Um 7.30 Uhr aufgestanden, zusammen mit dem Kerl eine Handvoll Sperrmüll in Rocky gestapelt, das Zeug nach Nedderfeld geschafft und verklappt, danach den Kerl 30 Sekunden intensivst vollgejammert, dass man unmöglich noch bis 10 warten könne, bis die Thalia-Buchhandlungen in der Innenstadt sich endlich mal bequemen zu öffnen und dass man wisse, dass im Quarree Wandsbek eine Buchhandlung seit 6 Uhr morgens aufhabe und ob man da vielleicht mal schnell … ergebenst hat der Kerl mich nach Wandsbek gelotst und sogar das Buch bezahlt, weil ich nur meine EC-Karte dabei hatte, mit der die arme Mitarbeiterin, die rührend geschminkt alleine in der Passage hinter einem riesigen Bücherstapel hockte, nichts anfangen konnte. Jetzt ist es halb zehn, ich bin geduscht, neben mir warten ein duftendes Kaffeekakaogemisch im Thermobecher und ein frisches Honigbrötchen – und der letzte Harry-Potter-Band.

Bitte nicht stören.

Edit: 22.06. Fertig. … Hm. Nunja. Hm. (Immerhin eine komplett spoilerfreie Rezension.)

Two days – deux jours

Marion (Julie Delpy) ist Französin, Jack (Adam Goldberg) Amerikaner und ihr Lebensgefährte. Nach einem Urlaub in Venedig verbringen sie zwei Tage in Paris bei Marions Eltern, bevor sie wieder nach Hause, nach New York, fliegen. In diesen zwei Tagen lernt Jack eher unfreiwillig Marions Verflossene kennen und muss feststellen, dass Marions Eltern Fotos von ihm haben, auf denen Ballons sein bestes Stück hochhalten. Marion legt sich derweil mit so ziemlich jedem Pariser Taxifahrer an und muss dauernd übersetzen, weil Jack so gut wie kein Französisch spricht. Wir bummeln mit ihnen durch Paris, gehen auf Partys, auf denen alle nur über Sex reden und erfahren so, dass eine gewisse Form der Intimfrisur in Amerika landing strip heißt und in Frankreich ticket de métro. Viel mehr habe ich von Two days – deux jours (2 Tage Paris) auch nicht mitgenommen, aber die Atmosphäre, die Delpy schafft, hat mich lächelnd im Kino sitzen lassen, erfreut darüber, Paris wiederzusehen und die hektische französische Sprache mit dem zerkauten Amerikanisch zu vergleichen.

In manchen Szenen wirkt der Film arg gestelzt, z.B. wenn Marion sich mit Jack streitet; dann fühlt es sich an, als müsste jetzt halt unbedingt noch ein bisschen gezickt werden, damit der Film nicht nur skurril und niedlich ist, sondern auch dramatisch. An anderen Stellen ist er schlicht zu lang und überflüssig, vor allem, als Daniel Brühl in einem kleinen Auftritt als Globalisierungsgegner Jack erzählt, aus was Hamburgerbrötchen eigentlich bestehen. Aber das verzeiht man dem Film durch das schöne und ehrliche Ende, das einen die ganzen kulturellen Unterschiede vergessen lässt, weil es so hübsch universal ist.

Für Emilia zum dritten Geburtstag

(Eins, zwei. Aus verschiedenen Gründen dieses Jahr etwas verspätet.)

Liebe Emilia,

heute ist dein dritter Geburtstag. Ich muss gestehen, ich habe dieses Jahr nicht ganz so viel von dir mitbekommen – was zum einen daran liegt, dass ich selbst einige Veränderungen mitgemacht habe, die dir noch bevorstehen: Jobs wechseln, mit einem Kerl zusammenziehen … oder mit einem Mädel, wer weiß das jetzt schon? Wenn diese Frage in einigen Jahren auftritt, werde ich alte Kinderfotos von dir nach Beweisen für die eine oder andere Theorie absuchen. Mal sehen, in welche Richtung mein wundervolles St.-Pauli-Shirt geht, das ich dir zu Weihnachten geschenkt habe und von dem ich immer noch kein Beweisfoto gesehen habe. Haben deine Eltern dir das etwa vorenthalten? Sollst du keine Kiezklamotten tragen? Oder willst du etwa keine Kiezklamotten tragen? Ich weiß, dass deine Lieblingsfarbe zurzeit Rosa ist, und da passt das Pauli-Braun natürlich gar nicht in dein Farbkonzept, das gebe ich zu.

Die Fotos, die mir deine Eltern schicken oder mailen, sind jedenfalls immer ganz liebreizend und sehr mädchenhaft. Ich wüsste manchmal aber doch gerne, ob dir deine Frisur gefällt oder ob sie dir vielleicht ein klein wenig zu Prinz-Eisenherz-artig ist. Nicht, dass sie dir nicht steht … aber ich bin ja sowieso kein großer Fan von unbedecktem Haupthaar. Das hast du auch ziemlich schnell gemerkt. Wie mir dein Papa erzählt hat, hast du einmal in seinem Schrank eine Baseballmütze entdeckt und sofort „Anke!“ gesagt.

Ein anderes Mal war ich bei dir zum Spielen eingeladen. Du hast mir deinen Duplo-Zoo gezeigt, in dem Eisbären und Giraffen friedlich nebeneinander wohnen – oder übereinander, wenn du dich nicht entscheiden kannst, mit was du jetzt eigentlich spielen willst. Auch die Gatter erfüllen nicht ganz ihren Zweck, denn sie bestehen aus in meinen Augen etwas nachlässig gesteckten Mauerteilen, zwischen denen eigentlich genug Platz ist, um sich hindurchzuschlängeln, egal ob man ein Eisbär oder eine Giraffe ist.

Wir spielten so vor uns hin, als deine Eltern mir ein Mitbringsel aus dem Urlaub überreichten, das ich mit spitzen Fingern entgegennahm. Eine Baseballmütze, auf der stand: „Golf. Drink. Repeat in that order.“ Schön, dass meine Golfbegeisterung so entwürdigt wird. Natürlich musste ich die Mütze aufsetzen, und du hast diese Gelegenheit schamlos genutzt, um dir meine Mütze aufzusetzen. Das geht natürlich gar nicht! Niemand setzt MEINE Mütze auf. Daher hab ich dir die Golfmütze aufgesetzt und mir wieder meine. Du fandest das alles wahnsinnig komisch und hast mir meine Mütze vom Kopf gehauen, um sie dir wieder aufzusetzen. Woraufhin ich den spitzen Hut von deinem Sandmann genommen und den aufgesetzt habe. Was du noch viel lustiger fandst. In den nächsten 20 Minuten haben wir sinnlos Mützen hin- und hergetauscht, und dein Vater hat peinliche Bilder gemacht, die mir sicher noch irgendwann mal vorgehalten werden. Ich hoffe, du wirst dein ganzes Leben lang so einfach zu unterhalten sein.

Kurz vor deinem letzten Geburtstag hast du eine kleine Schwester bekommen: Lotta. Die fandest du am Anfang ziemlich spannend, hast aber schnell gemerkt, dass sie eine kleine Macke hatte: Sie quietscht nämlich ziemlich laut. Das magst du gar nicht, und so flüchtest du meist aus Lottas Zimmer, wenn sie anfängt, diese fiesen Töne von sich zu geben. Manchmal kommst du aber auch nicht schnell genug weg, zum Beispiel, wenn du am Esstisch in deinem Hochstühlchen sitzt. Aber auch dann machst du ziemlich deutlich, dass du diese Art der Kommunikation nicht schätzt – indem du einfach auf deinen Teller brichst.

Vielleicht hast du dich deshalb auch in unserer neuen Wohnung gleich so wohl gefühlt: kein quietschendes Kind und dazu einen Papa, der sich hier auch noch nicht so auskennt. Eine prima Gelegenheit, in einem wahnsinnigen Tempo durch alle Räume zu flitzen, in der Gewissheit, dass Papa nicht hinterherkommt. Ich habe währenddessen Kerzen und Gläser außer Griffweite gebracht und aufgepasst, dass du einem meiner Lieblingsstofftiere, dem Schweinehund, nichts antust. Aber den mochtest du anscheinend ganz gerne. Du hast ihn die ganze Zeit mir dir rumgetragen und warst nicht unbedingt begeistert, als du ihn wieder hergeben musstest.

Ich ahne, dass mein diesjähriges Geschenk nicht ganz so toll ist wie ein Schweinehund, aber vielleicht wirst du in 30 Jahren genau die gleichen sentimentalen Gefühle haben, wenn du es anguckst, wie ich sie hatte, als ich es gekauft habe: Geschirr mit dem kleinen Maulwurf aus der Sendung mit der Maus. Ein Tipp nebenbei: Geh mal mit deiner Mama in den Laden, in dem ich das Geschirr gekauft habe. Sie kann dem Kram da auch nie widerstehen. Da fällt bestimmt was für dich ab!

