Für Emilia zum vierten Geburtstag

Liebe Emilia,

heute wirst du vier Jahre alt. Das ist schon ziemlich alt, und du kannst auch schon ziemlich viel: Du kannst vor allem „Nein!“ sagen, was du wirklich erst lernen musstest.

Seit zwei Jahren ist nämlich Lotta da, deine kleine Schwester. Und weil die noch nicht so viel weiß wie du und so gut erzogen ist wie du, nimmt sie sich einfach dein Spielzeug, obwohl sie das nicht darf, oder will deinen Trinkbecher haben, obwohl sie selbst auch einen hat. So sind kleine Schwestern eben. Ich kenne das. Und so wie deine Eltern ab und zu „Nein“ zu dir sagen, wenn du auf viel zu hohe Dinge raufklettern oder von ihnen runterspringen willst, sagst du jetzt laut und deutlich „Nein“ zu Lotta, damit die kleine Nervensäge endlich dein Spielzeug in Ruhe lässt. Richtig so.

Eins der Dinge, von denen du bitte nicht runterspringen sollst, ist dein neues Hochbett. Oben drauf kann man prima schlafen oder lesen (GUTES KIND!), und unten drunter sind deine Tonnen von Spielzeug. Deine Eltern haben mir gesagt, dass du sehr gerne oben im Bett liegst und runterguckst. Ich muss dir allerdings ein Geheimnis verraten: Als ich einmal deine Mutter besucht habe, als du im Kindergarten warst, saß Lotta in deinem Bett und hat eins deiner Bilderbücher durchgeblättert. Und es sah nicht so aus, als wäre es das erste Mal, dass sie da sitzt … ich hoffe, du nimmst ihr das jetzt nicht übel. So ein Hochbett ist aber auch zu toll, um es nicht zu teilen. Gewöhn dich lieber jetzt schon daran, dass dir nichts mehr allein gehört. Ich kenne das.

Wenigstens dein Weihnachtsgeschenk musstest du nicht teilen. Deine Eltern haben mir aufgetragen, dir ein Wichtelbuch zu schenken, das ich natürlich erstmal selbst lesen musste, bevor ich es dir geschenkt habe. Ich hoffe, das war okay. Zu Weihnachten hast du es dann auch vorgelesen bekommen – während Lotta sich an deinem Puppenhaus zu schaffen gemacht hat und mit dem kleinen Puppenwandschrank geschmust hat. Mein zweites Geschenk war ein riesiger Schokoladenweihnachtsmann, der aber nicht ganz deinen Geschmack getroffen hat. Du fandest die goldene Glocke, die dem Weihnachtsmann als Gürtel diente, viel spannender. Gut für mich: Nächstes Jahr behalte ich die Schokolade und schenke dir nur die Glocke.

Wir haben dieses Jahr auch einige Male miteinander gespielt. Du hast neuerdings eine Holzeisenbahn, deren Schienen man zusammenstecken muss, bevor man die kleinen Waggons darauf fahren lassen kann. Das Spannende daran ist, dass man die Schienen hinlegen kann wo man will. Und wenn die Patentante schon mal da ist, kann man die Schienen ja um sie herumlegen. Wofür man auf der Patentante rumklettern muss. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich es toll, eine gewisse Körperfülle zu besitzen, denn anscheinend fasse ich mich ganz anders an als deine schlanken Eltern. Jedenfalls bist du fröhlich quietschend auf mir rumgekrabbelt und konntest es anscheinend gar nicht glauben, wie lange es dauern kann, über einen Erwachsenen rüberzukommen. Vor allem, wenn der sich dauernd bewegt und dir Knie oder Schultern in den Weg stellt. Kein Wunder, dass unsere Bahn nie fertig geworden ist.

