Lache seit drei Wochen über diesen Tweet von Herrn Scholz. Musste ihn deshalb im Blog mit weniger als 140 Zeichen würdigen.

884

Ich habe selten schlechter geschlafen als nach dem Film, den ich Freitag abend in der ARD gesehen habe: Eschede Zug 884. Er wird heute abend im NDR um 21.45 Uhr wiederholt; falls also jemand eh vor hat, die ganze Nacht wachzubleiben – das wäre ein Tipp. Mich hat vor allem der Mann verfolgt, dem sein Bestatter weinend geraten hat, doch bitte nicht in die Särge zu schauen, in denen seine Frau und seine zwei Kinder liegen.

Der Film ist eine Mischung aus Aussagen von Überlebenden, Angehörigen und Helfern und Spielszenen, die sich anfangs ein bisschen nach Theater-AG anfühlen, einen aber nach kurzer Zeit dann doch erwischen. Vor allem natürlich, weil sie inhaltlich so schwer zu verdauen sind, denn wir wissen ja, wie die Zugfahrt endete.

Die Katastrophe von Eschede wird für mich immer – politisch völlig unkorrekt – ein bisschen absurd bleiben, denn ich habe von ihr per Mail erfahren, die mich eher zum Lachen als zum Weinen gebracht hat. Ich hatte die ganze Nacht gekellnert, war wahrscheinlich erst gegen 7 Uhr morgens oder noch etwas später zuhause und habe dementsprechend erst einmal Minimum 7 bis 8 Stunden geschlafen. Nach dem Aufstehen bin ich an den Rechner gegangen und habe meine E-Mails gecheckt – und eine war von Karl, der mir in seinem, für diesen Moment komplett unpassenden, niedlichen Deutsch sinngemäß schrieb: „Deutscher Zug kaputt, machen viele Menschen tot.“ Woraufhin ich erstmal den Fernseher angeschaltet habe.

Karl hat mir immer von den deutschen Zügen vorgeschwärmt, die ich ja als völlig normal empfinde und mir daher noch nie großartig Gedanken um sie gemacht hatte. Er war jedenfalls kaum davon wegzukriegen, jeden nur erreichbaren Weg mit der Bahn zu erledigen. Klar haben wir auch die standesgemäße Fahrt auf der Autobahn absolviert (“As fast as I want? Really?” – “Yup.”), aber das hat ihn weniger beeindruckt als unsere Züge. Vor allem der ICE hatte es ihm angetan: seine Geschwindigkeit, seine Sauberkeit, überhaupt das ganze Erlebnis „Bahnfahren“, was wir ja eher als „Muss halt sein“ hinnehmen, war für ihn jedesmal ein Urlaub im Urlaub.

Am letzten Tag seines ersten Deutschlandaufenthalts habe ich mich frühmorgens mit ihm zusammen in Hannover in den ICE gesetzt, um mich erst in Frankfurt von ihm verabschieden zu müssen. Karl war völlig überdreht und schwankte ständig zwischen Vorfreude auf Zuhause, dem Abschied von seinem, wie er es nannte, zweiten Heimatland – und der anscheinend nie versiegenden Freude, in einem ICE zu sitzen.

Seitdem bin ich etwas gnädiger mit der Bahn. Ich ärgere mich nicht mehr über Verspätungen im Minutenbereich, weil es einfach lächerlich ist, sich über sowas aufzuregen. Ich versuche es zu genießen, dass ich mit einem Buch vor der Nase bequem von A nach B chauffiert werde, anstatt mir die Autobahn mit lauter Irren zu teilen, die nicht wissen, was das Wort „Sicherheitsabstand“ bedeutet, was, wenn man mal kurz darüber nachdenkt, schlimmer ist als der zu laute iPod des Nebenmannes oder das Dauertelefonat des Businesskaspers vor einem im Zug. Auch wenn beides nervt.

Ich fühle mich im Zug nie unsicher. Ich denke zwar ab und zu darüber nach, warum man im Flugzeug angeschnallt ist, aber nicht in der Bahn, aber eigentlich hätte ich noch lieber Sicherheitsgurte in Bussen, weil die Jungs gefühlt immer zu schnell fahren.

