Good Bye, Lenin!

Good bye, Lenin! (D, 2003)

Darsteller: Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan Khamatowa, Maria Simon, Florian Lukas
Drehbuch: Bernd Lichtenberg
Kamera: Martin Kukula
Musik: Yann Tiersen
Regie: Wolfgang Becker

Die DDR war für mich immer ein Land, in dem die Menschen komische Schuhe trugen und schlechte Zähne hatten. Die Schokolade schmeckte seltsam, die Bücher waren wahnsinnig billig, und im Restaurant durfte man nie die Tische zusammenschieben, wenn man sich nicht die gesamte Verachtung des sozialistischen Thekenpersonals zuziehen wollte, bei dem man entweder Club Cola oder Karotten-Orangen-Juice bestellen konnte. In der Disco musste 50 Prozent Ost-Musik gespielt werden, das Plattenlabel hieß Amiga, und bei der Grenzkontrolle habe ich immer nur an den Spiegel in meinem Rucksack gedacht und dass sie mich dafür wahrscheinlich zehn Jahre nach Bautzen schicken werden, wenn sie’s rauskriegen. Außerdem fand ich das Ost-Sandmännchen immer besser als unseres, muss heute noch bei der Melodie heulen und habe wahrscheinlich genauso verklärte Erinnerungen an diesen Staat wie die ganzen Ossis. Nur, dass ich nie in der DDR leben musste, sondern nach ein paar Wochen Urlaub oder Jugendfreizeit wieder nach Hause in den Westen durfte – und darüber auch, ehrlich gesagt, ziemlich froh war. Mir war bis heute schleierhaft, wie man sich einen Staat zurückwünschen kann, der seine Bewohner bespitzelt hat, aus dem man nicht rauskonnte, wenn man wollte und der einem vorschreiben konnte, welchen Beruf man erlernen sollte.

Bis heute, wie gesagt.

Ich habe gerade Good bye, Lenin! gesehen. Und allmählich komme ich dahinter. Ich behaupte mal, dass sich niemand aus Ostdeutschland nach der Mauer sehnt, nach der Stasi, nach den fiesen Klamotten und dem Schlangestehen. Aber ich ahne, dass sich viele einfach nach zuhause sehnen. Nach diesem Gefühl zu wissen, wo man herkommt und wo es langgeht. Genau wie „wir Wessis“ ein Gemeinschaftsgefühl beschwören, wenn wir über Die Biene Maja oder Die drei ??? reden, so wird es wohl auch „den Ossis“ gehen, wenn sie über Schnatterinchen und Pittiplatsch lachen. Alleine die Tatsache, dass ich nicht weiß, über welche Kindheitserinnerungen „die Ossis“ eigentlich lachen, zeigt mir gerade, wie wenig wir immer noch voneinander wissen.

Vielleicht hat mir deshalb Good bye, Lenin! so gut gefallen: weil auf einmal ein Gefühl da war, dass wir alle eigentlich das gleiche wollen – einen Platz, der uns gehört und zu dem wir immer zurückgehen können.

Die Story des Films: der 20jährige Alexander lebt mit Mutter und Schwester in Ost-Berlin im Jahre 1989. Die Mutter erleidet überraschend einen Herzinfarkt und fällt ins Koma. Nach acht langen Monaten erwacht sie und glaubt, alles sei wie früher. Was sie nicht weiß: Während sie schlief, ging die DDR unter, die Westmark zog ein, die Wiedervereinigung war bereits beschlossene Sache. Um jede Aufregung von ihr fernzuhalten, versucht Alexander, ihr ein kleines Reich zu schaffen, in dem die DDR fortbesteht. Die Wohnung bzw. das Schlafzimmer der Mutter ist das letzte Stück real existierender Sozialismus in Deutschland. Dafür füllt Alexander Jacobs Kaffee in DDR-Packungen, die er aus dem Müll fischt, besticht Kinder, das FDJ-Halstuch nochmal umzubinden und frohe Lieder am Krankenbett zu singen und nimmt mit seinem Westkollegen gefälschte Sendungen der Aktuellen Kamera auf.

