Sonntag, 31. Oktober 2004

Wenn ich mir die Blogbeiträge der letzten Tage so angucke, komme ich immer mehr zu der Auffassung, dass die Leute, die uns vor der Lesung schon gut fanden, uns auch nachher gut fanden, die Leute, die uns schon vorher scheiße fanden, uns auch nachher scheiße fanden, und die Leute, die vorher gar nichts mit Bloggen am Hut hatten, sich nach der Lesung wohl auch kein Weblog eingerichtet haben, sonst wüsste ich, wie's denen gefallen hat.

Also hat das Ganze wohl nicht wirklich einen Sinn gehabt.

Außer, dass ich ne Menge Spaß hatte, dass ich nette Leute getroffen habe, dass ich gemerkt habe, dass Berlin allmählich nicht mehr so weh tut, dass es sehr seltsam ist, eigene Texte einem realen Publikum vorzuwerfen anstatt sie einfach ins Golive-Dokument zu hacken tippen, und dass ich um eine sehr spannende Erfahrung reicher bin.

Sinnvoll genug für mich.




Samstag, 30. Oktober 2004

Kann mal jemand allen Fernseh-Verantwortlichen das „Wort“ voten verbieten? Ich bin erstaunt, wie groß mein Aggressionspotenzial dieser Kreation gegenüber ist, wo ich doch 35 Jahre lang darauf vorbereitet worden bin.



Das Magazin Total Film hat eine Wahl zum größten Filmschurken aller Zeiten durchgeführt. Der Sieger war eine kleine Überraschung:

„(George) Bush was awarded the honour for his role in Michael Moore's Fahrenheit 9/11 and in the process eclipsed the contributions of shortlisted Doctor Octopus, Leatherface (The Texas Chainsaw Massacre), Gollum and Elle Driver (Kill Bill) to the cause of world villainy. Total Film editor Matt Mueller told the Standard: "It is possible that people have been a little bit tongue in cheek here, but they are also saying that Bush was very scary in Fahrenheit 9/11.““




Donnerstag, 28. Oktober 2004

Montag

Immer gut, das Raucherabteil zu buchen, weil es grundsätzlich leerer ist als die Nichtraucher-Ecke. Und da ich vorhabe, am Vorabend der Lesung mit der Stattkatze, dem Herrn Dahlmann und der Frau Emily einen trinken zu gehen und dabei auch gnadenlos zu rauchen, kann ich mich auch schon während der Zugfahrt von Hamburg nach Berlin langsam akklimatisieren. Also: Air auf den iPod, die Marlboro in den Mundwinkel, den Schäfchenpunkten draußen zugucken, langsam über die ehemalige Grenze schaukeln und sich geistig darauf vorbereiten, in 24 Stunden scheiße nervös zu sein.

In Berlin am Zoo angekommen, wird zuerst das Wichtigste an der Hauptstadt erkundet: Dunkin’ Donuts. Ich weiß nicht, warum diese wunderbare Errungenschaft der menschlichen Nahrungskette ihren Weg noch nicht bis nach Hamburg gefunden hat, aber wenn ich mal eine Online-Petition starten würde, dann hierfür. Der Sechserpack ist schnell ausgewählt, die Pappschachtel wird verstaut, und dann erst wird der Taxistand angesteuert. Auf der Fahrt zum Alexanderplatz ins Park Inn stelle ich fest, dass die Berliner anscheinend noch schmerzbefreiter Auto fahren als die Hamburger. Ich dachte immer, wir würden uns schon einen Scheiß um Mindestabstand und Geschwindigkeitsbegrenzungen scheren, aber da ist Berlin noch einen Zahn härter. Ich bin in zehn Minuten im Hotel. Die Zeitersparnis ist aber sofort dahin, da ich beim Einchecken allen Ernstes 15 Minuten in der Warteschlange stehe. 4 Sterne my ass. Wie im Penny Markt.

Das Zimmer selbst ist nett, der Ausblick aus der 22. Etage okay, soweit ich das um 18 Uhr beurteilen kann. In aller Eile wird das Haar nochmal durchgewuschelt, Parfum nachgelegt und das Make-up neu verteilt, denn der Herr Dahlmann als Entscheider hat uns um 19.30 Uhr ins Prassnik beordert, angeblich nur zehn Fußminuten von mir entfernt. Da hat Herr Dahlmann allerdings meinen mangelnden Orientierungssinn und meinen Berlin-Stadtplan von 1996 nicht mit eingerechnet.

Ich laufe zunächst in die falsche Richtung, lerne so aber schon den S-Bahnhof am Alex kennen und entdecke den nächsten Dunkin' Donuts, direkt am Cubix Kino. Kann mal irgendwer den Namensgebern sagen, dass alle Worte auf -ix allmählich komplett out sind? Apropos ix: Herr Schwenzel sollte eigentlich auch mit von der lustigen Bloggerpartie sein, hat es aber vorgezogen, eine lebensbedrohliche Veneninfektion vorzutäuschen und sich nach Köln ins Krankenhaus abgeseilt. Mädchen. Unsereins irrt währenddessen wieder zurück zum Alex und sucht einen Fußgängerüberweg. Der war in der Zone anscheinend nicht eingeplant trotz schönerer Ampelmännchen als im Westen, und so stolpere ich in die fiese Unterführung, erwische natürlich bräsigerweise den falschen Ausgang und mache den ganzen Weg doppelt. Schon leicht angeschwitzt und viel zu spät erblicke ich endlich ein Straßenschild, das mit einem Namen in meinem Stadtplan korrespondiert und bin immerhin in der richtigen Richtung. Frau Emily ruft währenddessen auf dem Handy an, denn eigentlich wollte ich mit der U-Bahn kommen, aber den Plan hatte ich schon wenigen Minuten als völlig undurchführbar verworfen. Ich frage mich an dem Abend sehr oft, wie ich es jemals geschafft habe, in London die ganzen Museen zu finden, die ich besucht habe, wenn ich nicht mal in dieser unserer Hauptstadt auch nur annähernd weiß, wo ich bin.

Irgendwann entdecke ich das Prassnik, wo Emily, Don und Anke (die andere Anke) bereits Getränke geordert haben. Ich bestelle ein Bier, gucke mir zum ersten Mal Frau Emily live und Frau Stattkatze überhaupt an und freue mich, hier zu sein. Anke und Don überschütten uns mit guten Tipps zur Lesung: „Kein weißes Papier“, „Keine Kohlensäure, das gibt Schluckauf“, „Langsam, deutlich, langsam, langsam“, „Die kommen, weil sie euch mögen und nicht, um mit Tomaten zu werfen“. Meine Nervosität legt sich ein bisschen, wir quatschen, ich esse Toast Hawaii und bin am Ende des Abends erstaunt, dass man für eine warme Mahlzeit und drei Bier nur 8 Euro 70 zahlen muss. In Hamburg kriegt man dafür gerade mal nen Milchkaffee.

Anke begleitet mich noch ein Stück in Richtung Hotel. Der Weg ist ein anderer als der, auf dem ich gekommen bin. Ich gehe an der Volksbühne vorbei, sehe bereits die Leuchtschrift Roter Salon, direkt dahinter der Fernsehtum. Mir wird wieder schlecht, ich habe Big Brother verpasst, und der Kerl zum Festhalten kommt erst morgen.


Dienstag

Die Leser (Emily, Herr Shhhh, Andrea, Frank und ich) sind um 10 mit Herrn Alphonso und Herrn Pahl verabredet: zum Lesen, Proben, Warmwerden, Ablauf absprechen und Texte aufnehmen.

Nach meinen gestrigen Erfahrungen beschließe ich, wahnsinnig früh loszufahren, um pünktlich zu sein. Diesmal finde ich sowohl die richtige U-Bahn als auch das richtige Gleis als auch Dons Adresse (wenn auch nicht die richtige Klingel), und stehe daher um 9.35 Uhr in Dons Wohnung. Herr Alphonso kocht Tee, ich werfe mich auf den bequemen Sessel und lese Probe. Gut, dass ich so früh da war, denn so hört keiner meine ersten erbärmlichen Versuche. Außer Don, der alles aufzeichnet und mir, der alles gnadenlos vorgespielt wird. Ich lese noch schneller als ich spreche, meine Satzenden hören sich eine Oktave höher an als die Anfänge und ich verstehe mich selbst kaum. Weitere gute Tipps, diesmal von Don 2 nach Don 1 und Stattkatze: „Mehr mit den Mundwinkeln arbeiten“, „Alles gaaaanz deutlich aussprechen“, „Lächeln“ „Mit der Stimme unten bleiben“.

Ich werde allmählich warm, Frau Emily kommt endlich aus dem Bad, Andrea klingelt, Herr Shhhh bringt den Sportraucher Herrn Waldar zwei Kumpels mit, deren Identität mir für immer verborgen bleiben wird, und spricht mich beharrlich mit Mama an, Herr Pahl kommt zu spät und redet sich mit Selbstmördern auf Gleisen und Zugumleitungen raus, und Frank ist noch nervöser als ich. Und liest vor allem noch schneller als ich! Mir geht es schlagartig besser, weil ich nicht mehr die einzige bin, die von Don auf Fehler hingewiesen wird.

Wir diskutieren die Textauswahl. Die, die ich wollte, will Don teilweise nicht, die, die er aussucht, finde ich nach viel Honig ums Maul dann auch okay. Jeder von uns liest einen Text aus dem Buch und einen weiteren, der nicht drin ist. Außer Andrea, denn ihre Buchbeiträge sind entweder zu lang oder zu kurz. Als der Ablauf steht, gehen wir alle in Dons Büro rüber und drucken die Texte auf gelbem Papier aus. Eher aus der Not heraus, weil Herr Alphonso das weiße Papier nicht findet, aber Emily und ich haben noch die Stattkatze im Ohr und freuen uns.

Es ist inzwischen 13 Uhr, wir besetzen den kleinen Chinamann an der Straßenecke, der zwar gut kocht, aber auch gerade renoviert, und essen zwischen Schlagbohrgeräuschen und Küchenlärm. Um 14 Uhr werde ich ein bisschen hibbelig, gehe alleine wieder ins Dons Wohnung und lese mir selbst die Texte mehrmals vor. Schön langsam, schön mit den hochgezogenen Mundwinkeln, schön deutlich. In meinem Kopf hört es sich an, als ob ich in Zeitlupe lese, aber in der Aufnahme klingt es richtig.

Die anderen trudeln ein, und wir beginnen mit den Aufzeichnungen. Dafür wird Emilys Gästematratze zwangsgeräumt und als Schalldämpfer in die Ecke gestellt. Davor das Mikro, und davor wir. Einer nach dem anderen. Herr Shhhh fängt an und rotzt seinen Text professionell runter. Ich bin neidisch, aber auch sehr stolz auf meinen Sohnemann, der viel schöner liest als seine Mama. Dann kommt Frau Emily, die ein wenig mit den Textseiten zu kämpfen hat. Weil wir sehr nah am Mikro stehen, müssen wir den Text ganz komisch verrenkt an uns vorbei halten, um ihn lesen zu können. Emily liest, bricht ab und Don spielt ihr wenige Sätze vor. Zum ersten Mal fällt ihr auf, wie komisch sie mit dem Zungenpiercing liest, und sie nimmt es raus. Emily und ich reden zehn Sekunden lang über Piercings, bevor uns Sickgirl Alphonso mit dem Rauswurf droht, weil ihm schlecht wird. Emily liest ohne Piercing weiter, währen der Retht von unth noch then Minuten tho redet wie Frau Emily mit Pierthing. Thie findet eth theithe, wir finden eth luthtig.

Andrea liest vom iBook ab, was noch komplizierter ist als das Papierhalten. Frank ist mehr mit Langsamlesen beschäftigt als mit Papier, ist aber ziemlich genervt von der seltsamen Haltung und schlägt vor, den Text an die Matratze zu pinnen. Ehe Frau Em ihr Reisenähset gefunden hat, hat Frank einen von seinen argh-Buttons geopfert und den Drahtbügel rausgebogen. Damit bohrt er nun seinen Text an die Matratze und braucht fünf Anläufe, bis Don zufrieden ist. Frank und ich versichern uns gegenseitig, dass, wer uns wirklich verstehen WILL, uns auch versteht, und dass die Leute, die uns nicht folgen können, es auch nicht wert sind.

Inzwischen ist es fast 18 Uhr. Kai und Don machen sich auf den Weg in die Volksbühne, ich fahre ins Hotel, um mich in die Lesungsklamotten zu werfen und die Texte noch jeweils viermal durchzuarbeiten. Ich male Pausenzeichen und Stimme-runter-Zeichen und schreibe mir ganz dick LANGSAM oben drüber.

