Was schön war, Montag, 28. bis Donnerstag, 31. Dezember 2015

Lesen und Schreiben.

Den Montag verbrachte ich in der Stabi, wo ich eine Dissertation von 2007 zu Anselm Kiefer und seinen Bildern zu Paul Celans Todesfuge las. Obwohl der Schwerpunkt auf Bildern lag, mit denen ich mich nicht beschäftige, fand ich in dem netterweise üppig bebilderten Buch wichtige Hinweise auf Werke, mit denen ich mich beschäftige, unter anderem so kunsthistorische Wichtigkeiten wie Maße oder Besitzverhältnisse von einzelnen Bildern. Die brauche ich für mein Abbildungsverzeichnis, das bei meiner derzeitigen Argumentation vermutlich länger wird als der eigentliche Text.

Ich befasse mich mit den Bildern, in denen Kiefer Bezug auf das Opernwerk von Richard Wagner nimmt. Bei der Arbeit zum Referat sind mir so sieben, acht Bilder über den Weg gelaufen, von denen ausgehend ich eine vage Theorie formulierte. Die verfestigt sich netterweise immer mehr, je mehr Bilder ich mit Wagner-Bezug finde, aber: Ich finde eben immer mehr Bilder mit Wagner-Bezug. Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, wo ich Dienstag und Mittwoch glückselig rumblätterte, stehen so ziemlich alle Ausstellungskataloge der letzten 40 Jahre von Kiefer und in denen fand ich natürlich noch mehr. Ich habe noch nicht alle durchgeschaut, aber momentan habe ich – Moment, ich öffne kurz das Dokument mit dem schönen Titel „Bilderliste“ – 17 Werke mit eindeutigem Wagner-Bezug (Referenzen auf seine Opern durch Namen, Gegenstände oder Libretto-Zitate im Bild), sieben Werke mit nicht ganz eindeutigem Bezug (ein Bild namens Meistersinger kann sich auch auf die deutsche Zunft derselben beziehen und rekurriert nicht zwingend auf die Oper) sowie zwei Werke, in denen Wagners Name im Bild auftaucht, aber keine Inhalte seiner Opern.

Seit meiner Bachelorarbeit habe ich mir einen Satz meines Prüfers gemerkt: „Beschäftigen Sie sich mit einem Werk, nicht mit der gesamten Kunstgeschichte.“ Deswegen bin ich jetzt gerade dabei, im Kopf die Bilder zu clustern, um mich auf einige wenige zu konzentrieren, anhand derer ich meine Theorie auformuliere; die anderen müssen als kurz angerissener Bildbeleg genügen, sonst bin ich ruckzuck auf Masterarbeitslänge. Ich fasse die Bilder teilweise chronologisch, teilweise thematisch zusammen, denn … ach, ich zitiere mal kurz aus meiner gerade entstehenden Hausarbeit (Formulierungen sind also noch längst nicht final):

„Gudrun Inboden gelang 1986 in ihrem Aufsatz Exodus aus der historischen Zeit das Kunststück, über Siegfried vergißt Brünhilde (1975) zu sprechen, ohne die Nibelungen oder Wagner zu erwähnen. Sie sah das Werk als eines von Kiefers Landschaftsbildern an, was die Komplexität von Kiefers Œuvre verdeutlicht: Seine Bilder können problemlos mehreren Werkgruppen oder Themen zugeordnet werden.“

In diesem etwas sehr verallgemeinernden Blogeintrag sind zwei Versionen des Bildes zu sehen. Es gibt noch eine dritte Ausführung in Buchform. Und so wie ich Kiefer allmählich kenne, gibt’s irgendwo noch irgendwas mit diesem Namen, das ich noch nicht gefunden habe.

Was ich eben schon anriss: meine Hausarbeit. An der schreibe ich seit Dienstag endlich, nachdem ich mich vorher mal wieder wochenlang ans Stoffsammeln und Bilderangucken geklammert habe. Sobald die erste Zeile steht, gibt’s kein Zurück mehr, und deswegen zögere ich das, warum auch immer, ewig hinaus. Aber jetzt läuft’s, die Einleitung steht, und ich bin gerade mit dem Forschungsstand beschäftigt, in dem ich anderer Leute Ansichten über Richard Wagner zerpflücke, weil ich dauernd über fiese Verallgemeinerungen stolpere. Ein Kurator zog den Vergleich zwischen Wagners langen, mit 80-köpfigem Orchester besetzten Opern und Kiefers großformatigen Bildern, wogegen ich gerade Wagners Wesendonck-Lieder für eine Stimme und Klavier sowie Kiefers DIN-A4-Aquarelle ins Feld führe. Außerdem quengele ich an Kuratorformulierungen rum, die ich teilweise als völlig unverständlich ansehe. Ich zitere mich wieder selbst (nochmal der Hinweis: work in progress); ich klinge ein bisschen zickig in meinem Urteil, das werde ich noch abmildern, aber erstmal musste ich rummotzen.