Seit einiger Zeit gehst du in den Kindergarten. Und das ist ein ganz besonderer, denn es ist ein Waldkindergarten. Du kannst den ganzen Tag draußen herumtoben und buddeln und Fangen spielen … was du aber nicht machst. Anscheinend findest du es viel schöner, alleine im Wald herumzustehen und dich einfach nur umzugucken. Dein bester Freund Bruno ist genauso drauf, und so steht ihr zusammen wie zwei kleine Fliegenpilzmännchen im Wald und seht euch die Natur an. Die Betreuerinnen haben euch ein drittes Kind „dazugestellt“, damit ihr beiden Träumerle mal ein bisschen mehr in Schwung kommt, aber stattdessen habt ihr dieses Kind friedlich assimiliert, und so ist es jetzt auch ein Fliegenpilz und schaut mit euch entspannt Himmel, Bäume und Vögel an, ohne sich vom Rest der wuselnden Kindergruppe beeindrucken zu lassen.

Bruno ist meiner Meinung nach etwas mehr als dein bester Freund. Du verbringst des Öfteren deine Nachmittage bei ihm, während deine und seine Mutter ein bisschen plaudern. Ich glaube, er hat dir ziemlich den Kopf verdreht, denn wenn du bei ihm bist, vergisst du, dass du eigentlich schon aufs Töpfchen gehen kannst – weswegen deine Mutter auch immer Sicherheitswindeln dabeihat. Auch daran kannst du dich schon mal gewöhnen. Also nicht, dass deine Mutter dich mit Windeln zu deinem Freund begleitet, sondern dass Kerle dir den Kopf verdrehen und dich Dinge vergessen lassen. Zum Beispiel, dass du total toll bist und es gar nicht nötig hast, dir von irgendwelchen Kerlen den Kopf verdrehen zu lassen. Aber da reden wir in zehn Jahren nochmal drüber. Oder in 20, wenn’s nach deinem Vater ginge.

Vielleicht verliebst du dich aber nicht in einen Mann oder eine Frau, sondern in – eine Krankheit! Denn als du vor ein paar Monaten Windpocken hattest, fandest du die vielen kleinen roten Punkte zwar nervig und kratzig und überhaupt ist das Leben eines der schwersten, aber zugleich total schön. Jedenfalls hast du deinem Vater gesagt, dass, wenn du den Schlafanzug zuhalten würdest, deine Windpocken nicht rausfallen und verschwinden könnten.

Liebe Emilia, ich wünsche dir immer so viel Fantasie (auch ohne Fieber), gute Freunde, kleine Schwestern (in 30 Jahren wirst du Lotta total toll finden. Versprochen. Ich kenne das) und Eltern, die dich mit Spielzeug überschütten, so dass für mich nie was zum Kaufen übrig bleibt. Und ich wünsche dir vor allem weiterhin die Gelassenheit, deine Welt erstmal in Ruhe anzugucken anstatt hektisch mit Eimerchen und Schäufelchen in ihr rumzuwühlen.

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke

Der Tag wird besser: Mange Tak an DHL, dass sie nicht nur ne Karte an die Tür geklebt, sondern mir ein Geschenk BIS IN DEN ZWEITEN STOCK getragen haben. Die „stille Mitleserin Christina“ hat sich mit Cars bei mir fürs „manchmal einfach aus der Seele schreiben“ bedankt. Vielen, vielen Dank zurück. Nen besseren Tag hättest du dir nicht aussuchen können.

