrscheinlich deine Post zurückbekommst. Das liegt, wie gesagt, nicht daran, dass ich eine undankbare Schnepfe bin, sondern daran, dass … das sagte ich ja gerade. Ich bin so aufgeregt, wenn ich weiß, dass irgendwo ein Geschenk für mich liegt. Womöglich ein Buch! DA LIEGT EIN BUCH FÜR MICH UND ICH KOMME NICHT RAN!

Nochmal meine äußerst zerknirschte Entschuldigung.

(Asche aufs Haupt streuend ab. Vorher noch schnell die Packstation-Adresse im Impressum gelöscht.)

< quote >

„Die Subjektivität ist in der Malerei nicht nur dadurch zur Geltung gekommen, dass sie in der privaten Sphäre rezipiert wurde. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Subjektivität auch ein Kriterium für die Herstellung von Malerei: Der Künstler objektiviert sich selbst in Malerei; sie wird zu einem Spiegel persönlicher Befindlichkeit und Empfindungskraft. Das Kunstwerk als Ausdrucksträger der seelischen Konstitution eines Genies entzieht sich allen Vorgaben durch bestellende kirchliche, politische oder mäzanatische Instanzen. Die Kunst geht gleichsam in Opposition zu den gegebenen gesellschaftlichen Normen. Der Künstler wird ein Sonderwesen, das auf Wahrhaftigkeit und Authentizität verpflichtet ist. Diese Autonomie des künstlerischen Schaffens hat Probleme erzeugt, die den Künstler in die Isolation getrieben haben. Doch die Avantgarden der Moderne haben diese neue Position des Künstlers nicht nur akzeptiert, sondern auch produktiv gehalten, indem sie gesellschaftliche Konventionen und gewohnte Wahrnehmungsformen immer wieder in Frage stellten und durch radikale Subjektivität eine Strategie der permanenten Zumutungen und Provokationen verfolgt haben. Nachdem die Öffentlichkeit von neuen Massenmedien versorgt wird, welche die alten Informations-und Indoktrinationsaufgaben der Malerei und der Grafik übernommen haben, können die bildenden Künste die Defizite und Abgründe, welche die Zivilisation dem Subjekt hinterlässt, artikulieren und durch freie ästhetische Gegenbilder zur gegebenen Ordnung zu deren Weiterentwicklung beitragen.“

Warnke, Martin: Gegenstandsbereiche der Kunstgeschichte, in: Belting, Hans u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte: Eine Einführung, Berlin 1985, 7. überarbeitete Auflage 2008, S. 39/40.

„Overview“

„On the 40th anniversary of the famous ‘Blue Marble’ photograph taken of Earth from space, Planetary Collective presents a short film documenting astronauts’ life-changing stories of seeing the Earth from the outside – a perspective-altering experience often described as the Overview Effect.“

Wunderschöner kurzer Film. Gut angelegte 20 Minuten. Via @remark.