Um kurz nach sieben komme ich am Roten Salon an, werde am Eingang rotzig gefragt, wer ich denn sei, weil ich natürlich keine Eintrittskarte habe und kann zum ersten Mal sowas sagen wie: „Ich lese hier heute abend.“ Stolz wie Bolle komme ich in den Saal, der noch leer ist und treffe auf meine Mitstreiter. Don und Kai gehen ihre Moderation nochmal durch, Herr Shhhh raucht eine nach der anderen, Emily und Andrea trinken Whisky (angeblich für die Stimme) und Frank schluckt Emilys Bachblütentropfen literweise. Ich will einfach nur, dass es anfängt, damit es ganz schnell wieder vorbei ist. Ich hibbele sinnlos in der Gegend rum, begrüße Lyssa und Heiko, der im Laufe des Abends das mieseste Foto von mir macht, das ich je gesehen habe, and believe me I've seen a few, erkenne Frau Elfengleich nicht, weil ich sie auch noch nie vorher gesehen habe, treffe Frau Julie, bin über den bayerischen Singsang von Herrn dekaf entzückt, kann gerade noch Herrn Dahlmann, Herrn Lumma und die Stattkatze begrüßen, und dann werden wir auch schon auf die Bühne zitiert. Jetzt ist mir wirklich schlecht.

Der Saal ist ausverkauft. Ich sehe davon nicht viel, weil uns gnädigerweise die Scheinwerfer blenden. Eingeklemmt zwischen Andrea und Frank lausche ich der Einführung des Verlegers, den Worten von Don und Kai, und dann bin ich die erste, die lesen darf/soll/muss/will. Ich lese Salzkartoffeln (google it oder listen to it), komme gut durch, freue mich auf meinen ersten Applaus für den ersten eigenen Text, den ich jemals vor Leuten vorgetragen habe und – Herr Pahl runiert den Moment, weil er sofort nach meinem letzten Ausatmen sagt: „Das war Anke Gröner blablabla“ ... das Publikum klatscht ein wenig in seine Abmoderation rein, aber trotzdem bin ich ein wenig stinkig. Egal. Es ist anscheinend niemand rausgegangen, was ich als Erfolg werte. Was die anderen machen, weiß ich nicht mehr. Ich sitze nur noch debil grinsend auf der Bühne und gucke ins Licht. Die Zeit geht wahnsinnig schnell rum, schon ist die erste Leserunde vorbei, und die zweite steht an. Jetzt beantworten wir Fragen von Don und Kai zu uns, zu unserer Auffassung von Blogggen, der Öffentlichkeit, dem Realitätsbezug ... wir hatten jeweils zwei Fragen vorher abgesprochen und hatten so Zeit, uns wahnsinnig kluge Antworten zu überlegen. Ich weiß nicht mehr, was ich gefragt wurde, und ich weiß auch nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber ich weiß, dass plötzlich eine Frage kam, die ich noch nie gehört hatte. Das sage ich auch: „Hey, die war gar nicht abgesprochen.“ Im Nachhinein erzählt Kai, dass wir ein bisschen vor dem Zeitplan von anderthalb Stunden für alles waren und dass Don und er deshalb noch Spontanfragen gestellt habe. Auch an die erinnere ich mich nicht mehr. Aber an das Vorlesen der Eisente (google it oder listen to it oder schau nach bei der Morgenpost, deren Artikelschreiberin während der Lesung wahrscheinlich dreimal auf dem Klo war, denn mein richtiger Beruf wurde, glaube ich, so oft erwähnt), bei der ich auch ein paar Lacher kriege, über die ich mich sehr freue.

Im Anschluss an die Texte darf das Publikum Fragen stellen. Hendrik outet sich als mein Groupie, als er fragt, wie lange mein Blog noch geschlossen bleibt, weil er das doch jeden Morgen so gerne liest. Ich antworte (wie sehr diese Antwort stimmt, könnt ihr anhand dieses Eintrags überprüfen), dass das Blog so lange dicht bleibt, bis Frau Elfe mir ein schönes, neues, anständiges, erwachsenes Blogsystem installiert hat. Aus dem Dunkel kommt der Ruf: „Mit Permalinks?“, was ich bejahe, worauf ich den größten Applaus des Abends kriege. (Nichtblogger im Publikum: „Was für ein Wort war das gerade?“ „Keine Ahnung, aber die beiden Jungs da vorne freuen sich so drüber, lass ma mitklatschen.“)

Dann verlegen wir weitere Fragen an die Bar. Die Lesung ist vorbei, Frank und ich schweben auf Wolken, die anderen sind die Öffentlichkeit seit Frankfurt ja schon gewohnt und daher nicht ganz so aufgekratzt. Ich fange an, mir Martini Bianco in den Kopf zu schütten und mich mit Hendrik über die Einstürzenden Neubauen zu unterhalten. Dann kommt ein Journalist, der für das Deutschlandradio einen Bericht über die bobs macht, auf Andrea und mich zu und schleppt uns zum Interview. Ich gebe das erste Interview meines Lebens und fühle mich arschcool bis zum Anschlag.

Danach bin ich allerdings schlagartig müde und will eigentlich nur noch ins Bett. Die versammelte Bloggeria im Saal geht geschlossen in eine Punk-Pizzeria in der Nähe, der Kerl und ich huschen noch schnell bei einem Türken vorbei, der nur für die kerl’sche Currywurst den Grill nochmal anwirft, und dann sind wir im Hotel. Der Kerl, dessen zweiter Vorname „Rationalität“ ist, meinte, die Lesung sei ja wohl planmäßig verlaufen und nickt ein, sobald das Licht aus ist. Ich gucke ins Dunkel und bin glücklich über die Erfahrung, die ich heute auf der Bühne und davor und danach machen durfte und knutsche die Schlafmütze, weil er dann so schön doof grinst. Aber ich habe wieder Big Brother verpasst.


Mittwoch

Morgens entdecke ich die Aufschrift auf dem Gebäude, das dem Hotel gegenüber steht. Auf die circa 200 Meter lange Fassade ist auf den Beton zwischen den Fenstern das Ende (?) von Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin gepinselt. Jedenfalls klingt „1929 wird noch kälter“ für mich wie der letzte Satz. Ich freue mich, Literatur an einem unerwarteten Ort entdeckt zu haben.

Der Kerl und ich gucken uns die Ausstellung „40 Jahre ADC“ im Kunstgewerbemuseum an, die total für die Tonne ist. Anscheinend haben die Jungs nur die Seiten des zur Ausstellung gehörenden Buchs farbkopiert, in billige Glasrähmchen gepinnt und an die Wand gehängt. Teilweise kann man die Copys nicht lesen, weil die Typo zu verwaschen ist. Das einzig gute ist die DVD, die prämierte Spots aus 40 Jahren zeigt. Mir fällt auf, wie eklig die 80er Jahre waren, und ich schäme mich plötzlich für jedes einzelne Kleidungsstück, das damals in meinem Schrank war. Im Buch ist die DVD natürlich nicht drin. Ich blättere trotzdem 69 Euro für das Teil hin, weil ich gerne die Copys lesen will, die ich in der Austellung nicht erkennen konnte und verfluche nicht zum ersten Mal die Spacken vom ADC.

Danach fahren wir zur Nachbesprechung zu Don, wo Emily ohne Make-up sitzt und nur nach Hause will. Der Chinamann hat seine Schiebetür anscheinend fertig installiert, heute hört man nur den Wok und das niedliche Geplapper von drei Berliner Omis, die sich freuen, dass der Cafe au lait („ole, ole“) so schön billig ist.

Der Kerl will Comics kaufen, ich will ins Hotel, denn abends steht für mich Les Misérables im Theater des Westens auf dem Programm, während der Kerl schon wieder nach Hause muss. Wir knutschen zum Abschied vor dem Chinamann, ich winke Emily, Andrea und Don zu und bedauere es, mich nicht anständig von Frank und Herrn Shhhh verabschiedet zu haben.

Ein paar Stunden später sitze ich in der ersten Reihe im Theater des Westens (immerhin im zweiten Anlauf gefunden – das Theater, nicht die Sitzreihe) und muss mich mit Mama und stimmbruchgeplagtem Sohn hinter mir rumplagen, die mich anzicken, dass ich gefälligst das Mützchen abnehmen soll („Sowas aber auch“), die aber selbst munter nach jeder Nummer erstmal deutlich hörbar ein Fazit der letzten fünf Minuten ziehen. Das Musical läuft nur noch bis Ende Dezember; anscheinend hat es auch jeder außer mir schon zehnmal gesehen: Das Pärchen neben mir diskutiert die Ähnlichkeit der Barrikaden mit denen in New York und dass der Typ, der den Valjean singt, als romantische Besetzung einfach nichts taugt. Mir gefällt's trotzdem, ich bedauere, dass das Theater nur zu zwei Dritteln ausverkauft ist, gönne mir in der Pause einen Sekt und flenne erwartungsgemäß dadurch im zweiten Akt noch mehr als im ersten. Am liebsten würde ich bei einigen Songs mitsingen, die ich dann doch schon mal gehört habe, lasse es aber sein und hüpfe mit verheultem Make-up wieder in die S-Bahn am Bahnhof Zoo, die mir einen Blick auf die Reichtstagskuppel (wieder nicht geschafft), die Museumsinsel (wieder nicht geschafft) und noch mehr Kram in Berlin ermöglicht, den man sich ja dann doch irgendwann mal angucken müsste. Der Kerl ruft an, er sei zuhause angekommen und wünscht mir eine gute Nacht. Ich habe wieder Big Brother verpasst.


Donnerstag

Ich sitze im Zug und tippe den Bericht über die letzten drei Tage, wünsche mir, dass ich zwei statt einer Woche Urlaub genommen hätte, gönne mir einen 2 Euro 60-Kaffee im Zug und finde es ziemlich bezeichnend, dass mir der iPod Ozzys Mama, I'm coming home spielt, als ich in Hamburg das Berliner Tor passiere.

(Hat irgendwer ER aufgezeichnet?)




Freitag, 22. Oktober 2004



Nur für Frau Emily. Die darf auch gerne nochmal hier klicken.




Donnerstag, 21. Oktober 2004

Ich wollt', ich wär' ein Huhn,
dann hätt' ich nix zu tun,
ich kraulte jeden Tag ein Ei,
und sonntags auch mal zwei.




Mittwoch, 20. Oktober 2004

51. Taken care of someone who was shit-faced.

„Hey, Anke, was machst du nach der Arbeit?“

„Keine Ahnung, bisschen mit dem Moped rumfahren, glaube ich.“

„Also wir treffen uns am Maschsee. Tati, Anja, Marc und ich. Bisschen aufs Wasser gucken und so.“

„Ihr wollt doch bloß kiffen.“

„Genau. Kommste vorbei?“

„Hm. Ma guckn.“

Ich bin vorbeigekommen. Genauer gesagt, vorbeigefahren, habe meine Yamaha am Nordufer geparkt und habe dann die vier gesucht. Sie saßen schon auf zwei Bänke verteilt und ließen die Bierdosen kreisen. Ich hockte mich in die Mitte und verfluchte die Tatsache, dass ich mir nichts Alkoholfreies zu trinken mitgebracht hatte. Ich war ja schon angeheitert Auto gefahren, aber komischerweise war mir klar, dass das beim Motorradfahren eine ziemlich blöde Idee wäre. Also habe ich nüchtern und durstig zwischen den beiden Pärchen gehockt und ein bisschen fünftes Rad gespielt.

Dann holte Matthias ein Piece raus und pries es an, als wollte er es uns weiterverkaufen. Das sei eine ganz besondere Sorte, knalle toll und wäre überhaupt das Geilste seit geschnitten Brot; er hat bestimmt auch einen aufregend klingenden Namen genannt, aber ich konnte mir diesen Slang nie merken. Ich wusste, dass ich nie selbst was kaufen wollen würde, daher war’s mir egal. Die wenigen Male, die ich gekifft hatte, fand ich nicht so großartig. Entweder habe ich gar nichts gemerkt oder den Abend mit dem Kopf in der Kloschüssel beendet. Nur ein einziges Mal hat mich das Zeug erwischt: Von einer Sekunde auf die andere war ich breit wie nach einer Flasche Wodka – und fand’s fürchterlich. Seitdem habe ich nie wieder gekifft und wollte auch an diesem Abend viel lieber was trinken anstatt mir die Birne zuzurauchen.

Die anderen sahen das nicht so: Matthias baute schon fachmännisch eine Tüte und ließ sie dann rumgehen. Jeder nahm ein paar beherzte Züge und starrte zwischendurch wieder aufs Wasser, auf die Sonne, die langsam unterging, auf die Boote auf dem See, die allmählich ans Ufer glitten. Ich hatte meine Lederjacke ausgezogen und es mir direkt am Wasserrand gemütlich gemacht. Ich traute mich nicht, die Füße ins Wasser zu hängen, denn ich hatte gehört, dass die Fische im Maschsee total gerne an nackten Zehen knabbern würden, und darauf hatte ich an diesem belanglos-netten Sommerabend keine Lust.