Liebe Emilia, ich bin immer wieder entzückt, wenn ich dich angucke und abknutsche. Du bist so knuffig wie kurz nach deiner Geburt, aber du wirst gerade eine richtige kleine Persönlichkeit. Ich hoffe, ich kann dir noch ganz lange beim Wachsen zugucken, bis du irgendwann eine große Persönlichkeit geworden bist.

(Und dann schenke ich dir Golfschläger und keine Teller.)

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke

Den Fahrer während der Fahrt nicht ansprechen

Die nächsten Tage werde ich nur noch auf meiner eigenen Seite im Netz unterwegs sein (wobei man das ja kaum als „unterwegs sein“ bezeichnen kann), um bloß nicht Gefahr zu laufen, einen Harry-Potter-Spoiler abzukriegen. Bei Nerdcore hab ich aus den Augenwinkeln schon ein abgescanntes Buch gesehen, das ich sofort weggeklickt habe und das ich deswegen auch gerade nicht verlinken kann, denn dann müsste ich ja nochmal auf die Seite gehen. Ich ignoriere ab sofort alle Zeitungen und Fernsehsendungen. Ich werde nur noch mit Kopfhörern arbeiten, mir auf dem Nachhauseweg die Finger in die Ohren stecken und „lalalalala“ vor mich herbrabbeln, zuhause alle Gardinen noch bei strahlendem Sonnenschein zumachen und mit niemandem mehr reden.

Und Samstag stehe ich Punkt 10 vor meiner Buchhandlung. Die ersten sechs Bände hab ich mir von Amazon schicken lassen (die ersten drei auf einmal, ich bin etwas später auf den Zauberknirps aufmerksam geworden), aber für den letzten Band möchte ich doch mal live die Paletten von Büchern sehen, die wahrscheinlich blitzschnell leergeräumt sein werden.

Also einen gutgemeinten Rat: Fresse halten in meiner Gegenwart.

Und Mails les ich schon gar nicht mehr. Und iChat ist deaktiviert. Und … und … lalalalalala!

Rapante und Schneewante von René Marik. Groß-ar-tig.

(via Surfguard)

Paris, je t’aime (irgendwie dann ja doch)

Wieder zuhause. Zwei Kilo abgenommen trotz Pistazieneis und Kokosjogurt, der so gut geschmeckt hat, dass er meiner Meinung nach aus Crème Double bestehen muss oder wenigstens 80 Prozent Sahne. Ich kann die Metro-Diät (Treppe rauf, Treppe runter, Treppe rauf) aber nahtlos fortsetzen, weil Rocky mich am Tag nach dem Urlaub schmählich verraten hat. ADAC sagt: Kupplungszylinder, ich sage: wäääh!

Man spricht deutsh und ich warte immer noch darauf, dass ich nichts verstehe. Ich muss mich ernsthaft wieder daran gewöhnen, Schilder und Zeitungen lesen zu können.

Mein Bett ist das schönste Bett der Welt und das größte und bequemste und überhaupt, ich sag das meinem Bett ja gar nicht oft genug.

Nächstes Mal kommen all die Museen und Friedhöfe dran, die ich diesmal nicht geschafft oder nicht gewollt habe. Oder ich lieg wieder faul im Zimmer rum und freue mich, faul im Zimmer rumliegen zu können, während draußen ein anderes Land ist.

Das Baguette von toom oder Spar Edeka (je déteste eure blaugelbe CI, nur nebenbei, da können eure Longcopy-Anzeigen noch so nett sein – obwohl: da geht auch noch was), also, das Baguette von toom oder Edeka ist doppelt so teuer wie in la France und schmeckt nicht mal halb so gut. Scheiß bröseliges Brötchenimitat.

Außerdem vermisse ich an Bushaltestellen diese lustigen „Stehpulte“, die in den Metrostationen standen und an die man sich so schön mit dem Popo lehnen kann. Deutlich bequemer als rumstehen. (Nicht ganz so bequem wie sitzen, aber immerhin.)

Mit einem Taxi nach Paris, nur für einen Tag …

(weiter zu „Nachwirkungen“)

Paris, jour 7

Letzter Tag nochmal Kultur: Versailles. Ich bin ja ein Liebhaber von protzigem Goldkram, überbordendem Prunk und überhaupt Schlössern, durch die man heute als Normalsterblicher einfach so durchwandern kann, ohne dass irgendwelche doofen Könige was dagegen machen können. Also Versailles.

Le Kerl kannte das Schlösschen schon, brachte mich aber netterweise bis vors güldene Tor, wo sich die Menschenmassen noch in Grenzen hielten. Was vielleicht daran lag, dass a) der Schlosshof schon mal verdammt groß ist und sich daher eine Menschenmasse in viele kleine Grüppchen auflöst und b) dass es zwei Eingänge gibt: einen für Leute, die noch ein Ticket brauchen und einen zweiten für Leute wie mich, die ihr Ticket schon gekauft haben. Dafür war ich gestern zum hundertsten Mal bei FNAC, die auch Konzertkarten und ähnliches verticken und habe mir für lumpige 22 Euro einen passeport für heute gegönnt. Der umfasst nicht nur das Schloss (le chateau), sondern natürlich auch den Garten (le jardin), den ich eher als Parkanlage bezeichnen würde, und die Trianons. Im petit trianon hat Marie Antoinette gewohnt, während das grand trianon von diversen Königen und Herrschern zum Ausspannen genutzt wurde – und heute von Gästen des Staatspräsidenten. Aber erstmal geht man natürlich ins Schloss.

Nach der Ticketkontrolle kommt die Taschenkontrolle bzw. das Röntgenband. Danach drängelt sich die Masse, die inzwischen wirklich eine ist, in die nächste Halle, in der man sich Audioguides mitnehmen kann. Wollte ich nicht. Gegenüber vom Audioguide-Stand war schon der erste Punkt, an dem es was zu sehen gab: die Kapelle, in der die königliche Familie im ersten Rang gesessen hat und der Rest ebenerdig. In die durfte man als Individualtourist nicht rein (aber ich habe eine Gruppe in den Kirchenbänken sitzen sehen), sondern nur über eine Absperrung gucken. Oder wild fotografieren, je nach Gusto. Ich habe nur kurz reinschauen können und mich dann von der Menge weiterschieben lassen – in nacheinander ungefähr zehn Räume, die alle mit Stofftapeten ausgestattet waren und an deren hohen Wänden Bilder aus der Zeit von Ludwig XIII bis Ludwig XVI hingen. Glaube ich. Ich bin nicht oft bis zu den Infotäfelchen vorgedrungen und habe mich daher damit begnügt, die verschiedenen Tapetenfarben und -muster zu bewundern und mich zu fragen, wie alt wohl der Parkettfußboden ist, der so schön unter den Tourifüßen quietscht, und der genauso nach Bienenwachs duftete wie der Schrank von meinem Opa.

Nach den Stoffräumen kam eine riesige Marmortreppe, die ein Stockwerk nach oben führt. Danach ging man durch einen langen Gang, an dessen Längsseiten eine Marmorstatue nach der anderen stand. Hier war es deutlich leerer und ich hoffte schon, dass das so bliebe, bis ich in den Raum trat, der den Marmorgang abschloss – wo mich die Masse schon erwartete. Nur dass sie noch dichter geworden war als im Erdgeschoss. Die folgenden Räume waren die, die in jedem Touriführer drin sind: die Kammer des Königs, das Schlafzimmer der Königin, der Spiegelsaal usw. Und ab hier war kaum ein Durchkommen. Man konnte die Größe der Räume nur erahnen, denn sie waren vollgestopft mit Menschen. Menschen, die nebenbei ziemlich viel quatschen oder brüllen (und das ist allen Sprachen dieser Welt), fotografieren oder im Weg stehen. Letzteres besonders gerne, wenn sie zu einer Schulklasse oder einer Gruppe gehören, von denen auch in jedem Raum mindestens zehn waren. Man musste warten, bis eine Gruppe sich in den nächsten Raum schob, so dass in diesem Raum mal kurz die Möglichkeit bestand, sich irgendwas anzugucken, was in Fußbodennähe war (die Decken der Zimmer konnte ich immer prima sehen, alles was darunter war, eher selten). Oder man drängelte, was das Zeug hielt. Ich habe andere drängeln und mich einfach mitschieben lassen.

Die weißen, goldverzierten Türen sind mit Plexiglasscheiben vor Tourihänden geschützt, in den Räumen selbst konnte man meist nur einen schmalen Gang begehen, der Rest war abgesperrt. Die langen Vorhänge und viele der Sessel und stoffbespannten Schemel waren in Plastik eingeschweißt. Wahrscheinlich, damit ihnen die Atemluft der Menge nicht so viel ausmacht. Richtig sexy sah das natürlich auch nicht aus.

