„Märchen erzählt mithin nicht nur die Werbung für die neuen Nahrungsmittel, Märchen erzählen auch diese Nahrungsmittel selber: Sie erzeugen eine Illusion von Erdbeeren, wo keine sind, eine Fiktion von Rind, wo dieses völlig fehlt. Stattdessen ist da bloß Aroma oder beispielsweise „Ribotide“, ein Geschmacksverstärker der japanischen Firma Takeda, der es zum „Marktführer in der Welt der Lebensmittelindustrie“ (Eigenwerbung) gebracht hat. Ribotide ermöglicht, so der Firmenprospekt, eine „Suppe mit stärkerem Geschmack“ zu kochen, bei der „die Gesamtmenge Fleischextrakt durch Ribotide ersetzt“ wird. „Die Kostenersparnis ist offensichtlich“, meint der Prospekt. Da hat er sicher recht. Aber was meint der menschliche Körper dazu?

Der erwartet ja eigentlich Rind, er hat Hunger und Appetit auf Fleisch, er sieht die Suppe schon dampfen, er ist voller freudiger Erwarung. Eine sehnsüchig-angespannte Situation, wie sie der Urahn aller Feinschmecker, Jean Anthèlme Brillat-Savarin, beschrieben hat: Im „Gedächtnis steigen Dinge wieder auf, die einst der Zunge geschmeichelt – die Phantasie glaubt sie vor sich zu sehen: es ist ein Zustand, traumartig. Dies ist nicht ohne Reiz, und wir haben tausend Eingeweihte in der Freude ihres Herzens rufen hören: ‘Welche Lust an gutem Appetite – Notabene, wenn man eines glänzenden Mahles in Kürze gewiss ist!’ Indessen regt es sich überall in der Nährmaschine: der Magen wird empfindlich, die Magensäfte scharf, die inneren Gase ziehen hörbar umher, der Mund füllt sich mit Speichel, und die Verdauungskräfte stehen alle unterm Gewehr, wie Soldaten, die nur noch den Befehl zum Sturm erwarten.*“

Und dann kommt Ribotide.“

* Jean Anthèlme Brillat-Savarin, Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen

Hans-Ulrich Grimm, Die Suppe lügt – Die schöne neue Welt des Essens, Knaur 2008, S. 116/117