Ein privates Dankeschön …

… an Jutta, die mich mit Janosch Steuwers »Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse«: Politik, Gesellschaft und privates Leben in Tagebüchern 1933-1939 überraschte.

Ich vertwitterte im April die beeindruckte Rezension aus der SZ, die ich leider dort nicht wiederfinde und sie deshalb in etwas anstrengend zu lesender Form bei buecher.de verlinke. Der Teaser der SZ war so ungefähr: „Das politische Leben bestimmte auch das private“, woraufhin irgendein Stoffel mir das loriot’sche „Ach was?!“ als Reply schickte. Ich gehe davon aus, dass der Stoffel dem Link gar nicht erst gefolgt ist, denn dann wüsste er, warum ich das Buch so spannend fand:

„Inspiriert wohl von Sebastian Haffners unmittelbar im englischen Exil 1938 begonnener Autobiografie „Geschichte eines Deutschen“, hat sich der in Zürich lehrende Historiker Janosch Steuwer der Erfahrungs- und Gesellschaftsgeschichte der Etablierung des Nationalsozialismus zugewandt. Es war ja Haffner, der als einer der Ersten darauf verwies, dass „die Nazi-Revolution die alte Trennung zwischen Politik und Privatleben aufgehoben“ habe. Steuwer knüpft in seiner Analyse des Begriffs „Volksgemeinschaft“ daran an: Wie bestimmten die Zeitgenossen ihr eigenes Verhältnis zum neuen Regime mitsamt neuen ideologischen Grenzziehungen, aber auch Veränderungen ihrer Position im alltäglichen Sozialgefüge. Bestehende Lebensweisen und Selbstreflexionen wurden plötzlich hinterfragt und neuen politischen Kategorien angepasst. Dadurch tauchte eine neue Form der Privatheit auf, die der Autor anhand von etwa 140 bisher unveröffentlichten Tagebüchern der Jahre 1933 bis 1939 untersucht. Er attestiert diesen Quellen systematische Einsichten in das NS-Regime, wie sie anderswo hätten nicht erreicht werden können.

Man denke nur an die Tagebücher von Victor Klemperer. Steuwer trennt sie klar von retrospektiven Selbstzeugnissen wie Autobiografien oder Erinnerungen. Er wertet sie als Quelle sui generis, vor allem weil ihre Verfasser „den Stoff nicht vollständig kennen und nicht autonom über ihn verfügen können“. Mit der Zuschreibung einer antifiktionalen Authentizität der Tagebücher (vielfach aus dem Fundus des Deutschen Tagebucharchivs Emmendingen) versucht er einen neuen Zugang zum Wandel konkreter Verhaltensweisen nach dem Beginn der NS-Herrschaft zu rechtfertigen. Eine solch strukturelle Herangehensweise scheint wissenschaftliches Neuland zu sein. […]

Der für manche vielleicht interessanteste Teil dieser Untersuchung behandelt die Frage, welche Meinung die Deutschen über das NS-Regime hatten, wie sie auf dessen Entscheidungen reagierten, wie die Bevölkerung in die Politikgestaltung einbezogen wurde und welchen Rückhalt sie bedeutete. Auch hier überrascht Steuwers Vorgehen. Statt erneuter Auswertung der Lageberichte von Gestapo und Exil mit ihren bekannten kollektiven Zuschreibungen wie „Konsensdiktatur“, „Zustimmungsdiktatur“, wendet er sich dem Einzelnen und seiner individuellen Beschäftigung mit der Regierungspolitik zu. Er glaubt, dass auch hier Tagebücher die Stimmungsberichte besser dokumentieren. Nur wurden sie so bislang nicht ausgewertet. Zitate vom November 1933 wie: So schnell ich begeistert bin, so schnell kühle ich ab. Warum kommen mir immer nur wieder Zweifel? Warum kann ich nicht rücksichtslos glauben?“, sagen viel über das Auswertungspotenzial aus. Bescheiden merkt der Autor an, dass er statt weiterer Begrifflichkeiten das Wissen ergänzen möchte, was „Zustimmung“ unter den Bedingungen der NS-Diktatur meint. So wies bereits Klaus Theweleit darauf hin, dass in Tagebuchaufzeichnungen nicht der Inhalt politischer Ansprachen reflektiert wurde, sondern vielmehr die Inszenierung eigener Gefühle. So auch Steuwers Annahme, dass die NS-Politik die Deutschen weniger durch Überzeugungen und Argumentationen geprägt habe, sondern durch inszenierte unpolitische Gefühle. Wichtig war den Tagebuchschreibern stets eine „Übereinstimmung zwischen der eigenen Wahrnehmung und der propagandistischen Politikinszenierung her- und auszustellen“. Das aber verweist auf ein ungleich komplexeres Verhalten, als es die gängige These einer vom „Hitler-Mythos“ zusammengehaltenen Bevölkerung zeichnet.“

