Das ehemalige Kloster Weihenstephan

Thema meiner Bachelorarbeit war digitale Architektur. Als Grundlage für meine Argumentation – digitale Architektur kann mehr sein als nur eine Abbildung von Gebäuden, nämlich u. a. durch Meta- und Paradaten ein Erkenntnisinstrument sowie eine völlig neue Bildgattung – diente mir eine Visualisierung des Klosters Weihenstephan, das 1803 im Zuge der Säkularisation größtenteils abgerissen wurde. Die Fachhochschule Weihenstephan, die zur TUM gehört, fertigte im Jahre 2003 eine 4D-Version der Klosteranlage an, die ich in der BA-Arbeit beschrieb.

Ich war zwar 2011 schon einmal auf dem Berg, aber ich wollte mir die Gebäude noch mal in Ruhe anzuschauen. Also das, was noch bzw. wieder in restaurierter Form steht. Der folgende Text ist ein leicht gekürzter und mit einigen launigen Anmerkungen versehener Ausschnitt aus meiner BA-Arbeit, die den Bau von 1803 beschreibt. Ich habe die Fußnoten gekillt; ihr müsst mir das jetzt mal glauben, dass ich alles, was da unten steht, belegen kann.

Weihenstephan ist ein Stadtteil der Großen Kreisstadt Freising, die circa 30 Kilometer nordöstlich von München liegt. Südwestlich der Stadt liegt die landschaftliche Erhöhung des Weihenstephaner Bergs. Auf ihm wurde von Bischoff Hitto (811–835) vermutlich kurz vor 834 die erste Kommunität an diesem Ort gegründet. Von 1021 bis zur Säkularisation 1803 bestand auf dem Berg ein Benediktinerkloster, von Beginn des 12. Jahrhunderts bis 1242 zusätzlich ein Nonnenkloster. 1803 wurden die Gebäude teilweise abgebrochen, teilweise (mit Unterbrechungen bis heute) für eine Forst-, Obstbaum- und Landwirtschaftsschule genutzt. Heute gehören sie größtenteils zur Technischen Universität München bzw. deren Wissenschaftszentrum für Ernährung, Landnutzung und Umwelt. Während andere Klöster nach der Säkularisation unter anderem in Kasernen oder Gefängnisse umgestaltet wurden, gelang es in Weihenstephan, die klösterlichen Garten-, Land- und Forstwirtschaften zu erhalten und die Arbeit in ihnen fortzusetzen.

Der Baubestand von 1803 wurde vor dem Teilabbruch vom kurfürstlichen Hofbauamt vermessen und im Bild festgehalten; für Weihenstephan ist ein (nicht genordeter) Plan des Freisinger Hof- und Stadtmaurermeister Thomas Heigl vom 14. September 1803 erhalten:

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Er zeigt eine noch geschlossene Einheit aus Kirche mit Konventsgebäuden und Kreuzgang, ein Hofareal mit Wirtschaftstrakten im Westen sowie Klostergarten und Korbinianskapelle im Osten. Kurz nach der Erstellung des Plans wurde die Korbinianskapelle abgebrochen, Ost- und Südflügel sowie Stephanskirche und Kreuzgang wurden vermutlich zwischen 1803 und 1810 bzw. kurz darauf abgerissen. Heute sind vom Baukörper von 1803 nur noch wenige Teile erhalten: der „völlig verunstaltete“ westliche Flügel, darin einige Gewölbearkaden des ehemaligen Kreuzgangs, die Keller sowie das Treppenhaus und der Dekanatssaal im Gästetrakt in der Verlängerung des ehemaligen Südflügels. Von der Korbinianskapelle stehen noch einige Mauerreste.

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Ansicht von Südosten. Screenshot der 4D-Visualisierung, liegt als CD-ROM Schegk 2003 bei (siehe Literaturliste am Ende dieses Blogeintrags).

Die gut neunminütige, als Film angelegte Visualisierung beginnt mit einer Übersicht über die Gebäude. Hier sind Kreuzgang, Konventbau und Kirche farbig markiert; im Westen davon befinden sich die Wirtschaftsgebäude, im Osten der Klostergarten mit Hospital, Noviziat und das freistehende Salettl. Bei der Schwarzweiß-Ansicht im Vordergrund gut zu sehen und in der farbigen durch Höhenlinien angedeutet: die Korbiniankapelle.

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Die Klostergebäude brannten in ihrer langen Geschichte mehrfach ab. Die ältesten, 1803 noch vorhandenen Gebäude wurden am 11. Juli 1305 eingeweiht; ihr Aussehen vor ihrer barocken Umgestaltung ist uns nicht bekannt.