Hinter mir ertönte ein lauter Lachanfall. Ich drehte mich etwas unwillig um und sah Anja, die gackernd an Marcs Hals hing, der im Gegensatz zu ihr sehr still war. Marc war sowieso nie der Extrovertierteste; eigentlich war er der Denker von uns, der Ruhige, der vor jedem Satz überlegte, ob er ihn wirklich sagen sollte, und erst, wenn er sich entschieden hatte, gab er ihn langsam und deutlich von sich. Anja war noch nicht lange mit ihm zusammen, und eigentlich wusste auch keiner von uns, was sie an ihm fand. Sie hatte ihre mittellangen Haare vor kurzem knallrot gefärbt, trug schmuddelige Jeans und ausgelatschte Turnschuhe und studierte irgendwas, was ihr egal war. Marc war berufstätig, und sein Wecker, sein Terminplaner und sein Bleistiftanspitzer waren seine besten Freunde.

Ich drehte mich zur anderen Bank um und sah, wie Matthias Tati etwas zuflüsterte. Die guckte verwirrt, schaute ihn an, bat ihn, es zu wiederholen. Matthias sagte wieder etwas, aber Tati schien ihn immer noch nicht verstanden zu haben. Sie schaute hilfesuchend zu mir hinüber. Ich stand auf und zog mir dabei die Jacke an. Es war ziemlich schnell kühl geworden, und die Dämmerung war schon fast in die Nacht übergegangen. Tati war ewig Single gewesen und hatte Matthias aus der Ferne angeschmachtet; er war dagegen noch in einer festen Beziehung und das dummerweise mit Tatis bester Freundin. Während sie also lustig zu dritt etwas unternahmen, war die Freundin ahnunglos und hatte Spaß, Tati verzehrte sich und Matthias hing hin- und hergerissen dazwischen. Nachdem sie schließlich wochenlang eine eher verzweifelte Affäre hatten, entschloss sich Matthias, es seiner Freundin zu beichten, die ihn sofort aus der gemeinsamen Wohnung warf. Jetzt wohnte er mit ein paar Plastiktüten in Tatis 2-Zimmer-Wohnung und hoffte, irgendwann noch seine restlichen Sachen abholen zu dürfen. Tati freute sich zwar einerseits, dass sie Matthias nun für sich hatte, war aber gleichzeitig sehr traurig darüber, ihre Freundin verloren zu haben. Sie schien immer kleiner zu werden, weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie nun lachen oder weinen wollte. Meistens blieb sie in der Mitte zwischen diesen beiden Gefühlen und verkroch sich gerne, bevor eine Emotion sie erwischte. Matthias hingegen konnte dieses Zweifeln nicht verstehen. Laut, groß, blond und stolz warf er sich gerne in Pose und wollte sie beschützen. Das schien an diesem Abend aber nicht zu funktionieren.

Matthias sprach mich in seiner üblichen Gute-Laune-Manier an, als ich auf die beiden zukam, aber ich habe ihn nicht verstanden. Die Worte, die er sagte, waren Worte, die ich kannte, aber sie machten keinen Sinn, es entstand kein Satz aus ihnen und kein Zusammenhang. Sein Tonfall war eindringlich; es schien wichtig zu sein, was er sagen wollte, aber weder Tati noch ich konnten irgendeine Bedeutung in seinen Worten finden. Er packte mich am Arm, sagte irgendetwas und deutete auf Anja. Ich drehte mich um und sah Marc, wie er stumm Anja im Arm hatte und ungeschickt und fast mechanisch versuchte, sie zu wärmen. Ihr Lachen war in Angst umgeschlagen, sie zitterte und drängte an Marcs Brust. Marc sah unberührt aus, so, als ob er mitbekommen würde, dass etwas passierte und er deshalb einfach tat, was richtig zu sein schien, aber rational konnte er es nicht einordnen, was da an ihn herankroch und wimmerte. Ein Roboter hielt ein kleines, rothaariges Bündel Angst im Arm. Matthias redete auf mich ein, ich sagte ihm, dass ich ihn überhaupt nicht verstünde, was ihn in Panik versetzte. Für ihn schien sein Gebrabbel einen Sinn zu ergeben, und er sah mich fassungslos an, als er verstand, dass niemand anders diesen Sinn erfassen konnte.

Ich wollte mich an Tati wenden, um mit ihr zu beratschlagen, was zu tun war, aber als ich mich zu ihrer Bank umdrehte, war sie weg. Matthias wurde aufgeregt, ein weiterer sinnloser Redeschwall prasselte auf mich nieder. Ich versuchte ihn zu beruhige und sagte ihm, ich würde Tati suchen; er solle bei Marc und Anja bleiben. Ich kletterte die Treppen vom See zur Straße hoch, rief auf Tatis Handy an, aber ich erreichte sie nicht und sah sie auch nirgends. Die Straßen vom Maschsee weg sind lang und führen geradeaus, ich hätte sie sehen müssen. Sie musste gerannt sein. Nur wohin?

Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn ein lautes Weinen ertönte vom Seeufer. Ich stolperte die Treppen wieder hinab und sah Anja jetzt in Matthias' Armen. Marc saß bewegungslos auf der Bank und starrte nur noch vor sich hin. Matthias redete wirres Zeug auf Anja ein, die vor Angst noch lauter weinte. Ich stand inmitten dreier Menschen, die ich so noch nie erlebt hatte und überlegte, was zum Teufel ich tun sollte. Mir fiel nichts anderes ein, als sie erstmal vom See wegzuschaffen. Ich fischte Marcs Autoschlüssel aus seiner Jacke, sprintete die Treppen hoch und lief an der Reihe geparkter Autos vorbei, bis ich seinen Wagen entdeckt hatte. Ich fuhr zum Ufer zurück und versuchte, den dreien klarzumachen, dass ich Anja nach Hause bringen wollte. Diese schluchzte nur, dass sie nicht allein sein wolle, sie habe Angst alleine, und es sei doch schon dunkel.

Ich scheuchte Marc in seiner Lethargie auf den Rücksitz, packte Anja daneben und bat Matthias, mir den Weg zu Marcs Wohnung zu beschreiben, bei der ich noch nie gewesen war. Er verstand und gestikulierte „nach rechts“, „nach links“, „fahr einfach“. Marc kam allmählich wieder zu sich, er flüsterte von hinten nur, dass ihm wahnsinnnig schlecht sei und dass ich doch bittebitte langsamer fahren sollte. Ich bremste vorsichtig, aber selbst als ich nicht einmal mehr 25 fuhr, rüttelte Marc von hinten an meiner Kopfstütze, langsamer, langsamer. Ich beruhigte ihn, er wäre gleich zu Hause, alles in Ordnung, ganz ruhig, noch ein paar Straßen. Er wusste nicht, wohin ich fahren musste, er wusste nicht mal, dass wir in seinem Auto saßen, also zeigte mir Matthias weiterhin den Weg.

Bei Marc angekommen, war er soweit wieder bei sich, dass er seine Wohnung erkannte, dass das Häufchen Elend neben ihm seine Freundin war und dass sie jetzt am besten einfach schlafen gehen sollten. Anja klammerte sich an ihn, als er sie die Treppen mehr hochschleifte als dass sie sie ging, und sie schien langsam ruhiger zu werden. Sie weinte nicht mehr, sondern zitterte nur noch und litt stumm vor sich hin. Ich sagte Marc, ich würde Matthias in seinem Wagen nach Hause bringen, was er mit einem gleichgültigen Winken zur Kenntnis nahm. Wir fuhren zurück, ich versuchte weiterhin, Tati anzurufen, aber ohne Erfolg. Matthias bedeutete mir, zu Tatis Wohnung zu fahren, was ich tat. Und als wir ankamen, sahen wir beide Licht bei ihr. Matthias schien mir danken zu wollen, jedenfalls interpretierte ich seinen Tonfall so. Ich ließ ich aussteigen und fuhr zum See zurück.

Inzwischen war es stockfinster und ziemlich kalt. Ich verfluchte die Idee, mit dem Motorrad gekommen zu sein, legte hastig und frierend Helm, Handschuhe und Nierengurt an und wollte nur noch nach Hause. Ich war noch keine 500 Meter gefahren, als mich ein Polizeiauto von hinten anblinkte und mich rechts ranfahren ließ. Sie fragten mich, ob ich etwas getrunken hätte.

Ich habe ziemlich laut gelacht. Und dann angefangen zu weinen.




Dienstag, 19. Oktober 2004

Wort für Wort von emile_mo geklaut, weil's so schön ist:

"schild in einem cafe in london:
customers ordering coffee while speaking on their mobiles will be automatically moved back to the back of the queue. we are a cafe not a vending machine."



Gestern wieder Gesangsunterricht gehabt, wieder viel Spaß gehabt und wieder viel gelernt.

Wenn ich mich in höhere Regionen vorwage, stelle ich mir vor, einen Luftballon im Mund zu haben, über den ich rübersinge. Funktioniert. Wenn ich versuche, meiner Kopfstimme mehr Raum zu verschaffen, stelle ich mir wirklich einen Raum vor, der mich umgibt und den ich mit beiden Händen höher drücke, je höher ich singe. Funktioniert. Und wenn ich eine Tonfolge beendet habe, lasse ich mein Instrument nicht los und lege es weg und hebe es für die nächste Tonfolge wieder hoch, sondern behalte es die ganze Zeit bei mir, so dass ich in einem Schwung und in einer Qualität weitersingen kann. Funktioniert.

Außerdem habe ich mich gestern zehn Minuten lang an dem Wort mind aufgehalten (aus Losing my mind von Stephen Sondheim). Zuerst musste ich den Diphtong in den Griff kriegen. Auch wenn mind laut Schreibweise nur ein i hat, singt man doch einen Diphtong, nämlich ein ai. Und da das Wort so richtig schön über zwei Takte langgezogen wird, habe ich zuerst natürlich maiiiiiiind gesungen. Was eklig klingt, weil man viel zuviel i hört. Also habe ich mich langsam an die Version maaaaaaind rangetastet. Aber das war auch noch nicht in Ordnung, denn natürlich habe ich mind brav, wie ich es in deutschen Liedern gelernt habe, mit hartem, fiesem Doppel-t beendet: maaaaainttt. Was auch nicht schön klang. Also habe ich die Wahl gehabt zwischen einem nasalen maaaainnn mit der Zunge am Gaumen (aber: Nasallaute stoppen den Ton nicht, sondern schwächen ihn nur ab) oder einem halbvernuschelten maaaaindddd, mit extrem butterweichem d am Ende, das ein bisschen klingt als hätte ich Schnupfen. Hört sich alles fürchterlich kompliziert an, aber laut Tony singe ich sowieso am besten, wenn ich meinen blöden Denkschädel vor der Tür lasse und nicht darüber nachgrübele, wie hoch oder tief die Note ist, die mich da vom Blatt anstarrt. Und er meinte, er habe gestern zum ersten Mal die Rampensau in mir gesehen. Das lässt für die Lesung nächsten Dienstag ja hoffen. Ich sehe sie nämlich noch nicht.



Ich liebe Steilvorlagen. (Kommentare lesen. Auch wenn's weh tut.)




Montag, 18. Oktober 2004

DVDs vom Wochenende:
Out of Time (Out of Time – Die Zeit ist sein Gegner): billiges B-Movie mit Denzel Washington. Wundert mich, dass der sich für so einen Anfängerfilm hergeben muss, denn die Geschichte eines Provinzsheriffs, der sich in einer Intrige seiner Geliebten wiederfindet und auf einmal der Mordverdächtige ist, ist eigentlich der typische Erstling von irgendwelchen "Ich hab da so nen Kurs besucht"-Regisseuren. Jedenfalls fühlte sich der Film danach an. Die Setdesigner haben sich nicht mal bemüht, die Austattung nicht nach Sperrholz aussehen zu lassen, und eine Sexszene zwischen Denzel und seiner Gespielin war wirklich an Dämlichkeit nicht zu überbieten: Man hört sie orgiastisch stöhnen, die Kamera schwenkt um die Ecke, jetzt sehen wir, dass beide vollständig bekleidet die peinlichste aller Penetrationsposen einnehmen (sie um seine Hüften geschlungen, er stößt sie in Richtung Wand), er lässt sie nach glücklicherweise nur wenigen Sekunden auf den Fußboden, auf den beide total ermattet (von was?) sinken, um einen Moment später wieder übers Wetter oder ähnliche Banalitäten zu reden. Schauspielschüler würden für sowas nachsitzen müssen.