Im Spiegelsaal (ein Wort: wow!) war es etwas angenehmer, weil einfach mehr Platz da war, auf dem man sich verteilen konnte. So konnte ich mich in Ruhe unter einen der vielen Kronleuchter stellen und nach oben gucken, um das Kristall- und Goldgemisch anschauen zu können – und natürlich darüber das riesige Deckengemälde. Ich war inzwischen komplett abgestumpft, was fotografierende Menschen anging, habe nicht mehr versucht, mich zu ducken oder zu warten, bis irgendwer sein blödes Bild gemacht hat und bin daher wahrscheinlich jetzt auf mindestens zehn Filmen drauf. Einerseits ist mir die schiere Masse an Menschen arg auf den Keks gegangen. Andererseits fand ich es aber großartig, dass so viele Schulklassen da waren – mit teilweise sehr kleinen Kindern. Ich schätze, einige waren wirklich noch in der ersten oder zweiten Klasse. Die haben sich dann in Grüppchen auf den Boden gelegt und einen Kronleuchter abgemalt, während die älteren Schüler Fragebögen dabeihatten, auf denen sie Dinge eintragen mussten – und dementsprechend mussten sie auch der Führung zuhören. Geschichtsunterricht live. Immer besser als im Klassenraum.

Im letzten Raum war es wieder etwas leerer, und so konnte ich mich kurz ungestört über das Bild von Napoleon, der Josephine krönt, freuen, denn ich wusste gar nicht, dass es in Versailles hängt. Und ich wusste auch nicht, wie riesig das Bild ist. Im Geschichtsbuch ist es eben nur zehn Zentimeter groß. In echt waren es eher zehn Meter.

Direkt nach diesem Raum kamen drei weitere, die aus Museumsshops bestanden und die lustigerweise genauso überfüllt waren wie die anderen Zimmer. Ich wollte bloß noch raus und zu den zwei Trianons fahren. Fahren, weil der Weg zu ihnen einmal durch den gesamten Garten führt. Laut Google Earth wären das vier Kilometer hin und vier wieder zurück – oder anders: mir zuviel. Man kann sich mit bis zu vier Leuten ein Golfcart leihen (ernsthaft) oder le petit train nehmen: eine kleine Bahn, die aussieht, als wäre sie schon mal im Heidepark Soltau als Zwergenbahn gefahren und die fiese 6 Euro kostet. Sie fährt alle zehn Minuten, hält am petit, dann am grand trianon und dann noch am grand canal, einem Wasserbecken, das mit Booten befahrbar ist. Man kann aussteigen, sich alles angucken und dann einfach in die nächste Bahn steigen, um weiterzufahren.

Theoretisch ist das alles toll. Praktisch war heute leider der erste Tag, der komplett verregnet war. Es nieselte schon, als le Kerl und ich vom Bahnhof zum Schloss spaziert sind, und während ich im Schloss war, regnete es sich so richtig schön ein. Ich hatte nicht mal eine Jacke dabei geschweige denn einen Regenschirm, dachte aber lustig bei mir, ach, du bist ja nicht aus Zucker, was ist schon ein bisschen Regen.

Mein Sitzplatz im petit train war natürlich ganz außen (jeweils drei Menschen pro schmalem Bänkchen), und da das Züglein keine richtigen Fenster bzw. Wände hatte, war ich schon ziemlich nass – jedenfalls meine rechte Körperhälfte –, als wir nach zehn Minuten bummeliger Fahrt am petit trianon ankamen. Dort begann es dann richtig zu gießen, weswegen die wartenden Menschen auch ziemlich drängelten, um an Bord zu kommen. Die Menschen, die bereits an Bord waren, überlegten angesichts des Wetters, ob sie überhaupt aussteigen sollten, ich meine, wer ist schon Marie Antoinette, ist bestimmt ne Puppenstube, das Schlösschen, komm, lass weiterfahren – was ich alles verstehen kann. Aber ich war ja immer noch gut gelaunt, sprang todesmutig in den Regen und sprintete, so schnell mich meine alten Füße trugen, zum Eingang. 50 Meter später klebte mir mein Shirt schon auf der Haut, und ich dachte noch, hoffentlich muss ich nachher nicht im Regen auf die nächste Bahn warten. Denn natürlich gab es kein Dach oder irgendeine Unterstellmöglichkeit, während man auf das Bähnle wartete. Was ich eigentlich nicht schlecht finde, weil es den Ursprungszustand des Parks und des Schlosses nicht verschandelt, aber bei strömendem Regen und 12 Grad Außentemperatur wird man irgendwann doch zum Kulturbanausen.

Das petit trianon war wirklich eine Puppenstube, aber mir hat es viel besser gefallen als das Schloss. Zum einen verteilten sich gerade mal zehn Leute auf die fünf Räume (der Rest saß im Warmen oder im Bähnle), zum anderen sah es nicht ganz so düster-überladen aus. Es war alles ein bisschen puscheliger: Da lehnte im Salon eine Harfe an einem Notenständer, die Kronleuchter waren nur noch halb so groß, die Farben pastelliger und wärmer, im Erdgeschoss wartete eine Spielzeugkutsche auf den Nachwuchs, und es standen generell mehr Sessel und Stühlchen und Schemel um kleine Tischchen herum. Es sah alles nicht ganz so nach Kulisse aus, sondern wirklich wie ein Ort, an dem man wohnen könnte. Natürlich immer noch ne Menge Gold und Platzverschwendung, aber viel weniger als im Schloss.

Zufrieden ging ich wieder nach unten, wo es nur noch leicht nieselte, worauf ich die bescheuerte Idee hatte, doch noch kurz durch den Garten von Mariechen zu spazieren. Kaum war ich 100 Meter vom Schlösschen entfernt, prasselte ein Schauer auf mich nieder, der auch den noch nicht ganz nassen Rest von mir richtig schön erwischte. Und natürlich kam das nächste Bähnle auch nicht zehn Minuten später, sondern 20. Mir war inzwischen arschkalt und ich klatschnass, so dass ich mich auf einen der freien Plätze im train flüchtete und beschloss, mir le grand trianon beim nächsten Besuch anzugucken. Ist bestimmt eh nur Jungszeug. Hab ich ja grad alles im Schloss gesehen.

Als die Bahn am grand trianon hielt, stieg auch wirklich niemand aus – was die wartenden 30 Menschen nicht sonderlich erfreute, schließlich passen in so eine Bahn nur ungefähr 50, und wenn die alle schon drin sind und irgendwie keiner aussteigen will … nun ja. Ich kuschelte mich an meinen nassen Lederrucksack und hoffte, auf der Rückfahrt nicht allzuviele Hindernisse zu haben. Die Bahn musste nämlich bei jeder kleinen Rinne in den Kopfsteinpflasterwegen auf 2 km/h abbremsen, damit weder wir noch das Züglein Schaden nähmen. Und Rinnen gab es genug, denn irgendwohin musste ja das Regenwasser abfließen.

Ich glaube, es hat eine halbe Stunde gedauert, bis ich wieder am Schloss war. Ich wollte bloß noch nach Hause und eine heiße Dusche nehmen. Mein Shirt trocknete immerhin auf der einstündigen Rückfahrt ganz gut, aber ich wette, ich habe nach altem Hund gerochen.

Aber meine Laune war trotzdem noch okay, was vor allem einem Vorfall auf der Hinfahrt zu verdanken ist. Als le Kerl und ich gerade die RER in St. Michel/Notre Dame besteigen wollten, tippte mich ein älterer Herr auf die Schulter: „Train to Versailles? The castle?“ Ich bejahte, und der Herr und seine Gattin stiegen mit uns ein und setzten sich auch neben uns. Die Dame zog ihren Paris-Reiseführer aus der Tasche, und ich musste schmunzeln, denn es war genau mein Exemplar – nur in einer anderen Sprache. Das sagte ich und zeigte ihr meins, worauf sie fragte, woher wir kämen. „Germany – Allemagne.“ „Ah, Deutschland! Wir sind von Ungarn.“ Wir nickten freundlich, und der Mann beugte sich lächelnd zu uns: „Wir von Ungarn – Sie von Deutschland – treffen hier in Frankreich. Das ist Europa!“

Mais oui, monsieur. C’est l’europe. Et si belle.

(Weiter zu „Wieder zu Hause“)

Paris, jour 6

Heute ist Urlaub vom Urlaub. Ich gehe ins Kino. Das französische Kinoprogramm hat mir natürlich wegen dieser seltsamen Sprache ein paar Probleme bereitet – ich musste erstmal rausfinden, was die Worte auf französisch bedeuten, um mir dann zu überlegen, wie der Film wohl auf englisch heißen könnte. Manchmal habe ich den Titel erraten, weil mir Schauspieler und Regisseur was gesagt haben. Meistens hat le Kerl übersetzen müssen, und ich hab ahnungslos mit dem Köpfchen geschüttelt.