Zu Alexanders Schwierigkeiten, einen untergegangenen Staat in einer Drei-Raum-Wohnung aufrecht zu erhalten, kommt noch die eigene Arbeitslosigkeit, die allerdings nicht von Dauer ist, die Beziehung zu einer russischen Krankenschwester und die nicht enden wollende Suche nach Spreewaldgurken.

Was den Film für mich so rührend gemacht hat, war, wie gesagt, die Tatsache, dass wir uns eben doch nicht mehr so fremd sind. Vielleicht suchen wir nicht nach Spreewaldgurken, aber jeder, ob Ost oder West, arbeitet an Beziehungen, versucht sich finanziell über Wasser zu halten und sucht eigentlich nur eine kleine Ecke im Leben, in der man es sich gemütlich machen kann – wo man sich selbst überlassen bleibt, wo es einem gut geht, wo eben zuhause ist. Manche blättern in alten Fotoalben, um sich an Augenblicke zu erinnern, in denen alles so war, wie es sein sollte. Andere brauchen einen bestimmten Geruch oder das Lieblingsbuch aus der Kindheit. Und wieder andere bekommen vielleicht beim Namen Siegmund Jähn feuchte Augen, weil das eben zuhause war. Weil das Teil der Kindheit war, an die man sich gerne zurückerinnert.

Niemand kann in seine Kindheit zurückkehren. Ich fahre auch manchmal an dem Haus vorbei, in dem ich als Kind gewohnt habe, und es fühlt sich komisch an zu wissen, dass ich nicht einfach in das Haus gehen kann und mein Kinderzimmer wiederfinde. Aber wenigstens ist alles um das Haus herum noch so, wie ich es in Erinnerung habe: Der Garten ist nicht plötzlich gelb statt grün, es hängen nicht plötzlich sozialistische Spruchbänder da, wo sonst eine Coca Cola-Reklametafel war, ich kann immer noch mit der mir vertrauten Währung bezahlen, und es kommen die gleichen Sendungen im Fernsehen wie vorher.

Wenn ich mir überlege, dass ich nicht nur das Haus verloren hätte, sondern eben auch die ganze Umgebung, würde ich mich wahrscheinlich auch danach zurücksehnen. Selbst wenn der Garten vielleicht voller Steine gewesen und mir die Reklametafel immer auf die Nerven gegangen wäre. Egal. Es wäre meine Heimat gewesen, ein Teil von mir, ein Teil, der jetzt nicht mehr da ist und den ich nie wiederbekommen werde. Und ich habe jedes Recht der Welt, diesen Teil zu vermissen.

Gangs of New York

Gangs of New York (USA, 2002)

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Daniel Day-Lewis, Cameron Diaz, John C. Reilly, Jim Broadbent, Liam Neeson, Brendan Gleeson, Henry Thomas
Drehbuch: Jay Cocks, Steve Zaillian, Kenneth Lonergan
Kamera: Michael Ballhaus
Musik: Howard Shore
Regie: Martin Scorsese

Billy Wilder hat mal gesagt, dass es bei einem Film nur auf eines ankommt: die Charaktere. Bring das Publikum dazu, die Charaktere zu mögen, und sie werden dir jede noch so abstruse Handlung irgendwie verzeihen, weil sie eben diese Charaktere so lieben.

Wenn Martin Scorsese irgendwas kann, dann ist das, Charaktere zu erschaffen. Jack La Motta in Raging Bull, Henry Hill in Goodfellas, Nicki Santoro in Casino, Travis Bickle in Taxi Driver … Jeder dieser Figuren habe ich alles abgekauft, was sie erlebt und erlitten haben. Weil sie stimmig gezeichnet waren und weil ihre Umgebung gepasst hat. Weil diese Filme sich auf ihre Hauptfiguren konzentriert haben und nicht auf die Ausstattung, die Kostüme oder was auch immer.

Das tut Gangs of New York leider nicht.

Die Geschichte spielt 1862, zur Zeit des Bürgerkrieges. Die Nord- und Südstaaten kämpfen miteinander, und die männlichen Bewohner des Nordens, also auch die New Yorker, werden zum Dienst an der Waffe verpflichtet und eingezogen.

New York ist in Viertel unterteilt, in denen sich Banden bekriegen. Sie stammen aus Irland, Deutschland, China oder Amerika – ganz gleich, woher sie kommen: Jetzt sind sie hier und wollen ein Stück vom Kuchen.