Deep Blue: wunderschöne Dokumentation, die allerdings manchmal aussah wie ein Unterwasserbildschirmschoner. Das Meer, die Ozeane, Korallenriffe, Seelöwen, Wale, Krebse, Pinguine und Fische, oh mein Gott, wahnsinnig viele Fische, die mit teilweise arg kitschigem Orchesterbombast untermalt wurden. Ich habe schon nach wenigen Minuten nur noch mit offenen Mund vor dem Fernseher gehockt und wie im Kasperletheater den Bildschirm angebrüllt: „Achtung, kleines Seehundbaby, hinter dir ist ein Waaaaaa – aaaaahigittichhoffedastatnichtsowehwiesaussah.“ Deep Blue ist sicherlich kein Lehrfilm im klassischen Sinne; die Fakten beschränken sich größtenteils auf Sprechblasen wie „Ein ewiger Kreislauf von Geburt, Tod und neuem Leben“, aber die Bilder sind einfach unglaublich eindrucksvoll. Besonders die Lebewesen, die auf dem Meeresboden ohne Licht leben, hätte sich nicht mal H. R. Giger besser ausdenken können. Ich wollte nach dem Film nur noch einen Tauchkurs machen, ans Meer ziehen oder wenigstens mal wieder ins Wellenbad.

Open Range (Weites Land): klassischer Western. Im Gegensatz zu seinen Vorbildern aus den 60ern ist Open Range allerdings in Zeitlupe gefilmt; er braucht über zwei Stunden für den üblichen „Die wenigen Guten gegen die vielen Bösen“ inklusive Showdown und Heiratsantrag. Einzige Überraschung: Die Stadt stellt sich hinter die Guten und nicht hinter die Bösen, Annette Bening darf als zukünftige Mrs. Costner in Hosen im Männersitz auf ein Pferd und manchmal interessieren sich auch Cowboys für ein Teeservice. Och ja. Hab schon Schlimmeres gesehen. Aber auch schon Originelleres.

L'auberge espanole (Barcelona für ein Jahr): wird bestimmt mal Pflichtfilm für alle, die noch von der Idee Europa überzeugt werden müssen. Ein französischer Student zieht für ein Jahr nach Barcelona, wohnt da in einer multinationalen WG, in der alle Vorurteile über die verschiedenen Völker natürlich ad absurdum geführt werden, obwohl der Italiener dauernd mit Sonnenbrille rumläuft, die Engländerin irgendwie verklemmt ist und der Franzose erstmal seiner Freundin untreu wird. Ich fand den Film typisch europäisch dahingeblubbert: viele Dialoge, schöne Stadtpanoramen, immer gutes Wetter, und zum Schluss haben alle was gelernt. Ich auch: Ich habe den Film im Original laufen lassen und so brav französisch, spanisch und englisch gehört. Und sogar zwei Sätze dänisch. Mehr hab ich von dem Film aber nicht mitgenommen.

The Cooler (The Cooler – Alles auf Liebe): altmodischer Film über ein altmodisches Casino in Las Vegas. Der Cooler ist Bernie (William H. Macy), der allein durch seine deprimierende Präsenz dafür sorgt, dass die Leute an den Casinotischen verlieren. Aber plötzlich tritt eine Frau in sein Leben, und alles ändert sich: Er wird glücklich, die Menschen gewinnen, und der Casinochef is not amused. The Cooler ist ein Ensemblefilm: Maria Bello und Alec Baldwin als die Geliebte und der Casinochef sind genauso wundervoll skizzierte und vielschichtige Charaktere wie Bernie. Jeder hat seine eigene Geschichte, die langsam im Laufe der Handlung enthüllt wird, und alle passen zusammen. Vorsichtig und nicht mit dem Holzhammer, sondern genau im richtigen Tempo, genau im richtigen Tonfall, entsteht durch das Zusammenspiel von Setting, Figuren und Story ein trauriges, schönes, schlichtes, grausames, aber gerade deshalb so stimmiges Gesamtbild. Ein paar kleine Überraschungen machen das ganze perfekt. Gutes, altes Kino. Könnte ich ewig sehen.



Manchmal nimmt es die imdb für meinen Geschmack etwas zu genau. (Sometimes credited as Der Führer? Meine Güte.)




Sonntag, 17. Oktober 2004

Kollegin 1: „Der Kunde braucht echt nen besseren Workflow.“

Kollegin 2: „Der Kunde braucht keinen besseren Workflow, der Kunde braucht ein Gehirn.“




Samstag, 16. Oktober 2004

SamstagSieben:
1. Wie würdest du dich selbst beschreiben?
Neugierig. Selbstzweifelnd. Unterhaltsam. Undiszipliniert. Fröhlich. Traurig. Verpuschelt. Genervt. Talentiert. Untalentiert. Emotional. Egozentrisch. Dick. Undoof. Leseratte. Faulpelz. Filmegucker. Labernase. Autofahrer. Sportmuffel. Lautlacher. Imkinoweiner. Deutsch 1. Physik 5. Phantasievoll. Tagträumend.
Großezielehaber. Kleineschrittemacher.

2. Was sind deine Stärken?
Ich kann total verkitschte Lyrik schreiben genauso wie schweinebauchiges Hardselling. Ich kann mir prima englische Vokabeln merken und ganz toll Memory spielen. Ich mache gute Frikadellen und kann tapezieren. Ich kann einigermaßen Witze erzählen, fast alle Billy Joel-Songs auswendig und auch nach Jahren der Abstinenz die Tonleiter auf den Akkordeon-Bässen spielen. Ich weiß den Unterschied zwischen Stalakmiten und Stalaktiten, konkav und konvex, Steuerbord und Backbord. Ich kann aus Cola und Pepsi das jeweilige herausschmecken, die Ballade von Biermann seine Oma Meume in Hamburg auswendig und kenne die Hauptstädte aller europäischen Länder. Glaube ich jedenfalls.

3. Und was deine Schwächen?
Wann immer ich meine Bücher oder DVDs nach Alphabet ordne, muss ich ebendieses komplett aufsagen, weil ich nie weiß, wann welcher Buchstabe kommt. Ich kann nicht auf den Fingern pfeifen und keinen einzigen Seemannsknoten. Ich habe ein prima Gesichtergedächtnis, weiß aber nie die Namen zu den Nasen. Ich kann nur zwei Sprachen sprechen, aber die wenigstens fließend. Ich kenne immer noch nicht alle Kiefer-Filme, aber ich arbeite daran. Und ich habe einen miesen Orientierungssinn. Daher ist mein größter Wunsch – neben Weltfrieden und Essen für alle – ein Navigationssystem im Auto.

4. Bereust du eine Entscheidung in deinem Leben? Welche?
Ich bereue die Wahl meiner Orthopäden und Neurologen zur Zeit meines Bandscheibenvorfalls. Vielleicht hätten andere meinen Zustand besser eingeschätzt, und ich könnte heute noch auf Zehenspitzen stehen. Und ein paar andere Sachen, die ich mal für mich behalte.

5. Und was war die beste Entscheidung deines Lebens?
Eine Therapie zu machen.

6. Was macht dich täglich zu einem glücklichen Menschen?
Ich mich selbst. Weil's sonst keiner macht. Obwohl ich ja seit einigen Monaten Hilfe vom Kerl dabei habe. Das ist schön, aber wenn ich irgendetwas in meinem kleinen, kurzen Leben gelernt habe, dann, dass ich alleine mich glücklich machen muss. Kann. Sollte. Will.

7. Hast du ein Lebensmotto?
Wechselt ständig. „It's just money“ ist eins, „Trust yourself“ ein anderes. Und irgendwann finde ich vielleicht auch eins auf Deutsch. Tschakaaaaa.




Freitag, 15. Oktober 2004

Habe The Terminal gesehen. Der ist so scheiße, dass ich nicht mal Lust habe, ihn zu verreißen. Das einzig Interessante, was ich über ihn zu sagen haben, ist, dass dieses mein erster Film war, in dem die Syd Field-Regel nicht funktioniert hat: „Wenn dir ein Film in den ersten zehn Minuten nicht gefällt, gefällt er dir überhaupt nicht mehr.“ In The Terminal waren die ersten zehn Minuten eine halbwegs anständige Exposition. Aber danach ging's nur noch bergab. Ich frage mich im Nachhinein, weswegen ich nicht gegangen bin, obwohl ich mehrmals darüber nachgedacht habe. Ich nehme an, der einzige Grund war der, dass ich im Weblog drüber schreiben wollte. Hab ich hiermit getan.


Dann doch lieber auf den neuesten Meme-Zug aufspringen (mit der Formulierung habe ich mich gerade elegant um das Dilemma gedrückt, ob es die Meme, der Meme oder das Meme heißt):

