Nói Albinói

Nói Albinói
(IS, 2003)

Darsteller: Tómas Lemarquis, Thröstur Léo Gunnarsson, Elín Hansdóttir, Anna Fridriksdottir, Hjalti Rögnvaldsson
Musik: slow blow
Kamera: Rasmus Videbæk
Drehbuch: Dagur Kári
Regie: Dagur Kári

Als das Musikvideo noch eine ganz junge Kunstrichtung war, gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, einen Song zu bebildern: Entweder es tanzten lustig gewandete Hupfdohlen im Hintergrund, während die Band bedeutungsschwanger im Vordergrund agierte oder man erzählte eine Geschichte zum Lied. Die dauerte netterweise meist nur vier Minuten. Das hätte sich Nói Albinói mal zu Herzen nehmen sollen.

Der Film ist quasi die isländische Version von Elvis’ „In the Ghetto“. Wir erleben, wie aus einem child, das eine helping hand braucht, ein angry young man wird, weil alle um ihn herum die Masche „simply turn our heads and look the other way“ fahren.

Das Kind, das eine helfende Hand braucht, ist Nói, ein 17jähriger Rebell, sofern man in einem vereisten isländischen Dörfchen einer sein kann. Das einzige, was er machen kann, ist, die Schule zu schwänzen und Münzautomaten zu leeren und sich dafür Malzbier zu kaufen. Er träumt davon wegzulaufen, am besten mit Iris, dem Mädchen, das an der Tankstelle arbeitet.

Nóis Vater gibt die Klammer vor, die der Film versucht zu bebildern: Er singt im örtlichen Restaurant „In the Ghetto“, er singt es auf ein Diktiergerät, das er in seinem Taxi bei sich führt, er singt es einfach so vor sich hin. Und zu allem Überfluss heißt seine Katze auch noch Elvis Aaron (soviel Zeit muss sein).

Der Film erzählt sehr ausführlich, aber dabei leider ziemlich unspektakulär, wie Nói von der Schule fliegt, wie er Iris näherkommt, wie er bei seiner Oma lebt, wie er sich gerne in den Keller zurückzieht, um ein bisschen ganz für sich zu sein, wie sein Vater dem Alkohol verfällt und sein Klavier zertrümmert, weil angeblich kein Stück Musik darin sei.

Das alles hätten gefühlvolle Szenen werden können, wenn sie nicht so völlig unemotional zusammengeschnitten worden wären und vor allem, wenn die wenigen Szenen, die wirklich die Geschichte voranbringen, nicht ständig durch pseudo-bedeutungsschwangere Bilder unterbrochen worden wären. Das ist ja schön, dass Nói stundenlang eine Fliege auf seiner Hand entlanglaufen lässt oder ihm der Topf mit Tierblut ausrutscht, aus dem sein Vater gerade wer weiß was kochen will und dieses Blut sich über Papa und Oma ergießt und wir mal kurz schmunzeln, weil man sich plötzlich wie bei Tarantino fühlt – aber was sollte das?

Dann plötzlich erleben wir wieder Szenen, die kurz die Einsamkeit und Außergewöhnlichkeit von Nói klar machen – weder der Schule noch seiner Umgebung ist wirklich klar, ob er nun einfach ein Idiot oder ein Genie ist. Dann berührt einen der Film plötzlich und man wünscht sich, noch näher an die Figuren herankommen zu dürfen. Das wird einem aber leider nicht vergönnt.

Man hat nie das Gefühl, einen Spannungsbogen zu erkennen. Die Bilder laufen lakonisch an einem vorbei, man schaut zu, aber man hätte auch nebenbei Zeitung lesen können – man hätte nichts versäumt. Selbst die eigentlich aufwühlenden Szenen wie das Zertrümmern des Klaviers oder den Wutausbruch Noís einem Wahrsager gegenüber, der ihm erzählt, dass er den Tod sehen würde, wirken seltsam farblos, ganz so, als ob die Lichtstimmung des Films auf die Handlung eingewirkt hätte. Alles ist stets gräulich, hellblau, verwaschen, verweht, unkonzentriert, kein Licht, kein Schatten. Man nimmt kaum noch Anteil, weil alle seltsam deprimiert vor sich hinleben. Selbst die kurze Liebesgeschichte zwischen Nói und Iris wirkt kraftlos, so, als ob von vornherein klar ist, dass es kein Happy End geben wird.

Erst kurz vor Schluss wacht der Film auf, und wir erleben, wie sich die Prophezeihung des Wahrsagers erfüllt – allerdings ganz anders, als wir gedacht haben. Und plötzlich fühlt sich der Film nicht mehr kraftlos, sondern niederträchtig an, so, als ob uns der Regisseur mit auf den Weg geben wollte: Es kommt immer anders, als man denkt und nie so, wie man will.