„Im Ausstellungskatalog zu einer von Kiefers Ausstellungen von 1984, die von Düsseldorf aus nach Frankreich und danach erstmals nach Israel ging, schrieb Jürgen Harten über die vier Bilder des Parsifal-Zyklus, in dem wir hölzerne Innenräume mit Gegenständen und Zitaten aus der Wagner-Oper sehen: „Gleichwohl illustriert Kiefer keine Wagnerschen Szenen; es ist eher umgekehrt: er injiziert diesen Holzräumen gleichsam Wagnersche Blutproben, an denen der genius loci sich entzündet.“ Und weiter: „Das Wagnerzitat ist sicherlich mehr als ein Vorwand, aber weniger als ein Motiv.“ Diese Aussage kann nicht überzeugen: Es klingt, als wären die Gegenstände und Libretto-Zitate reine Dekoration, aber sie bilden vor dem Hintergrund des hölzernen Raumes die gesamte Bildkomposition. Wenn das kein Motiv ist, wäre es interessant zu wissen, was für Herrn Harten eins wäre.“

„Wagnersche Blutproben“? Alter!

Ausstellungstickets kaufen.

Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte steht (natürlich) schon der Katalog zur Kiefer-Ausstellung, die seit 16. Dezember im Centre Pompidou läuft. Den blätterte ich am Mittwoch durch und musste daher am Donnerstag dringend einkaufen.

Essen, reden, küssen.

F. hatte mir zu Weihnachten ein Essen im Theresa geschenkt, in das ich sonst nicht gegangen wäre, weil es mir gerade schlicht zu teuer ist. Ich hatte ein bisschen Angst vor unserem Termin am Mittwoch abend (F. auch, wie er mir im Nachhinein sagte), denn wir hatten uns kurz vor Weihnachten getrennt.

Ich war seit Wochen überfordert davon, über eine alte Beziehung zu trauern und gleichzeitig in einer neuen zu funktionieren, die sich ganz anders anfühlt als die alte, an der ich, wie gesagt, irgendwie noch hing, warum auch immer. Ich war ständig angespannt, genervt, überreizt und dazu noch tieftraurig. Die einzigen Momente, in denen ich die alte Anke wiederfand, waren die, die ich allein in der Uni und der Bibliothek verbrachte, und deswegen sagte ich kurz vor Weihnachten alles ab, den Fehlfarbenpodcast, die geplanten gemeinsamen Theaterbesuche, das im Raum stehende gemeinsame Silvester, alles. Ich wollte nur alleine sein und mich selbst wiederfinden. Ein Telefonat mit dem Kerl brachte mir dann unerwarteterweise den endgültigen Abschied, und seitdem ging es mir schlagartig besser. Ich war alleine, konnte mich endlich nur auf mich konzentrieren und das war genau richtig so.

Deswegen wusste ich nicht, wie es uns gehen würde beim Essen, ob wir uns nur traurig und schweigend angucken, möglichst schnell das teure Fleisch verspeisen und uns dann endgültig Auf Wiedersehen sagen würden. Ich hatte mich innerlich mit einer Fiftyfifty-Chance arrangiert, dass das unser letzter gemeinsamer Abend sein könnte und wollte dann immerhin einen schönen Abschied haben. Also versuchte ich, so positiv wie möglich zu sein und das klappte sehr gut. Wir konnten endlich mal wieder entspannt über Kunst, Kultur und Wein reden und mussten nicht mehr mühsam und kräftezehrend an unserer Beziehung rumsezieren. Dazu war das Essen auch noch fantastisch – man sollte sich ja zurückhalten mit Formulierungen wie „das beste Irgendwas ever“, aber meine Güte, war das das beste Steak ever!

Der Abend war genauso wunderschön wie unsere ersten Abende gewesen waren und dementsprechend ging er dann in eine wunderschöne Nacht und einen wunderschönen Morgen über. Ich weiß noch nicht (und F. weiß es auch nicht), ob wir wieder zusammenfinden, aber es hat sich alles sehr richtig angefühlt. Ich möchte trotzdem erstmal weiter alleine vor mich hinpuscheln – deswegen habe ich auch Silvester bewusst alleine verbracht –, bis ich wieder das Gefühl habe, die Anke zu sein, die ich in den letzten Jahren geworden bin und die ich sehr vermisse. Das bin ich noch nicht, aber seit einigen Tagen sehe ich mich so langsam wieder. Noch ein bisschen unscharf, aber immerhin: Ich scheine noch da zu sein.