A monkey and a golf club

Ich war vorgestern den ganzen Tag ziemlich hibbelig. Erstens, weil ich direkt nach dem Fallenlassen des Stifts um 18 Uhr aus der Agentur rennen wollte, um Golf zu spielen (welche Überraschung). Und zweitens, weil ich meine Schläger nicht in den Bus schleppen wollte und daher mit dem Auto zur Arbeit gefahren bin und den ganzen Tag im Halteverbot stand (die gesamte Hamburger Innenstadt ist eine Halteverbotszone, verdammt) und dementsprechend den ganzen Tag befürchtet habe, abgeschleppt zu werden. Aber wie bemerkte der Kerl doch scharfsinnig: Die Polizei schleppt ganz in die Nähe der Elbbrücken, da ist der Weg zum Golfplatz nicht mehr so lang.

Die Götter haben es gut mit mir gemeint. Rocky war noch da, als ich um 18.01 voller Vorfreude aus der Agentur gestürmt kam. Auch der Feierabendverkehr war nicht so böse wie erwartet, und so war ich bereits um 18.20 in Moorfleet. Ich besorgte mir 50 quietschgelbe Bälle aus dem Automaten und kletterte die Stufen zur Driving Range hinauf. Oben dachte ich nochmal an alle Ansagen meiner bisherigen zwei Lehrer – linke Schulter zum Kinn, Handgelenk gerade, den Schläger eher mit den Fingern halten als mit der ganzen Hand, flexibel bleiben, beim Schwung mit der Hüfte nach vorne kommen, das Füßchen mitnehmen, nicht mit Kraft, konzentrieren, Griff richtig machen und Atmen nicht vergessen – und schlug dann 35 Bälle ins Gelände. Ungelogen: Von diesen 35 waren 30 aus der Kategorie „Gut“, „Sehr gut“, „Geil“ oder „Wow, den hab ich geschlagen?“. Und die anderen fünf waren auf jeden Fall okay für jemanden, der erst zum sechsten Mal einen Schläger in der Hand hat.

Im Kopf war ich schon auf der Women’s Tour unterwegs, als ich mit den restlichen 15 Bällen zum Putting Green schlenderte. Golf. Ha! Alles kein Thema, hömma.

Auf dem Grün habe ich dann das Chippen und Putten geübt. Zuerst das Chippen: Ich habe mich ins Rough gestellt, also in das eher ungemähte Gras rund ums Grün. Dann habe ich mit dem Sandwedge einen Ball aufs Grün gechippt. Das Sandwedge hat die steilste „Kante“, das so genannte Loft, von den Eisen, was bedeutet, dass der Ball relativ hoch und kurz fliegt (was man eben möchte, wenn man aus dem Bunker, vulgo: dem dusseligen Sandhindernis, rausschlägt), dann aufkommt und noch eine längere Strecke rollt. Andere Eisen haben flachere Kanten, was bedeutet, dass der Ball nicht ganz so hoch fliegt, aber dafür weiter. Ich habe einen Ball aufs Grün geschlagen und dann versucht, mit den nächsten Bällen den ersten zu treffen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich beim Chippen meine Kraft noch nicht richtig einteilen kann. Meine Bälle waren entweder viel zu kurz oder viel zu lang – aber immerhin alle in der richtigen Richtung. Und das Chippen an sich hat funktioniert, was nicht von Anfang an so war. In meinen ersten Stunden habe ich den Ball nie in die Luft gekriegt. Das hat sich geändert, seitdem ich den Leitsatz meines derzeitigen Lehrers befolge: Kein Gras, kein Spaß. Meaning: Nicht auf den Ball hauen, sondern ein bisschen tiefer schlagen und immer schön Gras mitnehmen. Klappt.

