Tagebuch Mittwoch, 16. Dezember 2015 – Seminar und Vortrag

Morgens mein geliebtes Ost-West-Seminar. Das erste Referat ging um die (von Immendorffs Galeristen angeregte) Freundschaft zwischen Jörg Immendorff und A. R. Penck, das zweite beschäftigte sich mit der documenta 6 von 1977, auf der erst- und letztmals Künstler aus der DDR ausgestellt wurden. An dem Vortrag fand ich besonders die rhetorischen Volten spannend, die eben das möglich gemacht hatten.

DDR-Künstler wurden bereits zur d5 eingeladen; das wurde von Ost-Berlin allerdings abgelehnt, da in einem kapitalistischen System keine Kunst entstehen könne. Den Hinweis fand ich gar nicht so doof; wir behaupten ja gerne, Kunst können nur in Freiheit entstehen, aber dass unsere westlich-kapitalistische Welt natürlich auch einschränkt – alleine dadurch, dass Künstler*innen irgendwie ihre Miete zahlen müssen und daher ganz eventuell vielleicht auch Auftragskunst produzieren, die sich im künstlerischen Gehalt nicht sehr von Staatskunst unterscheidet –, vergessen wir ab und zu mal. Zur d6 lautete die Argumentation: Ja, jetzt dürfen einige ausstellen, damit der sozialistische Realismus eine breitere Öffentlichkeit fände – das sei quasi politische Arbeit. (War sie ja auch.)

Gleichzeitig zogen jetzt aber, nachdem sechs DDR-Künstler ausstellen durften, einige westdeutsche Künstler ihre Arbeiten ab (Baselitz und Lüpertz, noch ein Grund mehr für mich, die beiden doof zu finden), wohingegen vor allem Joseph Beuys sich für die DDR-Kunst aussprach. Der Spiegel schrieb damals, dass eine Gegenüberstellung genau der Künstler, die jetzt ihre Bilder abhängten, mit denen aus der DDR ganz spannend gewesen wäre. Wobei das eh nicht möglich war, da die DDR-Kunst ihre eigene, sehr kleine Ecke bekam, was so ziemlich von allen bequengelt wurde.

Mal wieder zwei sehr befruchtende Stunden gehabt.

Abends einen ebenso befruchtenden Vortrag im Zentralinstitut für Kunstgeschichte gehört. Dominik Lengyel, den ich in meiner BA-Arbeit zitierte, sprach über digitale Visualisierungen von archäologischen Theorien und machte mehrfach darauf aufmerksam, dass diese Bilder keine Rekonstruktionen seien, sondern nur Abbildungen von Ideen. Seine Arbeit wäre es, den Archäolog*innen immer wieder Bilder zu zeigen: „Könnte es so ausgesehen haben? Spricht irgendwas dagegen?“ Und erst, wenn nichts mehr im Bild etwas zeigt, das widerlegbar ist, wird es abgenickt. Diese Bilder nannte Lengyel „widerspruchslos“.

Er erwähnte auch etwas, das ich in der BA-Arbeit ausgeführt habe: die farblose Darstellung von Gebäuden. Wir können bei vielen, vor allem antiken, Gebäuden schlicht nicht sagen, welche Farbe sie genau hatten, weswegen es wissenschaftlicher ist, sie „unscharf“ abzubilden, also farblos. Selbst der Himmel in diesen Darstellungen bliebe farblos, denn sobald der Himmel blau sei, wirkten die Gebäude weiß, was eine Farbzuweisung ist, die wir nicht machen können. Erst wenn bei jedem Gebäudeteil klar ist, wie es ausgesehen hat, wird farbig gearbeitet. Hier die farblose Rekonstruktion der Bauphasen des Kölner Doms.

Zum Dom erzählte Lengyel auch noch die Geschichte vom Richter-Fenster. Bei der ersten Präsentation wurde das Fenster in Originalgröße auf schwarzen Folien ausgedruckt präsentiert, aber die Domleitung konnte sich das Fenster nicht an seinem zukünftigen Platz vorstellen. Daraufhin erstellte Lengyel eine Visualisierung des Fensters im Südquerhaus des Doms. Dabei erstellte er neben der heutigen Ansicht auch noch eine, die zeigt, wie das Fenster aussehen würde, wenn die neben ihm liegenden Fenster auch ersetzt würden; die warten nämlich noch auf genug Spendengeld, um ebenfalls neu gestaltet zu werden (oder überarbeitet, das weiß ich gerade nicht). Die Visualisierung zeigt das Fenster deutlich heller als es jetzt ist – logisch, auf einmal sind ja auch die Fenster neben ihm viel lichtdurchlässiger als sie es jetzt sind. Noch sehen wir das Fenster im Dom also in einem Zwischenstadium und noch nicht in dem Licht, in dem es eigentlich zu sehen sein sollte. Mir gefällt es jetzt allerdings auch schon sehr gut.

Am meisten hat mich persönlich der kleine Einblick in seine Lehrveranstaltungen an der TU Cottbus fasziniert. Er schicke seine Studierenden gerne mal ins Museum, damit sie sich von moderner Kunst inspierieren ließen. Wir sahen einige der Visualisierungen, die seine Studis erstellt hatten, die ich sehr spannend fand, die aber gleichzeitig eine Richtung ruinierte, in die ich eventuell in der Nationalstadion-Hausarbeit hätte gehen wollen. In der Sekundärliteratur hatte ich mehrfach gelesen, dass Herzog & de Meuron sich nicht von anderen Gebäuden, sondern von Kunst inspirieren ließen. Ich erwähnte im Blog bereits die Sammlung Goetz, die an Donald Judd und den Minimalismus erinnert, zusätzlich fand ich noch das Blaue Haus in Basel, das angeblich auf Yves Klein zurückgeht (wobei das Blau jetzt echt nicht das Klein-Blau ist) sowie das Steinhaus in Tavole, das die Materialien der arte povera zitiert. Ich hatte die Literatur so verstanden, dass das der totale heiße Scheiß sei, dass Herzog & de Meuron so arbeiten, aber wenn Architekturstudis das schon als Übung im ersten Semester machen, bin ich davon nicht mehr ganz so überzeugt.