Daft Punk sind zum Kotzen

Das erste Mal, als ich gemerkt habe, dass ich älter und damit gebrechlicher werde, war an meinem 30. Geburtstag. Könnte auch Autosuggestion gewesen sein, denn so ziemlich jeder Gratulant gröhlte mir entgegen: „Ab 30 geht’s abwärts! Jetzt tut jede durchzechte Nacht weh, wart’s ab!“ Und so erlitt ich denn auch nach einer etwas zu alkoholgetränkten Party einen fiesen Kater, wie ich ihn seit meinem 16. Geburtstag nicht mehr hatte, denn an diesem Tag vor 14 Jahren hatte ich zum ersten Mal dem Hochprozentigen zugesprochen. Ich habe mich selten so mies gefühlt wie am Morgen danach und habe mir daher angewöhnt, halbwegs „vernünftig“ zu trinken. Jedenfalls hatte ich danach nie wieder einen Kater – bis zum erwähnten 30. Geburtstag. Dieser zweite Kater führte dazu, dass ich seitdem den Ruf eines totalen Partypupsers habe: Ich komme frühzeitig, bleibe bei einer Getränkesorte und gehe genauso frühzeitig. Aber dafür komme ich am nächsten Tag schon vor 16 Uhr und ohne jede körperliche Nachwirkung aus dem Bett und hab was vom Tag. (Vulgo: kann viele DVDs gucken, was mir persönlich lieber ist als besoffene Konversationen morgens um 3.)

Das zweite Mal, dass mir mein altes Körperchen mitteilte, dass der süße Vogel Jugend auf ewig davongeflogen ist, war gestern.

Ich erwähnte ja im Blog, dass die wunderbaren Daft Punk einem Fan gestattet hatten, ihre Musik mit Millionen von YouTube-Schnipseln zu einem Konzertvideo zusammenzuschneiden, da die Band mit ihrer selbstproduzierten Tour-DVD nicht zufrieden war. Und so wurde aus lauter Handyvideos ein langes Video, das man ab Samstagabend runterladen konnte. Was ich Sonntag gemacht und dann auch gleich gespannt angeguckt habe.

Ich war von der Atmosphäre völlig begeistert. Gerade das Wackelige, manchmal Unzusammenhängende, Raue ließ einen das Konzert ganz anders erleben als eine perfekte, gradlinige DVD. Ich habe zwar nach ein paar Minuten gemerkt, dass das Scheinwerfergeflacker durch die Wackelkameras etwas nervig ist, aber richtig gestört hat es mich nicht. Ich grummelte noch was von „Epilepsiewarnung wäre vielleicht nicht schlecht“ und war auch kurz davor, es als Antwort auf Heiko zu twittern, hab’s aber gelassen.

Aber nach 30 Minuten wurde mir langsam etwas flau im Magen. Ich schob es auf das eben genossene Risotto, bei dem ich ja nie aufhören kann, guckte noch ein bisschen, merkte aber, dass die Übelkeit davon eher zunahm. Also hab ich gelesen, ein bisschen Haushaltsquatsch gemacht, wieder gelesen … aber übel war mir immer noch. Auch das abendliche Fußballspiel hat mich nicht abgelenkt – ganz im Gegenteil, die Kamerabewegungen und die flinken Fußballer haben das eklige Gefühl im Bauch noch verstärkt. Und als ich kurz zum Kerl meinte, dass mir irgendwie seit Stunden schlecht sei und ob das wohl, haha, die Schuld von Daft Punk sei, meint er nur: motion sickness. Kann schon sein.

Jetzt weiß ich, dass mein Gehirn zu doof ist, zwei Dinge zusammenzubringen: meinen Körper, der ruhig und entspannt auf dem Sofa lungert, und meine Augen, die völlig hysterisch in Paris-Bercy auf einem Konzert mitwippen, -hampeln, -hüpfen und alle zwei Millisekunden ein neues Blickfeld haben. Nachts war mein Gehirn dann auch unfähig, meinem Magen zu sagen, dass allet jut ist und er jetzt nicht ins Bad will, um sich zu entleeren. Und selbst heute Morgen sagt mein Hirn mir noch, dass mir schlecht ist und ich die Mittagsverabredung lieber sausen lassen sollte und dass ich anscheinend über Nacht zu alt geworden bin, um mich mit Dingen zu beschäftigen, die sich schneller bewegen als eine Schnecke.

Ich bestelle ab jetzt nur noch Bücher im Großdruck, würze mein Essen nicht mehr und werde überhaupt dazu übergehen, Computerspieler, das Internet und diese komische Jatzmusik zu verteufeln.