Paris scheint ein Paradies für Filmliebhaber zu sein. Es gibt geschätzte zwei Millionen Kinos, deren erste Vorstellung manchmal schon um halb elf Uhr morgens ist und die bis spät in die Nacht geöffnet haben. Ich habe in Pariscope, dem verlässlichen Begleiter für Kunst, Kultur und Quatsch, Originalversionen in Spanisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Japanisch, Arabisch, Indisch, Chinesisch, Türkisch, Russisch, Thailändisch, Dänisch und Isländisch gefunden. version originale (VO) bedeutet, dass der Film automatisch französisch untertitelt ist. Die Bezeichnung „mit Untertiteln“ habe ich jedenfalls nicht gesehen. Der überflüssige amerikanische Film, den ich mir angesehen habe, hatte auch nur den Zusatz VO und nicht irgendwas ähnliches wie OmU. Und der war untertitelt, was mich natürlich dazu verleitet hat, immer mitzulesen, um vielleicht doch noch im Schnelldurchlauf die französische Sprache mitzukriegen. Wenn Filme nicht VO sind, sind sie mit version française (VF) gekennzeichnet.

In Pariscope gibt es eine Liste mit allen Filmen, die in dieser Woche in Paris (Großraum) laufen, in alphabetischer Reihenfolge, mit Herkunftsland, Jahr, Darstellern, kurzer Inhaltsangabe. Wobei die Woche mit neuen Filmen in Frankreich am Mittwoch und nicht wie bei uns am Donnerstag beginnt. Bei den jeweiligen Filmtiteln stehen dann Name des Kinos und Nummer des Arrondissements bzw. Stadtteils. In einer zweiten Liste stehen dann, nach Arrondissements geordnet, die einzelnen Kinos mit ihren Angeboten und Startzeiten. Man kann also gucken, was bei sich um die Ecke läuft – oder man blättert sich durch 25 Seiten Filmtitel und fährt notfalls ne Stunde mit der Metro, um sich mal wieder La veuve joyeuse (Die lustige Witwe) von Ernst Lubitsch im Original anzuschauen.

Vor dem Film liefen erstmal Trailer. Zuerst kamen drei französische, die nur aus Dialogen bestanden. Und dann ein amerikanischer, der nur aus wilden Schnitten, Actionszenen und Aufdiefresse bestand. Selten zuvor ist mir der Unterschied zwischem französischem und amerikanischem Kino so deutlich vor Augen geführt worden. Die französischen Titel konnte ich mir nicht merken, nur einen, weil ich den verstanden habe: Je déteste les enfants des autres! Und der amerikanische war The Bourne Ultimatum. Dann kam allerdings ein französischer Film mit amerikanisch anmutendem Trailer: Chrysalis (siehe Screenshot).

Schließlich Werbung. Ich habe mir nur einen schönen Spot merken können, nämlich für Oxford-Notizbücher. Und dann lief endlich der Film, über den ich mal den gnädigen Mantel des Schweigens lege.

(weiter zu Tag 7)

Paris, jour 5

Heute war wieder Kerl-Tag, der mir die Basilika Saint-Denis zeigen wollte. Dazu hätten wir mit einmal Umsteigen ewig Metro fahren müssen – oder mit einmal Umsteigen mehr zweimal RER und nur einmal Metro. Ich persönlich hab ja nichts gegen Lange-gefahren-werden, aber le Kerl mag nun einmal die RER so gerne, und so sind wir eben zweimal umgestiegen. Dabei bin ich mal wieder schön ins Schwitzen geraten und ich musste mein Urteil über die RER etwas revidieren: Mag sein, dass es schneller geht, aber der Luftzug aus der Metro hat mir doch arg gefehlt. Deswegen sind wir zurück auch gnadenlos nur Metro gefahren, was fast eine Stunde gedauert hat. Hin waren wir übrigens auch nicht schneller, weil das Umsteigen eben auch seine Zeit kostet, aber das Argument hat le Kerl nicht gelten lassen.

Die Basilika hat sich, im Gegensatz zu Notre Dame, dann auch wie eine angefühlt: Sie war recht leer und dementsprechend ruhig. Das Besondere an Saint-Denis ist die Krypta, in der unzählige europäische Herrscher begraben liegen, darunter die Ludwigs von 13 bis 16. Oder immerhin ihre Überreste, die während der Revolution nicht gewaltsam umgebettet wurden, wie ich aus dem verlinkten Wikipedia-Eintrag erfahren habe.

Nach einem Bummel durch die Kirche sind wir in die modrig riechenden Räume hinabgestiegen. Dort roch es übrigens genauso wie im Keller meiner Großeltern. Wer weiß, was da hinter den Erdbeermarmeladegläsern rumgelungert hat. Hm. Die Krypta besteht aus mehreren Räumen und Gewölben, teilweise mit üppigen Marmorbüsten, teilweise mit einfach hineingestellten Holzsärgen, die mich doch etwas beunruhigt haben. Bei einer schicken Statue denke ich „Denkmal“, während ich bei einer Holzkiste stattdessen „Leiche“ denke. Und daran denke ich eben nicht gern.

Der letzte Raum der Krypta, bevor man wieder an die bessere Luft der Kirche darf, ist eher eine Höhle, die in den Fels hineingehauen wurde. Dort liegen quasi in chronologischer Reihenfolge diverse Gräber. Man guckt über mehrere Jahrhunderte hinweg – und das ist gleichzeitig ergreifend und unheimlich. Meine Gefühle widersprechen sich immer, wenn mir die unglaublich lange Zeit vor Augen geführt wird, die ich mir jetzt mal so eben im Urlaub angucke. Ich frage mich dann meist, wer hier, an dieser Stelle, an der ich jetzt stehe, schon gestanden haben mag. Das Gefühl war in den Königsgräbern in Ägypten genauso stark wie an der Klagemauer, und auch in der Basilika musste ich mal kurz ein bisschen innehalten und gucken und schweigen und denken.

Als Kontrastprogramm sind wir danach nach St. Germain gefahren, wo sich Touristen und Studenten der Sorbonne lustig mischen. Le Kerl hat mir seinen Lieblingscomicladen gezeigt, aus dem er mir vor ein paar Tagen schon ein Geschenk mitgebracht hatte: einen Dunny. Drei von den kleinen Kerlchen hatte ich dem großen Kerl mal zu Weihnachten geschenkt, und jetzt haben sie endlich ein Geschwisterchen gekriegt. Da ich aber mit meinem einen Dunny nicht hinter den dreien von le Kerl zurückstehen wollte, hab ich mir selber auch noch welche gekauft. Das dumme an den Teilen ist, dass sie nur als blind assortment verkauft werden – man weiß also nie, welches Plastikmonster sich in dem kleinen Karton versteckt. Ich hatte Glück und habe einen von denen gekriegt, die ich wirklich gerne haben wollte. Den hier:

Le Kerl wollte noch weiter shoppen gehen, während ich lieber nach Hause wollte (um die Dunnys auszupacken). Auf dem Weg zurück bin ich mal wieder in einem Starbucks eingekehrt. Bei den ersten Besuchen in französischen Läden oder Cafés war ich ja noch der freundliche Touri und habe immer brav gefragt: „Parlez-vous anglais? Ou allemand?“ Worauf ich immer ein ebenso braves, aber bestimmtes „Non“ zurückgekriegt habe. Inzwischen habe ich aber festgestellt, dass, wenn man einfach nicht brav fragt, sondern gleich auf englisch losquatscht, es komischerweise auch alle können – und nicht mal besonders zickig drauf reagieren. Wieder ein Vorurteil für die Tonne („Franzosen wollen gar keine andere Sprache sprechen!“). Inzwischen habe ich sogar das seltsame Singsang liebgewonnen, das der Franzos’ als Englisch bezeichnet, und meine neuen Lieblingsworte sind baladeur (Walkman), télécharger (herunterladen) und „Est-ce que vous êtes un ensemble?“, weil wir das schon zweimal gefragt worden sind – vorzugsweise bei FNAC an der Kasse, als die Kassentanten Schichtwechsel gemacht haben und uns netterweise noch beide bedient haben anstatt einen warten zu lassen. (Eher mich, weil ich immer le Kerl den Vortritt gelassen habe, um auf Fragen nach Kundenkarten oder ähnlichem vorbereitet zu sein und total professionell „Non“ antworten zu können.)

Manchmal vergesse ich aber noch, dass ich zwar schon prima ein paar Sachen auf französisch fragen, aber dummerweise mit den Antworten nichts anfangen kann. So wie vor ein paar Tagen, als ich in einem Bistro nach der Toilette gefragte habe – in Minimalfranzösisch: „Les toilettes, s’il vous plaît?“ – und auch eine bestimmt prima Antwort erhalten habe. Ich hab sie nur leider überhaupt nicht verstanden, worauf ich noch ein kleinlautes: „Where’s the bathroom, please?“ hinterherschieben musste, weil ich auch mit den Handzeichen nichts anfangen konnte.