Wenn das die Botschaft ist, die ich aus Nói Albinói mitnehmen soll, dann danke. Erstens wusste ich das schon vorher, und zweitens ist Elvis echt sowas von out.

Love Actually

Love Actually
(Tatsächlich … Liebe, UK 2003)

Darsteller: Hugh Grant, Liam Neeson, Colin Firth, Laura Linney, Emma Thompson, Alan Rickman, Keira Knightly, Heike Makatsch, Bill Nighy, Martine McCutcheon
Musik: Craig Armstrong
Kamera: Michael Coulter
Drehbuch: Richard Curtis
Regie: Richard Curtis

Love Actually hat alles, was zu einem richtig widerlichen Weihnachtsfilm gehört: viele verschiedene Paare, die fast alle zum Schluss glücklich unter dem Tannenbaum sitzen, einen total schnuffigen Soundtrack, auf dem alle Weihnachtssongs sind, die man spätestens ab Mitte Dezember nicht mehr hören kann und naseweise Kinder, die mit ihren Stiefvätern über die Widrigkeiten der großen Liebe reden, nachdem ihre Mutter gerade zu den Klängen der Bay City Rollers bestattet wurde. Und trotzdem macht der Film irgendwie Spaß, auch wenn man es sich intellektuell nicht eingestehen möchte.

Der Film verknüpft sehr lose die Geschichten von … ich weiß nicht wievielen Paaren, die auf der Suche nach der großen Liebe sind und sie fast alle auch finden. Jedes dieser Paare hat seinen eigenen Charme, sei es die graumäusige Büroangestellte, die seit zwei Jahren, sieben Monaten und drei Tagen in den heißblütigen brasilianischen Kollegen verknallt ist, der abgehalfterte Rockstar, der über dem Erfolg seiner Weihnachtssingle merkt, wie gerne er seinen Manager doch hat oder auch – die simpelste und vielleicht deswegen schönste Geschichte – der britische Premierminister, der sich in seine Angestellte verguckt. Der Premier wird von Hugh Grant dargestellt, den ich persönlich in jeder seiner Schnulzen einfach hinreißend finde, selbst in denen, in denen er sich nicht wirklich anstrengt. Hier strengt er sich an, und allein für die Szene, in der er zu „Jump“ von den Pointer Sisters seine mageren Hüften durch Downing Street No 10 schwingt, würde ich nochmal Eintritt zahlen.

Auch der Rest der Pärchen ist hochkarätig besetzt: Liam Neeson, Colin Firth, Emma Thompson und Alan Rickman spielen weitere Hauptrollen; in etwas kleineren Rollen sind Keira Knightley, Rowan Atkinson und Heike Makatsch zu bewundern. Das Staraufgebot tröstet stark darüber hinweg, dass in Love Actually viel zu viel und gleichzeitig viel zu wenig passiert. Jede Einzelgeschichte hätte nicht genug Stoff für einen abendfüllenden Film hergegeben, also wurden noch ein, zwei, drei dazugestrickt. Mit drei hätte man es bewenden lassen sollen, aber anscheinend ist Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis ins Schwafeln gekommen, und niemand hat ihm irgendwann einmal Einhalt geboten. Manche der Paare sehen wir gerade dreimal auf der Leinwand – immer mit kleinen, schönen Geschichten, aber ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass sie mich nur von den Hauptpersonen ablenken, und ich wusste bis zum Schluss nicht, wozu die ganzen Subplots gut sein sollten.

Curtis hat die Drehbücher zu Four Weddings and a Funeral, Bridget Jones’ Diary und Notting Hill geschrieben. Wer diese Filme mochte, wird auch Love Actually mögen, denn zu seinem warmherzigen Humor gesellt sich sein schöner spröder britischer Unterton. Manchmal wird der allerdings schon arg zugekleistert von Dialogen der Marke “I should have told your Mom every day that I loved her because she was perfect.” Äh … ja. Derlei Nullnummern kann ich auch nur in der Vorweihnachtszeit ertragen.

Der Film schweift ab und zu von der fluffigen Welt der Verliebten, Verlobten und Verheirateten ab in die der einsamen Herzen. Dann wird es im Kino wieder etwas ruhiger und ehrlicher, und man fühlt sich nicht mehr ganz so überzuckert. Diese wenigen, anrührenden Momente und die engagierten Darsteller retten den Film so gerade eben davor, als absoluter Weichspüler zu enden.

Ich hätte mir eine Konzentration auf drei oder höchsten vier Paare gewünscht und mehr Momente der Einkehr. So lässt einen der Film etwas atemlos zurück, weil er einfach zu viel erzählen will. Dadurch wirkt er stellenweise zu bemüht für sein eigentlich leichtes Anliegen und ist vor allem mit 135 Minuten eine ganze Ecke zu lang geworden. Trotzdem empfehle ich ihn als kuscheligen Pärchenfilm für die nächsten Adventssonntage. Im Januar macht er allerdings garantiert nur noch halb so viel Spaß.

