Was schön war, Samstag, 20. Mai 2017 – Geisterbahnhof

Morgens freute ich mich über das rege Teilen und Herzen meines Eintrags von gestern. Dabei saß ich brav in der Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts (mein geliebtes ZI ist nur von Montag bis Freitag geöffnet) und starrte hirntot einen Kiefer-Ausstellungskatalog an. Ich las meine bisherigen 30.000 Zeichen durch, korrigierte ein wenig an ihnen rum, fügte noch was ein, was ich Freitag in der Stabi erlesen hatte, aber so richtig konzentriert war ich nicht. Nach zwei Stunden klappte ich meinen Rechner zu und ging nach Hause, las die FAZ, deren Probeabo ich in ein richtiges Abo umwandeln werde, und zog mich dann langsam für die Arena um. Zur Feier des Tages wählte ich mal wieder das Gomez-Trikot, nachdem ich die letzten Male in normalen Shirts gegangen war, weil mir der Eventfußball des FCB inzwischen so auf die Nerven geht. Aber ich drückte ein bisschen Wolfsburg die Daumen, bei denen Herr Gomez gerade unter Vertrag steht, weil ich ihnen eher zutraute, den HSV zu schlagen als umgekehrt; bei einem Sieg von WOB wäre Ausgburg auf jeden Fall der Klassenerhalt sicher, ganz egal, wie sie sich selbst bei Hoffenheim anstellen. Bei einem HSV-Sieg musste mindestens ein Unentschieden her.

Die Fahrt zur Arena war entspannt, die U-Bahn nicht irre voll; ich war auch etwas spät dran. Die Kontrollen vor dem Stadion waren nervig wie schon die ganze Saison lang, und ich bin froh, dass ich mir das demnächst ersparen werde. Im Geiste dachte ich wehmütig an die WWK-Arena, wo es einen großen Eingang für Frauen und einen großen für Männer gibt, man ist schnell durch, und alle wissen, wo es hingeht – im Gegensatz zur Allianz-Arena, wo, ich schrieb es bereits mal, pro großem Tor vier Eingänge gibt und einer davon ist für Frauen, was durch ein ungefähr handgroßes Schildchen bekannt gemacht wird, das man, wenn man nicht öfter dort ist, erst erkennt, wenn man quasi davor steht. Deswegen gehen da gerne auch Kerle durch, die sich anscheinend lieber von Frauen abtasten lassen, während die meisten Frauen das eher ungern von einem Mann machen lassen, weswegen wir durch diesen einen blöden kleinen Eingang müssen, der immer voll ist, weil halt auch Männer durchrennen, und ach, ich reg mich schon wieder sinnlos und Stunden zu spät auf. Gestern stand immerhin noch eine zweite Frau an einem der anderen Eingänge, weswegen ich auch das tat, was alle tun: irgendwo hindrängeln, irgendwo reingehen.

Das Spiel gegen Freiburg war mir ziemlich egal, ich guckte immer ängstlich auf die Anzeigentafel, wo ab und zu die Ergebnisse aus den anderen Stadien eingeblendet wurden und hörte mit halbem Ohr den Augsburgfans hinter mir zu, die früher als eben diese Tafel informiert waren, wie es wo stand. Erst zum Schluss versiegte dieser Informationsfluss, und ich musste nach Ende des Spiels selber googeln: HSV schlägt WOB und bleibt erstklassig, WOB muss in die Relegation, und weil der wackere FCA ein 0:0 in Hoffenheim halten konnte, bleibt auch er erstklassig. Darauf eine Emoji-Tröte!

Am letzten Spieltag wurden wie üblich die Herren verabschiedet, die nicht mehr mitspielen wollen; das waren gestern unter anderem auch Xabi Alonso, der mir eher egal war, und Philipp Lahm, bei dessen Einspielerfilmchen ich dann doch ein wenig rührselig wurde. Die beiden bekamen vor dem Spiel dicken Applaus – und dann nochmal in der 85. und gefühlt 88. Minute, als beide ausgewechselt wurden. Freiburg hätte noch die Chance gehabt, sich aus eigener Kraft direkt für die Europaleague zu qualifizieren, weswegen ich nachvollziehen kann, dass ihnen das Theater rund ums Spiel eher auf die Nerven ging. Die Auswechslungen waren schon fast egal, denn da stand es 2:1 (es ging 4:1 aus) und Köln war schon durch, aber trotzdem hätte ich als Freiburger etwas mehr Krach geschlagen, zum Beispiel direkt nach der Halbzeit. Die ging nämlich deutlich später los als es eigentlich im heiligen DFB-Ablaufplan vorgesehen war, denn die mies getimte Halbzeitshow mit Anastacia (die lebt noch?) überzog deutlich, während die Spieler ernsthaft schon auf dem Rasen standen. Der Sitzplatzultra hat das etwas ausführlicher aufgeschrieben.

Dann war das Spiel irgendwann rum, und die Meisterfeierlichkeiten begannen. Alleine dafür wollte ich noch mal in die Arena, denn die hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen. Da hätte ich auch den besseren Blick gehabt, denn natürlich sind die Aufbauten in Richtung Kameras (und Businesslogen). Ich sah aber immerhin viel Konfetti und war sehr beeindruckt davon, wie lange sich das Zeug in der Luft hielt.


Auch die Rückfahrt war entspannt, ich las in meinem mitgebrachten Suhrkamp, bis die U6 am Odeonsplatz hielt. Die Meisterfeier des FCB fand auf dem Marienplatz statt, der dafür schon den ganzen Tag gesperrt war bzw. bei dem man sich auf Taschenkontrollen etc. einstellen musste. Ab irgendwann abends hielten dann die U-Bahnen nicht mehr dort, sondern fuhren direkt zum Sendlinger Tor durch. Genau wie wir jetzt: Die Bahn verlangsamte, als sie durch die orangefarbene Station fuhr, und ich genoss diesen für mich neuen Anblick. Die Station ist sonst ein einziger wuseliger Haufen Leute, und jetzt war alles leer. Ein echter Geisterbahnhof. Das war schön.

Ich feierte den Meistertitel und noch mehr den Klassenerhalt mit einem Stückchen Erdbeerplunder, den ich mir noch am Hauptbahnhof holte, nachdem ich gesehen hatte, dass am Sendlinger Tor schon alle Bäckereien dicht gemacht hatten, las die FAZ aus und erwischte einen Zwei-Stunden-Freispiel-Bonus bei Candy Crush, ich Partytiger, ich.