(Aber erst mal muss ich noch ins Bad. Ihr entschul

Yay, I got knet’d. (Grandioser Beitrag zur Teddybärenwoche.)

Heute, Samstag, wird um 21 Uhr nicht Fussi geguckt, sondern Daft Punk geladen. Die Story gibt’s bei René, und hier ist die Seite, auf der ich jetzt schon zwanzigmal hintereinander One More Time angeguckt hab.

Herr Niggemeier hat eine – zumindest auf der Bühne – äußerst unterhaltsame Urlaubsvertretung.

Peter Gabriel singt Schock den Affen. Noch mehr deutsche Versionen auf der MP3-Seite von April Winchell, über Umwege via dem Teilzeitgiganten sein Getwittere.

Stellvertretend für meine Muttersprache möchte ich sagen: I feel violated.

The Day There Was No News, via Fernsehlexikon.

Da brütet man seit Tagen über einem Text und kriegt es überhaupt nicht hin, das zu sagen, was man sagen will, und dann kommt eine andere daher und macht genau das. Daher lösche ich meinen verblubberten Entwurf und verlinke stattdessen mal wieder Andrea:

„Es gibt Blogs, die sind für fünf Leser wahnsinnig relevant, denke ich laut in den Raum, in dem die Studenten schwitzen. Und welche, die sind für hunderte Leser eher so mittelwichtig. Welches ist jetzt relevanter? Man kann ja nicht so tun, als sei das ein absoluter Wert und meßbar. Das ist, im Gegenteil, eine Kategorie von entsetzlicher Schwammigkeit, noch schwammiger als Verlinkungen zählen oder Page Views. Und selbst das bezieht sich auf einzelne Einträge oder bestenfalls Momentaufnahmen eines Blogs, aber so ein Blog, das ist ja im Fluß und kann ständig an Relevanz gewinnen oder verlieren, gesetzt den Fall, es gibt überhaupt so etwas wie Relevanz.“

(via Vorspeisenplatte, durch deren Kommentare (ich geb’s ja ungern zu) ich das grandiose Wort „Palästinensersystem“ gelernt habe. Aber das ist total irrelevant, du.)

Ein Herz geht auf Reisen

Ich lese bei Moni am liebsten ihre Reisegruppenerlebnisse. Vielleicht, weil ich mich dauernd an die eigene Nase fasse, denn ich war bereits dreimal Teil einer solchen.

Ich hatte es im Blog schon mal erwähnt: Die Konfirmationsgeschenke für Schwesterlein und mich waren jeweils eine dicke, fette Reise, wohin wir wollten. Mit der ganzen Familie. Für mich als eingefleischten Ägyptenfan, die man mit zehn Jahren fast gewaltsam von der Totenmaske des Tutenchamun in der Wanderausstellung wegzerren musste und die sich ihre Kindheit mit Büchern wie „So wurden die Pyramiden gebaut“ vertrieben hat, gab’s natürlich nur ein Ziel. Meine Schwester wollte eigentlich nach Amerika, aber der Familienrat überzeugte sie liebevoll davon, dass sie doch viel lieber nach China wolle.

Es gingen ein paar Jahre nach der Konfirmation ins Land, denn zu Schulzeiten wären ja nur die Sommerferien für große Reisen in Frage gekommen, und im Sommer will niemand nach Ägypten oder China. 1991 war es dann soweit: Ich war inzwischen acht Jahre lang konfirmiert, und endlich wurden die Koffer gepackt. Mama und Papa buchten eine Reise bei einem kulturbeflissenen Veranstalter – und wir wurden nicht enttäuscht. Unsere Reiseleiterin sprach fließend Arabisch und machte uns gleich am Anfang auf wichtige Sachen aufmerksam wie „Immer viel Wasser trinken“ und für die Mädels „Es wäre respektvoll, wenn Sie nicht allzuviel Haut zeigen und die Haare bedecken würden“. Überhaupt war das mein Haupteindruck, den die Dame vermittelte: Respekt, sowohl vor der alten Kultur als auch vor den Gepflogenheiten des modernen Ägypten. Im Gegensatz zu den local guides, die gerne mal mit schweißnassen Händen auf uralte Malereien patschten, um auf sie hinzuweisen.