In America

In America
(UK, 2002)

Darsteller: Samantha Morton, Paddy Considine, Sarah Bolger, Emma Bolger, Djimon Hounsou, Merrina Millsapp
Musik: Gavin Friday, Maurice Seezer
Kamera: Declan Quinn
Drehbuch: Jim Sheridan, Naomi Sheridan, Kirsten Sheridan
Regie: Jim Sheridan

Ich mag Filme, die mir gleich in den ersten Minuten sagen, wo die Reise hingeht: ob ich mich auf eine Komödie einstellen muss, ein Roadmovie, einen Thriller. In America sagt es mir nicht, sondern fragt, und zwar in Form des ersten Songs, der im Hintergrund läuft, als die vierköpfige irische Familie Sullivan illegal nach New York einreist und über den Times Square fährt: “Do you believe in magic?”

Die Geschichte dreht sich um die beiden kleinen Töchter, die sich an das Leben in Amerika gewöhnen müssen; die Mutter, die eigentlich Lehrerin ist, nun aber in einer Eisdiele arbeitet, und den schauspielernden Vater, der Taxi fahren muss. Die Familie versucht, über den Verlust ihres jüngsten Sohnes hinwegzukommen, indem sie aus Irland nach Amerika ausgewandert ist.

Der Film wird aus der Perspektive der zehnjährigen Christy erzählt. Sie zeichnet die kleine Familienwelt in einem runtergekommenen Brownstone in New York mit ihrem Camcorder auf. Wir sehen zu, wir hören zu, und wir entdecken die Welt durch ihre Augen. Das mag manchmal an der Grenze zum Kitsch sein, aber wem das nicht passt, der hätte gleich zu Anfang sagen müssen: „Nein, ich glaube nicht an Zauberei und gefälligst aus dem Kino gehen sollen.

Vordergründig geht es um den üblichen Kleinkram, der das Leben so nervig macht: Wo kommt das Geld für die Miete her, wie hält man sich die Junkie-Nachbarn vom Hals, und wieso funktioniert die Klimaanlage nicht? Aber aus all diesen alltäglichen Situationen entspinnen sich kleine Geschichten, die die Welt hinter der Realität suchen – und sie finden. Und wir entdecken, dass diese Geschichten das Leben so wunderbar machen: wenn der Vater das Geld für die Miete dafür rauswirft, der kleinen Tochter auf dem Rummelplatz ein Stofftier zu erspielen. Wenn aus unheimlichen Nachbarn plötzlich Freunde werden. Wenn man einfach ins Kino geht, weil da eben die Klimaanlage funktioniert. Und irgendwann stellen sich die Figuren die Frage: Was ist eigentlich unsere Realität? Sind es die Nervereien oder die kleinen Wunder, die tagtäglich passieren?

Der Verlust des Sohnes schwingt allerdings in allem mit, was die Familie macht. Der Film lässt dieses Gefühl des unendlichen Schmerzes aber nicht plakativ im Raum stehen und spinnt die Geschichte darum, sondern er lässt es ab und zu ganz unvermittelt in Dialogen, Gesten, Blicken durchbrechen. Meiner Meinung nach der einzig richtige Umgang mit Trauer und der einzig richtige Weg, sie zu zeigen, ohne albern zu werden. Selbst wenn man einen schweren Verlust erlitten hat – irgendwann tritt dieses ohnmächtige Gefühl in den Hintergrund, und man beschäftigt sich eben wieder mit der Miete oder der Klimaanlage. Aber plötzlich erwischt einen ein Blick, eine Bewegung, ein Anstoß, und die Erinnerung wird geweckt. Und plötzlich tut alles wieder weh.

Die Familie findet verschiedene Wege, mit der Trauer fertigzuwerden. Und nicht nur damit: Der Vater braucht einen Job, der Nachbar, mit dem man sich angefreundet hat, ist schwer krank, und die erneute Schwangerschaft der Mutter verläuft problematisch. Das hört sich jetzt alles nach einem fürchterlich schweren Film an, aber komischerweise hat man nie das Gefühl, an all dem zu ersticken. Es fällt manchmal schwer, dem optimistischen Nachbarn zu glauben, der ganz schlicht sagt: “Everything is going to be fine”, aber man glaubt es. Warum auch immer. Zauberei vielleicht? Und so steuert der Film auf ein Happy End zu, was zwar nicht heißt, dass alle Probleme gelöst sind und dass Trauer nie wiederkommt; aber es ist ein Ende, das gleichzeitig ein Anfang ist. Ein Anfang von neuen Nervereien und neuen Wundern.