(weiter zu Tag 6)

Paris, jour 4

Leichte Ermüdungserscheinungen. Ich hab den Vormittag mit Thomas Mann im Bett verbracht, während le Kerl shoppen gegangen ist. Ich habe mich deppigerweise erst auf den Weg gemacht, als es draußen so richtig schön heiß war. Zunächst nochmal ins Musée de la Mode et du Textile, um mir endlich die Klamotten aus vielen Jahrhunderten anzugucken. Diesmal bin die richtige Treppe raufgegangen, aber: Die ganzen zwei Stockwerke waren voll mit Modellen von Jean Paul Gaultier. Gegen dessen Mode hab ich gar nichts, aber dummerweise waren es alles Kostüme aus diversen Filmen, Opern, Ballettaufführungen, die Herr Gaultier ausgestattet hatte. Also auch keine richtige Retrospektive, mehr ein künstlerisches Schaulaufen, das, wenn ich ehrlich bin, nach zehn Schaufensterpuppen nicht mehr viel Neues zu bieten hatte.

Immerhin gab’s im gleichen Gebäude noch die Galerie de bijoux, in der Hauptsponsor Rolex hunderte von Schmuckstücken von damals bis heute in elegant abgedunkelten Räumen präsentierte. Und: Die Räume waren auf knackige 15 Grad runtergekühlt. Die Spangen, Knöpfe und Broschen aus dem 18. Jahrhundert waren durchaus faszinierend anzusehen, aber mich hat das moderne Schmuckdesign doch mehr begeistert. Wie vorgestern bei den Stühlen und Schränken fand ich die 50er und 60er Jahre äußerst attraktiv. Und die Ausstellung bezog auch „neue“ Materialien wie Strass oder Plastik mit ein – und zeigte grandiose Stücke, die kein bisschen billig aussahen. Eine Designerin hab ich mir gemerkt: Viviana Torun Bülow-Hübe, eine schwedische Silberschmiedin, deren Zeug mir ausnehmend gut gefallen hat. (Hier mein Lieblingsstück von ihr.)

Danach bin ich ein bisschen durch die Tuilerien geschlendert, gaaaanz langsam und entspannt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, wo ich als nächstes hinwollte. Picasso-Museum? Rodin-Museum? Centre Pompidou? Oder doch in den Louvre? Hm. Schließlich habe ich mich in die 1 nach Châtelet gesetzt und bin zur Notre Dame gegangen. Auf dem Weg durch die ewig langen Metroschächte bin ich der bisher größten Musikertruppe begegnet. Wie auch in London sind hier weitaus bessere Musiker beschäftigt als ich sie aus deutschen Bahnhöfen kenne, wo nur rumänische Kinder das Akkordeon ihres Onkels quälen. Hier habe ich bereits eine Harfinistin (!) gesehen, einen Vibraphonspieler – und heute war es eine ganze Rotte von, glaube ich, Russen. Zehn bis zwölf Kerle mit Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabässen, Tambourinen und einem ausgefeilten Chorsatz von mindestens fünf Stimmen, die richtig gute Musik gemacht haben. Da standen dann auch konsequenterweise ein paar Leute rum und haben zugehört, anstatt wie sonst schnellstmöglich an den Muckern vorbeizueilen.

Als ich aus der Metro geklettert kam, bin ich davon ausgegangen, die Notre Dame schon sehen zu können; ist ja groß genug, das Teil. Und tiefschwarz, wenn ich mich richtig an das letzte Mal erinnere. Pustekuchen. Erstens bin ich in die falsche Richtung gelaufen, bis mir einfiel, dass ich dringend die Seine überqueren müsse (Ile de la cité, gell, Gröner? Ile!). Am anderen Ufer bin ich in die Schlange vorm Palais de Justice geraten, bei dem ich zuerst dachte, die Leute wollten alle neue Pässe, aber ich glaube, sie standen doch eher an der Conciergerie an, um sich Marie Antoinettes Gefängniszelle anzusehen. War eigentlich auch halb auf meinem Plan, aber nach dem Menschenauflauf lasse ich das mal.

Notre Dame war dann ebenfalls komplett überlaufen. Während sich die Tourimassen am Louvre irgendwie verteilt haben, standen hier einfach alle strunzdumm davor. Grüppchen mit gleichfarbigen Mützen, Reiseleiter, die wild mit Fähnchen und Schirmen wedelten, Reisebusse noch und nöcher. Ich stellte mich in die schnell kürzer werdende Schlange, las mit Interesse das Schild am Eingang (sinngemäß: hier Kirche, Fresse halten, Respekt zeigen, Handy aus), stellte erstaunt fest, dass es keinen Eintritt kostete (weswegen die Schlange auch so schnell kürzer wurde) und betrat die dunkle Kathedrale – wo mich zunächst ziemlich lautes Stimmengewirr empfing und dann Blitzlicht bzw. Fotohandys in allen Ecken. Soviel zum Thema „Fresse halten, Handy aus“. Ich bin durch die ganze Kirche gegangen und habe keine einzige Ecke gefunden, in der es auch nur halbwegs möglich war, ein bisschen zur Besinnung zu kommen und in Ruhe ein Gebet zu sprechen; überall wurde gequatscht und wie bescheuert fotografiert. Selbst beim Kerzenanzünden (Teelicht 2 Euro, Votivkerze 5) haben sich Leute noch unterhalten, anstatt wenigstens hier mal kurz zur Ruhe zu kommen.

Irgendwann hatte sich mein Wunsch nach ein bisschen Stille eh erledigt, denn auf einmal begann ein ziemlich gequältes Orgelspiel. Oder waren es nur Übungen? Oder nur mal die Tonleiter rauf und runter und wieder rauf und das möglichst langsam? Als ich hinter der Orgel langgegangen bin (nicht die große am Hauptportal, sondern eine kleinere am Altarraum), konnte ich sehen, wie der Organist einige Tasten ausprobierte, während sein Helferlein an der Rückseite der Orgel hier ein Türchen öffnete, dann da eins, hier an irgendwas zog, da irgendwas reinschob – und das ganze in fünf Meter Höhe. Und: nach vorne zum Altarraum war die Orgel bündig. Nach hinten schien sie nur auf Holzbrettern zu ruhen, die sich bereits merklich durchbogen. Das schien Helferlein aber nicht zu stören; er wuselte minutenlang geschäftig hin und her, während die belanglosen Töne aus der Orgel strömten und den letzten Rest Ruhe störten.

Die wunderschönen Rosettenfenster haben mich etwas versöhnt, aber im Großen und Ganzen fand ich das Erlebnis Notre Dame eher naja. Könnte auch daran gelegen haben, dass sich in den Stuhlreihen einige Leute befanden, bei denen ich mir dachte: Macht das doch bitte draußen. Eine Dame packte erstmal ihr Butterbrot aus, während ein asiatischer Tourist sich an eine Säule lehnte und ein Nickerchen machte.

Nebenbei: Die Notre Dame ist nicht schwarz. Nicht mehr. Ich habe irgendwo gelesen, dass die Franzosen eine Methode entwickelt haben, wie man den beigefarbenen Sandstein wieder von Zivilisationsdreck wie Autoabgasen etc. befreit. Bei Notre Dame hat das ziemlich eindrucksvoll geklappt: Sie sieht aus wie gestern hochgezogen. Damit ist sie allerdings in einer Reihe mit der Frauenkirche in Dresden, bei der mir das arg Playmobil-hafte ja auch schon etwas negativ aufgefallen ist.

Meine Getränkeflasche war noch nicht ganz leer und meine Füße noch nicht ganz müde, und so setzte ich mich nach einmal Umsteigen in die 6 Richtung Etoile, um in Bir-Hakeim wieder auszusteigen – und mir den Eiffelturm von unten anzugucken.

Ich klettere nicht gerne in luftige Höhen – ich mag es ja nicht einmal, beim Gardinenaufhängen auf einer Leiter zu stehen. Insofern muss ich nicht auf Türme, Hochhäuser und Aussichtsplattformen. Am Eiffelturm fasziniert mich eher die Bauweise, die auch nach über 100 Jahren, wie ich finde, absolut zeitlos aussieht. Vielleicht weil der Eiffelturm keinen wirklich Zweck hat; er ist kein Wohnhaus, kein Leuchtturm, keine militärische Einrichtung. Er steht einfach nur da und sieht gut aus. Ich hab mich auf eine Parkbank gesetzt, wo ich Spatzen dabei zugesehen habe, wie sie sich im Sand wälzen (Spatzen-Fata-Morgana? „Hey, hier, ne Riesenpfütze aus Apfelsaft!“) und amerikanischen Touristinnen, wie sie „Cheese“ sagen, während der Gatte ein Foto macht.

