Tagebuch, Dienstag/Mittwoch, 3./4. Mai – Schreibtisch

Die Überschrift sagt schon alles. Okay, nebenbei hatte ich auch noch schöne Unikurse und -vorlesungen, aber im Prinzip pendele ich gerade zwischen der Historicumsbibliothek und dem Schreibtisch zuhause hin und her und versuche, eine Fragestellung für das Referat zu Familienfesten im 19. Jahrhundert festzuzurren. Seit gestern steht immerhin eine These, die ich jetzt durch Literatur zu untermauern versuche. So ganz auf die Zwölf ist sie noch nicht, aber immerhin so zwischen 10 und 11, und daher bin ich zuversichtlich, dass ich sie heute oder morgen finalisieren kann.

Vom Herrn von Welden weiß ich inzwischen, dass die Pinakotheken ein Ölbild auf Pappe von ihm besitzen (1942 gemalt, 1946 als Schenkung erhalten) – der Kontakt kam über die Kuratorin des Lenbachhauses zustande, und die Antwortmail auf meine piepsige „Habt’s was von dem Herrn?“-Frage kam innerhalb von zehn Minuten. Das kleine Achtsemester dankt. Das Münchner Stadtmuseum hat ein Aquarell von ihm im Bestand, das ich mir sogar anschauen kann; dafür habe ich aber noch keinen Termin, und die Entstehungs- bzw. Ankaufdaten wurden mir auch nicht mitgeteilt. Aber das kann ich ja vor Ort erfragen.

Donnerstag in einer Woche sind wir dann endlich in der Städtischen Galerie in Rosenheim vor Ort, und von diesem Museum weiß ich bereits, dass „Leo von Welden [..] zu Höchstpreisen 1944 von der Städtischen Galerie in Rosenheim angekauft [wurde] (wurde auch davor schon angekauft, aber ’44 stiegen die Preise unverhältnismäßig) und [dass er] nach dem Krieg […] der erste Künstler [war], der von der Galerie angekauft wurde (also nicht durch Stiftungen etc. erworben wurde).“ Das Zitat stammt aus einer Mail unserer … ich weiß ihren offiziellen Titel gar nicht … Kursbegleiterin? Wissenschaftliche Mitarbeiterin? Die Dame hat ihre Masterarbeit über die Galerie geschrieben, und wir Kursteilnehmer*innen warten sehnsüchtig darauf, dass diese Arbeit veröffentlicht wird, damit wir sie zitieren können. Da das aber bis nächste Woche nicht passiert sein wird, wie mir die Dame schrieb, gab sie mir diesen Tipp vorab per Mail. Dafür bin ich sehr dankbar; bei der Durchsicht der Ankaufspreise des Lenbachhauses ist bei mir nämlich nicht der Eindruck entstanden, dass die Preise exorbitant höher wurden. Hier liegen mir drei Vergleichsdaten vor: 1943 wurden im Mai zwei Tuschezeichnungen von ihm für jeweils 150 RM gekauft, beide ca. 23 x 33 cm groß, während im Januar 1944 für eine Zeichnung in der Größe 53,5 x 36 cm 250 RM gezahlt wurden. (Die Motive waren übrigens ein weiblicher Akt, drei Zecher im Gasthaus sowie ein Ritter und der Tod.)

Von den Karteikarten bzw. dem Datenbankauszug des Lenbachhauses wird auch ersichtlich, wo die Bilder gekauft wurden; ein Selbstbildnis von 1939 wurde zum Beispiel auf der Kunstausstellung im Maximilianeum (München) erworben, ein weiteres von 1944 auf der Ständigen Ausstellung der Künstlergenossenschaft München. So viel zum Thema, von Weldens Kunst sei „entartet“ gewesen und er habe nicht ausstellen können. Generell wurden Museumskäufe vor allem in Ausstellungen getätigt; die Mitarbeiter*innen gingen eher nicht in die Ateliers der Künstler*innen, um dort direkt zu kaufen.

Außerdem habe ich weitere Bücher zur sogenannten Verlorenen Generation gefunden, aber bisher nur durchgeblättert. Der Begriff „Verlorene Generation“ wird für mehrere Gruppen verwendet; hier meint er Maler*innen, die um die Jahrhundertwende geboren wurde und zur NS-Zeit noch nicht den Erfolg hatten, den sie hätten haben können, wenn sie unbehelligt hätten weiterproduzieren können. Nach 1945 waren sie entweder vergessen, emigriert oder hatten sich mit dem System arrangiert – egal, was mit ihnen passierte, sie konnten weder an vorherige, wenn vorhandene, Erfolge anknüpfen noch in der Bundesrepublik Fuß fassen, weil neue Produzent*innen nachgewachsen waren. Eine Info habe ich mir aus unserem Ost-West-Seminar im letzten Semester gemerkt, weil sie mich sehr beeindruckt hatte: So gut wie alle Künstler*innen, die nach 1933 ins Ausland emigriert waren, kehrten in den Landesteil zurück, aus dem die DDR entstehen sollte, wenn sie überhaupt zurückkehrten.