Die Reiseleiterin hatte, soweit ich mich erinnere, mehrere Jahre in Ägypten gelebt und konnte daher wirklich jede Frage beantworten, die die 20-köpfige Gruppe an sie hatte. Ganz egal, welches Grab oder welches Museum (oder welchen Touriladen für Souvenirs) wir gerade besuchten, sie wusste alles und konnte zu allem kleine Geschichten erzählen, die alles fassbarer werden ließen. In so ziemlich jedem Tempel gab es Reliefs, Bilder oder Hieroglyphen, die anders waren als der Rest, und sie konnte so begeisternd davon erzählen, dass man wirklich das Gefühl hatte, gerade etwas ganz Besonderes erlebt zu haben. Am Ende der Reise ging im Bus, mit dem wir durchs Land geschaukelt sind, der obligatorische Umschlag rum, und wir füllten ihn bis zum Rand mit Scheinen. Der Fragebogen des Veranstalters konnte unsere Lobeshymnen kaum fassen.

Zwei Jahre später, China. Ich dachte, so gut wie in Ägpyten kann’s ja gar nicht werden – und wurde eines Besseren belehrt. Diesmal war unsere Reiseleiterin etwas jünger (ich schätze, Ende 20); sie hatte ein Jahr in Nanjing studiert und sprach fließend Mandarin. Auch diesmal war ein Reisebus unser bevorzugtes Verkehrsmittel. Wir sind auf unserer Reise von Peking nach Hong Kong zwar auch geflogen und mit dem Zug gefahren, aber meist saßen wir stundenlang im Bus. Nebenbei: China ist verdammt groß.

Nun hätte es sich unsere Reiseleitung ja mit einem Buch vorne im Bus bequem machen können, aber stattdessen schnappte sie sich auf jeder Fahrt das Mikrofon und erzählte, was ihr gerade so einfiel. Auf der Fahrt zur Großen Mauer, die von unserem Hotel in Peking eine gute Stunde weg war, erzählte sie uns mal eben die Stadtgeschichte der Hauptstadt. Oder sie sprach über das Klima. Über die Schulausbildung. Über die Ein-Kind-Politik. Alles, was man schon mal in Schlagworten gehört oder im Reiseführer gelesen hatte – und sie machte große Geschichten daraus. Sie erklärte uns einige chinesische Schriftzeichen, erwähnte im Süden Chinas das beliebte Sprichwort zu den dortigen Essgewohnheiten („Wir essen alles, was vier Beine hat, außer einem Tisch und alles, was fliegt, außer einem Flugzeug“) und sprach über das eher pragmatische Verhältnis der Chinesen zu Tieren. Bei dem Diavortrag, den ich nach der Reise für Freunde und einige VHS-Kurse gehalten habe, kamen die Fotos von den Märkten auch immer gut an – für uns ein Kuscheltier, für andere Leute Mittagessen.

Ihre Vorträge waren allerdings immer im Einklang mit den offiziellen Sprachregelungen, denn auf der gesamten Reise begleitete uns ein Wachhund der Partei, der brav aufpasste, dass sie nichts Falsches sagte. So war ihre Begrüßung auf dem Platz des Himmlischen Friedens dann auch eher knapp: „Das ist der Platz des Himmlischen Friedens. Er ist mit 600 mal 800 Metern der größte Platz der Welt. Sie haben eine Stunde Aufenthalt.“

Aber abends, wenn der Wachhund in seinem Hotelzimmer lag, gab es Nachschlag für die, die noch Lust hatten. Dann hieß es beim Abendbrot ganz offiziell: „Ich würde gerne mit Ihnen noch kurz über den morgigen Tagesablauf sprechen – vielleicht treffen wir uns in einer halben Stunde noch in der Lobby?“ Was übersetzt hieß: Ich hätte da noch was zu erzählen über die Situation von Behinderten in China, von religiösen Minderheiten oder die Stellung der Frau.

