Was schön war, Freitag bis Sonntag, 1. bis 3. September 2017 – Runterkommen

Wie angespannt ich vor dem ersten offiziellen Gespräch mit dem Doktorvater war, merkte ich erst Freitag, als ich nach komatösem Schlaf erwachte. Der September begann mit deutlich kühlerem Wetter, was mir außerordentlich gut gefiel. In meiner quietschbunten Regenjacke machte ich mich zur Villa Stuck auf, um mir eine Ausstellung über Willy Fleckhaus anzuschauen.

Ich zückte am Eingang wie immer meinen Studentenausweis und bat um Ermäßigung, als die Dame an der Kasse meinte, ich käme als Kunstgeschichtsstudentin umsonst in die Villa Stuck. Das war mir neu, und auch auf der Website steht davon nichts, aber zu diesem freundlichen Angebot sagte ich natürlich nicht nein, schloss Jacke und Rucksack im Untergeschoss ein und fuhr mit dem Fahrstuhl in den 2. Stock, wo die Ausstellung begann und wo man mir freundlich sagte, dass ich ohne Blitz gerne fotografieren dürfe.

Den ersten Raum habe ich schon wieder vergessen; ich hielt mich am längsten im zweiten auf. Dort lagen in einer Vitrine in der Mitte mehrere Ausgaben der twen und ein paar Photokina-Kataloge. An den Wänden hingen aufgezogene Doppelseiten, teils mit einleitendem Text, vor allem zu den Fotografen, die die twen ebenso wie Fleckhaus’ Gestaltung mitprägten. Von der Fotografin Christa Peters war leider nichts zu sehen, wenn ich richtig geguckt habe. Mir haben vor allem die Bilder von Will McBride gefallen, die auch noch 50 Jahre später in jedem Magazin gut aussehen würden. Oder in der Werbung; im dritten Raum hing eine Reportrage über Jugendliche am Strand, und bei so ziemlich jedem Bild suchte ich das Calvin-Klein- oder das Ralph-Lauren-Logo.

Mit den Texten der twen hatte ich allerdings deutlich mehr Schwierigkeiten, und das wäre auch mein erster Kritikpunkt an der Ausstellung. Ich hätte mir eine bessere Einordnung und Kontextualisierung gewünscht. Wie beeindruckend modern die Gestaltung der twen war, wäre noch eindrücklicher, wenn man ein paar Vergleichsseiten aus anderen Medien gesehen hätte. Und wenn man auf die progressive Themensetzung verweist (Juden in Deutschland in den 1960er Jahren, Homosexualität etc.), dann hätte ich mich über eine Einordnung der ganzen peinlichen Machoscheiße gewünscht, die einem aus jeder Doppelseite entgegentroff. Die Art, wie über Frauen geschrieben wurde und wie sie fotografisch in Szene gesetzt wurden, entsprach sicher dem Zeitgeist, aber da hätte ich mir eine Abgrenzung gewünscht. So stehen Peinlichkeiten wie „Die Sextigerin aus Finnland“ über ein Bond-Girl (ich meine Ursula Andress, aber die ist Schweizerin) und „Die renovierte Romy“ über Romy Schneiders neue Beziehung gleichauf mit fortschrittlichen Themen, ohne das klar gemacht wird, dass eben auch altmodisch-patriarchalischer Rotz im Blatt zu finden war, auch wenn er für damalige Verhältnisse supi-locker formuliert war.

Zweiter Kritikpunkt: die Hängung. Im dritten Raum erklang Jazzmusik, was mir sehr gefiel, und an den Wänden hingen diverse Seiten, die einen guten Überblick über das gestalterische Schaffen von Fleckhaus gaben. Aber: Sie hingen teilweise auf Kniehöhe, so dass man ohne Rückenschmerzen kaum etwas lesen konnte. Ich weiß, es geht um die Grafik, aber trotzdem: Wenn ihr schon was aufhängt, warum dann nicht so, dass man es in Gänze betrachten kann? Den Artikel über den „lustigen Nationalsozialisten Gottfried Benn“ hätte ich gerne gelesen.