Im Hafen von New York kommen täglich tausende von Auswanderern aus Europa an: Sie sind nicht nur Störenfriede in den Vierteln, sondern gleichzeitig neues Kanonenfutter für den Krieg und außerdem Wählerstimmen für korrupte Politiker.

Allein aus diesem Hintergrund ließen sich schon drei Filme drehen. Das tut Scorsese aber nicht, sondern nutzt dieses Gemisch nur als Teppich, als bunte Dekoration für seine Protagonisten, die den ganzen Film lang versuchen, gegen diese überwältigende Historie anzuspielen. Denn die eigentliche Geschichte des Films ist die von Amsterdam Vallon (Leonardo DiCaprio), der seinen Vater rächen will, der vor 16 Jahren von Bill The Butcher (Daniel Day-Lewis) beim Kampf um die Bandenvorherrschaft um Five Points ermordet wurde. Amsterdam erarbeitet sich das Vertrauen von Bill, um ihm so nahe wie möglich zu kommen und ihn schließlich zu töten.

Die Augenblicke im Film, wo Scorsese sich auf diese zwei Hauptcharaktere konzentriert, sind wunderbar (wenn man mal von der Theatralik von Day-Lewis absieht, dessen Performance meiner Meinung nach immer ganz kurz vor der Lächerlichkeitsgrenze steht). Die Intensität der Beziehung von Amsterdam und Bill wird uns in tragischen Augenblicken erzählt, die wie geschaffen sind für die große Leinwand: Amsterdam rettet Bill vor einem Attentat, weil er ihn selber töten will. Gleichzeitig stellt er aber erschrocken fest, dass er ihm gefühlsmäßig schon viel zu nahe gekommen ist, um ihn nur noch zu hassen. Der ganze Irrsinn seiner Situation wird ihm in einem stillen Moment klar – “It’s a funny feeling to be taken under the dragon’s wing: it’s warmer than you think” – und er beginnt zu weinen: große Gefühle, große Szene – die aber sofort unterbrochen wird, wie so viele große Szenen unterbrochen werden. Ich habe mich mehrmals erwischt, wie ich innerlich zusammengezuckt bin, weil ich noch ein wenig bei einer Figur oder einem Setting bleiben wollte, aber von der Kamera oder dem Schnitt dazu keine Chance bekam. Der Film wirkt des öfteren sehr gehetzt, so als ob er wüsste, dass er noch wahnsinnig viele historische Fakten verbraten muss, um die ganze Wichtigkeit dieser Zeit in der amerikanischen Geschichte klarzumachen (mit irgendwas muss man ja das pathetische Schlussbild mit den Twin Towers rechtfertigen).

Die stillen Momente, in denen die Hauptfiguren die Handlung vorantreiben und nicht die amerikanische Historie, sind die einzigen, bei denen ich das Gefühl hatte, Scorseses Handschrift zu erkennen und damit auch seine Liebe zu seinen Protagonisten. Wenn er Bill einen langen Monolog über Amsterdams toten Vater gönnt, der sein einziges Opfer ist, an das er sich immer erinnern wird; wenn Amsterdam ihm dabei zuhört und sich nicht zu erkennen geben darf, wenn sein Gesicht dabei gleichzeitig schmerzverzerrt und gezwungenermaßen beherrscht ist – das sind Momente, die episch sind, die den ganzen Aufwand würdigen, den Gangs of New York betreibt. Sie sind allerdings viel zu selten und werden völlig überspült mit dem ganzen Lokalkolorit, den Kostümen, den Kulissen. Man hat leider konstant das Gefühl, dass mehr Wert auf die Ausstattung als auf die Figuren gelegt wurde. Und daher verlässt man das Kino auch mit dem Gefühl, eine sehr lange Geschichtsstunde hinter sich zu haben. Die eigentliche Story selber aber wirkt viel zu klein, um sich gegen die Historie durchzusetzen, obwohl sie es doch sein sollte, an die wir uns erinnern wollen.