Der Höhepunkt dieser Heimlichtuereien war ein Besuch bei einem ehemaligen Studienkollegen der Reiseleiterin in Nanjing. Sie hatte uns ausreichend Taxen organisiert, die alle brav vor dem Hotel warteten und sofort losfuhren, als wir drinsaßen. Unsere Fahrt endete in einem gewöhnlichen Mietshaus und einer Zwei-Zimmer-Wohnung, in deren einem Zimmer sich plötzlich 25 Europäer auf dem Fußboden um einen amüsierten Chinesen herumsetzten, der uns auf Englisch etwas über den Alltag in China erzählte.

Auch das chinesische Essen war mit ihr etwas Besonderes: Sie hat uns nämlich nie gesagt, was wir da gerade auf den Tellern vor uns haben. Ihr Standardspruch: „Sie kosten jetzt erstmal, und dann sag ich Ihnen, was es war.“ So habe ich Maden gegessen (die waren im Reis versteckt!), Hühnerkrallenhaut, Froschschenkel, Qualle (angeblich), Rinderspeiseröhre und weißdergeier was noch. Und lustigerweise hat alles geschmeckt.

Auch hier war am Ende der Reise der Trinkgeldumschlag meterdick, und ich habe angefangen, Studiosus jedem und jeder weiterzuempfehlen.

Nach der Reise nach Israel, die nur meine Mutter und ich gemacht haben (meine Schwester ist dafür mit Papa auf die Philippinen geflogen, wo Papa früher gearbeitet hatte), bin ich damit etwas vorsichtiger geworden, denn da hatten wir das genaue Gegenteil der Traumreiseleiterinnen. Die Dame konnte kein Hebräisch (Englisch reden kann ich auch alleine), blätterte gerne nochmal im Reiseführer, bevor sie uns irgendwas erzählte und kam meistens als letzte zum Reisebus, in dem sie dann noch schnell ein Nickerchen machte, bevor mal wieder eine Besichtigung stattfand. Die waren auch eher von „Gucken Sie sich ruhig um – wir sehen uns in einer Stunde im Bus!“ gekennzeichnet anstatt von begeisternden Führungen. Trotzdem habe ich natürlich viel gesehen und viel mitgenommen, aber dieses Gefühl, etwas ganz Besonderes geschenkt bekommen zu haben, hat sich überhaupt nicht eingestellt.

Inzwischen reise ich lieber alleine und gucke mir an, worauf in spontan Lust habe. Aber ich weiß, dass ich sicher nochmal eine Gruppenreise buchen werde, denn so nervig es ist, sich selbst im Urlaub mit irgendwelchen Nasen arrangieren zu müssen, so toll ist es auch, eine perfekt geplante Reise auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

PS: Ich kann’s ja doch nicht lassen: Auf der Wikipedia-Seite zu Tutenchamun findet sich dieser Link zu einer unglaublichen Sammlung von Fotos von der Ausgrabung durch Howard Carter. Obacht, stundenlanges Festlesen und Rumklicken garantiert. Also bei mir jedenfalls. („Oooooh, die Alabastergefäße für die Eingeweide …“)

Futtern beim Fussi – der Rezeptor. Via La puce.