Im vierten Raum konnte ich mich wieder davon überzeugen, dass die 70er Jahre fürchterlich hässlich waren, und auch drei weitere Staffeln Mad Men hätten mich nicht vom Gegenteil überzeugen können. Dann geht man eine Treppe hinunter, guckt auf ein paar Plakate, biegt um die Ecke und sieht dann das, weswegen ich in die Ausstellung wollte: die edition suhrkamp, von Fleckhaus 1963 gestaltet. 48 aufeinanderfolgende Bände folgen dem Farbspektrum des Regenbogens, ab Band 49 geht alles wieder von vorn los. Das Titeldesign wurde erst 2004 leicht verändert, die Farbigkeit blieb.

Hier gefiel mir der Ehrenplatz, den diese Buchreihe bekommen hatte – eine kleine Nische ganz für sich alleine. Gegenüber in der Vitrine lagen Suhrkamp-Taschenbücher, die Fleckhaus ebenfalls gestaltete, und ich lernte, dass er bewusst Titelblatt und Titelschrift in nah beieinander liegenden Farbtönen gewählt hatte, also blaues Cover mit dunkelblauer Schrift etc. Jeder, der schon mal ein Suhrkamp-Buch gekauft hat, müsste wissen, was ich meine. Diese Gestaltung wurde irgendwann aufgegeben; mein liebstes Suhrkamp im Regal ist Rainald Goetz’ Irre: ein violettes Cover mit neongelber Schrift.

Am FAZ-Magazin marschierte ich recht schnell vorbei, das kannte ich noch selbst aus den 80ern, während ich es schon spannend fand, die twen mal ausführlicher anschauen zu können. Wenn nur das Lesen nicht so anstrengend gewesen wäre.

Wer durch die Ausstellung laufen möchte, muss sich beeilen, sie ist nur noch bis zum 10. September zu sehen.

Am Samstag genoss ich es sehr, lange neben F. zu schlafen. Abends gingen wir auf eine Geburtstagsfeier, auf der ich über NS-Kunst reden konnte, Cold Brew und Bayern München. F. blieb länger, während ich durch die kühle Dunkelheit zum Bus ging, der zeitgleich mit mir an der Haltestelle ankam. Am Olympia-Einkaufszentrum stieg ich in die Bahn, am Scheidplatz in die nächste und freute mich wie so oft über einen funktionierenden Nahverkehr.

Das fiel mir schon neulich auf, als mein Vater, meine Schwester und ihr Mann mich besuchten, die auf dem Land fast ausschließlich im Auto, manchmal auf dem Rad, unterwegs sind. Für sie war das fürchterlich umständlich, dieses ewige zu einer Haltestelle gehen, warten, umsteigen, zum Ziel gehen, während es für mich total entspannend ist, weil ich passiver Verkehrsteilnehmer bin, mich andere schnell und bequem irgendwo hinchauffieren, ich auf dem Weg lesen kann anstatt im Stau zu stehen und sogar viel Bier trinken darf. Ich mag die Öffis; ich habe in fünf Jahren München ein Auto nur zweimal vermisst – als ich für größere Anschaffungen zu Ikea wollte.

Am Sonntag erholte ich mich von den vielen Menschen auf der Party (15! Mit Kindern!) und genoss das Alleinsein. Ich schlief lange, las viel, ließ uralte Grey’s-Anatomy-Folgen nebenbei laufen, aß ein paar Salamibrote und guckte stumm und zufrieden aus dem Fenster.

Abends kam eine Mail des Kurators unserer Ausstellung in Rosenheim, und ich konnte zum ersten Mal alle Wand- und Objekttexte lesen – also nicht nur meine, sondern alle im Zusammenhang. Ich fand den roten Faden sehr stringent und die Texte sehr informativ. Das wird gut. Ich würde mich freuen, wenn der/die eine oder andere von euch Zeit für diese Ausstellung hätte. Man muss sich nicht mal für NS-Kunst interessieren, es reicht schon, ein paar lokale Künstler interessant zu finden. (Wir haben nur eine einzige Frau in der Ausstellung.)

Vom Doktorvater erfuhr ich, dass unser Katalog ein Brocken mit fast 400 Seiten werden wird; auch auf den bin ich sehr gespannt. Und ich freue mich schon auf das Kolloquium am 4. Oktober im Zentralinstitut für Kunstgeschichte.