Beim Putten habe ich auf kein Loch gespielt, sondern auch da erstmal versucht, ein Gefühl für die Länge meiner Schläge zu kriegen. Ich habe einen Ball zwei große Schritte von der Kante vom Grün zum Rough weg gelegt, einen Ball drei Schritte weg, vier und fünf. Und dann habe ich nacheinander versucht, die Kante zu treffen. Spätestens da wurde mir klar, dass die Women’s Tour doch noch etwas warten muss: Bei einem Durchgang lagen alle vier Bälle in einem Radius von 40 Zentimetern um die Kante herum, und ich war sehr glücklich, beim nächsten Durchgang lagen zwischen den Bällen anderthalb Meter, und ich war richtig pissig. Ich frage mich, wie die „richtigen“ Sportler die Motivation bzw. das Wissen abrufen können, hey, ich weiß, wie’s geht, ich konzentriere mich jetzt nochmal, und dann klappt das wieder. (Während ich diese Sätze schreibe, läuft gerade Baseball im Fernsehen, wo der Pitcher der New York Yankees richtig abkackt. Der kann mir diese Frage also auch nicht beantworten.)

Zum Abschluss des Abends bin ich nochmal auf die Driving Range gegangen, um meinen Triumph von vorhin zu wiederholen und die letzten 15 Bälle elegant in den Abendhimmel zu pfeffern. Es kam, wie es kommen musste: Von den 15 könnte ich mit sehr viel Wohlwollen einen (einen!) als irgendwie gerade noch so akzeptabel bezeichnen. Die anderen 14 würde ich mit „Hoffentlich hat das keiner gesehen“ umschreiben. Ich behaupte, meine Konzentration war nach fast anderthalb Stunden einfach weg, aber ich ahne, dass das wohl das normale Golfspielen ist: ein grandioser Schlag, zwei beschissene.

Gestern habe ich mir selbst verboten, schon wieder auf die Range zu fahren (auch, um der Blase am rechten Daumen endlich mal die Chance zu geben, abzuheilen). Aber heute werde ich garantiert spätestens ab 16 Uhr darüber nachdenken, wie schnell ich nach Hause kommen könnte und wie schnell ich dann im Club bin und ob’s dann noch hell ist – oder ob ich lieber mal ne Runde schwimmen gehen sollte. Oder lesen. Oder all den anderen Kram machen sollte, den ich sonst so gerne in meinem Leben gemacht habe.

Ich – Sport. Draußen! Draußen Sport! ICH! Ich versteh’s ja selbst nicht.

(Dieser Artikel steht auch auf Golfers Delight)

Auf auto, motor und sport gibt’s doch immer wieder aufschlussreiche Umfragen. Road kill No. 1: Vögel. Wer hätte es gedacht.

(Oh Mann.)

Robin Williams erklärt Golf.

(via Beginner Golfing)

Ja, ich geh auch irgendwann wieder ins Kino, versprochen.

Sehr schöne Überschrift in meiner neuen zweiten Heimat: Make that a treesome auf Golfers Delight (der fehlende Apostroph macht mich irre) heißt Lutz und mich herzlich als Gastautoren willkommen. Wer also unbedingt meine Golfeinträge kommentieren will, kann das da drüben machen. Oder einfach so vorbeikommen, mitlesen und die lange Blogroll abgrasen. Mach ich nämlich gerade (siehe oben stehenden Eintrag).

Sonne (oder Computerspiele oder Fernsehen) macht/machen doof

Vor hundert Jahren hab ich in der Titanic, wenn ich mich recht erinnere, mal in irgendeiner Max-Goldt-Kolumne eine Konversation gelesen, die der Autor überhört (verdammter Anglizismus – und ich dachte immer, ich wäre gefeit dagegen. Danke für den Hinweis, bester Freund) zufällig mitgehört hatte. Sinngemäß: Ein älteres Ehepaar stritt sich auf dem Wochenmarkt, ob es noch Pflaumen bräuchte. Die Frau meinte ja, der Mann meinte nein, sie hätten noch genug, die Schale in der Küche sei noch ganz voll, aber da hatte sie das Killerargument: „Unsere Schale in der Küche ist leer, aber die Schale von Frau Beimer in der Lindenstraße, die ist voll. Das hast du verwechselt.“

Ich weiß nicht, warum ich mir diesen Grütz gemerkt habe – bis letzten Samstag. Denn da schlenderte ich an einem Lampengeschäft vorbei und dachte, oh wie praktisch, dann kannst du ja schnell irgendeine billige Funzel kaufen, Hauptsache, das Zimmer ist nicht mehr so dunkel. Bis mir einfiel, dass sämtliche meiner real existierenden Zimmer hervorragend illuminiert sind. Aber mein neues Zimmer im ersten Stock meines Hauses bei Animal Crossing – Wild World, das bräuchte echt dringend eine Lampe.