Die Klosterkirche St. Stephan war eine dreischiffige romanische Basilika ohne Querhaus. Ein viereckiger Turm mit zweistöckigen gotischen Blendbogenarkaden und einem achteckigen Spitzdach überragte die Kirche. Der Bau war laut Sebastian Gleixner 59,32 Meter lang, 19,71 Meter breit und 14,29 Meter hoch. Laut Helene Trottmann war die Kirche 66 Meter lang, 21,50 Meter breit und 16 Meter hoch, Alfred Kaiser maß 60,10 Meter in der Länge und 19,60 Meter in der Breite. Alle drei Verfasser berufen sich bei ihren abweichenden Berechnungen auf die Angaben aus dem Heigl-Plan von „Länge 208 Schuh, Breite 68 Schuh und Höhe 50 Schuh“, die sich auch bei Gentner 1854 schon finden.

Der Kreuzgang, der sich südlich an die Stephanskirche anschloss, gehörte vermutlich zu den ältesten Teilen des Klosters, um den nach und nach Gebäude errichtet wurden; er umschloss eine Fläche von ungefähr 25 mal 26 Metern. Von ihm steht heute nur noch die Westseite, die drei anderen Seiten wurden abgerissen.

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In der Nordwestecke befand sich seit 1501 die Kreuzgangskapelle, deren Traufhöhe bis in den zweiten Stock reichte; möglicherweise bestand hier bereits ein Vorgängerbau. Zweistöckige Konventsgebäude umschlossen den Kreuzgang. Im Ostflügel lagen im ersten und zweiten Stock das Dormitorium sowie die Mönchszellen mit Platz für ungefähr 35 Männer; die Nutzung der Räume im Erdgeschoss ist unbekannt.

Im Erdgeschoss des Südflügels lagen Bediensteten- und Gästezimmer, die Küche, das Refektorium sowie ein großer Versammlungsraum, im ersten Stock ein weiterer großer Saal sowie ein Toilettenraum über der Küche. Weiterhin fanden sich hier die Zimmer der Bediensteten des Abtes. Im zweiten Stock, der vermutlich einen ähnlichen Grundriss hatte wie die beiden unteren Stockwerke, lagen weitere Gästewohnungen. Ein Gebäudevorsprung, der die Südfassade des Konventbaus mittig architektonisch auflockerte, trennte auch optisch die Bereiche, die für Konventsangehörige bzw. Gäste vorgesehen waren. In ihm befanden sich die Speisekammer sowie das sogenannte innere Küchenstübchen. In der Verlängerung des Südflügels nach Westen befanden sich weitere Gästezimmer sowie ein Gästespeisesaal – der heutige sogenannte Dekanatssaal.

Im Westflügel befanden sich die Abtswohnung mit eigenem Abtritt, Gästezimmer und die Kreuzgangskapelle, die der Abt direkt aus seinen Zimmern erreichen konnte. Im Erdgeschoss lagen die Klosterrichterei sowie ein Requisitengewölbe. Ein Glockenturm über einem Säuleneingang lockerte auch hier die sonst einheitliche Fassade auf. Er ging auf die kreuzgangabgewandte Seite, also nach Westen, hinaus.

Hier malerisch gegen die Sonne und mit TUM-Fähnchen fotografiert:

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Im direkten Anschluss an den östlichen Teil des Südflügels befand sich das Klosterkrankenhaus. Der rechteckige, ebenerdige Bau war vermutlich mit einem Walmdach gedeckt. Ein überdachter Gang aus Holz am Kreuzgarten entlang verband das Spital mit dem leicht nördlich versetzten, zweistöckigen Noviziat.

Eine hanghinabführende Treppe im Spital mit 84 Stufen führte direkt zur Korbinianskapelle, die sich leicht nördlich versetzt über der angeblich heilendes Wasser spendenden Korbiniansquelle erhob.

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Die Quelle gehört zu den ältesten Quellheiligtümern Bayerns, eine erste Kapelle über ihr wurde 1608 errichtet. Die nach 1803 abgebrochene Kapelle wurde nach einem Entwurf von Cosmas Damian und Egid Quirin Asam 1719 fertiggestellt und 1720 geweiht. Die Korbinianskapelle war ein barocker Rundbau mit niedrigem Sockel, der durch ionische Halbsäulenpaare in acht gleiche Abschnitte unterteilt war. Über dem eckigen Hauptportal befand sich ein Rundbogenfenster, neben ihm waren ebenfalls zwei halbrunde Fenster angebracht. Der Eingang sowie die Fenster waren eventuell mit Stuck versehen. Die Säulenpaare trugen ein Stuckgesims, an das sich eine mit Rundfenstern versehene Attika anschloss. Über ihr befand sich eine Kuppel mit einer Laterne.

Heute stehen nur noch Ruinen der Kapelle:

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Zusätzlich zum Kreuzgarten besaß der Konvent noch einen in barocken Formen gestalteten Klostergarten, der sich im Ostteil der Anlage befand. Eine Hauptachse, die vom Kloster aus in Richtung Osten führte, wurde von zwei Querachsen geschnitten, die den Garten in sechs asymmetrische Abschnitte teilten. In der östlichsten Kreuzung befand sich ein Springbrunnenbassin, das den Garten mit Wasser versorgte.