Gerade die Aufzeichnungen von Einzelpersonen interessieren mich sehr. Im Zuge meiner Masterarbeit habe ich, schlicht aus Platzgründen, mit den Deutschen als halbwegs einheitliche Masse argumentieren müssen bzw. habe meist die Ansichten der Mehrheit als Richtschnur genommen. Ich zitiere mich mal selbst zum Thema Vergangenheitsbewältigung (mal sehen, ob der Plagiatsdetektor des Prüfungsamts anspringt):

„Hans-Ulrich Thamer […] sah in der Zeit zwischen 1945 und 1949 zunächst die Phase der Entnazifizierung, in der die Deutschen sich notgedrungen intensiv privat und öffentlich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzten. Die Entnazifizierungs-bemühungen der Alliierten und die daraus folgende Einteilung in Täter und Mitläufer begünstigten aber auch die Entstehung eines ‚langwirkenden Geschichts- und Täterbildes, nach dem auf der einen Seite ein dämonischer Hitler und eine kleine verbrecherische Führungsclique stand, auf der anderen Seite die Gutgläubigen, in ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer Gefolgschaftstreue missbrauchten Deutschen.‘“

In der Fußnote zum Zitat schrieb ich:

„Thamer, Hans-Ulrich: „Der Umgang mit dem Nationalsozialismus und die politische Kultur in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit“, in: Hansen, Hendrik/Veen, Hans-Joachim (Hrsg.): Aufarbeitung totalitärer Erfahrungen und politische Kultur. Die Bedeutung der Aufarbeitung des SED-Unrechts für das Rechts- und Werteverständnis im wiedervereinigten Deutschland, Berlin 2009, S. 81–100, hier S. 89. Dennis Mayer widerspricht: Zunächst sei die Zustimmung der Bevölkerung zu den Entnazifizierungsmaßnahmen sehr hoch gewesen (über 50% der Befragten im November 1945), nahm aber stark ab (17% Zustimmung im Mai 1949). Die Nürnberger Prozesse sowie die Spruchkammerverfahren wurden als Siegerjustiz wahrgenommen. Laut Mayer hatten viele Deutsche das „Dritte Reich“ nicht als Unterdrückerstaat wahrgenommen, sondern waren von der „volksgemeinschaftlichen“ Loyalität überzeugt, vgl. Meyer, Dennis: Art. „Entnazifizierung“, in: Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, 3. überarb. und erw. Aufl., Bielefeld 2015, S. 20–21, hier S. 21. Im Gegenzug lehnten die Deutschen aber die These einer Kollektivschuld rigoros ab, vgl. Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 32.“

Ich habe schon ein wenig im Buch quergelesen, und genau am NS-Begriff der „Volksgemeinschaft“ stößt sich der Verfasser sehr und hinterfragt, wie sehr dieser Begriff überhaupt noch trägt, wenn man ihn anhand von Einzelpersonen erforscht. Ich bin gespannt auf seine Schlussfolgerung. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.