Ein nettes Product Placement, bei dem ich mir gar nicht sicher bin, ob es wirklich eins ist: Disney hat ein Buch herausgebracht, das einer der Charaktere in Lost liest – Bad Twin. Das Buch stammt von einem Autor, der angeblich 2004 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam …

Lost, in just two seasons, has perfected the art of gleefully leading the audience around by their dangly bits, sending viewers scurrying into chat rooms to hash out possible theories. Are the characters dead? Are they in Hell? Is it all a strange drug-induced experiment? Obviously not satisfied with the self-generated fan obsession, Disney decided to give it a little push with the publication of Bad Twin.

Bad Twin is, of course, not the first movie or television series-derived book. From Star Wars and Star Trek novels through The Diary of Laura Palmer (Twin Peaks) to blogs by fictional characters like How I Met Your Mother‘s Barney, there is money and buzz to be made by selling glorified fan fiction. But with publisher Hyperion sending out press releases treating this book and its author as real, we may now have entered a whole new era in pop appreciation manipulation.

Bad Twin is written by a fictitious dead Lost character; the manuscript for Bad Twin is read by a Lost character; Bad Twin has many references to the show, not to mention clues (Widmore! Hanso! Paik!) to what’s going on, along with characters that parrot the characters on Lost. Almost as if they were mirror images. Or TWINS! Bad Twin references other books that may or may not be helpful in figuring out what’s going on. I bet there’ll be a run on E.C. Bentley’s 1913 novel Trent’s Last Case.“

Laut des oben zitierten Artikels aus dem Toronto Star fragt sich die Fangemeinde nun, wer der echte Verfasser des Buchs ist. Hoch gehandelt wird Stephen King, der ein Lost-Fan ist, obwohl die schriftstellerische Qualität von Bad Twin eher jemand weniger begabten vermuten lässt. Und in einer der letzten Episoden wurde unter den Inselbewohnern rumgefragt, ob irgendjemand ein Stephen-King-Buch dabei habe.

Ich habe diese Episode noch nicht gesehen, denn ich habe dämlicherweise den Start der zweiten Staffel auf Premiere verpasst (ich glaube, ich war noch mit den DVDs der ersten beschäftigt, die mich überraschenderweise völlig erwischt hat). Und da ich meine niedrige Toleranzgrenze gegenüber Cliffhangern kenne, habe ich mich entschlossen, auch die zweite Staffel erst komplett auf DVD zu gucken. Daher weiche ich allen Spoilern weiträumig aus und versuche alles zu ignorieren, was mit Lost zu tun hat. Was nicht einfach ist, denn ich bin ganz fürchterlich gespannt darauf, wie es weitergeht.

(Ebenfalls gespannt bin ich die letzten Staffeln von The West Wing und Will & Grace (28. August) und natürlich die 5. Staffel von 24 (25. September). Wer hat gesagt, dass die Zeit immer schneller verfliegt, je älter man wird? NICHT SCHNELL GENUG!)

The obsession continues

Ich mag Red Golf, wo ich gestern und vorgestern die ersten Stunden meines Platzreifekurses absolviert habe, eigentlich ganz gerne, denn es ist halbwegs bezahlbar, und ich bin in 20 Minuten da, aber es hat einen entscheidenden Nachteil: Es liegt verdammt nah bei Ikea. Und wie wir wissen, gibt es ja IMMER etwas, was man von Ikea braucht. Dieser Sport hat Folgekosten, an die ich überhaupt nicht gedacht habe.