Leider können auch die Schauspieler die Sache nicht retten. DiCaprio müht sich redlich ab, seine breitschultigen Hemden auszufüllen und den verletzten Rächer zu geben, aber es gelingt ihm nicht ganz. Er sieht zwar nicht mehr so Titanic-unschuldig aus, aber den fiesen Straßenkämpfer nimmt man ihm nicht ganz ab. Seine Stärke liegt eben in den leiseren Momenten, und von denen gibt es in Gangs of New York leider zu wenige. Cameron Diaz, die Bills Protege und Amsterdams Geliebte spielt, hat mich zwar positiv überrascht, aber auch sie wirkt mit ihrer femininen Fragilität etwas deplatziert zwischen den ganzen herben Schönheiten der Bordelle und der Straße.

So bleibt Gangs of New York ein Fragment. Zuviel Hintergrund, anstatt sich auf ein Ereignis zu konzentrieren (wie z.B. das Drafting) und gleichzeitig nicht genug Charakerzeichnung, um ein Drama von den Ausmaßen Shakespeares zu schaffen (und die Parallelen gerade zu Hamlet sind wirklich sehr offensichtlich). Der Film wirkt unentschlossen und fahrig, und obwohl er fast drei Stunden dauert, hat man danach das Gefühl, man müsste nochmal drei Stunden sehen, um alle Storys vernünftig erzählt zu bekommen. Und gleichzeitig will man diese Storys gar nicht mehr hören, weil einen die Figuren seltsam unberührt gelassen haben. Leider.

Und dass in meiner Kritik das Wort „leider“ ziemlich oft vorkommt, hat seinen Grund: Denn trotz seiner Mängel und Zerstreutheit merkt man dem Film an, wieviel er hätte sein können, wenn er mehr Zeit gehabt hätte, wenn er weniger Hintergrund hätte mitteilen wollen, wenn die Figuren mehr Raum für sich und ihre Eigenschaften bekommen hätten. Dann hätte nämlich wirklich ein großes Drama daraus werden können: über Rache, Ehre, Verrat und Liebe. Großes Kino eben. Hat nicht ganz geklappt. Dafür nochmal ein „leider“.

Catch Me If You Can

Catch Me If You Can (2002)

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen, Nathalie Baye, Amy Adams
Drehbuch: Jeff Nathanson nach einem Buch von Frank Abagnale
Kamera: Janusz Kaminski
Musik: John Williams
Regie: Steven Spielberg

Catch Me If You Can beginnt mit einer Fernseh-Quizshow, in der das Rateteam aus drei jungen Männern einen verurteilten Verbrecher erkennen soll. Seine Taten werden vom Moderator vorgelesen: Der Mann hat sich als Pilot, Arzt und Anwalt ausgegeben, er hat Schecks in Millionenhöhe gefälscht, und er hat es geschafft, die Polizei jahrelang an der Nase herumzuführen, bis er schließlich gefasst wurde – und das alles, bevor er 19 Jahre alt war.

Ich finde es immer wieder spannend zu sehen, wie Regisseure und Drehbuchautoren es schaffen, mich für Filme zu interessieren, deren Ende ich bereits kenne. Denn das, was der Moderator dem Fernsehpublikum (und damit auch uns, dem Kinopublikum) vorträgt, ist der gesamte Inhalt der nun folgenden zwei Stunden.

Bei Apollo 13 zum Beispiel wusste ich auch vorher, dass die drei Astronauten heile zur Erde zurückkommen. Bei Bram Stoker’s Dracula wusste ich, dass der Graf zum Schluss das Zeitliche segnen wird. Bei Titanic wusste ich, dass das Schiff untergeht. Und bei Catch Me If You Can wird mir die ganze Handlung sogar auf dem Silbertablett serviert. Wieso bin ich trotzdem bei all den Filmen sitzengeblieben und war bis zum Ende gefesselt?

Weil bei all diesen Filmen ein Element zur reinen Geschichte hinzukam: die Charaktere. Sie waren nicht nur Akteure in einer Story, deren Verlauf wir kennen – sondern sie waren das, was der Story Herz verlieh, was sie menschlich und damit bewegend gemacht hat. Bei Apollo 13 war es der verschmähte Astronaut, der wegen Masern zu Hause bleiben musste, der schließlich das Leben der drei im All retten konnte. Bei Dracula haben wir uns mehr für das Leben der armen Mina Murrey interessiert als für den Vampir, einfach, weil wir wussten, was mit ihm passiert. Und bei Titanic haben wir mit den jungen Liebenden mitgelitten und mitgehofft – scheiß auf das Schiff: Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht?