200 Dinge, die man gemacht haben sollte. Eventuell.

01. Bought everyone in the pub a drink
02. Swam with wild dolphins
03. Climbed a mountain
04. Taken a Ferrari for a test drive (nicht mal für Geld. Aber nen Lamborghini würd ich nehmen.)
05. Been inside the Great Pyramid
06. Held a tarantula
07. Taken a candlelit bath with someone
08. Said ‘I love you’ and meant it
09. Hugged a tree
10. Done a striptease
11. Bungee jumped
12. Visited Paris
13. Watched a lightning storm at sea
14. Stayed up all night long, and watch the sun rise
15. Seen the Northern Lights
16. Gone to a huge sports game
17. Walked the stairs to the top of the leaning Tower of Pisa
18. Grown and eaten my own vegetables
19. Touched an iceberg
20. Slept under the stars
21. Changed a baby’s diaper
22. Taken a trip in a hot air balloon
23. Watched a meteor shower
24. Gotten drunk on champagne
25. Given more than you can afford to charity
26. Looked up at the night sky through a telescope
27. Had an uncontrollable giggling fit at the worst possible moment
28. Had a food fight
29. Bet on a winning horse (even if it was only $1)
30. Taken a sick day when I was not ill
31. Asked out a stranger
32. Had a snowball fight
33. Photocopied your bottom on the office photocopier
34. Screamed as loudly as you possibly can
35. Held a lamb (nur als Filet)
36. Enacted a favorite fantasy
37. Taken a midnight skinny dip
38. Taken an ice cold bath
39. Had a meaningful conversation with a beggar (Ich hatte neulich eine weniger meaningfulle mit einem Punk, an dem ich mit iPod vorbeigelaufen bin: „Ey, hasse ma'n Euro? Hm? Ey? Ey, du hörst mich doch, ey!“ Recht hat er gehabt. Hat ihm aber auch nix genützt.)
40. Seen a total eclipse
41. Ridden a roller coaster
42. Hit a home run (Zählt selbstgefälschte Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen?)
43. Fit three weeks miraculously into three days (Miraculously and with a lot of overtime)
44. Danced like a fool and not cared who was looking
45. Adopted an accent for an entire day
46. Visited the birthplace of your ancestors
47. Actually felt happy about your life, even for just a moment
48. Had two hard drives for your computer
49. Visited all 50 states (nö, nur drei, aber immerhin bis auf Saarland und Rheinland-Pfalz alle Bundesländer.)
50. Loved your job for all accounts
51. Taken care of someone who was shit faced
52. Had enough money to be truly satisfied (maybe now?)
53. Had amazing friends
54. Danced with a stranger in a foreign country
55. Watched wild whales
56. Stolen a sign
57. Backpacked in Europe (Einen Monat Tramperticket hab ich gemacht. Total rebellisch und freiheitsliebend. So rebellisch und freiheitsliebend man eben sein kann auf den Strecken der Deutschen Bundesbahn. Und wenn man alle drei Tage wieder nach Hause fährt, damit Mami die Wäsche frisch macht.)
58. Taken a road-trip
59. Rock climbing
60. Lied to foreign government’s official in that country to avoid notice
61. Midnight walk on the beach
62. Sky diving
63. Visited Ireland
64. Been heartbroken longer then you were actually in love
65. In a restaurant, sat at a stranger’s table and had a meal with them (Mit wildfremden Menschen einen trinken gehen, ist nicht dasselbe, oder?)
66. Visited Japan
67. Benchpressed your own weight
68. Milked a cow
69. Alphabetized your records (and CD’s and tapes and and and…)
70. Pretended to be a superhero
71. Sung karaoke
72. Lounged around in bed all day
73. Posed nude in front of strangers
74. Scuba diving
75. Got it on to “Let’s Get It On” by Marvin Gaye
76. Kissed in the rain
77. Played in the mud
78. Played in the rain
79. Gone to a drive-in theater
80. Done something you should regret, but don’t regret it
81. Visited the Great Wall of China
82. Discovered that someone who’s not supposed to have known about your blog has discovered your blog
83. Dropped Windows in favor of something better
84. Started a business
85. Fallen in love and not had your heart broken
86. Toured ancient sites
87. Taken a martial arts class
88. Swordfought for the honor of a woman
89. Played D&D for more than 6 hours straight
90. Gotten married
91. Been in a movie
92. Crashed a party
93. Loved someone you shouldn’t have
94. Kissed someone so passionately it made them dizzy (Hoffe ich wenigstens)
95. Gotten divorced
96. Had sex at the office
97. Gone without food for 5 days
98. Made cookies from scratch
99. Won first prize in a costume contest
100. Ridden a gondola in Venice
101. Gotten a tattoo
102. Found that the texture of some materials can turn you on
103. Rafted the Snake River
104. Been on television news programs as an “expert”
105. Got flowers for no reason
106. Masturbated in a public place
107. Got so drunk you don’t remember anything
108. Been addicted to some form of illegal drug
109. Performed on stage
110. Been to Las Vegas
111. Recorded music
112. Eaten shark
113. Had a one-night stand
114. Gone to Thailand
115. Seen Siouxsie live
116. Bought a house
117. Been in a combat zone
118. Buried one/both of your parents
119. Shaved or waxed your pubic hair off
120. Been on a cruise ship
121. Spoken more than one language fluently
122. Gotten into a fight while attempting to defend someone
123. Bounced a check
124. Performed in Rocky Horror (als Zuschauer)
125. Read – and understood – your credit report
126. Raised children
127. Recently bought and played with a favorite childhood toy
128. Followed your favorite band/singer on tour
129. Created and named your own constellation of stars
130. Taken an exotic bicycle tour in a foreign country
131. Found out something significant that your ancestors did
132. Called or written your Congress person
133. Picked up and moved to another city to just start over to be with the one you love
134. …more than once? – More than thrice?
135. Walked the Golden Gate Bridge
136. Sang loudly in the car, and didn’t stop when you knew someone was looking
137. Had an abortion or your female partner did
138. Had plastic surgery
139. Survived an accident that you shouldn’t have survived
140. Wrote articles for a large publication
141. Lost over 100 pounds
142. Held someone while they were having a flashback
143. Piloted an airplane
144. Petted a stingray
145. Broken someone’s heart (ich hoffe nicht)
146. Helped an animal give birth
147. Been fired or laid off from a job
148. Won money on a T.V. game show
149. Broken a bone
150. Killed a human being
151. Gone on an African photo safari
152. Ridden a motorcycle
153. Driven any land vehicle at a speed of greater than 100mph
154. Had a body part of yours below the neck pierced
155. Fired a rifle, shotgun, or pistol
156. Eaten mushrooms that were gathered in the wild
157. Ridden a horse
158. Had major surgery
159. Had sex on a moving train
160. Had a snake as a pet
161. Hiked to the bottom of the Grand Canyon
162. Slept through an entire flight: takeoff, flight, and landing
163. Slept for more than 30 hours over the course of 48 hours
164. Visited more foreign countries than Europe
165. Visited all 7 continents
166. Taken a canoe trip that lasted more than 2 days
167. Eaten kangaroo meat
168. Fallen in love at an ancient Mayan burial ground
169. Been a sperm or egg donor
170. Eaten sushi
171. Had your picture in the newspaper
172. Had 2 (or more) healthy romantic relationships for over a year in your lifetime
173. Changed someone’s mind about something you care deeply about
174. Gotten someone fired for their actions
175. Gone back to school
176. Parasailed
177. Changed your name
178. Petted a cockroach
179. Eaten fried green tomatoes
180. Read The Iliad
181. Selected one “important” author who you missed in school, and read.
182. Dined in a restaurant and stolen silverware, plates, cups because your apartment needed them
183. …and gotten 86ed from the restaurant because you did it so many times, they figured out it was you
184. Taught yourself an art from scratch (10-Finger-Tippen ist eine Kunstform)
185. Killed and prepared an animal for eating
186. Apologized to someone years after inflicting the hurt
187. Skipped all your school reunions
188. Had sex with someone half your age or twice your age
189. Been elected to public office (Schülersprecher ist ein public office!)
190. Written your own computer language
191. Thought to yourself that you’re living your dream
192. Had to put someone you love into hospice care
193. Built your own PC from parts
194. Sold your own artwork to someone who didn’t know you
195. Had a booth at a street fair
196. Dyed your hair
197. Been a DJ
198. Found out someone was going to dump you via LiveJournal
199. Written your own role playing game
200. Been arrested

(via Don, der auf Nachfrage auch noch ins Detail gegangen ist)




Donnerstag, 14. Oktober 2004

In meinem Fall hat die komische Buchliste vom ZDF ihr Gutes gehabt, denn durch die Empfehlungen in den Kommentaren habe ich mir ein paar von den Büchern vorgenommen. Als erstes Die Wand von Marlen Haushofer, von der ich vorher, ehrlich gesagt, noch nie gehört hatte. Das Buch ist Eins A Schullektüre, denn die Ausgangslage ist eine Steilvorlage für jeden interpretationswilligen Deutschlehrer: Eine Frau entdeckt, dass ihre Welt in den Bergen, wo sie doch nur für einige Tage bleiben wollte, plötzlich von einer unsichtbaren Wand umstellt ist, und sie muss davon ausgehen, die letzte Überlebende einer Katastrophe zu sein, die außerhalb der Wand stattgefunden hat. Mir gefiel die simple Prämisse der Geschichte, die auch genauso „simpel“ weitergeht, nämlich mit dem reinen Kampf ums Dasein: die wenigen Tiere versorgen, die mit ihr eingeschlossen wurden, Gemüse pflanzen, Heu einfahren, überleben. Da kann man natürlich prima ein Emanzipationsdrama draus zimmern (Frau entdeckt ihre Stärke) oder auch den Wunsch zurück zur Natur rauslesen; man kann die Beziehungen der Hauptperson zu ihren Tieren untersuchen, die Zivilisationskritik oder man kann einfach den sehr schlichten Erzählstil genießen. Und zwischendurch die wenigen moralischen Einsprengsel, die man nicht mehr interpretieren muss, weil sie offen vor einem liegen:

„Es gibt Stunden, in denen ich mich freue auf eine Zeit, in der es nichts mehr geben wird, woran ich mein Herz hängen könnte. Ich bin müde davon, dass mir doch alles wieder genommeen wird. Es gibt keinen Ausweg, denn solange es im Wald ein Geschöpf gibt, das ich lieben könnte, werde ich es tun; und wenn es einmal wirklich nichts mehr gibt, werde ich aufhören zu leben. Wären alle Menschen von meiner Art gewesen, hätte es nie eine Wand gegeben, und der alte Mann müsste nicht versteinert vor seinem Brunnen liegen. Aber ich verstehe, warum die anderen immer in der Übermacht waren. Lieben und für ein anderes Wesen sorgen ist ein sehr mühsames Geschäft und viel schwrer, als zu töten und zu zerstören. Ein Kind aufzuziehen dauert zwanzig Jahre, es zu töten zehn Sekunden.“

Die weiteren Bücher, die neu neben meinem Bettchen liegen, sind Der Schatten des Windes von Carlos Ruiz Zafón; auf Empfehlung in den Kommentaren The Time Traveller's Wife von Audrey Niffenegger und ganz schlicht von meinem Wunschzettel The Coma von Alex Garland. The Beach ist immer noch eins meiner Lieblingsbücher, und den Nachfolger The Tesseract habe ich ihm gnädig verziehen. Schauen wird mal, wie der dritte Versuch geworden ist.



Ich lurke seit einiger Zeit auf grouphug herum. Meist sind die Einträge von der üblichen pubertären Natur – sie liebt mich nicht, er liebt mich nicht, alle sind gemein, ich bring mich um –, aber ab und zu kommen dann doch Statements, die ich unterhaltsam finde:

"I joined a band's message board just to tell them how gay their drummer is."

"i think i could survive being hit by a car (at an acceptable speed). one day i'd like to just jump in front of a car and curl up into a ball on the hood of the car and hit the windshield. i'd probably want to be hit on the right side of my body because that's my 'strongest' side."

"I like the laughing gas thing the dentist makes you breathe in when you need to take in a needle for like pulling out a tooth or cavity. It makez me all woozy and dizzy in the head. I like competing with it on not getting woozy. Its fun."

"I fired two employees today for spending more time confessin' than workin'.

Nice job, guys."



Und wieder Nachwuchs gekriegt: 2200N-DK meint, ich sei seine Mami. Wusste gar nicht, dass ich so vielsprachliche Kinder habe.




Mittwoch, 13. Oktober 2004

Scott Rosenberg, einer der Salon-Blogger der ersten Stunde, bezieht sich in seinem neuesten Posting auf einen Artikel im NYT Magazine, in dem folgendes behauptet wird:

„In a recent national survey, the Pew Internet and American Life Project found that more than two million Americans have their own blog. Most of them, nobody reads. The blogs that succeed ... are written in a strong, distinctive, original voice.“

Rosenberg widerspricht der Behauptung, es gebe Blogs, die niemand liest:

„This passage crystallized the fundamental and profound divide between most professional journalists and most bloggers. “Most of them, nobody reads.” Now, even the world’s most neglected, forlorn and unpopular blog has at least one reader – the author. So Klam’s first message to these bloggers is, “You are a nobody.” But in fact most of the millions of not-terribly-well-known blogs on the planet do have a handful of readers: friends, relatives, colleagues, the person who staggered in the door from a Google search and stuck around.

Everyone’s famous for 15 people.“

Ich fand die Idee des Berühmtseins für 15 Leute sehr spannend – und sehr nachvollziehbar. Ich nehme an, ich bin nicht die einzige, die sich am Anfang über zehn Leser gefreut hat, dann über 20, dann über 100. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie sich Leserzahlen entwickeln. Wie reagieren Leser auf Neues im Blog? Langweiligen sie sich irgendwann? Warum gehen sie weg, warum bleiben Neulinge da? Zu welchem Beitrag kommen die meisten Kommentare, zu welcher Art Eintrag gar keine? Was passiert, wenn man nur noch Grütz postet oder gar nichts mehr?

Komischerweise passiert nie das, was man erwartet. Weil diese 15 Leute, für die man mal kurz berühmt ist, 15 individuelle Köpfe haben, von denen jeder neugierig ist. Vielleicht ziehen sie deswegen irgendwann weiter. Aber dann kommen seltsamerweise die nächsten 15 und lesen mit. Und irgendwann sind es wieder 30. Und dann wieder 100.

Jeder wird gelesen. Jeder wird gefunden.




Dienstag, 12. Oktober 2004



Christopher Reeve, 25.09.1952–10.10.2004

Ich muss gestehen, dass ich die Superman-Filme erst ewig nach ihrem Starttermin irgendwann mal auf RTL 2 gesehen habe. Und ehrlich gesagt, waren sie mir, genau wie ihr Hauptdarsteller, ziemlich wurscht. Den Namen Christopher Reeve habe ich mir erst nach dessen Unfall gemerkt, nach dem Reeve fast vollständig gelähmt blieb. Ich habe danach den Mut bewundert und die Offensivität, mit der der Schauspieler mit seinem Schicksal (blödes Wort) umgegangen ist; seinen Wunsch, Geld und Mittel zu sammeln, um anderen, denen es wie ihm geht, zu helfen; seine Hoffnung auf Genesung oder wenigstens Besserung bis zum Schluss.



Stanley Kubricks Dr. Strangelove feiert seinen 40. Geburtstag. Und immer mehr wird laut einem Artikel in der NY Times deutlich, dass dieser Film mehr als nur eine Satire ist – er ist in vielen Punkten verdammt nah an der Wahrheit: Truth Stranger Than Strangelove.

„What few people knew, at the time and since, was just how accurate this film was. Its premise, plotline, some of the dialogue, even its wildest characters eerily resembled the policies, debates and military leaders of the day. The audience had almost no way of detecting these similiarities: Nearly everything about the bomb was shrouded in secrecy back then. There was no Freedom of Information Act and little investigative reporting on the subject. It was easy to laugh off Dr. Strangelove as a comic book.

But film's weird accuracy is evident in its very first scene, in which a deranged base commander, preposterously named Gen. Jack D. Ripper (played by Sterling Hayden), orders his wing of B-52 bombers - which are on routine airborne alert, circling a "fail-safe point" just outside the Soviet border – to attack their targets inside the U.S.S.R. with multimegaton bombs. Once the pilots receive the order, they can't be diverted unless they receive a coded recall message. And only General Ripper has the code.

The remarkable thing is, the fail-safe system that General Ripper exploits was the real, top-secret fail-safe system at the time. According to declassified Strategic Air Command histories, 12 B-52's – fully loaded with nuclear bombs – were kept on constant airborne alert. If they received a Go code, they went to war. This alert system, known as Chrome Dome, began in 1961. It ended in 1968, after a B-52 crashed in Greenland, spreading small amounts of radioactive fallout.“



Dominosteinschlag.
Marzipanstolleneinbruch.
Zimtsternhagelvoll.