Auf die Kosten eines Schlägersatzes war ich immerhin vorbereitet – seit Samstag nenne ich ein fehlerverzeihendes (ja, das heißt wirklich so) Anfängerset mein eigen. Ich hab keine Ahnung, ob das Zeug was taugt, aber der freundliche Golfladen um die Ecke, der mir von diversen Kollegen empfohlen wurde, meinte, am Anfang sei es ziemlich egal, womit man spielt, weil man eh genug damit zu tun habe, den Ball nicht komplett vom Platz zu prügeln. Die ganze Feinjustierung und ein persönliches fitting machen erst Sinn, wenn man halbwegs weiß, was man tut. Seh ich genauso. Im Moment könnte ich auch mit ner Bratpfanne spielen, ich würde keinen großen Unterschied merken.

Ich stelle allerdings einen Unterschied bei den Pros statt, bei denen ich Unterricht habe. Ich habe in diesem Kurs einen neuen Lehrer, der mir bzw. uns etwas entscheidendes erzählt hat: Beim Golf geht es angeblich nicht darum, einen Ball durch die Gegend zu schlagen, sondern es geht um den perfekten Schwung. Der Ball ist bloß ein kleines Hindernis, das uns am perfekten Schwung hindern will. Seit ich das im Hinterkopf habe, sieht mein Abschlag oder vor allem mein Chipping um einiges besser aus. Ich stelle mir einfach vor, da liegt kein Ball. Und schon halte ich nicht kurz vor dem Zusammentreffen des Schlägers mit dem Ball die Luft an bzw. stoppe sogar kurz im Schlag, was mir nicht mal aufgefallen ist. Aber dem freundlichen Lehrer schon.

Was außerdem anders ist in diesem Kurs: Wir ballern nicht besinnungslos Bälle aufs Grün bzw. von der Driving Range runter – so schön das auch war –, sondern wir üben viel mehr Schwünge ohne Ball. Das geht soweit, dass wir beim Putten erst einmal vom Grün runtergehen, unseren Griff ansetzen (denn der ist ja angeblich das A und O beim Golfen), drei, vier Schwünge ohne Ball machen, dann zum Ball gehen, den Griff nochmal überprüfen, nochmal zwei Schwünge machen, und dann erst setzen wir wirklich zum Schlag an. Ich fand es am Anfang ziemlich albern, dauernd ins Nichts zu hauen, aber der Pro hat wirklich Recht: Die Bewegungen automatisieren sich langsam, man muss nicht mehr so viel darüber nachdenken, ob auch alles zusammenpasst (die Schultern, die Arme, die Handgelenke, was darf ich bewegen, was nicht, wie sehr drehe ich die Hüfte oder auch nicht yadayadayada), man wird schlicht und einfach sicherer in dem, was man tut.

Ich war am Wochenende insgesamt sieben Stunden auf dem Platz bzw. dem Übungsgrün und der Range, und ich verfluche die Tage bis Samstag, bis ich endlich wieder hindarf bzw. ich überlege schon, wie ich vielleicht doch ein paar kurze Trips nach Moorfleet in meine Woche packe. Ja, stimmt: Es macht süchtig. Verdammte Axt, ich brauch Urlaub. Und noch eine Gehaltserhöhung.

Schönster Satz der Woche, natürlich von den Zicken von Go Fug Yourself:

Tom Cruise: “I TRIMMED MY BANGS WITH A FLOWBIE!”

(vom Heliumkiffer geklaut, der nebenbei auch noch ein Golfweblog hat)

Und dann war da noch die Flugbegleiterin der Lufthansa auf dem Weg nach Nürnberg, bei der ich zum ersten Mal bei den ewig gleichen Durchsagen wirklich zugehört habe. So eine sanfte, freundlich-bestimmte Alt-Stimme, die die Satzfetzen „Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke“ und „bis die Anschnallzeichen erloschen sind“ so dermaßen erotisch aushauchte … Baby, wenn du irgendwann mal ein bisschen mehr Geld machen willst als als Saftschubse, hätte ich da eine kleine, nicht ganz unschuldige Idee.

Die gleiche Idee hatten meine männlichen Kollegen übrigens auch. Wahrscheinlich eher als ich.