Genauso funktioniert auch Catch Me If You Can. Die Story selber ist gar nicht so wichtig, sie ist nur ein Vehikel, um die Akteure zum Zug kommen zu lassen. Leonardo DiCaprio als Frank Abagnale ist nicht einfach nur ein gerissener Krimineller, der sich einen Spaß daraus macht, Tom Hanks (als sein Verfolger Carl Hanratty) abzuschütteln, und Tom Hanks ist nicht nur der kaltherzige Polizist, der einen Halbwüchsigen zur Strecke bringen will.

Abagnale begeht seine Straftaten aus dem irrigen Wunsch, seine Eltern wieder zusammenzubringen. Er ergaunert das ganze Geld nicht einmal für sich selbst – ja, er scheint damit nie richtig glücklich zu sein, es dient ihm immer nur als Mittel zum Zweck, noch mehr Geld zu machen, um es dann schließlich seinem Vater zu geben, der damit doch bitte seine Mutter wieder becircen möge. Dass all das von vornherein nicht klappen kann, sieht Abagnale natürlich nicht so – wo soll er mit 17 Jahren auch diese Lebenserfahrung her haben? Vielleicht ist er alt genug, um sich das Handwerk der Scheckbetrügerei beizubringen, aber was das Zwischenmenschliche angeht, muss er noch viel lernen.

Und sein Verfolger, sein Schatten, den Abagnale wiederholt bittet, ihn doch einfach laufen zu lassen, damit er nicht mehr fliehen muss, damit er endlich sagen kann, dass er einfach nur ein kleiner Junge ist, der sich in eine viel zu große Uniform geworfen hat und dem das in einigen guten Momenten auch absolut klar ist? Sein Verfolger gibt nicht auf, bringt ihn schließlich zur Strecke, bleibt dabei aber immer wie eine Vaterfigur. Das wird gleich zu Anfang deutlich, als Hanratty fast bewundernd den Kopf schüttelt, als Frank ihm wieder einmal direkt vor der Nase entwischt ist. Man hat immer das Gefühl, dass er ihn nicht wirklich verknacken will – er will ihm nur seine Grenzen aufzeigen, so wie man einem Kind immer wieder beibringen muss, was richtig und was falsch ist.

Der Film spielt Mitte bis Ende der 60er Jahre, eine Zeit, die der echte Frank Abagnale als „unschuldig“ beschreibt, als eine Zeit, in der die Menschen anderen Menschen eher vertraut haben. Es mutet für unsere heutigen Augen fast irreal an, wenn man sieht, wie leicht Abagnale einen Job als Arzt bekommen hat, nur weil er eine Urkunde aus Harvard vorlegt. Man schaut sich das ganze kopfschüttelnd an – und wünscht sich doch gleichzeitig ein wenig von diesem Vertrauen zurück, von diesem Gefühl der Sicherheit: Wenn ein Mensch eine Pilotenuniform trägt, ist er ein Pilot. Ganz einfach. Wieso sollte er sonst eine Uniform tragen? Und die Frage, die ich mir die ganze Zeit im Kino gestellt habe, ist: Warum kann die Welt nicht mehr so einfach sein? So überschaubar? So geordnet?

Vielleicht hat sich das auch Frank Abagnale gefragt, als die Scheidung seiner Eltern ihn aus der Bahn geworfen hat und er sich den kindlich-einfachen Plan zurechtgelegt hat, sie wieder zusammenzubringen. Vielleicht hat auch Carl Hanratty sich überlegt: Wenn ich einen Kriminellen wieder zu einem „braven Bürger“ mache, ist die Welt wieder ein bisschen geradegerückt. Vielleicht haben die beiden deshalb dieses seltsame Verhältnis zueinander, dieses Den-anderen-Verstehen-wollen. Vielleicht, weil beide noch an das Gute, das Unschuldige im Menschen glauben.