In America ist einer dieser kleinen, schönen Filme, die eine ganz alltägliche Geschichte erzählen, ohne zu langweilen, ohne sie zu überhöhen, ohne aus allem eine Parabel zu machen. Man lacht, man weint, man freut sich, man leidet – man gehört nach zwei Stunden zur Familie und möchte alle vier in die Arme nehmen und sie nie wieder loslassen. Man kommt mit einem warmen Gefühl aus dem Kino und wird sich bewusst, wie gut die Luft schmeckt, die man atmet, wie wundervoll die Leuchtreklame in der Nacht aussieht und wie herrlich es sich anfühlt, wenn man lächelt.

I believe in magic. Deswegen liebe ich das Kino. Und deswegen liebe ich das Leben. Auch wenn’s manchmal nervt. Denn ich weiß, dass hinter allem ein Wunder wartet.

The Kid Stays in the Picture

The Kid Stays in the Picture: Dokumentation nach der gleichnamigen Autobiografie des legendären Produzenten Robert Evans. Die Doku hat den gleichen selbstbeweihräuchernden Tonfall wie das Buch und ist durch seine nervige tough guy-Attitüde ziemlich anstrengend. Aber immerhin gibt’s ne Menge schöner Hintergrundstorys zu Rosemary’s Baby, Love Story, The Godfather und vielen weiteren Hollywood-Klassikern. Kann man machen.

Und eine schöne Widmung als Eingangszitat: “There are three sides to every story: your side, my side, and the truth. And no one is lying.”

Amores Perros

Amores Perros: Ja, ich bin verdammt spät dran, ich weiß, aber jetzt hab ich ihn endlich gesehen. Der Film ist für meinen Geschmack ein bisschen zu lang, und er verliert leider ziemlich an Tempo, sobald die zweite Geschichte der dreien beginnt, die erzählt werden, aber ich fand ihn trotzdem sehr gut. Drei verschiedene Welten, die sich alle stimmig anfühlen, wunderbare Darsteller und Pointen, die man nicht schon meilenweit vorher ahnt – gute Sache. Ein bisschen viel Hund vielleicht. Aber dafür mit Schnuffi Gael García Bernal.

Außerdem steht am Schluss des Films die beste Widmung, die ich bis jetzt auf einer Leinwand gesehen habe: „A Luciano, porque también somos lo que hemos perdido – Für Luciano, denn wir sind auch das, was wir verloren haben.“

FearDotCom

FearDotCom: Hahaha. Nee, klar. Dass Stephen Dorff nur noch Müll dreht, war mir ja klar, aber warum Natasha McElhone sich für diesen Stupid German Money-Film hergegeben hat, ist mir ein Rätsel. Es geht um eine total fiese Website, die Leute umbringt, die sie anschauen. Glaube ich jedenfalls. Ansonsten stirbt Udo Kier in der ersten Minute des Films, Matthias Schweighöfer darf ne Menge auf Deutsch brüllen, bevor er auch stirbt, und dann war da noch das Mädchen, das im Minirock in ein leeres, unheimliches Theater geht, wo der böse … ach, egal. Weg damit.

Full Frontal

Full Frontal (Voll frontal): sollte wohl ein kleiner Independent-Film werden, der ein paar Hollywoodregeln bricht, ist aber doch ein Hollywood-Film geworden, der sich anfühlt wie ein Versuch, einen Independent-Film zu drehen.

Vielleicht liegt’s an den großen Namen wie Julia Robert, Brad Pitt, David Hyde Pierce und Catherine Keener, die einen eben nie vergessen lassen, dass das hier immer noch Hollywood ist. Mit weniger bekannten Gesichtern hätte der Plan vielleicht funktioniert, aus einer ziemlich improvisierten Geschichte auf digitalem Material einen Film abseits der Regeln zu drehen. Aber wer schon Regeln am Filmset austeilt (keine Trailer für die Schauspieler, kein Make up-Department), kann nicht erwarten, dass Kleinkunst dabei rauskommt. Wieso hat das eigentlich bei Dogma funktioniert?

Try Seventeen/All I Want

Try Seventeen/All I Want: feines, herzerwärmendes Filmchen mit Elijah Wood und Franka Potente. Keine große Story, nur die üblichen Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens: die erste Liebe, der erste Sex, die erste Trennung, Versöhnung mit der Vergangenheit, wahre Freundschaften, unerwartete Gesten, schöne Geschichten. Mir hat’s gefallen.