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In diesem Gartenteil befand sich das freistehende Salettl. Das einstöckige Gebäude ging vermutlich auf einen Bau aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zurück; die um 1803 vorhandene Baustruktur wurde Ende des 17. Jahrhunderts errichtet. Der rechteckige Bau mit einem Walmdach war mit einer aufwendigen Fassadenmalerei geschmückt: Auf rosafarbenem Grund waren zwischen die Fenster ockerfarbene ionische Säulen gemalt, die Fensterrahmen waren ockerfarben umrandet. Das Walmdach trug eine grüne Färbung, um ein Kupferdach zu imitieren. Ein kleiner Anbau auf der Nordseite beinhaltete das Treppenhaus und war mit einem barocken Dachreiter verziert. Das Salettl diente den Äbten als Gartencasino. Es wurde nicht abgerissen und ist seit 1997 wieder im Zustand von 1803 zu sehen. Es dient heute als Tagungsgebäude der Fachhochschule.

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Der gesamte Westteil der Anlage wurde von einstöckigen Wirtschaftsgebäuden bestimmt. Direkt an das Westportal der Stephanskirche schloss sich die noch heute vorhandene Brauerei an. (Dass Weihenstephan, wie die eigene Werbung gerne behauptet, die älteste Brauerei der Welt sei, ist historisch nicht haltbar.) Um 1803 gab es vermutlich zwei Portale auf der Südseite, die mit Pilastern und Sprenggiebeln versehen waren. Die Fassade war bis auf einen mittig angebrachten Dachgaubenaufzug ungegliedert. In den weiteren Ökonomiegebäuden, die optisch der Brauerei ähnelten und vermutlich ziegelgedeckt waren, befanden sich unter anderem die Bäckerei, Fleisch- und Sattelkammer, eine Schmiede, die Meierei und verschiedene Stallungen sowie Lagerräume.

Am südöstlichen Ende der Wirtschaftsgebäude, nahe dem Eingang zum Klostergarten, befand sich die kleine Magdalenenkapelle, die noch heute vorhanden ist. Sie ist ein quadratischer Zentralbau, der damals ein ziegelgedecktes Zeltdach besaß. Das heutige Zwiebeldach entspricht nicht der historischen Bausubstanz. Die Kapelle wurde 1987 wieder in einen Andachtsraum verwandelt, nachdem sie jahrelang als Waschhaus der Brauerei gedient hatte.

(Und ich Depp habe vergessen, sie zu fotografieren.)

Literatur (Auswahl):

Feuchtner, Manfred/Koschade, Gerhard R.: „Kirchen und Grabdenkmäler der Freisinger Kollegiatstifte St. Andreas und St. Veit und der Benediktinerabtei Weihenstephan“, in: Glaser, Hubert: Das Grabsteinbuch des Ignaz Alois Frey, Regensburg 2002, S. 135–156.

Gentner, Heinrich: Geschichte des Benedictinerklosters Weihenstephan bey Freysing. Aus Urkunden angefertigt, München 1854.

Gleixner, Sebastian: „Ein Puzzlespiel: Die Rekonstruktion des Klosters Weihenstephan aus den Quellen“, in: Schegk, Ingrid (Hrsg.): Weihenstephan 4D – vom Kloster zum Campus. Versuch einer Rekonstruktion, Freising 2003, S. 73–141.

Goecke, Michael: „Weihenstephan als traditionsreiche Ausbildungsstätte“, in: Schmidt, Erika/Hansmann, Wilfried/Gamer, Jörg (Hrsg.): Garten, Kunst, Geschichte. Festschrift für Dieter Hennebo zum 70. Geburtstag, Worms 1994, S. 226–228.

Kaiser, Alfred: „Gestalt und Ausstattung der ehemaligen Benediktinerstiftskirche Weihenstephan bei Freising“, in: Amperland. Heimatliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck 26 (1990), S. 544–553.

Schegk, Ingrid (Hrsg.): Weihenstephan 4D – vom Kloster zum Campus. Versuch einer Rekonstruktion, Freising 2003.

Schuster, Karl: „Weihenstephan. Geschichte und Gegenwart“, in: Bayerland 57 (1955), S. 394–397.

Seidl, Alois: „Das Salettl. Die Keimzelle der Fachhochschule Weihenstephan“, in: Amperland. Heimatliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck 34 (1998), S. 281–284.

Trottmann, Helene: „Die zerstörte Korbinianskapelle in Weihenstephan und ihr Bilderschmuck von D. C. Asam“, in: Jahrbuch des Vereins für Christliche Kunst in München 14 (1984), S. 81–90.