Der Film nimmt sich die nötige Zeit, uns die Charaktere nahezubringen; er gleitet nie in ein simples Katz-und-Maus-Spiel ab. Selbst die Szenen, in denen es darum geht, Frank zur Strecke zu bringen, drehen sich eigentlich um etwas anderes: um Vertrauen. Das Vertrauen, was Frank von Brenda, seiner Verlobten, fordert, das sie allerdings bricht. Das Vertrauen, das er von Carl einfordert, bevor er sich Handschellen anlegt, und das nicht enttäuscht wird. Und es geht um Schutz, um ein Zuhause, um Familie, um irgendjemand, der für uns da ist. Für Frank waren es leider nicht seine Eltern, sondern Carl, der ihn auf den „richtigen“ Weg gebracht hat. Darum geht es in Catch Me If You Can: jemanden zu finden, auf den man sich verlassen kann.

Ich persönlich habe nichts gegen Filme, deren Ende ich kenne, wenn der Weg zu diesem Ende so einfach, berührend und dabei immer unterhaltsam erzählt wird wie in Catch Me If You Can. Der Film ist keine Wundertüte an Innovationen, er hat keinen einzigen Special Effect, aber er erzählt eine Geschichte, die heute schon wie ein Märchen klingt. Es hat mich ein bisschen erschreckt, dass die Geschehnisse gerade mal 30 Jahre her sind. Haben wir uns so schnell so sehr verändert?

About Schmidt

About Schmidt (2002)

Darsteller: Jack Nicholson, Hope Davis, Kathy Bates, Dermot Mulroney
Drehbuch: Alexander Payne, Jim Taylor nach einem Roman von Louis Begley
Kamera: James Glennon
Musik: Rolfe Kent
Regie: Alexander Payne

Das Schöne an About Schmidt: Seine Charaktere sind absolut durchschnittliche Amerikaner, mit lauter kleinen Macken und Verschrobenheiten, die uns aber ziemlich bekannt vorkommen von Eltern oder Freunden. Sie sind nicht besonders reich, nicht besonders schön und nicht besonders klug. Sie sind ganz fürchterlich normal.

Das Faszinierende an About Schmidt: Man kann diese Normalität hinnehmen und einen sehr leisen, behutsamen Film erleben, der zwei Stunden lang auf einen einzigen wunderbaren, erlösenden Augenblick zusteuert.

Das Schlimme an About Schmidt: Man kann stattdessen die Klippe erwischen, die auch Regisseur und Drehbuchautor nicht haben umschiffen können: Man lacht sich über diese armselige Normalität kaputt, gibt die Charaktere und ihre Eigenarten der Lächerlichkeit preis und macht sie damit zu Witzfiguren in einem Film, der zwei lange Stunden auf eine rührselige Szene hinausläuft.

Das Publikum, mit dem ich den Film gesehen habe, hat sich für die zweite Variante entschieden und hatte anscheinend eine Menge Spaß. Und ich hätte sie allesamt ständig erschießen können, wenn sie sich über die geschmacklose Einrichtung eines überdimensionierten Wohnmobils kaputtlachen, sich über die hängenden Brüste einer 60jährigen amüsieren oder generell die kleinen Versuche der Hauptfiguren, mit ihrem Leben fertigzuwerden, das manchmal einfach zu groß und zu leer ist, mit brüllendem Gelächter quittieren.

Vielleicht habe ich die Geschichte auch zu ernst genommen. Vielleicht hat es mich zu sehr berührt, wie Warren Schmidt (Jack Nicholson) auf einmal merkt, dass es niemanden auf dieser Welt kümmern würde, wenn er nicht mehr da ist.

Er ist gerade in Rente gegangen, seine Frau stirbt plötzlich, seine Tochter ist damit beschäftigt, ihre Hochzeit zu planen, anstatt für ihn zu kochen und zu putzen, sein bester Freund hatte eine Affäre mit seiner Frau, und im Büro wirft man alle seine Akten einfach in den Müll anstatt sie seinem Nachfolger zu übergeben. Schmidt versucht, mit all diesen Dingen klarzukommen, und je mehr er es versucht, je mehr er irgendetwas ändern will, je mehr er versucht, anderen Menschen zu begegnen und an ihrem Leben teilzuhaben, desto mehr merkt er, dass er alleine ist und sich niemand dafür interessiert, was er sagt.

Fast niemand.