Ich bin mit Weihnachten durch. Maibowle, anyone?




Montag, 11. Oktober 2004

Der Kerl hatte Anke endlich überzeugt, ihr Schnuckibook auf OS X aufzurüsten und war seit acht Stunden mit seligem Jungsblick dabei, ganz tolle Sachen mit ihrem weißen Liebling anzustellen. Und das passierte dann beim Download vom neuen RealPlayer:



Und so sah einen Tag die Premiere von iChat aus, die angestestet wurde, während Anke mit dem Kerl telefonierte, weswegen die erste Reaktion auch eher unverständig als schwer begeistert ausfiel. Anke weiß die ganzen tollen Features eben noch nicht zu würdigen. Aber sie weiß ja auch nicht, was Spiele auf einem Handy zu suchen haben oder eine Kalenderfunktion im E-Mail-Programm.



Auf jeden Fall sieht the machine jetzt wie ein erwachsener Rechner aus. Bis auf den Orlando Bloom-Bildschirmhintergrund natürlich.




Sonntag, 10. Oktober 2004

Microsoft Super Slang – ein kurzer Artikel über das Neusprech von Microsoft-Mitarbeitern aus dem Magazin Zembla. Geschrieben wurde er von einem heutigen Mitarbeiter von Wieden and Kennedy London, und von deren Weblog habe ich den Link auch.

„Operationalize/Tangibilize: There are dozens of variations on this basic idea, verbing nouns to save time and suggest activity. It’s an action-oriented, American trait, but Microsoft fine-arted it. They treat language like software code, snapping words apart and popping them back together in a more efficient form. It may be inelegant but you always knew what they meant. (Except operationalize, I never knew what that meant.)“



Und wo bleibt eigentlich meine neue Intersection?




Samstag, 9. Oktober 2004



Google knows best.




Freitag, 8. Oktober 2004

This week's Friday Forum is all about the five senses. Well, who knows – maybe some of you out there have a "sixth sense"?

1. Seeing: What's the most beautiful piece of artwork that you've ever seen in person? Where was it, and when? Why does it stand out in your mind?

Das beeindruckendste Kunstwerk, was ich je gesehen habe, ist der Grabschatz des Tut-ench-Amun. Ich war als Kind in einer Ausstellung in Hannover, in der Teile des Schatzes ausgestellt waren. Ich weiß noch, dass meine Eltern mich fast von der Goldmaske wegzerren musste, so hypnotisiert habe ich davorgestanden. Als ich dann 15 Jahre später endlich in Kairo war, habe ich fast einen halben Tag im Museum verbracht (mehr war leider nicht drin) und versucht, den Rest der Grabbeigaben anzuschauen. Keine Chance. Es sind viel zu viele Gegenstände, und es gab viel zu viel zu sehen. Lauter kleine Wunder.

Ganz knapp hinter dem Pharao auf Platz 2: die tönerne Armee in Xian. Es hört sich so simpel an: Krieger aus Ton – aber wenn man in der Ausgrabungshalle steht und über das Meer an menschlichen Gestalten blickt, dann ist das schon verdammt beeindruckend. Es war sehr still in der Halle bzw. unter dem Dach, das über der Ausgrabungsstätte errichtet war. Meine Reisegruppe, ich mittendrin, stand auf einer kleinen Plattform und schaute hinunter in dutzende von Gräben, aus deren Erde die Krieger freigebürstet wurden. Einer nach dem anderen. Die, die schon aufgerichtet waren, schauten in unsere Richtung, wortlos, bewegungslos. Wir standen einer 2000 Jahre alten Heerschar gegenüber. Ein Gefühl, das ich nicht besser beschreiben kann als: atembetaubend.

2. Hearing: How would you describe the sound of your voice? When it's played back for you, do you like the sound of it? Do you feel that your voice is similar to anyone else's?

Angeblich ist meine Sprechstimme etwas tiefer als die „normale“ Frauenstimme, aber das kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall piepse ich nicht über dem zweigestrichenen C rum. Ich rede allerdings viel zu schnell, und wenn ich richtig aufgeregt bin, geht die Stimmlage auch etwas nach oben, was bedeutet, dass mich dann niemand mehr versteht. Alle, die sich überlegen, zur Lesung nach Berlin zu kommen: Ich habe euch hiermit gewarnt.

Meine Stimme klingt komisch, wenn ich sie auf Band höre, aber das geht, glaube ich, jedem so. Man hört sich selbst eben anders als man für den Rest der Welt klingt. Ich finde, ich klinge etwas nasal, was sich in meinem Kopf nicht so anhört. Ich höre allerdings auch keine Ähnlichkeiten zu berühmten Stimmen. Auf jeden Fall mag ich meine Stimme. Ich mag mich, wenn ich lache, und ich beginne mich zu mögen, wenn ich singe.

3. Tasting: Are there any foods or beverages that most people seem to like, but you just don't seem to have a taste for?

Ich kann Fisch nichts abgewinnen. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn nicht mag, ich finde ihn nur belanglos und ein bisschen unangenehm. Irgendwie kostet es mich jedesmal Überwindung, Fisch zu essen, weswegen ich es auch ziemlich selten tue. Wenn man allerdings Freunde von außerhalb in Hamburg in irgendein Restaurant mit Lokalkolorit ausführen soll, endet man eben noch meist in irgendeinem Fischtempel. Ich glaube, ich sollte allmählich nach München ziehen. Mit Schwein hab ich weniger Probleme.

Und so'n Zeug wie Hummer oder Langusten habe ich noch nie probiert und werde es auch nicht tun. Das sieht schon so eklig aus, das will ich nicht im Mund haben. (Ich ahne, dass dieser Satz eine Steilvorlage für blöde Kommentare ist. Bitte lasst die Gelegenheit gefasst und erwachsen an euch vorüberziehen.)

4. Touching: Would you consider yourself a "touchy-feely" person, or do you prefer staying within your own personal "zone" most of the time? Do you often give/receive hugs, offer handshakes, or greet others with a kiss on the cheek?

Ich bin alles andere als touchy-feely. Ich kann dieses Bussi rechts, Bussi links überhaupt nicht ab, und selbst meine Freunde nehme ich recht selten in den Arm. Ich werde sehr schnell stinkig, wenn ich im Bus jemanden neben mir habe, der partout sein Beinchen direkt neben meines stellen will. Ein lauter iPod bewahrt mich aber meist vor diesem Schicksal.

Was ich im Gegenzug aber sehr mag: geliebte Menschen anfassen. Was bei meiner spießigen Weltauffassung immer nur einer ist; im Moment eben der Kerl, der mir hoffentlich noch für viele weitere Millionen Momente erhalten bleibt. Von ihm bekomme ich nicht genug: Sobald er in Reichweite ist, grabsche ich ihn an und lasse nicht wieder los. Netterweise ist er selbst auch ein (O-Ton) „großer Streichler““, so dass auch ich auf meine Kosten komme. Einziges Problem, was jede Romantik ziemlich schnell zu killen vermag: Ich bin höllisch kitzelig. Er nicht. War ja klar.

5. Smelling: Do you wear perfume/cologne? What kind? Do you have a particular favorite? What fragrances do you tend to prefer?

Klar trage ich Parfum. Mein Tagesduft ist zurzeit Pure von Jil Sander, das Abendparfum Presence d'une femme von Montblanc. Und seit ich gestern in der Gala eine Anzeige für Cinéma von Yves Saint Laurent gesehen habe, ahne ich, was meine nächste Anschaffung sein wird.

Tagsüber trage ich gerne leichte, frische Düfte, abends darf es dann gerne das schwere Stöffchen sein. Am liebsten würde ich das Tagesparfum mit Ü schreiben und das für abends mit U, weil sie sich so sehr unterscheiden. Parfüm klingt für mich lockerer, fast beschwingt (muss an den Punkten liegen, die über dem U rumhüpfen), während das französische Parfum so nach Samtvorhängen und Kronleuchtern klingt.




Donnerstag, 7. Oktober 2004






Mittwoch, 6. Oktober 2004

Ich habe schon wieder Nachwuchs bekommen. Herr Sebas hat mich nachträglich zu seiner Mami gemacht und damit gleich drei Geschwisterchen gekriegt.



Wer seine Vorurteile über Werber (überbezahlt und unterbeschäftigt) bestätigt sehen will, kann der Agentur Wieden & Kennedy London (ja, die mit dem Honda-Spot) jetzt über die Schulter gucken, denn die haben ein Weblog.

(via Werbewunderland)



Apropos Werbung. Wir haben gestern in der Agentur die Spieletester gemacht. Das Teil hieß Brainstorm und ... ach, fragen wir doch einfach Amazon, worum's geht:

„Sie spielen mit dem Gedanken, in die Werbung zu gehen? Sie wollten schon immer mal wissen, wie es um die Kreativität Ihrer Freunde, Familie oder Mitbewohner bestellt ist? Sie sind schon Big Player in der Agenturszene, wissen aber, dass die besten Ideen kommen, wenn man loslässt und das Ganze spielerisch angeht? Hier kommt das Kreativmeeting ohne Druck, das Brainstorming mit dem überraschenden Ergebnis. Hier kommt der Beweis, dass der spielerische Umgang mit Werbung Spaß, Spannung, Entspannung und wirklich gute Einfälle mit sich bringt. Susanne Meyer-Götz und Daniela Koza machen Sie auf heitere Weise fit für die Agenturwelt, wenn Sie von einem Job als CD, AD o. ä. träumen. Und sie holen Sie augenzwinkernd für einen Abend da wieder raus, wenn Sie diesen Job schon haben und ohne Brainstorm nicht mehr drüber lachen könnten.“

Hröm.

Das erste Problem, was Nicht-Werber mit dem Spiel haben werden, sind die Berufsbezeichnungen. Wir oft ich auf dieser Seite schon den Begriff CD erklären musste, weiß ich gar nicht mehr (Creative Director). Und dass ein AD ein Art Director ist, weiß eben auch nicht jeder und schon gar nicht, was dieser so macht. Aber selbst wenn man weiß, wer die Akteure sind, macht das Spiel nicht wirklich Spaß. Die Figuren kommen kaum vorwärts oder umrunden sinnlos das ganze Spielfeld – oder wir waren einfach zu doof, die Bedienungsanleitung zu verstehen, von der wir gestern überzeugt waren, dass ihre einzige Funktion die war, auf eine Seite zu passen, damit die Packung schön stylish aussieht. Jedenfalls haben wir etwas länger gebraucht, um zu kapieren, für welches Produkt mit welchem Claim wir jetzt werben sollten. Und wenn der Kunde Fiat heißt, kann das Produkt dann Windeln sein oder vergessen wir die Produkt-Karte einfach mal und nehmen Autos? Nitverstan.

Das Spiel selbst ist ein bisschen Spiel des Lebens mit MAD-Spiel und ein paar Monopoly-Karten. Man muss Aufgaben erfüllen, um bekannte Werberpreise zu gewinnen (ADC, Effie, Clio etc) bzw. darf einfach und ohne etwas zu tun vorwärts oder rückwärts ziehen, je nachdem, was die Aufgabenkarte sagt. Die Aufgaben waren das, was uns neben den verwirrenden Spielmodalitäten genervt hat. Mag ja sein, dass Nicht-Werber es lustig finden, in drei Minuten so viele Funkspotideen wie möglich zu produzieren, in denen das Produkt in Zusammenhang mit möglichst vielen europäischen Eigenarten gesetzt wird, aber wir fanden es einfach nur doof. Vielleicht haben wir das Ganze auch zu ernst genommen, weil wir eben nicht mehr spielerisch an Funkspots rangehen. Mal abgesehen davon, dass sie meiner Meinung nach die Königsdisziplin der Klassik sind, und deshalb schüttelt man sie eben nicht in drei Minuten aus dem Ärmel und schon gar nicht en masse. Aber wie gesagt, vielleicht haben wir es zu ernst genommen. Wahrscheinlich würden Ärzte ein Spiel auch doof finden, in dem sie in drei Minuten möglichst viele Ausreden erfinden müssten, warum sie dem Patienten das falsche Bein abgenommen haben, während der Rest der Welt munter drauflos kalauern würde.

Immerhin waren die Aufgabenkarten lustig getextet; man merkte, dass die Spielemacher anscheinend wirklich mal in der Werbung gearbeitet haben. Sämtliche Vorurteile und Nicht-Vorurteile wurden angesprochen, und wenn wir schon beim Spielen keinen richtigen Spaß hatten, dann wenigstens beim Wiedererkennen der Klischees.