„Meine Tante bewohnte strenggenommen nur noch zwei zusammenhängende Zimmer: am Nachmittag ruhte sie in dem einen aus, während das andere gelüftet wurde. Es waren typische Provinzzimmer, die – so wie in manchen Ländern ganze Teile der Luft oder des Meeres von Tausenden von Urtierchen flimmern oder duften, die wir mit dem Auge nicht warhnehmen können – uns durch die Vielheit der Düfte entzücken, die von den Tugenden, der Weisheit, den Gewohnheiten, einem unsichtbar überquellenden Geistes- und Gefühlsleben herrühren und die die Luft dort in sich aufbewahrt; gewiß waren auch natürliche Gerüche dabei, solche, die, von Zeit und Wetter gefärbt, die gleichen sind wie die auf dem freien Land, aber doch schon verwandelt, vermenschlicht und zahm geworden durch ihr Verweilen im Hause, ein erlesenes, emsig hergestelltes, durchscheinendes Destillat aus allen Früchten des Jahres, die den Garten verlassen haben, um im Schrank zu enden. Jahreszeitlich gebunden, den Geräten und Wesen des Hauses zugeordnet, den würzigen Duft des Fruchtgelees durch den sanften Ruch des warmen Brotes mildernd, schläfrig und wachsam zugleich wie ein ländliche Kirchturmuhr, wandernd und seßhaft, gleichmütig und vorbedacht, von frischer Wäsche, vom Morgen, von Frömmigkeit durchhaucht oder ruhend in einem Frieden, der nur um so zaghafter macht und eine Prosa bedingt, die für den, der in sie hineingerät, ohne darin leben zu müssen, einen unerschöpflichen Vorrat am Poesie darstellt. Die Luft ist dort gesättigt vom zarten Hauch einer Stille, die so bekömmlich ist, so lockend, daß ich mich mit einer Art von Gier in sie hineinbegab, besonders in den noch kühlen Morgenstunden der Osterwoche, wo ich am meisten Sinn dafür hatte, da wir ja eben erst in Combray angekommen waren: bevor ich zu meiner Tante durfte, um ihr guten Morgen zu sagen, mußte ich einen Augenblick im ersten Zimmer warten, in dem die noch winterliche Sonne sich an dem bereits zwischen den beiden Ziegelsteinen angezündeten Feuer zu wärmen versuchte, das dem ganzen Raum einen leichten Räucherduft mitteilte und eine jener großen Backofenstuben daraus machte, wie man sie auf dem Lande hat, oder auch etwas wie die in Schlössern anzutreffenden mächtigen Kaminvorbauten, unter deren Schutz man sich wünscht, es möchte draußen regnen und schneien ode sogar eine sintflutartige Katastrophe eintreten, damit man um so mehr die Behaglichkeit des Geborgenseins gemischt mit der Poesie des Winterschlafes genießen könne; ich ging hin und her zwischen dem Betschemel und den Sesseln mit den Bezügen aus gepreßtem Velours, auf deren Kopfteil stets ein gehäkeltes Deckchen lag; das knisternde Feuer machte inzwischen aus den appetitlichen Gerüchen, von denen die Luft im Zimmer gesättigt war, eine Art von festem Teig, der in der feuchten, durchgesonnten Morgenluft schon „aufgegangen“ war, es walkte ihn aus, ließ ihn goldgelb werden, faltete ihn zusammen und trieb ihn locker auf, so daß schließlich unsichtbar und doch greifbar ein ganz bestimmtes provinzübliches Backwerk daraus wurde, ein riesiger sogenannter „Chausson“, in dem ich mit uneingestandener Begehrlichkeit, sobald ich auch noch die trockneren, feineren, edleren, aber auch abgelagerteren Gerüche des Wandschrankes, der Kommode, der mit Laubornamenten geschmückten Tapete in mich aufgenommen hatte, nach dem vermittelnden weichen, faden, unassimilierbaren und fruchtigen der geblümten Bettdecke suchte.“

Marcel Proust, In Swanns Welt/Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Suhrkamp Taschenbuch 644, 1953, Seite 69, Übersetzung von Eva Rechel-Mertens