Denn ganz zu Anfang des Films sehen wir ihn, wie er – eher aus Langeweile als aus irgendeinem anderen Grund – eine Patenschaft für ein Kind in Tansania übernimmt. In der Broschüre, die die Organisation ihm zuschickt, wird er aufgefordert, seinem Patenkind Ndugu einige Zeilen über sich zu schreiben. Und das tut er. Er beginnt mit dem Üblichen: Name, Familie, Beruf … und gleitet ganz plötzlich ab in eine eher verwunderte Tirade darüber, dass er keinen Job mehr hat, dass sein Arbeitsplatz jetzt von einem blöden Emporkömmling besetzt ist, dass seine Frau alt ist und ihn nicht versteht und dass er manchmal einfach nicht weiß, wofür er morgens aufsteht.

Im Laufe des Films schreibt er Ndugu viele Briefe, in denen er erzählt, wie es ihm geht. Und plötzlich fällt dem Zuschauer auf, dass dieser sechsjährige Junge in Tansania, den er nie gesehen hat und der ihn nie gesehen hat, Schmidt besser kennt als all die Menschen, die um ihn herumleben. Er ist der einzige, zu dem er ehrlich ist, und genau deshalb erwartet ihn eine ebenso ehrliche, ganz einfache Geste am Schluss des Films, die ihm sagt, dass alles doch anders ist als er glaubt.

Oder es erwartet ihn eben eine total verkitschte Szene, bei der die Deppen hinter mir in der Reihe laut aufgestöhnt haben. Aber das waren die Typen, die schon beim Vorspann Vergleiche zwischen der Eröffnungsszene von Schmidt und 2001 angestellt haben.

About Schmidt erinnert mich von der Stimmung her ein wenig an American Beauty. Auch da konnte man sich entscheiden, ob man die Figuren total albern oder sehr berührend finden wollte. Ich fand sie berührend. Aber ich wette, die Nasen hinter mir fanden American Beauty voll lustig.

Two Weeks Notice

Two Weeks Notice
(Ein Chef zum Verlieben, USA 2002)

Darsteller: Hugh Grant, Sandra Bullock, Dana Ivey, Robert Klein
Drehbuch: Mark Lawrence
Kamera: László Kovács
Musik: John Powell
Regie: Mark Lawrence

Ich mag Hugh Grant, wenn er ein bisschen das Arschloch spielt wie in About a Boy und nicht den stotternden Depp wie in Four Weddings and a Funeral. Ich mag Sandra Bullock, weil sie meiner Meinung nach keine von den Standard-Beautys in Hollywood ist. Ich mag romantische Komödien. Ich mag die gute, alte Hepburn-Tracy-Formel von „Sie treffen sich, sie können sich nicht leiden, sie lernen sich kennen, sie zieren sich, sie kriegen sich“. Ich mag Filme, die in New York spielen. Ich mag Filme, die Aretha Franklin-Songs im Soundtrack haben. Wie lautet also mein Urteil über Two Weeks Notice?

Ach, ging so.

Die Story: Sie ist eine Anwältin, die sich stets für die sozial Schwachen einsetzt, er ist ein steinreicher Firmenboss, der ausnahmsweise mal eine Anwältin mit Köpfchen einstellen will und keine Blondine mit einem Volkshochschuldiplom. Außerdem ist er ein verzogener, selbstgefälliger Schnösel, der sie selbst von der Hochzeit ihrer besten Freundin holt, damit sie ihm eine Krawatte aussucht. Nach fast einem Jahr und einem Magengeschwür kündigt sie, und natürlich wird beiden in den verbleibenden zwei Wochen ihrer gemeinsamen Zeit klar, dass sie sich und ihre jeweiligen Macken inzwischen verdammt gerne mögen.