Beim nächsten Mal wird gepokert. Oder mehr und früher getrunken. Vielleicht ist es dann ja lustig, Claims für Perücken zu singen.




Dienstag, 5. Oktober 2004

Was ist eigentlich aus John Berendt geworden, von dem ich vor knapp zehn Jahren Midnight in the Garden of Good and Evil verschlungen habe?

Schreibt der Mann noch? Ist er gestorben? What's up, Doc? Midnight sollte man übrigens wirklich lesen und sich nicht den grauenvollen Film angucken, trotz Kevin Spacey, John Cusack und Jude Law. Der Film klaut sich die langweiligste Geschichte im Buch – die Gerichtsverhandlung um einen Mordverdächtigen – und macht aus den vielen wunderbaren Charakteren, die das Buch bevölkern, ein Panoptikum an Peinlichkeiten. Ich weiß, ich weiß, Buch und Film, nicht vergleichen undsoweiter, stimmt ja auch, aber selbst aus einer Gerichtsverhandlung kann man mehr machen als Mr. Eastwood es hier gemacht hat. Und nur um seine Tochter auf der Leinwand zu sehen, muss man nicht auch noch eine überflüssige Blondine ins Drehbuch schreiben. Aber das Buch werde ich demnächst nochmal lesen. Wenn schon nix Neues nachkommt.



Wo wir grad bei Büchern sind: Durch Elke bin ich auf Wapiti aufmerksam geworden, die den Link zu den angeblich 50 beliebtesten Büchern der Deutschen gepostet hat. Die dazu gehörige Fernsehshow habe ich verpasst. Aber da habe ich wohl nichts – haha – verpasst.

1. Tolkien, John Ronald Reuel – Der Herr der Ringe
Glaub ich nicht, dass die Bücher so beliebt ist. Die lesen nur Jungs in der Pubertät und Mädels, die Viggo im Film toll finden.

2. Die Bibel
Liegt in drei Ausgaben auf meinem Nachttisch.

3. Follett, Ken – Die Säulen der Erde
Hab ich nicht gelesen, liegt aber in der Warteschleife.

4. Süskind, Patrick – Das Parfum
Logisch. Gelesen und geliebt.

5. Saint-Exupéry, Antoine de – Der kleine Prinz
Damals als Kind fand ich's toll. Seit das Buch aber für jede esoterische Bewegung und jeden Lebenshilfe-Wälzer herhalten muss, mag ich es irgendwie nicht mehr so. Aber da kann Herr Saint-Exupéry natürlich nix für.

6. Mann, Thomas – Buddenbrooks
Oh ja. Habe ich in der Zeit gelesen, als ich Dauergast in unserer Schulbibliothek war. Die Buddenbrooks sind bis heute mein liebster Mann, weil ich sie schlicht und ergreifend am leichtesten lesbar fand.

7. Gordon, Noah – Der Medicus
Bläh. Hab ich nicht durchgehalten, fand ich fürchterlich.

8. Coelho, Paulo – Der Alchimist
Hat mir mein Kerl gestern geliehen. Irgendwo habe ich in den letzten Tagen gelesen, dass Karasek es als „überspanntes Erbauungsbuch“ bezeichnet hat. Dann wollen wir mal schauen.

9. Rowling, Joanne K. – Harry Potter und der Stein der Weisen
Ich bin auf den Potter-Zug erst aufgesprungen, als der dritte Band rauskam, habe aber natürlich brav zunächst den ersten gelesen. Ich wollte einfach wissen, was an dem Hype dran ist. Und seit ich die ersten zehn Seiten verschlungen habe, gehöre auch ich zu den Wirrköpfen, die die Tage zählen, bis der nächste Band erscheint.

10. Cross, Donna W. – Die Päpstin
Kenn ich nicht.

11. Funke, Cornelia – Tintenherz
Kenn ich nicht.

12. Gabaldon, Diana – Feuer und Stein
Kenn ich nicht.

13. Allende, Isabel – Das Geisterhaus
Da kenne ich immerhin den Film. Und der hat mir gefallen.

14. Schlink, Bernhard – Der Vorleser
Jep, schönes Teil. Gewagtes Thema, wunderbar erzählt.

15. Goethe, Johann Wolfgang von – Faust. Der Tragödie erster Teil
Konnte ich zu Abiturzeiten fast auswendig. Den zweiten Teil habe ich allerdings bis heute nicht geschafft, trotz (oder wegen) Königs Erläuterungen in der freien Hand.

16. Ruiz Zafón, Carlos – Der Schatten des Windes
Kenn ich nicht.

17. Austen, Jane – Stolz und Vorurteil
Jane Austen wurde mir im Anglistik-Studium ein wenig verleidet, und ich habe mich mit ihr bis heute nicht recht anfreunden können.

18. Eco, Umberto – Der Name der Rose
Erst den Film gesehen, dann das Buch gelesen. Mir hat beides sehr gut gefallen, auch wenn ich danach kein einziges Werk von Eco mehr durchgekriegt habe. Foucault'sches Pendel, anyone?

19. Brown, Dan – Illuminati
Kenn ich (noch) nicht. The Da Vinci Code fand ich allerdings schön spannend.

20. Fontane, Theodor – Effi Briest
Schullektüre. Ich mag Fontane nicht so wahnsinnig gerne; er kommt mir immer sehr preußisch-korrekt rüber. Manchmal hätte ich gerne ein bisschen unpassende Leidenschaft. Aber vielleicht habe ich ihn auch völlig falsch in Erinnerung. Ging's bei Effi Briest nicht genau darum? Öhm ...

21. Rowling, Joanne K. – Harry Potter und der Orden des Phönix
Siehe 9.

22. Mann, Thomas – Der Zauberberg
Mein zweitliebster Mann. Ich habe mich nach dem Buch sehr, sehr krank gefühlt und muss bei jedem Geräusch, das meine Lunge nach fünf Stockwerken zu Fuß macht, an dieses Buch denken. Es war eben ein sehr intensives Leseerlebnis, das noch lange nachgehallt hat. Die Verfilmung von Schlöndorff mit Spitznase Christoph Eichhorn ist übrigens auch zu empfehlen, alleine wegens seines fiebrigen Monologs, mit dem er Silvester der Chauchat seine Liebe gesteht.

23. Mitchell, Margaret – Vom Winde verweht
Der erste fiktive Mann, in den ich mich mit 13 hemmungslos verknallt habe: Rhett Butler. Ich war von dem Buch überhaupt nicht mehr wegzukriegen und hätte am Ende am liebsten gleich nochmal von vorne angefangen. Ich habe es bis heute mehrmals in Deutsch und Englisch gelesen. Und beim Film heule ich standesgemäß die letzte Viertelstunde komplett durch.

24. Hesse, Hermann – Siddhartha
Noch nicht gelesen. Hesse ist bei mir eher Glückssache. Mein erster war Unterm Rad, und den fand ich gut.

25. Mulisch, Harry – Die Entdeckung des Himmels
Näh, ging gar nicht. Verschroben-verschwafeltes Geblubber ... aber ich hab fast 100 Seiten durchgehalten, obwohl ich schon nach einer das Gefühl hatte, dass dieses Buch nicht mein Freund werden wird.

26. Ende, Michael – Die unendliche Geschichte
Ich mochte Momo lieber, aber ich hab auch dieses Buch gern gelesen. Ist allerdings schon ewig her.

27. Hahn, Ulla – Das verborgene Wort
Kenn ich nicht.

28. McCourt, Frank – Die Asche meiner Mutter
Will ich nicht kennen. Auch den Film nicht. Verpasse ich etwas?

29. Hesse, Hermann – Narziß und Goldmund
Dieser Hesse hat bei mir funktioniert. Ich habe ihn in China im Urlaub gelesen, während im Hintergrund MTV Asia gerade Cryin' von Aerosmith rauf- und runtergedudelt hat.

30. Zimmer Bradley, Marion – Die Nebel von Avalon
Muss als Mädchen wohl sein, dass man irgendwann Marion liest. Die Nebel von Avalon habe ich sowohl auf Deutsch (geschenkt gekriegt) und auf Englisch (selbst erstanden). Ich muss gestehen, dass ich das Teil bis heute sehr gerne lese. Ist eben so schön pseudofeministischer Mystikquatsch, der sich gut im Urlaub und an langen Wochenenden lesen lässt. Obwohl ich erstens sonst überhaupt kein Fantasy mag und zweitens als Buch, das ich immer wieder lese, viel lieber Colleen McColloughs Tim vorschlage. Das ist dann allerdings nur noch Herzschmerz und Mädchenkram ohne Feen und Zauberei. In der ersten Verfilmung hat übrigens Mel Gibson den geistig zurückgebliebenen Tim gespielt. Mit 14 fand ich es unglaublich ergreifend, heute halte ich den Film vor Gackern keine halbe Stunde durch.

31. Lenz, Siegfried – Deutschstunde
Jep. Ich mag den Stil von Herrn Lenz. Diese fast gefühllose Distanz, die trotzdem sehr emotional wirkt, hat mir sehr gefallen. Ist aber auch schon 20 Jahre her, dass ich es gelesen habe.

32. Márai, Sándor – Die Glut
Kenn ich nicht.

33. Frisch, Max – Homo Faber
Verdammt gute Schullektüre. War mein erster Frisch, aber nicht mein liebster. Das ist bis heute Andorra. Und irgendwann kriege ich auch noch Mein Name sei Gantenbein durch.

34. Nadolny, Sten – Die Entdeckung der Langsamkeit
Habe ich gelesen und auch weiterempfohlen, kann mich im Moment aber nur schwer erinnern. Ging's da um diesen Matrosenjungen?

35. Kundera, Milan – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Ach, komm, das hat doch keiner gelesen! Da haben doch alle nur den Film geguckt.

36. García Márquez, Gabriel – Hundert Jahre Einsamkeit
Steht seit zehn Jahren im Regal. Wird da wohl auch noch weitere zehn Jahre stehen. Ich fand den Titel so schön ... monumental.

37. Irving, John – Owen Meany
Habe ich nicht gelesen. Nach Garp, Hotel New Hampshire und der Mittelgewichtsehe war mein Bedarf an Irving gedeckt. Mir fällt gerade auf, dass es Schriftsteller gibt, von denen man alles lesen will und andere, die man mochte, von denen man aber trotzdem irgendwie irgendwann genug hat. Als ob man sich überfressen hätte.

38. Gaarder, Jostein – Sofies Welt
Im Krankenhaus angefangen zu lesen. Vielleicht lag's am Krankenhaus, aber ich mochte es nicht. Nach 50 Seiten in die Tonne.

39. Adams, Douglas – Per Anhalter durch die Galaxis
Oh ja. Komplett. Meine erste Begegnung mit Science Fiction. Mit 13 auf deutsch gelesen, 15 Jahre später dann auf Englisch. Ich lache bis heute über „Steck dein Kopf in ein Schwein“, und ich leide mit jedem männlichen Wesen, das den unglücklichen Namen „Marvin“ trägt. Und gibt es bitte einen cooleren Bandnamen als „Desaster Area“?

40. Haushofer, Marlen – Die Wand
Kenn ich nicht.

41. Irving, John – Gottes Werk und Teufels Beitrag
Siehe 37.

42. García Márquez, Gabriel – Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Kenn ich nicht. Der Titel ist mir dann zu monumental.

43. Fontane, Theodor – Der Stechlin
Siehe 20. Ich behauptet, Fontane wird nur in der Schule gelesen. Das kann mir doch keiner erzählen, dass den wer freiwillig liest?

44. Hesse, Hermann – Der Steppenwolf
Soll ja der beste Hesse sein. Hat bei mir nicht funktioniert. Schon mindestens fünfmal angefangen und nie durchgehalten.

45. Lee, Harper – Wer die Nachtigall stört
Yep. Im Studium gelesen und bedauert, dass die gute Frau Harper nicht noch mehr geschrieben hat.

46. Mann, Thomas – Joseph und seine Brüder
Kenn ich nicht.

47. Strittmatter, Erwin – Der Laden
Kenn ich auch nicht.

48. Grass, Günter – Die Blechtrommel
Mein Lieblingsbeispiel für „Da war der Film besser als das Buch“. Was zum Henker sollte der dritte Teil im Buch? Ich will doch gar nicht wissen, dass Oskarchen jetzt Steinmetz wird. Neenee.

49. Remarque, Erich Maria – Im Westen nichts Neues
Ja, gelesen, lange her, weiß ich nicht mehr. Hat mir bestimmt pflichtschuldig gefallen.

50. Schätzing, Frank – Der Schwarm
Kenn ich nicht.

Ich lese übrigens gerade Die ungeschminkte Wahrheit von Frau Paprotta, Reden ohne Angst (die Lesung rückt näher), die üblichen Gedicht- und Kurzgeschichtenbände, die halt auf meinem Nachttisch so rumliegen und eben die drei Ausgaben, die unter 2 erwähnt werden.