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Paris, jour 3

Heute war wieder le Kerl für das Programm zuständig, und daher war Fußmarsch angesagt. Diesmal nicht zur Metro, sondern zur Tramway, oder wie ich sagen würde: Straßenbahn. Aber nur wenige Stationen, bevor wir in Cité Universitaire in die RER (Är-ö-Är) umgestiegen sind. Die RER unterscheidet sich von der Metro durch eine weitaus verwirrendere Ausschilderung und daran, dass sie an deutlich weniger Stationen hält. Das heißt, wenn man sie einmal gefunden hat, kommt man viel schneller voran und muss kürzer schwitzen.

Wir sind am Gare du Nord ausgestiegen, wo ich erstmal den neuen Spiegel erstanden habe und le Kerl irgendwelche Designzeitschriften. Damit bepackt haben wir unseren Fußmarsch in Richtung Les Halles begonnen. Der führte uns durch das 2. Arrondissement, arabisch aussehende Gassen und ins Textilviertel, das sich halbwegs mit dem Rotlichtbezirk deckt. Es stehen aber nur wenige Professionelle an den Straßen (die wenigen erkennt man allerdings auf 100 Meter Entfernung), und es ist nicht so unangenehm wie z.B. in Hamburg in der Nähe der Herbertstraße. In die Herbertstraße selbst sollte man als Frau ja eh nicht rein. Alles wirkt etwas runtergekommen und verwohnt; le Kerl meinte, das wäre charmant.

Was mir aufgefallen ist: Im Unterschied zu Deutschland, wo sich in Wohnvierteln gerade mal ein Penny-Markt verirrt und sonst nix, gibt es hier anscheinend keinen wirklichen Unterschied zwischen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. In jeder Straße gibt es Läden noch und nöcher. Teilweise winzige Schuster, Kioske, die nur drei Zeitschriften und zwei Getränkesorten haben, eine Nähstube, in deren Fenster afrikanische Stoffmuster ausliegen, die obligatorischen 17 Cafés, Bistros und Brasserien und direkt nebenan ein Multiplexkino und ein riesiger, neonbeleuchteter Supermarkt. Was le Kerl und mich natürlich verführt, an jeder Ecke Baguette zu kaufen, um mal zu testen, ob das wirklich anders (le Kerl: „viel besser!“) schmeckt als zuhause. Ich bin nicht unbedingt der Weißbrotexperte, aber ich behaupte auch, die Konsistenz ist anders. Etwas fester, nicht ganz so locker-weißmehlig. Wir essen uns weiterhin durch alle Supermärkte und Bäckereien in der Umgebung, und davon gibt’s genug.

Nach ungefähr einer halben Stunde hatten wir die Kirche Saint-Eustache in der Nähe von Les Halles erreicht, wo wir uns eine kurze Pause auf einem Mäuerchen gegönnt haben. Danach ging’s in das Gängegewirr von Les Halles, das ein riesiges Einkaufszentrum ist. Wir waren mal wieder bei FNAC shoppen: Ich habe Monsters, Inc., The Incredibles und Lilo & Stitch für jeweils 10 Euro gekauft plus ein neues Spiel für die Nintendo DS (Cooking Mama), le Kerl hat sich irgendwelche französischen TV-Legenden auf DVD gegönnt und einen Comic.

Danach haben wir uns in Les Halles in die Metro 1 nach La Défense gesetzt. Dort war ich beim letzten Paris-Besuch schon, aber in den gut zehn Jahren hat sich da doch ne Menge getan. Lauter silbrige und bläulich glänzende Hochhäuser – und natürlich La Grande Arche, zu dem eine weiße, breite Treppe hinaufführte, die jetzt, zur Mittagszeit, von dutzenden Büromenschen aus der Umgebung und ihren Lunchpaketen bevölkert war. Dazwischen wuselten die üblichen vielsprachigen Touristen und fotografierten, was das Zeug hielt. Mein Liebling war ein junger Mann, der sich nicht mal die Zeit nahm, um sich hinzusetzen und zu gucken oder den Blick bis zum Triumphbogen zu genießen. Stattdessen positionierte er seine Kamera so, dass er selbst noch schnell ins Foto springen konnte, bevor der Selbstauslöser klick machte. Nachdem er zehn Minuten für dreimal klick gebraucht hatte, steckte er die Kamera wieder in den Rucksack und ging schnellen Schrittes wieder zur Metro. Keinen Blick für den Bogen, für den Platz, für den Ausblick – Hautpsache, man war da und kann’s beweisen.

Unsereins hat noch ein bisschen länger auf den Stufen rumgelungert, weil le Kerl netterweise ein paar Getränke organisieren wollte, bevor wir uns auf den absichtlich verlängerten Heimweg machen wollten. Wir hätten mit einmal umsteigen mit der Metro fahren können und wären in einer halben Stunde zuhause gewesen. Stattdessen haben wir uns für eine weitere Fahrt mit der Tramway entschieden, die zwar länger braucht (und wir mussten ebenfalls einmal umsteigen), aber sie fährt fast komplett oberirdisch, so dass man ein bisschen was zu Gucken hat. Also in die T2 nach Issy – Val de Saine. Während die Bahn durch die Mittelstandsvororte bummelte, habe ich feststellen dürfen, dass Paris ganz schön bergig ist. Irgendwann verläuft die Strecke paralell zur Seine und man kann quasi von außen auf die Stadt gucken und sich nicht mehr wie ein Tourist, sondern wie ein Pendler fühlen.

In Val de Saine brauchten wir nur anderthalb Minuten Fußmarsch bis zur T3, die vom Pont du Garigliano abfuhr. Theoretisch jedenfalls. Als wir in den Wagen einstiegen, leuchtete schon ein Schild, das die nächste Abfahrt in 20 Minuten ankündigte. Was ein bisschen viel war. Laut Durchsage, die mir le Kerl freundlicherweise übersetzte, streikten die Fahrer der Linie 3, und daher gab es viel weniger Züge als sonst. Als ich das Wort „Ersatzverkehr“ erwähnte, hat sich le Kerl kaum eingekriegt vor Lachen. Also haben wir unsere am Gare du Nord erworbene Lektüre gezückt und ne Runde gelesen, bevor die Tramway sich dann irgendwann auch in Gang setzte.

Nach ungefähr anderthalb Stunden waren wir dann zuhause und sind jetzt geduscht und gesättigt (Pistazienjogurt, baby). Ich habe Alles über Paris von Herrn Wickert ausgelesen und bin darob auch sehr froh, denn der alte Schwerenöter ist sich für Sätze wie die folgenden leider nicht zu schade:

„Keine Metropole erweckt am Morgen solche Gefühle des Glücks, wie dies Paris vermag, wenn der Duft der frischen Croissants aus den Bäckereien auf die Straße weht, wenn die geflochtenen Stühle der Bistro-Terrassen auf dem frisch abgesprühten Trottoir einladen, einen Café crème zu bestellen. Ja, am Morgen fließt die Seine noch glatt auf einen zu, wenn man über den Pont des Arts schlendert, dann bewegt sich das Wasser wie Muskeln unter der zarten Haut eines sich erwachend räkelnden jungen Mädchens.“

Deine wievielte Ehe ist das gerade, Ulli? Noch Fragen?

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Paris, jour 2

Da gestern le Kerl bestimmen durfte, war heute mein Tag. Und ich wollte ins Musée de la Mode et du Textile in der Nähe des Louvre. Oder: Eigentlich ist es, glaube ich, sogar noch in einem der Millionen Gebäude des Louvre. Metro bis Palais Royal, an den ganzen Museumsshops vorbei – und schon steht man vor einem Minitriumphbogen und guckt auf die Pyramide vor dem Louvre. In der anderen Blickrichtung Place de la Concorde mit dem Obelisken, dessen Spitze gülden in der Sonnen glänzte blendete. Ne Menge vielsprachiges Volk.

Wir sind durch einen der acht Meter hohen Torbögen auf die Rue de Rivoli gegangen, wo der Eingang zum Museum sein sollte. Bzw. zu den Museen, denn im gleichen Gebäude ist auch das Musée des Arts Décoratifs. Kärtchen gekauft, Taschen abgegeben (Kerl parlierte mit allen Angestellen und ich guckte total wissend und nickte ab und zu) und dann ab ins dritte Stockwerk, wo ich auf mittelalterliche Roben wartete und stattdessen – viel Dekozeug zu sehen bekam. Schränke, Kommoden, Sekretäre, Spiegel, Stühle, Sessel, Betten, Kisten und Kästen und irgendwann Porzellan, Vasen, Geschirr und Kleinkram wie Parfümflakons und Schminkdöschen. Nach zwei weiteren Stockwerken, in denen wir die Renaissance hinter uns ließen und uns dem Klassizismus näherten, ahnte ich, dass wir im falschen Museum gelandet waren bzw. im falschen Flügel. War wohl doch die Treppe nach links, die zu den Klamotten führte und nicht die nach rechts, die wir genommen haben. Grrr. Wenn man nicht alles selber macht. Aber egal, denn unsereins guckt auch gerne Gläser und Kronleuchter und Silbertabletts an, und le Kerl war anscheinend ebenfalls interessiert. Jedenfalls konnte er den Checker machen und mir die Schautäfelchen teilweise übersetzen, denn die waren nur auf Französisch. Meistens musste ich aber gar nicht wissen, was genau ich da angeguckt habe; ich freue mich in Museen generell darüber, dass ich überhaupt was Neues (oder in diesem Falle Uraltes) ansehe. Ich bewundere Farben, Details, Materialien – und das reicht mir meistens auch.