Schön und gut. Mehr wollte ich ja eigentlich auch gar nicht. Es macht schon Spaß, Grant und Bullock bei ihren ziemlich hübsch geschriebenen Wortgefechten zuzuschauen, aber die beiden wirken die ganze Zeit wie alte Saufkumpane, die sich gedacht haben, Hey, drehen wir doch mal einen Film zusammen und tun so, als würden wir uns gerade kennenlernen. Und genau dieses Kumpelhafte ist es, was die Romantik ruiniert. Beim modernen Klassiker des Genres, When Harry met Sally, knistert es wenigstens die ganze Zeit zwischen den beiden, auch wenn sie so tun, als wäre da nichts. Bei Grant und Bullock knistert es nicht einmal, wenn sie über Sex reden und darüber, dass Sandra sich im Bett wie eine Brezel verbiegen kann. Und wenn die beiden im Hubschrauber bei Abendsonnenschein über New York fliegen (bestes romantisches Setting ever), darüber reden, wie großartig sie sich finden und sich dabei bedeutungsschwangere Blicke zuwerfen, dann will man als Zuschauer diese Szene verdammt noch mal aufgelöst haben, und zwar mit einem Kuss oder wenigstens einer Kracherpointe, aber auf keinen Fall mit einem Ausblick auf das Chrysler-Building. Ich hab nur gedacht: Wenn ihr jetzt nicht knutscht, dann nie.

Sie knutschen nicht. Und ab da habe ich innerlich abgeschenkt. Natürlich kommt der große Kuss erst zum Schluss, und die Kamera zieht brav nach oben, während die Schnulze beginnt, die den Abspann einleitet, aber da hatte ich schon keine Lust mehr. Der magische Moment kam mir eindeutig zu spät.

Regisseur Mark Lawrence war bisher Drehbuchautor, und das hätte er vielleicht bleiben sollen, denn die Sätze, die er seinen Personen in den Mund legt, sind nicht unkomisch, und vor allem Hugh Grant liefert auch die schwächeren Pointen sauber ab. Trotzdem wirkte der Film streckenweise so, als wären sich Regisseur und Cutter unschlüssig, ob sie noch ein wenig in der jeweiligen Szenerie verharren oder doch lieber weitermachen wollen. Ein bisschen mehr Tempo hätte dem Film sehr gut getan – und ein bisschen mehr Konsequenz. Es werden eine Menge schöner Ideen ausgestreut, aus denen man hätte mehr machen können: zum Beispiel Bullocks Eltern, die beide genauso liberale Anwälte wie ihre Tochter (und außerdem politisch-korrekte Nervensägen) sind oder der Idealismus von Bullock, der einfach mehr mit dem „Was kostet die Welt“-Gehabe von Grant hätte kollidieren können.

Vielleicht braucht es wirklich Vollblut-Komiker wie Billy Crystal und Meg Ryan, um über die schwächeren Momente eines Films hinwegzukommen. Es reicht eben manchmal doch nicht, sich auf die alten Formeln für Chick Flicks zu verlassen. So bleibt Two Weeks Notice ein halbwegs amüsantes Filmchen, das mir etwas zu lang war und einfach nicht dieses „Ach, watt war datt schön“-Gefühl im Bauch zurückgelassen hat. Ich hatte bloß Hunger nach dem Film, weil Sandra die ganze Zeit gegessen hat. Kein gutes Zeichen, wenn ich schon im Kino überlege, ob danach Burger King oder Subway angesagt ist.

Ghost Ship

Ghost Ship: Ach ja, kann man machen. Man weiß ja eigentlich schon nach dem Trailer, was passiert. Die einzig offene Frage ist nur, wer von der Mannschaft, die sich auf das Geisterschiff traut, als erstes oder als letztes ins Gras beißt. Die große Pointe fand ich total affig. Ich hab mich nicht gelangweilt, aber wahnsinnig gespannt war ich auch nicht. Immerhin hat Karl „Eomer“ Urban mitgespielt.

The Bank

The Bank: Hab ich wegen David „Faramir“ Wenham geliehen. Ohne die fiese Jesus-Frisur aus The Two Towers kommt er gleich viel sympathischer rüber. Der Film selber: Mathematik-Genie entwickelt eine Theorie, die die Börse vorherbestimmen kann – aber natürlich macht es das nicht nur, weil er reich werden will. Nette Pointe, trotzdem sieht das Ganze aus wie direkt für den Videomarkt produziert. Egal. War okay.

Reign of Fire

Reign of Fire (Die Herrschaft des Feuers): Kann ein Film mit den beiden Oberschnuckeln Matthew McConaughey und Christian Bale schlecht sein? Oh ja, er kann. Und wie. Selbst die beiden Muskelpakete konnte mich nicht über die absolut bescheuerte Story von Drachen, die die Weltherrschaft übernehmen, trösten. Ich hab nach einer Stunde abgeschenkt. Furchtbar.