Montag, 4. Oktober 2004

I never understood before
I never knew what love was for
My heart was broke, my head was sore
What a feeling

Tied up in ancient history
I didn't believe in destiny
I look up you're standing next to me
What a feeling

What a feeling in my soul
Love burns brighter than sunshine
Brighter than sunshine
Let the rain fall, I don't care
I'm yours and suddenly you're mine
Suddenly you're mine
and it's brighter than sunshine.

Aqualung




Sonntag, 3. Oktober 2004

Drei Jugendfreizeiten in der DDR, Mitte der 80er Jahre.

Postdam. Sanssouci. Die langen Gänge, die goldenen Rahmen. Filzpantoffeln? Ich weiß es nicht mehr. Zu viele Kabel, die auf den Treppen liegen. Es hat geregnet.

Weimar. Die beste Stadtbilderklärerin, die wir je hatten. Das Goethe-Haus. Mehr Licht. Die Farben, die Bibliothek, der Blick aus dem Fenster in den bunten Garten. Die FDJ-Truppe, die uns am Ausgang entgegenkam. Dann Buchenwald, wo einige ernsthaft vor den Öfen posiert haben. Die Pathologie. Die Straße aus Grabsteinen. Und die roten Fahnen in der Ausstellung, die mit der Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls endete, mit dem ja alles gut wurde, wie wir wissen.

Naumburg. Der Dom, in dem es ein Treppengeländer gibt, auf dem oben Franz von Asisi steht. Und das gesamte Geländer hoch laufen Tiere auf ihn zu. Unser Führer hat uns gesagt, wir sollten alle mit den Händen am Geländer langlaufen, so blieben die Tiere seit Jahrzehnten blank. Haben wir gemacht. Meine Finger erinnern sich an das Gefühl, einen Hasen aus Metall gestreichelt zu haben.

Jena. Der rote Stern.

Gera. Der riesige Fabrikschornstein, von dem unser Führer behauptete, er wäre deshalb so hoch, damit die Schadstoffe nicht bis auf die Stadt runterkämen. Klar. Wahrscheinlich war es deshalb auch so bräunlichdunkel in der Stadt. Wir haben in der Jugendherberge Thomas Mann übernachtet, die aus einzelnen Gebäuden am Hang und einem alten Haupthaus bestand. Meine Mitreisende Elisabeth hatte eine Erkältung und hat einen Esslöffel China-Öl geschluckt, worauf ich Angst hatte, sie wiederbeleben zu müssen. Tim hat draußen auf den Stufen gesessen und in Kohle ein Bild der hügeligen Landschaft gezeichnet. Es war sehr ruhig.

Meißen. Porzellan. Viel, viel, viel Porzellan. Zwei gekreuzte Schwerter. Ein schöner Marktplatz. Eine Kirche, zu der verdammt viele Stufen hoch führten.

Dresden. Die Elbe. Die Brücken über die Elbe. Die Semper-Oper. Der Zwinger, meine Güte, der Zwinger und das Grüne Gewölbe. Wie eine andere, wunderschöne Welt. In der Innenstadt der beste Intershop der DDR.

Leipzig. Die Universität, der Weisheitszahn mit dem fiesen Karl-Marx-Relief, ohne das der Turm wahrscheinlich umfallen würde. Ein riesiger, leerer Platz, der Sozialismus quasi atmet. Auerbachs Keller. Viel zu viel Bier. Goldene Kuppeln? Von was? Und am nächsten Morgen das Bach-Haus und die Thomaskirche. Die Thomaner haben gesungen und ich garantiert geheult.

Erfurt. Der Dom. Die bunten Fenster. Die Bänke voller Schnitzereien, Gesichter und Geschichten. Ein Mann, der mit einer riesigen Ölkanne die Straßenbahnschienen abschreitet. Die kleinen, grauen Fahrkarten, in die Löcher gestanzt wurden. Susanne und ich haben in der ganzen Stadt keinen Kristallwodka gefunden.

Eisenach. Die Wartburg. Der Tintenfleck, der garantiert seit Jahrhunderten liebevoll nachgemalt wird. Der Blick aus dem Fenster ins grüne Tal. Die Ahnung der Grenzanlagen.

Die Heimfahrt über Helmstedt. Die leiser werdenden Unterhaltungen, wenn die Grenze erreicht wird. Die Erleichterung, wenn sie hinter einem liegt. Der erste Halt auf westdeutscher Seite, Autobahnraststätte, Süßigkeiten, erstmal den Braunkohlemief aus den Klamotten kriegen. Aber da fahren wir nochmal hin, oder? Klar. Nächstes Jahr wieder im Herbst. Wir sehen uns.

Ich will keine Mauer wiederha'm.




Samstag, 2. Oktober 2004

Perfektes Timing zum Wochenende: Gestern ist die vierte Staffel von The West Wing bei mir eingetroffen. Womit ich einerseits was zu tun habe, andererseits aber nun keine Ahnung, was ich Montag ins Weblog schreiben soll.



Die Zeit räumt mit ein paar Vorurteilen gegenüber dem Dicksein auf: Rund und gesund.

„Schlankheitsfanatiker könnten einwenden, Menschen mit Speckrollen stürben zwar nicht wesentlich früher, seien aber häufiger krank. Wer sich indes die Gesundheitsstatistiken ansieht, stößt auf eine unübersichtliche Indizienlage. Fast alle Erhebungen belegen eine Zunahme der Krankheitskosten erst ab einem BMI von 29, und in Nordkalifornien lagen die Gesundheitskosten in der idealgewichtigen Gruppe sogar höher als bei der amtlich übergewichtigen Klientel. Aus Kostengründen hätte man vielen Versicherungsnehmern durchaus empfehlen können, ein paar Pfund zuzunehmen. Vorausgesetzt, kein Risikofaktor wie Diabetes liegt vor. Dann nämlich können wenige Pfund Erleichterung das Risiko des endgültigen Diabetes-Ausbruchs auf die Hälfte reduzieren. Das Gemeine ist nur: Das Sterberisiko dieser Menschen bleibt dasselbe. Abnehmen ist nicht gleichbedeutend mit Verbesserung der Gesundheit. Im Gegenteil, wer Gewicht verliert, dessen Sterblichkeit nimmt laut einer dänischen Untersuchung zu. Am deutlichsten wies der Sportmediziner Steven Blair in einer Langzeitstudie mit über 70.000 Amerikanern nach, dass einen schon moderates Abspecken ins Grab bringen kann. Verlieren Männer mit einem BMI von 26 bis 29 über fünf Prozent ihres Gewichts, verdoppeln sie ihr Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Krankheit zu sterben.“

Ich habe meine Meinung zu dem Thema bereits in der Kritik zu Super Size Me kundgetan. Wer mag, kann ja noch mal in der Kino-Ecke vorbeischauen.

(Artikel via passe.par.tout)




Freitag, 1. Oktober 2004

Ein ganz herzliches Dankeschön an Andriz, der mir ein wirklich gutes Buch von meinem Wunschzettel hat zukommen lassen. Steht brav in der Agentur neben seinem gelben Bruder und wurde gestern bereits von einer Kollegin ausgeliehen. Vielen lieben Dank!



Because tomorrow today is the FIRST day of October, this week's Friday Forum is dedicated to all of those memorable "FIRSTS" that we've experienced in life.

1. What was your first date like? When was it, and where did you go? What did you do? Did you have a good time?

Die Dating-Kultur ist in Deutschland ja nicht ganz so ausgeprägt wie in Amiland. Ich habe das Gefühl, dass man hier seine potenziellen Partner eher über Freunde, auf Partys, bei der Arbeit kennenlernt. Ich hatte eigentlich nie richtige Dates. Höchstens das mit dem Kerl, das aber auch nicht als Date deklariert war und sich auch nicht so angefühlt hat. Aber es vereinte zwei meiner drei großen Lebensbereiche (Werbung, Netz, Filme): Wir haben uns im Internet kennengelernt, und unser erstes Treffen war im Kino. Und, ja, ich hatte eine gute Zeit. Und habe sie noch. (Dicker, fetter Grinsesmiley)

2. Who is the first person listed in your phone/address book? How do you know that person, and do you keep in touch often?

Mein Adressbüchlein ist ein rotes Werbegeschenknotizbuch von Marlboro, das, wenn ich dem Titel glauben darf, seit 1992 in meinem Besitz ist. Die erste Person, die darin steht, ist keine Person, sondern der Pizzabringdienst Affenzahn in Hannover, den es laut Google noch zu geben scheint. Damals hatte der ziemlich guten Stoff; wie die Qualität der Pizzen heute ist, kann ich nicht beurteilen.

Die erste richtige Person ist eine Bekannte um drei Ecken, mit der ich vor hundert Jahren mal in MeckPomm paddeln war und bei der ich ab und zu mit Freunden rumgelungert habe. Sie war allein erziehend und hatte zwei kleine Töchter, und die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht: das kleinen Mädchen total zart, blond und ruhig, ihre größere Schwester etwas stämmiger, dunkelhaarig und nervig. Waren aber beide nicht mein Ding. Ich habe Mutter und Nachwuchs seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und auch schon genauso lange nicht mehr an sie gedacht.

Ich habe gerade beim Blättern festgestellt, dass ich viele der Namen und Telefonnummern nicht mehr zuordnen kann: Waren das Kommilitonen? Kollegen? Irgendwelche Leute, die ich irgendwo kennengelernt habe? Wenn ja, wo? Und wann? Wie saht ihr aus? Warum wart ihr irgendwann mal wichtig genug, in meinem Adressbuch aufzutauchen?

Und ich kann mich auch nicht überwinden, die Nummern von meinen Großeltern oder Karl durchzustreichen. Mach ich nicht. Will ich nicht.

3. What's the first music album that you ever bought yourself, with your own money? Do you still have it?

Ich glaube, bei den LPs könnten es die Stray Cats gewesen sein. Ganz sicher weiß ich aber, welche CDs ich mir als erstes gekauft habe: Schwanensee vom Boston Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Seiji Ozawa und Laurie Andersons Home of the Brave. Ich habe noch alle meine Platten und CDs, auch die, die mir heute peinlich sind. Ich hab ja auch noch meine Boney M.-Kassetten.

4. Do you remember your first day of high school, or perhaps your first day at college? What was it like, and how did you feel?

An meinen ersten Tag am Gymnasium kann ich mich nicht erinnern. An den ersten Tag an der Uni schon eher. Das war in Bremen, und für das Studium musste ich von zuhause wegziehen. Ich hatte also meine erste eigene Wohnung, einen nagelneuen Collegeblock und war extrem motiviert, in der Regelstudienzeit Lehrerin für Deutsch und Geschichte zu werden. Diese Motivation hat bereits am ersten Tag stark nachgelassen, weil ich das Unileben richtig scheiße fand. Gerade in Deutsch hatte ich das Gefühl, dass da nur die Streber aus dem Leistungskurs saßen, die Fleißpunkte fürs Mitschreiben haben wollten, und in Geschichte hingen die klassischen Langzeitstudenten rum, die eigentlich nur den verbilligten Krankenkassensatz zahlen wollten. (So wie ich zehn Jahre später.) Die Uni selbst fand ich auch ziemlich gewöhnungsbedürftig: überfüllt, überhitzt, überlaut. Es hat mir nicht wirklich Spaß gemacht, und bereits nach dem ersten Schulpraktikum, das netterweise bereits im ersten Semester dran war, war mir klar, dass Lehrer eine ziemlich verfehlte Berufswahl wäre. Also bin ich nach zwei Semestern wieder nach Hannover gezogen und habe angefangen, im Kino zu arbeiten. Nebenbei habe ich Anglistik und Geschichte auf Magister zu studieren begonnen, aber auch in Hannover fand ich das Studentendasein ziemlich panne. Ich hatte immer mehr Spaß an den Nebenjobs, und als ich 1999 die Idee hatte, Werbung in Hamburg machen zu wollen, habe ich als rituellen Akt die Immatrikulationsbescheinigung verbrannt, die ich immerhin seit 20 Semestern mit mir rumschleppte. (Um billiger ins Kino zu kommen, genau.)

5. Have you had any "firsts" recently – perhaps within the past month? (For example, trying a new food for the first time, traveling somewhere for the first time, grasping the concept of something for the first time, etc.)

Ich habe zum ersten Mal ein Buch in den Händen gehabt, auf dem mein Name vorne draufsteht. Ich habe zum ersten Mal in dieser Wohnung die Nudelmaschine benutzt. Ich habe zum ersten Mal Gesangsunterricht gehabt. Und im September war es genau ein Jahr her, dass ich den Kerl zum ersten Mal gesehen habe.