The Last Samurai

The Last Samurai
(Der letzte Samurai, 2003)

Darsteller: Tom Cruise, Ken Watanabe, Tony Goldwyn, Masato Harada, Shichinosuke Nakamura, Koyuki, Hiroyuki Sanada
Musik: Hans Zimmer
Kamera: John Toll
Drehbuch: John Logan, Edward Zwick & Marshall Herskovitz
Regie: Edward Zwick

Vorneweg: Ich war noch nie ein großer Freund von Tom Cruise. Seit Top Gun habe ich ihm keinen Charakter mehr wirklich abgenommen. Vielleicht ein bisschen Jerry Maguire. Aber ansonsten ist er für mich einfach nur der Strahlemann, der sich in den Vordergrund drängelt und der meist in Filmen mitspielt, die irgendwie um seine Person rumgeschrieben wurden.

Auch The Last Samurai ist auf Cruise zugeschnitten, und er ist im Prinzip ständig im Bild. Aber komischerweise ist mir das gar nicht so negativ aufgefallen; ganz im Gegenteil, ich war sogar einigermaßen beeindruckt von ihm. Den Film hat das allerdings nicht ganz gerettet.

The Last Samurai erzählt die Geschichte des Armee-Captains Nathan Algren (Cruise), der unter General Custer an mehreren Massakern an Indianern beteiligt war und sogar darüber Bücher geschrieben hat. Sein Ruf dringt bis nach Japan. Kaiser Meiji holt Algren 1876 ins Land, damit er seine Armee für das Gefecht mit den Samurai vorbereitet, die ihn mit Gewalt daran hindern wollen, das Land zu sehr dem Westen anzunähern.

Wir lernen Algren nicht als einen strahlenden Kriegshelden kennen, sondern als einen Säufer, der sich gerade noch im Sattel halten kann und große Sprüche klopft, um sein Salär hochzutreiben. Er wird von Alpträumen geplagt und leidet augenscheinlich unter seinen vergangenen Gräueltaten; er fragt sich, ob das Töten für Geld das Einzige ist, wozu er taugt und hat im Prinzip mit seinem Leben bereits abgeschlossen,
Im Gefecht mit den Samurai wehrt er sich zwar nach Kräften, aber man wird den Eindruck nicht los, dass das bloße Reflexe sind; eigentlich ist es ihm egal, ob er lebt oder stirbt. Und auch, als er verletzt in Gefangenschaft gerät und des öfteren am Boden ist, steht er nur aus Trotz wieder auf.

Der Teil des Films, in dem Algren Gefangener bei den Samurai ist und dadurch als Mensch wächst, ist der schönste und aussagekräftigste. Der Amerikaner lernt eine völlig andere Welt kennen, die so gerade an den üblichen Blut-Ehre-Vaterland-Klischees vorbeischrammt. Natürlich beruht der ganze Samurai-Kult auf Ehre und Loyalität, aber die Worte klingen respektvoll und ehrlich, wenn sie benutzt werden und nicht wie billiges Dialogfutter, um die nächste Actionszene einzuleiten.

Die Wandlung des abgebrühten und desillusionierten Kämpfers zu einem Mann, der auf einmal sieht, dass er sein Schicksal noch nicht gefunden hat, sondern erst dabei ist, es zu entdecken, vollzieht sich ganz allmählich. Der Film erzählt die Geschichte sehr ruhig und stimmungsvoll und gibt allen Beteiligten Zeit, sich glaubhaft zu entwickeln. Die Kamera schwebt dabei gerne über den nebelverhangenen Bergen, ruht auf den klassisch-schlichten und doch so üppigen Kostümen und fängt natürlich eine Menge Schwertkämpfe ein, deren Choreografie nie zu modern aussieht. Gutes, altmodisches Erzählkino.

Und ein in meinen Augen sehr erwachsen wirkender Tom Cruise. Man ahnt zwar, dass er es mit dieser epischen Rolle auf den Oscar abgesehen hat, aber er kommt nie zu bemüht daher. Mimik und Gestik sind sehr sparsam, fast ehrfürchtig im Vergleich zu den sehr ausdrucksstarken japanischen Schauspielern.

Überhaupt sind es die kleinen Momente, die den Film stellenweise wunderschön gemacht haben: der einzige Kuss, den Algren und Taka (Koyuki), die Frau, die ihn gesund gepflegt hat, teilen; die eine Träne, die Samurai Katsumoto (Ken Watanabe) vergießt, als der Kaiser seine Dienste ableht; die kurze Verbeugung des Kaisers vor Algren, die soviel mehr an Respekt ausstrahlt als die längste Rede.

Leider besteht der Film nicht nur aus diesen kleinen Gesten. Das Leben der Samurai, das von Tradition, Disziplin und Spiritualität geprägt ist, endet mit ihrem Ritt nach Tokio zum Kaiser, um ihn nochmals daran zu erinnern, das Land nicht dem Westen zu übergeben. Ab da wird aus dem Film ein ziemlich banaler und sehr langer Showdown. Algren rettet Katsumoto aus der kaiserlichen Gefangenschaft und schließt sich endgültig den Samurai an, um an ihrer Seite gegen die japanische Armee unter der Führung eines anderen Amerikaners zu reiten.