Äh … WAS?

Von hier.

Sorry, wenn ich schon wieder über Golf schreibe, aber meine Güte, es ist wirklich ne Ecke schwieriger, Schläger zu kaufen als z.B. einen Badeanzug. Und im Moment mach ich irgendwie nix anderes außer arbeiten und über Golf nachdenken. Und drüber schreiben. (Ah, the sweet life.)

Wenn Sie diesem Link auf das Encore-Magazin folgen, können Sie meine erste Filmkolumne in eben diesem Magazin lesen. Seit dieser Ausgabe muss man sich leider registrieren lassen, aber das macht man doch gerne, oder?

Edit: Wie mir gerade mitgeteilt wurde, kann man die Artikel in dem Flashgewitter jetzt auch verlinken. Halleluja. Hier steht meine Kolumne. Wenn ich nur wüsste, worüber ich in der nächsten Ausgabe schreiben soll – mein Lieblingsthema ist ja jetzt durch.

Übrigens habe ich diesmal vom Golfspielen keine schmerzenden Unterarme mitgebracht, sondern weitere Deppenblessuren: eine Blase am Daumen und – blaue Flecke auf der linken Schulter, weil ich das Eisen beim Abschlag gerne mal einen Hauch zu weit durchziehe.

Ich geh jetzt ein Accessoire kaufen, das ich bisher für das überflüssigste ever gehalten habe, nun aber weiß, dass es total schnafte ist: einen Golfhandschuh.

(In rosa.)

(Äh, nein.)

growing

Und dann stieg ich nach dem zweiten Golfkurs in mein Auto, drehte das Radio laut, sang mit, lächelte dabei, weil ich den Text von irgendeinem Uraltsong noch kannte und freute mich auf mein Zuhause und das vom Kerl, der auf mich wartete.

Ich bin gewachsen in den letzten Jahren.

Bevor ich 1999 nach Hamburg gezogen bin, war ich jemand ganz anders. Jemand, der mir inzwischen so fremd geworden ist. Ich habe vor kurzem meine alten Tagebücher aus der Zeit wiedergelesen und war erschrocken, jemanden kennenzulernen, den ich als sensibel, vielleicht hypersensibel, ängstlich, manchmal verzweifelt, aber auch vielseitig interessiert und neugierig in Erinnerung hatte. Stattdessen las ich Worte von jemandem, der mir völlig fremd war. Die Person, die meinen Namen trug und meine Handschrift hatte, gab dermaßen egozentrischen Scheiß von sich, dass ich nach einigen Minuten aufhören musste zu lesen, weil ich kurz davor war, die Tagebücher zu zerreißen. Was für eine blöde, widerliche Zicke ich mal war. Ich habe sofort meine besten Freunde angerufen und mich für mich entschuldigt und mich dafür bedankt, dass sie damals meine Freunde waren und es vor allem noch sind.

Mir ist in dem kurzen Moment im Auto beim Singen aufgefallen, was sich alles geändert hat. Ich habe mich Herausforderungen gestellt. Angefangen beim Singen, was ich mich früher nie getraut hätte. Einer Kollegin von mir, die ausgebildete Musicalsängerin ist, vorzusingen, damals im Konferenzraum der alten Agentur, hat wahnsinnig viel Überwindung gekostet, aber ich war gleichzeitig wahnsinnig stolz darauf, es gemacht zu haben. Gesangsunterricht zu nehmen, hat soviel positive Energie freigesetzt; zu sehen, was alles bereits in mir ist und nur freigelassen werden will, ist ein unglaubliches Gefühl.

