“Bloggers need not apply”

Nach der „Blogger wegen Blog gefeuert“-Hysterie kommt hier eine neue Variante, warum Weblogs ganz, ganz böse sind: Blogger werden gar nicht erst eingestellt. Jedenfalls, wenn es nach einem anonymen Professor eines Colleges im Mittleren Westen der USA geht, der in diesem Artikel die Weblogs einiger Bewerber durchhechelt – und natürlich tiefenpsychologisch zu deuten weiß:

Professor Turbo Geek’s blog had a presumptuous title that was easy to overlook, as we see plenty of cyberbravado these days in the online aliases and e-mail addresses of students and colleagues. But the site quickly revealed that the true passion of said blogger’s life was not academe at all, but the minutiae of software systems, server hardware, and other tech exotica. It’s one thing to be proficient in Microsoft Office applications or HTML, but we can’t afford to have our new hire ditching us to hang out in computer science after a few weeks on the job.

Professor Shrill ran a strictly personal blog, which, to the author’s credit, scrupulously avoided comment about the writer’s current job, coworkers, or place of employment. But it’s best for job seekers to leave their personal lives mostly out of the interview process.

It would never occur to the committee to ask what a candidate thinks about certain people’s choice of fashion or body adornment, which countries we should invade, what should be done to drivers who refuse to get out of the passing lane, what constitutes a real man, or how the recovery process from one’s childhood traumas is going. But since the applicant elaborated on many topics like those, we were all ears. And we were a little concerned. It’s not our place to make the recommendation, but we agreed a little therapy (of the offline variety) might be in order.

Das heißt also, dass jemand, der ein Hobby hat, diesem automatisch irgendwann während seiner Arbeitszeit nachgehen wird? Und dass man in Vorstellungsgesprächen am besten gar nichts Persönliches von sich erzählen sollte? Wonach soll man einen Menschen denn beurteilen wenn nicht nach persönlicher Sympathie, wenn die „normalen“ Jobanforderungen erfüllt sind?

Ich nehme an, die Einstellungskriterien im Elfenbeinturm sind andere als in den Jobs, in denen ich bisher gearbeitet habe. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass an einem College oder einer Universität nur Leute sitzen, die den ganzen Tag ausschließlich über ihr Fachgebiet nachdenken und auch nach Feierabend nur darüber reden möchten oder sich nur mit Menschen austauschen, die demselben Fachgebiet angehören. Irgendwann hat sicher auch mal ein Professor schlechte Laune und will ein bisschen über den lahmen Kellner lästern, der ihn mittags bedient hat, oder sich über seine lauten Nachbarn aufregen oder auch nur mal seine Umgebung wissen lassen, was er heute für einen anstrengenden Tag gehabt hat. Ich halte diese Dinge für völlig normal.

Ich selbst schreibe zwar nicht in meinem Weblog über Länder, in die wir einmarschieren sollten (das hat bei uns ja sowieso noch nie funktioniert), aber auch ich erwähne mal Arschlochautofahrer und einige seelische Narben, die ich mit mir herumtrage. All das macht mich menschlich und nicht zu einem Psychowrack, das dringend auf die Couch muss. Gut, ich gebe zu, wenn ich während der Recherche im Weblog den Eindruck bekomme, dass der Bewerber ein rassistischer, frauenfeindicher, rechtschreibschwacher Mistkerl ist, würde ich ihn auch nicht unbedingt den Kurs „Deutsch für Ausländer“ an einer reinen Mädchenschule leiten lassen wollen. Aber ein ganz normales Weblog – und ich hoffe, die Definition dafür spaltet jetzt nicht wieder die „Community“ – sollte keinesfalls ein Ausschlusskriterium bei einer Bewerbung sein, vor allem, wenn der Autor (wie einer der Bewerber im Artikel) explizit nichts über seine Arbeit oder Kollegen schreibt.

Aber nicht nur die Tatsache, dass der Autor des Artikels oben genannte Äußerungen nicht als normal ansieht und dazu noch die völlige Veständnislosigkeit dem Medium gegenüber (“The pertinent question for bloggers is simply, Why? What is the purpose of broadcasting one’s unfiltered thoughts to the whole wired world? It’s not hard to imagine legitimate, constructive applications for such a forum. But it’s also not hard to find examples of the worst kinds of uses.”), haben mich geärgert, sondern darüber hinaus noch das übliche Missverständnis, dass man aus einem Weblog wirklich wissen könnte, wer der Mensch hinter den Zeilen sei. Ich habe einige Blogger kennengelernt und fand es jedesmal überraschend, den Autor bzw. die Autorin zu sehen, zu hören, ihm oder ihr beim Gestikulieren, Schnellsprechen, Kleidung zurechtzupfen, Bier trinken und Lachen zuzuschauen. Kein Mensch war so, wie ich erwartet hatte. Ich fand alle Bekanntschaften genauso nett und faszinierend wie ihre Weblogs, aber jeder und jede von ihnen ist weit mehr als ein paar Buchstaben im Netz. Wer glaubt, jemanden zu kennen oder sogar dessen berufliche Fähigkeiten anhand eines Weblogs abschätzen zu können, hat das Internet nicht verstanden.

(Außer man ist Texter. Dann macht konstantes, halbwegs pointiertes und vielfältig interessiertes Gebrabbel echt einen guten Eindruck.)

(Link via Malorama und Camp Catatonia)

5 Antworten:

  1. Also, bei mir wäre das Kriterium zu Recht angewandt. Ich bin so süchtig, dass alle Arbeit liegenbleibt. ;-)

  2. Vielleicht sollte ich mich da mal bewerben, mein Blog dürfte interessant für ihn sein. Schließlich analysiere ich mich darin selbst.

  3. In den USA darf man waehrend eines Bewerbungsgespraechs nichts fragen, das nicht direkten Bezug zum Arbeitsplatz steht. Nicht nach Familie, Herkunft, nichtmal wie die Person zum Bewerbungsgespraech gekommen ist (zu Fuss, Fahrrad, Auto). Jemanden mit franzoesischem Akzent darf man nicht fragen, ob er/sie aus Frankreich kommt. Unterlagen duerfen nicht das Alter enthalten, theoretisch nicht mal das Geschlecht.
    Alles koennte im Fall der Nichteinstellung Grund fuer eine Klage sein. Equal-Opportunity-Act, jeder Mensch darf nur anhand seiner Faehigkeiten zu dieser Arbeitsstelle bewertet werden.
    http://en.wikipedia.org/wiki/Equal_Employment_Opportunity_Commission

    > Und dass man in Vorstellungsgesprächen am
    > besten gar nichts Persönliches von sich
    > erzählen sollte?

    Genau. Das kann negativ ausgelegt werden. Grosse Unternehmen in den USA gehen auf Nummer sicher.

  4. Danke für den Hinweis. Davon habe ich noch nie gehört.

    (Blogs bilden. Sag das bitte mal einer dem Prof.)

  5. bloggen bei S&J mittlerweile Einstellungsgrund?

    – Q?regierung.