Das große Gefecht zum Schluss hat mich seltsam unberührt gelassen. Wahrscheinlich, weil ich die leisen Momente eben so geschätzt habe. Und weil mir gerade bei den Schlachtszenen die unsägliche Musik von Hans Zimmer aufgefallen ist. Bei Pirates of the Caribbean war es mir ja egal, dass alles wie Gladiator klang, aber mitten in Japan das Gefühl zu haben, gerade Südseeinseln unter voller Flagge zu umkurven, hat ziemlich genervt. Wie die Schlacht ausgeht, kann man sich übrigens denken, denn schließlich heißt der Film nicht umsonst so, wie er heißt, und der Name des Stars steht fett über dem Titel. Und von der Schluss-Szene, in denen Algren als Amerikaner sich als der beste Japaner von allen erweist und selbst dem Kaiser klar macht, dass … egal … will ich erst gar nicht anfangen.

Fazit: Wer Tom Cruise mag, wird The Last Samurai lieben, denn er ist überraschend gut und zeigt, glaube ich, nur ein- oder zweimal sein fieses Hollywood-Grinsen. Wer allerdings ein schönes Epos sehen will, sollte sich vielleicht nochmal Return of the King angucken. Oder auch Gladiator. Da passt dann auch die Musik wieder.

The Lord of the Rings: The Return of the King

The Lord of the Rings: The Return of the King
(Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs, USA 2003)

Darsteller: Elijah Wood, Sean Astin, Ian McKellen, Viggo Mortensen, Orlando Bloom, Billy Boyd, Dominic Monaghan, John Rhys-Davies, Bernard Hill, John Noble, David Wenham, Karl Urban, Liv Tyler, Cate Blanchett, Hugo Weaving
Musik: Howard Shore
Kamera: Andrew Lesnie
Drehbuch: Fran Walsh, Philippa Boyens & Peter Jackson, nach dem Roman von J.R.R. Tolkien
Regie: Peter Jackson

Für den Kopf: The Return of the King ist der dritte und letzte Teil der Lord of the Rings-Saga, die vor zwei Jahren in den Kinos begonnen hat. Die Hobbits Frodo und Sam haben sich auf den Weg zum Mount Doom gemacht, um den Ring des Bösen zu vernichten, und in diesem Teil erreichen sie endlich ihr Ziel.

Fürs Herz: The Return of the King ist in einigen Momenten so überlebensgroß, dass er fast die Leinwand sprengt und in anderen so intim und zärtlich, dass man ihn umarmen möchte. Er vermag uns mit seinen Charakteren auch nach zwei Teilen noch zu überraschen; er lässt sie zeitweilig über sich hinauswachsen, ohne ihnen untreu zu werden, und er fesselt bis zur letzten Minute. Er erzählt eine wunderbare Geschichte, er hat eine hoffnungsvolle Moral, und er ist Kino, wie Kino sein soll: bewegend.

Alles, was mich am zweiten Teil gestört hat, macht der dritte richtig. Auch hier verfolgen wir unterschiedliche Handlungsstränge, aber King verliert nie an Tempo, so wie The Two Towers es bei jedem Schnitt zu Merry und Pippin und dem Ent getan hat. Auch hier haben wir eine lange Schlachtszene, die aber nicht so ausgewalzt wirkt wie die Schlacht bei Helm’s Deep. Und natürlich weicht auch King von der Romanvorlage von Tolkien ab (sogar noch extremer für mein Gefühl als Towers), aber hier macht jede Auslassung Sinn. Wenn dabei auch ein paar Charaktere auf der Strecke bleiben und andere ein kleines bisschen zu kurz kommen.

Der Film ist dreieinhalb Stunden lang geworden, aber er hätte auch gerne vier oder sogar fünf dauern dürfen. Ich habe kein einziges Mal das Gefühl gehabt, ja, ist gut jetzt, mach hin, wir müssen weiter, wie ich das in Towers ab und zu hatte und in wenigen Momenten auch in The Fellowship of the Ring. King hat so viel zu sagen, dass gar keine Zeit bleibt, irgendwo länger zu verweilen. Ich hoffe, dass es auch von diesem Teil einen extended cut gibt, der einem ab und zu die Chance zum Atemholen lässt.