Eine weitere Herausforderung war es, wieder zu meinem „alten“ Glauben zurückzufinden. Wer mein Weblog von Anfang an mitgelesen hat, weiß, dass ich mich auch für andere Religionen interessiert habe, weil ich gespürt habe, dass meine spirituelle Seite angesprochen werden will; ich wusste nur lange Zeit nicht, wie. Dass ich wieder in die Kirche gehe (im Moment leider eher selten), freut mich, ganz einfach und kindlich, denn genauso einfach und kindlich erlebe ich die Gottesdienste. Oder Augenblicke, in denen ich das Gefühl habe, dass jemand bei mir ist. Oder meine Gebete, die ich meist abends sage, manchmal auch mitten am Tag, wenn ich der Meinung bin, ich möchte jetzt in diesem Moment danke sagen oder „Pass auf mich auf“ oder „Gib mir Kraft“. Diese Begegnungen mit Gott zuzulassen, anstatt mir meine seelischen Bedürfnisse mit Logik zu verbieten, hat Überwindung gekostet. Aber es macht mich jeden Tag glücklich.

Die größte Herausforderung habe ich Anfang April letzten Jahres angenommen. Nach 36 Jahren Essstörung von heute auf morgen zu sagen: Nein, ich will nicht mehr dieser Mensch sein, ich kann mich ändern und ich werde mich ändern, hat mich viel mehr beeinflusst als ich es selbst geglaubt hätte. Ich bin aus mir selbst heraus stärker geworden, ich kümmere mich um mich, ich achte auf mich.

Ich habe allerdings auch gemerkt, dass ich angespannten Situationen, Momenten, in denen meine Außenwelt sich ändert und ich mich dagegen nicht wehren kann, manchmal immer noch auf selbstzerstörerische Art begegne; falsches Essen ist ab und zu immer noch meine Methode, mit der Welt klarzukommen, wenn ich rational oder spirituell nicht weiter weiß. Aber ich habe das ohne weitere Therapie erkannt und hoffe, auch dieses Muster alleine brechen zu können. Wenn ich es bis hierher geschafft habe, dann glaube ich, dann möchte ich glauben, es auch noch weiterzuschaffen.

Abzunehmen, mich selbst anders wahrzunehmen, mich in meiner Grundkonstitution zu ändern, hat sehr viel Kraft freigesetzt, von der ich nie gelaubt habe, sie zu besitzen. Ich versuche, jeden Tag von dieser Kraft zu zehren und sie vor allem nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Ich erinnere mich an meine hilflose Zeit im Krankenhaus und in der Reha-Klinik und kann es manchmal gar nicht glauben, dass ich gerade ohne Probleme über einen Golfplatz schlendere oder schwimme oder einfach spazierengehe. Ich erinnere mich daran, weinend auf dem Wohnzimmerfußboden zu liegen; ich erinnere mich an eine Zeit, in der selbst abwaschen und einkaufen zu viel für mich waren; ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich gekellnert habe, weil ich glaubte, für nichts anderes gut genug zu sein. Ich erinnere mich an das Gefühl, so fest zu glauben, für nichts gut genug zu sein, dass ich es kaum fassen kann, dass ich heute fest daran glaube, für eine Menge gut zu sein.

Ich kann auf mich selbst aufpassen, mal besser, mal schlechter, aber immer gut genug, dass mir nicht wieder alles entgleitet. Ich habe seit über zwei Jahren eine sehr gute Beziehung, ich treibe Sport, ich lerne neue Dinge (und wenn es „nur“ HTML und CSS sind), ich singe, ich habe Freunde. Ich wache jeden Morgen auf und freue mich auf den Tag. Ich weiß, dass es viele Nächte in meinem Leben gab, in denen ich mir gewünscht habe, es würde kein Morgen mehr kommen. Ich bin so dankbar dafür, dass dieser Wunsch nie in Erfüllung gegangen ist.

Ich hoffe, ich muss mir nicht in ein paar Jahren, wenn ich diese Aufzeichnungen noch mal lese, eingestehen, immer noch eine widerliche Zicke gewesen zu sein, die keinen Millimeter von ihren vorgefassten Meinungen abrückt und sich nicht verändert, weil sie so viel Angst vor Veränderungen hat, dass sie aus ihren Schwächen Tugenden machen will, obwohl sie weiß, dass es falsch und Selbstbetrug ist. Ich habe mich verändert. Und ich werde mich weiter ändern, denn alles um mich herum ändert sich mit mir mit.

Ich wachse. Jeden Tag. Und jeden Tag weiter.