Irgendwann waren wir in der Moderne angelangt und besichtigten das 20. Jahrhundert im Schnelldurchlauf. Die 60er Jahre haben am meisten Spaß gemacht: viele, viele bunte Stühle, darunter der Eames Chair und diese komische Halbkugel aus Plexiglas, die man entweder als Stuhl oder als Hängesessel von der Decke kennt. Und in einem Nebenraum waren ein paar der Klassiker nachgebaut, damit man sich mal reinsetzen konnte. Dazu lief über Beamer eine Collage aus diversen Filmen, in denen man die teilweise arg seltsamen Stuhlkreationen wiedersah.

Le Kerl hatte sein iBook mitgeschleppt und hoffte auf WLAN bei Starbucks in der Nähe der alten Oper, wurde aber enttäuscht. Dafür gab’s einen leckeren Banana Java Chip Frappuccino, bei dem mir auffiel, dass ich dieses Getränk jetzt in drei verschiedenen Starbucksen getrunken habe (Hamburg, Berlin, Paris). Und in Paris ist der mittlere 40 Cent teurer als in Allemagne.

Gestärkt und ausgeruht ging’s wieder in die Metro, diesmal die 3 Richtung Gallieni. Die Station Arts et Métiers sieht aus wie ein U-Boot; da durfte wahrscheinlich jeder Azubi der metallverarbeitenden Industrie mal ein Schräubchen in die Wand hauen. Umsteigen in République, in die 11 nach Mairie des Lilas. Wir steigen im arabisch angehauchten Pyrénées aus und schlendern zum Parc de Belleville. Kein Touriort, weswegen wir ziemlich ungestört einen wunderbaren Blick über die ganze Stadt haben. Na, fast, Sacré CÅ“ur kann ich nicht erkennen, aber sonst ist alles da: Invalidendom, Eiffelturm, Tour Montparnasse, irgendeine Kirche, noch ne Kirche und noch ne Kirche. Paris ist beige. Und sieht von oben aus wie Kairo, denn Kairo ist auch beige. Wie sehen deutsche Städte von oben aus? Ich guck so selten auf welche runter.

Meine Füße sind müde und verfluchen immer mehr das seltsame Tunnelsystem der Metro, wenn’s ums Umsteigen geht. Ähnlich wie in London irrt man teilweise sehr lange durch Gänge, steigt Treppen runter, um sie zehn Meter weiter wieder hochzuklettern und kommt irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit im Kreis um Kurven und Ecken an einem Bahnsteig an.

Etwas netter ist die Linie 14, die erst vor wenigen Jahren eingeweiht wurde und dementsprechend über sowas Topmodernes wie Rolltreppen verfügt (jedenfalls in größerer Zahl als die anderen Stationen). Außerdem kann hier niemand auf die Gleise fallen, denn sie sind durch eine Plexiglaswand vom Bahnsteig abgeschirmt. Wenn die Metro einfährt (führerlos), hält sie mit den Türen genau an den Türen der Plexiglaswand, und beides öffnet sich gleichzeitig. Man muss nirgends mehr draufdrücken oder an bakterienverseuchten Hebeln ziehen, sondern steigt einfach ein oder aus. Und obwohl die Bahn aus einzelnen Wagen besteht, kann man durch den gesamten Zug durchgehen. Ich bilde mir sogar ein, der Zug wäre klimatisiert gewesen, aber das kann auch Wunschdenken gewesen sein. Jedenfalls habe ich nicht ganz so fies geschwitzt wie in allen anderen Metrowagen, in denen die Luft einfach nur stand. Wenige Sekunden nach dem Losfahren ist allerdings ein prima Luftzug zu spüren, denn die meisten Fenster sind offen. Anscheinend ist das Genre der keifenden und fensterschließenden Alten („ES ZIEHT!“) auf Deutschland beschränkt. Hier freuen sich jedenfalls auch die Senioren über die wenigen Augenblicke Frischluft, bevor die warme Wand einen wieder erwischt.

An der Station Montparnasse Bienvenüe habe ich das angeblich schnellste Laufband der Welt erleben dürfen – und mich dabei fast auf die Schnauze gelegt. Das Band beginnt mit einer Art bewegtem Kugelteppich; es sieht aus wie diese komischen rückenschonenden Kugelteppiche, die man gerne auf Fahrersitzen in Opel Corsas sieht, nur silbrig und sehr schick. Diesen Teppich betritt man ganz normal, und der geht irgendwann über in ein wirklich schnell laufendes Band (9 km/h; früher 12 km/h, aber nachdem genug Leute sich langgemacht hatten, haben sie’s etwas verlangsamt. Zum Vergleich: Ein normales Band hat eine Geschwindigkeit von 3 km/h). Beim Übergang sollte man die Füße nicht anheben, sondern sich einfach von den Kugeln auf das Band schieben lassen. Das habe ich aber nicht gewusst und daher einen Fuß angehoben, um einen normalen Schritt zu machen. Dumme Idee, denn plötzlich war mein rechter Fuß eine Ecke schneller als der Rest meines Körpers, der noch auf den Kugeln war. Ich musste mich am Handlauf festhalten, sonst wäre ich wirklich vornüber gefallen. Beim Absteigen war ich natürlich Fuchs und habe mich vom Band auf die Kugeln schieben lassen, ohne die Füße zu bewegen, und das hat hervorragend geklappt. Nur dass nach diesem Highspeed-Laufband das Gefühl nach dem Absteigen noch fieser war als auf den normalen Laufbändern; es fühlt sich auf einmal an, als ob man in Klebstoff geht. Langsamer eben. Ich finde, man sollte alle Fußwege in Städten mit diesen Bändern ausstatten. Und vielleicht könnten unterwegs ein paar Erfrischungen gereicht werden.

Apropos: Wir essen jetzt erstmal die Tiefkühlquiche und schlabbern dann eine Runde Pistazieneis. Dann wird le Kerl glücklich das französische Fernsehprogramm genießen und ich entweder beim DVD-Gucken oder beim Lesen einschlafen. Ganz wie zuhause.

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Paris, jour 1

Immer wieder schön: die Heckflossen der Air-France-Flieger. Da sieht die British Airways ganz schön alt gegen aus, obwohl sie die gleiche Farbkombination haben. Und sogar unsere Koffer kommen mit. Ich habe seit 20 Jahren nichts mehr mit Französisch zu tun gehabt und kann daher ü-ber-haupt gar nichts mehr in dieser Sprache sagen. Jedenfalls nichts Sinnvolles. Aber ich verstehe noch ein wenig – oder tue an Bord wenigstens so. Aber da sagen sie sowieso immer das gleiche. Statt BA-Sandwich gibt’s buttrige Kekse und Orangensaft aus der Dose.

Flughafen Roissy/Charles de Gaulles. Wir rollen nach der holprigen Landung (Franzosen fliegen, wie sie Auto fahren) gefühlte zwei Stunden bis zum Terminal, warten weitere gefühlte zwei Stunden auf die Koffer und setzen uns dann nichtsahnend in einen bestellten Shuttlebus, der uns bis vor unsere Zielhaustür bringt. Der junge Mann am Steuer macht über seine Schulter lebhafte Konversation mit le Kerl, während ich ein Gebet nach dem anderen spreche, weil wir bei Tempo 90 bis auf 50 Zentimeter an jede Stoßstange vor uns ranfahren und die Betonmauer links von uns auch nur noch wenige Handbreit entfernt ist.

Ich war vor ewigen Zeiten mal für zwei Tage in Paris und habe da kaum was mitgekriegt außer Sacré CÅ“ur und Père Lachaise, denn auf dem letztgenannten Friedhof habe ich mich mit meiner Begleitung fies zerstritten. Als Sprachunkundige hat es immerhin noch zu einem Besuch des Disney-Stores auf der Champs-Élysée gereicht, wo ich Fabius aus Arielle als Stofftier gekauft habe. Dann war ich noch bei Burger King, wo ja alles so heißt, wie es überall heißt, und dann waren die zwei Tage Rainbow-Terror auch schon vorbei.