Ein entfernter Bekannter von mir, zu dem ich keinen Kontakt mehr habe, hat im Zug 884 gesessen. Ich habe damals nicht mit ihm geredet, aber mir etwas näher stehende Bekannte haben mir gesagt, dass er nie darüber gesprochen habe. Sie wussten, dass er im Zug war. Und mehr wissen sie vielleicht bis heute nicht.

Mondrian Dress, 1965.
Yves Saint Laurent, 01.08.1936–01.06.2008

Charlie Wilson’s War

Kongressabgeordneter Charlie Wilson ist kein Kind von Traurigkeit. So zeigen einige der Anfangsszenen in Charlie Wilson’s War (Der Krieg des Charlie Wilson) ihn entspannt im Whirlpool mit Stripperinnen oder in einer Limousine beim Koksen. Kaum zu glauben, dass dieser Charlie Wilson fast im Alleingang für die Waffenlieferungen an die Mudschaheddin in Afghanistan verantwortlich war, die schließlich die Sowjetunion 1989 zum Rückzug zwangen.

Wilson wird durch eine reiche Gönnerin aus seinem texanischen Wahlkreis auf die Lage der „Freiheitskämpfer“ (Anführungszeichen von mir) in Afghanistan aufmerksam. Sie arrangiert sogar ein Treffen mit dem pakistanischen Präsidenten, in dessen Land sich Millionen von Afghanen geflüchtet haben. Ein Besuch in einem Flüchtlingslager überzeugt Wilson endgültig davon, dass er bzw. seine Regierung in diesen Krieg eingreifen muss. Und so lässt er alle seine Beziehungen spielen, von denen er im Laufe seiner Abgeordnetentätigkeit genügend gesammelt hat. Diverse Ausschüsse bewilligen ihm Geld, um eine geheime Mission zu starten: Ohne dass die Sowjets es mitbekommen, engagieren sich die USA in Afghanistan – mit Waffen, die denen der Sowjets gleichen, damit kein Verdacht auf die USA fällt.

Charlie Wilsons’s War ist sehr zwiespältige Unterhaltung – eben Unterhaltung und war verdammt gute, aber so richtig freuen mag man sich mit Charlie (Tom Hanks), seiner Gönnerin (Julia Roberts) und seinem cleveren Spielgefährten von der CIA (Philip Seymour Hoffman) dann doch nicht, weil wir inzwischen wissen, was aus Afghanistan wurde. Wilson sagt es selbst schön am Schluss des Films, nachdem er vergebens darum kämpft, nach dem vielen Geld für die Waffen jetzt Geld für Schulen zu bekommen: „These things happened. They were glorious and they changed the world … and then we fucked up the endgame.“

Der Film zeigt, dass Weltpolitik manchmal bei einem guten Whiskey gemacht wird, dass jeder mit einer Mission sich am besten aus der Politik komplett raushalten sollte und dass diese Welt ein ziemliches Dorf ist, wenn es um internationale Verflechtungen geht. Gleichzeitig zeigt er, wie unterhaltsam das große Spiel sein kann. Und das macht ihn ein bisschen unheimlich.

27 Dresses

In 27 Dresses geht es um Jane (Katherine Heigl), die bereits 27-mal Brautjungfer war, aber noch niemals Braut. Und da wir ja wissen, dass Heiraten und weiße-Kleider-Kaufen das einzige ist, worauf wir Frauen so hinfiebern, können wir uns total supi in die dusselige Kuh hineinversetzen, die ein ums andere Mal für andere Leute Hochzeiten ausrichtet, weil sie es halt so toll findet, auf Hochzeiten zu sein. Zzzzz.

In Janes kleinem Universum kommen noch ihre obernervige Schwester vor, die ihr ihren seit Jahren angehimmelten Traummann vor der Nase wegschnappt, und ein Reporter, der fürchterlich romantisch über Hochzeiten schreibt, aber angeblich alle total panne findet – also alles Charaktere, die man so überhaupt nicht ins Herz schließen möchte und die einem den ganzen Film lang egal bleiben. Alles zusammen ergibt dann einen holprigen Plot über einen Zeitungsartikel, der gar nicht erscheinen soll, ein verpatztes rehearsal dinner, bei dem man sich als Zuschauer so richtig, richtig unwohl fühlt, und die vorhersehbarste Romanze aller Zeiten. Fürchterlich. (Und ich MAG Hochzeiten!)