„Ma tante n’habitait plus effectivement que deux chambres contiguës, restant l’après-midi dans l’une pendant qu’on aérait l’autre. C’étaient de ces chambres de province qui, – de même qu’en certains pays des parties entières de l’air ou de la mer sont illuminées ou parfumées par des myriades de protozoaires que nous ne voyons pas, – nous enchantent des mille odeurs qu’y dégagent les vertus, la sagesse, les habitudes, toute une vie secrète, invisible, surabondante et morale que l’atmosphère y tient en suspens; odeurs naturelles encore, certes, et couleur du temps comme celles de la campagne voisine, me déjà casanières, humaines et renfermées, gelée exquise industrieuse et limpide de tous les fruits de l’année qui ont quitté le verger pour l’armoire; saisonnières, mais mobilières et domestiques, corrigeant le piquant de la gelée blanche par la douceur du pain chaud, oisives et ponctuelles comme une horloge de village, flâneuses et rangées, insoucieuses et prévoyantes, lingères, matinales, dévotes, heureuses d’une paix qui n’apporte qu’un surcroît d’anxiété et d’un prosaïsme que set de grand réservoir de poésie à celui qui la traverse sans y avoir vécu. L’air y était saturé de la fine fleur d’un silence si nourricier, si succulent que je ne m’y avançais qu’avec une sorte de gourmandise, surtout par ces premiers matins encore froids de la semaine de Pâques où je le goûtais mieux parce que je venais seulement d’arriver à Combray: avant que j’entrasse souhaiter le bonjour à ma tante on me faisait attendre un instant, dans la première pièce où le soleil, d’hiver encore, était venu se mettre au chaud devant le feu, déjà allumé entre les deux briques et qui badigeonnait toute la chambre d’une odeur de suie, en faisait comme un de ces grands „devants de four“ de campagne, ou de ces manteaux de cheminée de châteaux, sous lesquels on souhaite que se déclarent dehors la pluie, la neige, même quelque catastrophe diluvienne pour ajouter au confort de la réclusion la poésie de l’hivernage; je faisais quelques pas de prie-Dieu aux fauteuils en velours frappé, toujours revêtus d’un appui-tête au crochet; et le feu cuisant comme une pâte les appétissantes odeurs dont l’air de la chambre était tout grumeleux et qu’avait déjà fait travailler et „lever“ la fraîcheur humide et ensoleillée du matin, il les feuilletait, les dorait, les godait, les boursouflait, en faisant un invisible et palpable gâteau provincial, un immense „chausson“ où, à peine goûtés les aromes plus croustillants, plus fins, plus réputés, mais plus secs aussi du placard, de la commode, du papier à ramages, je revenais toujours avec une convoitise inavouée m’engluer dans l’odeur médiane, poisseuse, fade, indigeste et fruitée de couvre-lit à fleurs.“

Du côté de chez Swann/A la recherche du temps perdu, copypaste aus dem Gutenberg-Projekt

Kann losgehen, die EM. Melone mit Parmaschinken, Gurken mit Lachsmayonnaise, Kirschtomaten (hätte doch die roten nehmen sollen, die gelben sehen ganz schön blass aus) mit Bärlauch- bzw. Paprikacreme, Länderhäppchen ohne Länderflaggen, Buletten à la Mama (nur echt mit der Dekopetersilie) und Pumpernickel mit Gorgonzola-Walnuss-Creme und karamelisierten Äpfeln. Bitte beachten Sie bei den Pumpernickeln die laut Kerl totaaal überholte Aufstellung 3-4-3. Da gibt man sich EINMAL Mühe mit den Fußballanspielungen und dann ist es auch wieder nicht recht.

(Ich möchte doch einfach nur hier sitzen.)

Hiermit entschuldige ich mich bei allen von mir sonst so gerne geschmähten Kommentatoren bei Stefan Niggemeier und gebe zu: Die hier sind wirklich vom feinsten.

Du weißt, dass deine Sportart in der Masse angekommen ist, wenn es im Supermarkt Golfbälle und Tees gibt.