Die fragmentierte Information

Viel zu kurzes Interview mit Katharina Borchert (ich versuche gerade, mir „Lyssa“ abzugewöhnen) und Stefan Niggemeier in der taz (via off the record). Der Ausschnitt, über den ich länger nachgedacht habe:

„taz: Bernd Kundrun, der Vorstandvorsitzende von Gruner + Jahr, spricht bereits vom Web 3.0 – einem Web, in dem das unüberschaubare Angebot aus der Version 2.0 durch Gatekeeper stark strukturiert ist.

Niggemeier: Ich glaube eher, dass die Leute lernen, sich nicht auf Gatekeeper zu verlassen, sondern sich ihre Medien selbst zusammenbasteln: ihren Lieblingskolumnisten aus der Zeitung zusammen mit ihrem Lieblingsblogger.“

Mir ist eigentlich erst da aufgefallen, aus wievielen unterschiedlichen Quellen ich inzwischen meine Information, aber auch meine Unterhaltung beziehe. Früher gab’s für mich die Tagesschau, den Spiegel und die Gala. Heute werde ich morgens mit NDR Info wach, höre das auch, wenn ich mich im Bad für den Tag fertig mache und auf der Fahrt in die Agentur. Zwischen Bad und Autofahrt wird der Rechner angeworfen und das eigene Weblog aktualisiert – und mal eben kurz auf SpOn und Salon nachgeguckt, wie’s der Welt so geht.

Ich habe die SZ im Abo, bei der ich die „aktuellen“ Meldungen fast immer nur querlese, weil sie a) meist nach Ticker klingen und b) eben nicht mehr aktuell sind, sondern von gestern, Redaktionsschluss. 18 Uhr? An meiner Tageszeitung mag ich viel lieber die großen, ewig langen Artikel und Hintergrundberichte. In der SZ ist das die Seite 3, auf der sich etwas persönlich gefärbtere Artikel wiederfinden. Ähnlich wie bei der Wochenendbeilage oder im SZ-Magazin, wo auch endlich mal ein bisschen mehr Raum ist für längere Geschichten.

Außerdem schätze ich die Kommentare in der Zeitung, die für mich der SZ ein Gesicht verleihen. Denn das bin ich inzwischen von Weblogs gewöhnt, die für mich damit stehen oder fallen, ob ich den Schreiber mag oder nicht. Das geht jetzt gar nicht um persönlich mögen oder nicht, sondern es geht darum, ob ich diese eine Stimme gerne/interessiert/gespannt/fragend/fassungslos etc lese und ihr nicht nur meine Zeit schenke, sondern auch mein Vertrauen.

Außerdem sind Blogs kostenlos. Das mag jetzt erst einmal egal klingen, aber ich kann mich an die wenigen Male erinnern, an denen ich widerwillig den Bayernkurier oder das Neue Deutschland oder was auch immer gekauft habe, nur um mal zu lesen, was die „Gegenseite“ denn so sagt. Heute klicke ich auf rechte, linke oder wirre Blogs (und damit ist nicht Herr Schwenzel gemeint) und kann blitzschnell über meinen Tellerrand hinwegschauen.

Klar sind viele Weblog einfach „nur“ nette Unterhaltung, wie die ganzen Celebrity-Blogs, auf denen ich atemlos die Geschehnisse um Britney mitverfolge, aber viele Weblogs haben mir wirklich etwas zu erzählen, das ich inzwischen als „informelle Grundversorgung“ wahrnehme. Das mag damit zusammenhängen, dass es für mich „die Zeitung“ oder „die Nachrichtensendung“ nicht mehr gibt, der ich komplett und hundertprozentig meine Aufmerksamkeit schenke, so wie früher der Tagesschau und dem Spiegel. So gerne ich die SZ mag – die Panoramaseite ist nicht zu ertragen und Wirtschaft ist mir egal. Daher ist die SZ für mich eher mein Blick auf Politik und Kultur. Und es sind die Stimmen von Heribert Prantl, Reymer Klüver, Tobias Kniebe, Nico Fried und Andrian Kreye, die ich sehr mag. Filmrezensionen lese ich in der SZ fast nie, weil ich die erst lesen will, wenn ich den Film selbst gesehen habe. Da ist die SZ aber schon längst im Papierkorb, und daher greife ich immer auf Anthony Lane oder Stephanie Zacharek zurück, von denen der eine auf Papier und im Netz publiziert, die andere nur online. Und um den Rest meines Lebens – Essen, Mode, Sport, etc. – kümmern sich Weblogs.

In meinem Fall ergänzen sich also Klassik und Neuzeug ganz hervorragend. Ich will Zeitungen und Zeitschriften nicht missen. Aber ich bin froh, dass es dieses lustige Internet gibt, das so herrlich subjektiv ist und überhaupt nicht auf eine bestimmte Zielgruppe genormt. Und nebenbei: zigmal schneller.