Trotzdem hat es sich aber nie so angefühlt, als hätte nun auf Teufel komm raus die Geschichte zu Ende erzählt werden müssen, auch wenn das Tempo durchgehend zügig ist. Und deshalb berühren die Szenen, in denen die Geschwindigkeit mal rausgenommen wird, doppelt. Wenn Pippin als Knappe in Gondor dem wahnsinnigen Steward ein Lied singt und wir nur seine zarte Stimme hören, dazu aber die Bilder einer Schlacht in Zeitlupe sehen, dann fühlt sich das brutaler an als die wildeste Metzelei mit hektischen Schnitten. Wenn Frodo von der Macht des Rings übermannt wird und Sam davonschickt, um mit Gollum weiterzugehen, dann tut das mehr weh als jeder Abschied für immer, den wir auf dem Schlachtfeld erleben. Und die wenigen Momente, in denen Faramir um die Liebe des Vaters buhlt oder Eowyn um die Anerkennung durch ihren Onkel, sind emotionaler als die epische Schlachtenerzählung vor den Toren von Minas Tirith.

Apropos Minas Tirith: Helm’s Deep war ja schon eine imposante Kulisse. Die Weiße Stadt dagegen ist atemberaubend. Überhaupt hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass die ersten beiden Teile im Vergleich zu King fast zu einer Fingerübung verkommen. Die mächtigen Sets, die riesigen Aufmärsche, die überlebensgroßen Gefühle – die kommen alle erst jetzt. Und zwar satt.

Netterweise wurden die Dialoge dagegen zurückgenommen: Es gibt zwar immer noch die üblichen bedeutungsschwangeren Sätze (gerne von Legolas oder Gandalf gemurmelt), aber sie sind nicht mehr so gehäuft und weniger kitschig. Viel öfter lässt der Film seine Figuren sogar ganz schweigen und schwelgt nur in Bildern, die entweder mit Howard Shores wunderbaren Score unterlegt sind oder gar keinen Ton haben. Die Musik greift alle wichtigen Themen der ersten beiden Filme auf und schafft so, fast nebenbei, einen sehr runden und stimmigen Schluss. Auch bekommen wir alle tragenden Charaktere noch einmal zu sehen, denen wir auf der langen Reise durch Mittelerde begegnet sind, und so schließt sich auch hier der Kreis.

Was mir persönlich am besten gefallen hat und weswegen mir auch Fellowship immer mehr lag als Towers, ist, dass sich die Geschichte wieder auf ihre Hauptpersonen konzentriert: auf die Hobbits, allen voran Frodo und Sam. Schließlich sind es die beiden, die das Motiv der ganzen Trilogie bilden. Es geht um Macht, die korrumpiert, es geht um Freundschaft und Loyalität, die sich dieser Macht entgegenstellt, und es geht ganz simpel um den Glauben an das Gute in dieser Welt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Natürlich tragen auch die anderen Charaktere diese Geschichte mit, aber die Momente, in denen Frodo und Sam auf der Leinwand sind, waren bisher immer die, die mir persönlich sehr nahe gegangen sind und die für mich die Hauptstory der Trilogie verkörpern.

In The Return of the King bekommen wir die extremsten Seiten der beiden zu sehen: wie Frodo dem Ring verfällt und wie Sam über sich hinauswächst und ihn mehrmals rettet, sowohl physisch als auch seelisch. Die beiden bilden ein sehr symbiotisches Paar, was seit Beginn der Trilogie Anlass zu wilden Spekulationen und einer Menge schlechter Witze gewesen ist – was ich allerdings nicht nachvollziehen kann. Für mich ist Sam der beste Freund, den man sich wünschen kann, und ich habe selten einen Charakter auf der Leinwand erlebt, der so ehrlich und wahrhaftig rüberkam, ohne jemals dabei übertrieben oder pathetisch zu werden. Und als Frodo sich ganz zum Schluss mit einem Kuss von Sam verabschiedet, habe ich das als die einzig angemessene Geste empfunden und nicht als kitschig – genau wie auch Aragorn in Fellowship so von Boromir Abschied genommen hat.

Elijah Wood ist immer noch kein Burgschauspieler und wird es wohl auch nie werden, aber er hat eindeutig mehr Tiefe als in den Teilen davor. Sean Astin als Sam berührt mich jedesmal, und ich nehme ihm jeden Satz und jede Träne ab – vielleicht, weil auch ich so gerne an das Gute glaube, das er so vehement und mit all seiner Kraft verteidigt. Von den anderen Schauspielern wächst keiner wirklich über sich hinaus, aber jeder bietet eine sehr solide Leistung – zu mehr war wahrscheinlich auch keine Zeit.

Ein bisschen genervt hat der Schluss – man merkt Regisseur Peter Jackson an, dass er sich nicht von Mittelerde trennen kann; zu viele Enden werden nacheinander abgefeiert. Immer, wenn man schon dabei ist, sich die Jacke anzuziehen, kommen noch einmal ein paar Minuten, ein paar Momente, um das endgültige „The End“ abzuwenden.