Dementsprechend habe ich kein ganz positives Bild von Paris. Dieses Mal wird es hoffentlich besser, weil le Kerl dabei ist, der ziemlich fließend franzackig parlieren kann und hinter den ich mich doof stellen kann, wenn es darum geht, Fahrkarten zu kaufen oder Zeitschriften oder Essen im Supermarkt um die Ecke. Bei Nahrungsmitteln kommen meine verschütt geglaubten Vokabeln aber ziemlich rasch wieder: So konnte ich den Großteil der Speisekarte der kleinen Brasserie, in der wir abends am Straßenrand gespeist haben, selbst entziffern, ohne dauernd „Was ist das? Was ist das? Was ist das?“ sagen zu müssen. Und im Supermarkt habe ich ganz alleine den köstlichen Kokosjogurt und das Mirabellensorbet entdeckt, während le Kerl tiefgekühlte Quiche Lorraine in seinen Einkaufskorb legte. Banause. Ich allerdings auch, denn statt der fusseligen Orangina trinke ich weiterhin Cola light.

Normalerweise plane ich meinen Urlaub generalstabsmäßig vor, um dann am Zielort generalstabsmäßig vom Plan abzuweichen. Aber ich habe immerhin einen Plan, von dem ich abweichen kann. Diesmal habe ich mich von le Kerl einlullen lassen, der mir so gerne „sein Paris“ zeigen wollte – schließlich war er schon öfter da und will da am liebsten auch immer sein. (Kann ich nicht nachvollziehen, aber wir sind ja erst einen Tag hier; vielleicht erwischt mich die Stadt ja noch. Oder ich lerne in fünf Tagen Französisch, damit die Stadt mich erwischen kann anstatt mich ratlos vor ihr stehen zu sehen.)

Das bedeutete, dass ich am ersten Tag zwar meinen mit Post-Its gespickten Reiseführer im Rucksack hatte, wir aber trotzdem erstmal da hingegangen sind, wo le Kerl hinwollte: zum Medienkaufhaus FNAC. Während er mit verliebtem Gesichtsausdruck zwischen Büchern und Comics hin- und herirrte, ließ mich das ganze ziemlich kalt, weil ich eben mit den ganzen VERDAMMTEN FRANZÖSISCHEN BÜCHERN nichts anfangen kann. Dafür haben mich zwei riesige Regale mit amerikanischen TV-Serien auf DVD wieder versöhnt, und die 8. saison Seinfeld besitze ich jetzt mit französischem Cover. Immerhin heißt die Serie noch Seinfeld und nicht À la Maison Blanche, wie der gemeine Franzose zu The West Wing sagt.

Erste Touri-Station: der Triumphbogen. Von der Metrolinie 6, die teilweise oberirdisch fährt, hat man hin und wieder durch die Häuser einen kurzen Blick auf den Eiffelturm und einmal auch eine etwas längere Fotogelegenheit. Ich war chronisch fotofaul und konnte mich daher über die französische Schulklasse amüsieren, die komplett mit gezückten Digiknipsen am Fenster hing und dutzendfach abdrückte, sobald irgendwo ein Stückchen Eiffel’scher Turm zu sehen war. Ah, les touristes!

Am Triumphbogen musste ich neidisch feststellen, dass die Konkurrenz von Publicis ihr Büro 100 Meter vom Stern (etoile) entfernt hat. Da kann unsere Agentur nicht ganz mithalten. Und wir vermieten unsere (immerhin vorhandene) Dachterrasse auch recht selten an fremdländische Fernsehteams wie Publicis das tut, weil man von deren Dachterrasse einen schönen Blick über die Stadt hat. Sagt jedenfalls le Kerl, der behauptet, er habe eben diese Terrasse schon auf BBC und CNN gesehen, als es um die Präsidentschaftswahl in Frankreich ging.

Beim Bummel über die elysischen Felder war ich etwas gelangweilt; am gestrigen Abend sind wir kreuz und quer durch den Stadtteil Porte d’Orleans gegangen, was weitaus mehr Spaß gemacht hat. Viele Bistros, Boulangerien, Käsehändler, Fischhändler, Patisserien, von deren Schaufenster mich le Kerl gewaltsam wegreißen musste, und normales Volk fand ich deutlich angenehmer als die ganzen Tourihorden (wie in London: eigene Nase), Planet Hollywood und Co. Komischerweise kein Starbucks in Sicht. Aber eben der Disney-Store, in den ich natürlich wieder reinmusste. Kurz überlegt, ob ich 24 Euro für ein Badetuch mit Stitch ausgeben oder Mike als Stofftier haben will … dann aber doch nichts gekauft, sondern uns wieder rausgedrängelt. Beim „Pardon!“ („Entschuldigung, dass ich in Sie reinrempele“)- und „Merci!“ („Entschuldigung, dass ich in Sie reingerempelt bin“)-Sagen bin ich übrigens schon toll.

Nach der Champs-Élysée sind wir noch durch ein menschenleeren Banken- und Galerienviertel zum Élysée-Palast geschlendert, wo sich auch netterweise gerade das gut bewachte Tor öffnete, damit ein Renault auf den Hof fahren konnte. Den Hof kannte ich, glaube ich, aus dem Schakal. Oder aus irgendeinem der vielen Jean-Paul-Belmondo-Filme, die ich mit 15 geguckt habe. An der britischen und der US-Botschaft vorbei zu den ganzen Designerläden, in deren Schaufenster magere Püppchen preisschildlose Kleidchen und Täschchen spazierenstanden. Wo ist Yamamoto? Immerhin Yves Saint Laurent bewundert. Rest war mir egal, die Läden (Prada, Hermes, Gucci, D&G) gibt’s in Hamburg auch, wo ich mich immer arm und fett noch fetter fühle, wenn ich an ihren Schaufenstern vorbeihusche.

Metrostation Madeleine Richtung Montparnasse. Dort Europas zweithöchsten Wolkenkratzer angeguckt und gelangweilt im Kopf abgelegt. Dann die müden Füße in einer Brasserie ausgeruht und erstmal was zu Essen bestellt: Sandwich avec jambon für Madame Gröner und irgendwas mit Pastete drauf für le Kerl. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass der Pariser an sich unter einem Sandwich ein 40 Zentimeter langes Baguette versteht, das ich niemals an einem Stück essen kann. Dazu eine mittlere Orangina, die sich als halber Liter entpuppte. Für die Zukunft merken: niemals was Großes bestellen. Am besten gar nichts zu trinken bestellen, denn die Halsabschneider wollten für die Sandwiches 4 bzw. 4,50 Euro haben (völlig legitim), für 0,5 Liter Orangina aber satte 7. Das Zeug wollte auch wieder raus, und so durfte ich feststellen, dass es selbst im touriüberlaufenen Montparnasse noch die fiesen, alten Klos (vulgo: Loch im Boden) gibt. Immerhin braucht man sich bei denen als Mädel nicht stundenlang mit Brille-Abwischen beschäftigen. Hat alles seine Vorteile. (Trotzdem uäh.)

Postkarte für das Patenkind gekauft und gleich im Gare Montparnasse geschrieben und abgeschickt, Postkarte fürs Schwesterherz allerdings vergessen. Eigentlich stand noch der Friedhof von Montparnasse auf unserem Spontanprogramm, aber irgendwie wollten wir dann doch lieber nach Hause und die Füße hochlegen. Urlaub halt.

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Paris, je t’aime (vielleicht)

Reisevorbereitungen. Als erstes wird ein Reiseführer aus der Lieblingsreihe von Dorling-Kindersley gekauft. Beim stolzen Vorzeigen wird die Freude getrübt, weil le Kerl anmerkt, man habe doch schon einen anderen Paris-Reiseführer im Schrank. Überlegen behaupten, das habe man gewusst und sich einfach einen besseren zulegen wollen. Innerlich zerknirscht zugeben, dass man wirklich keine Ahnung mehr hat, was so im eigenen Bücherregal steht.

Ein temporäres Schild an den Briefkasten anbringen – „Keine Werbung! Keine Prospekte!“ Sich für „Keine Werbung“ und zwei Ausrufezeichen ein bisschen schämen. Die SZ kriegt der beste Freund, Blumen wurden wohlweislich noch nicht auf dem Balkon angepflanzt, damit bloß keiner gießen kommen muss. Ich verabschiede mich geistig vom Basilikumtöpfchen auf der Fensterbank und gucke le Kerl belustigt zu, wie er versucht, seinen riesigen Koffer zu füllen. Seltsames Gefühl, wegzufahren und kein Geld umtauschen zu müssen.

Wichtigste Entscheidung: Welche Bücher nehme ich mit? Die Wahl fällt auf den frisch erstandenen Wickert (Alles über Paris), eine Romy-Schneider-Biografie, A Man in Full von Thomas Wolfe und Der Tod in Venedig von Thomas Mann. Von mir aus kann’s losgehen.

(zu Tag 1)

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(via Oh, what a world)