P.S. I Love You

P.S. I Love You (P.S. Ich liebe Dich) fängt eigentlich ganz nett an: mit einem streitenden und sich zackzack wieder versöhnenden Pärchen, bestehend aus Hillary Swank, die bitte nie wieder Mädchenfilme drehen sollte und Gerard Butler, den ich eingeölt und Perser verkloppend auch irgendwie überzeugender fand. Dann bricht die übliche Romantic-Comedy-Rezeptur, indem der Göttergatte stirbt – und findet sie sofort wieder, indem die Witwe Briefe von ihm bekommt, die er ihr vor seinem Tod durch Tumor geschrieben hat. Darin fordert er sie auf, Dinge zu tun, die sie schon lange aufgeschoben hat, Dinge, vor denen sie sich fürchtet – und irgendwann kommt auch eine gebuchte Reise nach Irland, dem Heimatland des GG, wo die grünen Hügel so kuschelig rumplustern und die beiden sich zum ersten Mal geküsst haben (was Swank als den perfekten Kuss beschreibt, aber dabei so unbehaglich aussieht wie beim Zeckenrausdrehen) und alle sich irgendwie kennen und die Pubs so heimelig sind und … sorry … wo waren wir? Ach ja: eine gebuchte Reise nach Irland, die Schniefi-Swank mit ihren wunderbaren und viel lustigeren Freundinnen Lisa Kudrow und Gina Gershon antreten darf.

Ab da kippt der Film leider völlig ins Schmalztöpfchen. Was vorher noch zuckersüß und vorhersehbar, aber nett schnuffig war, wird nun fürchterlich klebrig. Die Idee mit den Briefen verkommt zu einem billigen Vehikel, um die Story in langweilige Flashbacks zu zwingen, die überhaupt nicht nötig gewesen wären. Man bekommt bereits in den ersten 20 Filmminuten alle Charaktere mit all ihren Eigenschaften auf dem Silbertablett erklärt, da brauche ich keine ewigen Rückblenden, um vielleicht noch Nuancen hinzuzufügen. Dadurch wird P.S. I Love You langsam und nervigerweise immer, immer unerträglicher, bis man sich wirklich danach sehnt, dass endlich der letzte Brief ankommt. Was er dann auch tut, und dann kommen nochmal zehn Minuten Film, die einem endgültig allen Spaß verderben.

Before the Devil Knows You’re Dead

Before the Devil Knows You’re Dead (Tödliche Entscheidung) versammelt eine illustre Riege an Darstellern (Philip Seymour Hoffman, Albert Finney, Ethan Hawke, Marisa Tomei) und steckt sie in ein sehr dichtes Skript über einen Raubüberfall, der eigentlich ein Kinderspiel werden sollte, aber natürlich komplett daneben geht.

Der Film erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven und springt dabei in der Zeit vor und zurück. Wir erfahren, warum sich wer für eine bestimmte Aktion entschieden hat und sehen bei den meist desaströsen Konsequenzen zu. Es fühlt sich ein bisschen so an, wie bei einer Kettenreaktion dabeizusein; man ahnt bereits nach der ersten Szene, dass es ab jetzt nicht mehr viel zu lachen gibt und jeder kleine Glücksmoment bitter bezahlt werden muss. Dabei verzichtet der Film auf wilde Actionsequenzen und einen reißerischen Soundtrack, sondern erzählt einfach unbarmherzig seine böse Story.

Devil ist Kino ganz alter Schule: starke Charaktere, ein gutes Drehbuch, kein Satz zuviel, keiner zuwenig. Und so sehr ich Hoffman liebe, diesmal stiehlt ihm Albert Finney als gebrochener Ehemann komplett die Show. Marisa Tomei hat nicht viel zu tun außer unsympathisch zu sein, und Ethan Hawke kommt im Vergleich zu Hoffman und Finney auch eher als over-acting daher. Trotzdem passt alles zusammen. Und sogar der Titel ist klasse: Er entspringt einem irischen Trinkspruch (sagt jedenfalls die IMDB), der komplett lautet: „May you have food and raiment, a soft pillow for your head; may you be 40 years in heaven, before the devil knows you’re dead.“ Und auch das kriegen die Figuren leider nicht hin.