Ich muss gestehen, ich kann es nachempfinden. Das Gefühl, mit dem ich aus King gekommen bin, war zuerst eine tiefe Zufriedenheit: ganz simpel deswegen, weil alles stimmig ausgegangen ist, weil der letzte Teil nicht enttäuscht hat, weil das Gute gesiegt hat. Aber gleichzeitig war ich ein wenig traurig darüber, dass ich mich nicht mehr so wie die letzten beiden Jahre auf den nächsten Dezember freuen kann, wenn der neue Teil von Lord of the Rings anläuft.

Für den Kopf: Natürlich hat der Film ein paar Macken, ein paar Szenen, die nicht sein müssen, ein paar Sätze, die stören, ein paar Charakterentwicklungen, die zu hopplahopp gehen.

Fürs Herz: Mir egal. Es gibt Filme, denen verzeiht man eine Menge. Weil sie mit Herzblut gemacht worden sind. Weil sie das Versprechen von Würde und Ernsthaftigkeit einlösen, das sie gegeben haben, anstatt in Kitsch zu ertrinken. Weil sie eine grandiose Story episch und riesengroß und gleichzeitig ganz klein und menschlich zu Ende erzählen.

The Return of the King ist einer dieser Filme.

The Hard Word

The Hard Word: schöner, schneller Film über drei Brüder, die mit den Cops gemeinsame Sache machen und Raubüberfälle verüben. Die Kriminalgeschichte ist nur die Grundlage; der Film macht Spaß, weil die Charaktere gut gezeichnet sind und nicht die üblichen Gangster-Schablonen bilden – jedenfalls die Kerle. Die weiblichen Akteure kommen nicht ganz so ausgewogen weg, stören aber auch nicht wirklich.

Australisches Slang-Englisch werde ich übrigens nie ohne Untertitel verstehen. Ein Land weniger auf der Auswanderungs-Wunschliste.

Hulk

Hulk: Ich war fest entschlossen, diesen Film fürchterlich zu finden, aber es ist mir nicht ganz gelungen. Er ist viel zu lang, am Ende sehr zäh, und der Hulk ist so dermaßen mies animiert, dass man sich fast nach den Menschen in Finding Nemo sehnt – selbst die sahen besser aus. Trotzdem fand ich ihn handwerklich recht ordentlich und durchaus unterhaltsam.

Hulk versucht gar nicht großartig, ernsthaft rüberzukommen, sondern rettet mit Split Screens und einer Menge hübscher Überblendungen stets das Comichafte der Vorlage in den Realfilm rüber. Und obwohl Eric Bana als Hulk nicht unbedingt der talentierteste Schauspieler ist, kann man ihn ertragen; Jennifer Connelly und Josh Lucas sowieso. Nur Nick Nolte als verzauselter Vater vom Angry Man (schöner Codename für den Grünling) übertreibt es ein wenig, wenn er ernsthaft versucht, seine Dialoge diabolisch rüberbringen zu wollen.

Den of Lions

Den of Lions (Auf Messers Schneide): russische Mafiakerle, die in Budapest Menschenhandel betreiben, Gangleader mit verführerischen Töchtern, die in London Wirtschaft studiert haben, karrieregeile FBI-Männer, die kein Ungarisch sprechen und ein schlecht gelaunter Stephen Dorff als Zigeuner – 21 Minuten und keine Sekunde länger.

Swimfan

Swimfan: Fatal Attraction an der High School. Vorhersehbar, billig, schlecht gespielt. War klar; ich hab’s trotzdem bis zum Ende geguckt. Schön, wenn man sonst gerade mal nichts zu tun hat. (Ja, ich mach meine Wäsche irgendwann diese Woche noch.)

Tadpole

Tadpole (Alle lieben Oscar): überzeugende Mischung aus The Catcher in the Rye und The Graduate. Der 15jährige Oscar (Aaron Stanford, 25) verliebt sich in seine Stiefmutter (Sigourney Weaver), landet aber stattdessen erstmal mit deren bester Freundin im Bett. Was eine Aneinanderreihung von peinlichen Situationen hätte werden können, ist ein sehr stimmiger, ruhiger Film geworden. Er fühlt sich an wie eine Kurzgeschichte, manchmal ein bisschen zu gewollt intellektuell (die albernen Voltaire-Zitate als Kapiteltrenner hätte man sich auch schenken können), aber die Story selbst wird unprätentios und sensibel erzählt. Der Film ist gerade mal 78 Minuten lang, und das ist auch gut so. Er wirft nur einen kurzen Blick auf einige Menschen und lässt sie dann in Ruhe. Schöne Sache – bis auf den beknackten deutschen Titel, der sogar noch die Zusatzzeile „Wie verführt man seine Stiefmutter“ trägt. Irgendwann werde ich wegen sowas zum Bombenleger.